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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 4 Ss 932/01 OLG Hamm

Leitsatz: Zur Beiordnung eines Pflichtverteidigers wegen Schwere der Tat bei zu erwartender Verhängung einer Einheitsjugendstrafe

Senat: 4

Gegenstand: Revision

Stichworte: Pflichtverteidiger, Beiordnung, Schwere der Tat,

Normen: StPO 140, StPO 338 Nr. 1

Beschluss: Strafsache
gegen A.B.,
wegen Diebstahls
Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Jugendschöffengerichts bei dem Amtsgericht Warburg vom 13. Juni 2001 hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 23. 10. 2001 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Jugendschöffengericht bei dem Amtsgericht Paderborn zurückverwiesen.

Gründe:
Das Jugendschöffengericht bei dem Amtsgericht Warburg hat den Angeklagten, der zur Tatzeit 18 Jahre und 2 Monate alt war, des Diebstahls geringwertiger Sachen schuldig gesprochen und ihn unter Einbeziehung des Urteils des Amtsgerichts Warburg - Jugendrichters - vom 29. März 2000 zu einer Einheitsjugendstrafe von einem Jahr verurteilt. In dem einbezogenen Urteil war gegen den Angeklagten wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln eine Einheitsjugendstrafe von acht Monaten verhängt worden, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden war.

Zum Tatgeschehen hat das Jugendschöffengericht festgestellt:

"Am 25.04.2001, auf dem Rückweg nach Verbüßung des Jugendarrestes in Lünen, entwendete der Angeklagte in Dortmund aus den Auslagen der Bahnhofsbuchhandlung H. fünf Postkarten im Gesamtwert von 9,50 DM."

Mit der gegen das Urteil in zulässiger Weise eingelegten Revision rügt der Angeklagte unter näheren Ausführungen die Verletzung von Verfahrensrecht, nämlich der §§ 338 Nr. 5, 261 und 265 StPO.

Das Rechtsmittel hat bereits mit der erstgenannten Rüge Erfolg. Zu Recht beanstandet die Revision, dass die Hauptverhandlung in Abwesenheit einer Person stattgefunden hat, deren Anwesenheit das Gesetz vorschreibt, § 338 Nr. 5 StPO. Es hätte hier dem Angeklagten nämlich gemäß §§ 68 Nr. 1 JGG, 140 Abs. 2 StPO ein Verteidiger bestellt werden müssen.

Die Bestellung eines Pflichtverteidigers ist nach § 140 Abs. 2 StPO u.a. dann erforderlich, wenn wegen der "Schwere der Tat" die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint. Diese Bestimmung räumt dem Vorsitzenden zwar einen Beurteilungsspielraum ein, diesem sind jedoch durch den unbestimmten Rechtsbegriff der Schwere der Tat Grenzen gesteckt. Deshalb unterliegt die Frage, ob der Tatrichter diesen Rechtsbegriff verkannt und ob er insoweit den richtigen Wertmaßstab angewendet hat, der Überprüfung durch das Revisionsgericht.
Die Schwere der Tat beurteilt sich in erster Linie nach der zu erwartenden Rechtsfolgenentscheidung. Zu berücksichtigen sind aber auch die Verteidigungsfähigkeit des Angeklagten sowie sonstige schwerwiegende Nachteile, die er infolge der Verurteilung zu gewärtigen hat. Diese Grundsätze gelten auch für das Jugendstrafverfahren (vgl. z.B. OLG Köln, StV 1991, 151), wobei es sowohl im Bereich des allgemeinen Strafrechts als auch im Bereich des Jugendstrafrechts unerheblich ist, ob die drohende Straferwartung sich allein aus der abzuurteilenden Tat oder infolge der erforderlichen Bildung einer Einheitsjugendstrafe bzw. einer Gesamtstrafe ergibt (vgl. z.B. KG, StV 1998, 325; OLG Hamm, NStZ-RR 1997, 78 m.w.N.). Bei welcher Straferwartung ein Fall der notwendigen Verteidigung zu bejahen ist, wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung zwar nicht ganz einheitlich beurteilt, jedoch wird nach heute überwiegender und zutreffender Ansicht jedenfalls bei einer Straferwartung von mindestens einem Jahr ohne Strafaussetzung zur Bewährung ein Fall der notwendigen Verteidigung i.S.d. § 140 Abs. 2 StPO bejaht (vgl. z.B. OLG Hamm, a.a.O. m.w.N.).

Unter Anwendung dieser Grundsätze hätte dem Angeklagten hier spätestens zu dem Zeitpunkt, als sich in der Hauptverhandlung Anhalt für die - im Urteil dann bejahte - Möglichkeit ergeben hatte, dass in der sittlichen und geistigen Entwicklung des Angeklagten Reifeverzögerungen vorlagen, so dass sich die Anwendung von Jugendrecht mit der Folge der Verhängung einer Einheitsjugendstrafe unter Einbeziehung des Urteils vom 29. März 2000 (§ 31 Abs. 2 JGG) abzeichnete, ein Pflichtverteidiger bestellt werden müssen. Denn damit bestand für den Angeklagten die Erwartung der dann auch im Urteil verhängten Einheitsjugendstrafe von einem Jahr unter Wegfall der in dem einbezogenen Urteil noch gewährten Strafaussetzung zur Bewährung. Das gibt auch unter Berücksichtigung der übrigen Umstände des vorliegenden Falles der Tat die in § 140 Abs. 2 StPO als Anlass für eine gerichtliche Verteidigerbestellung angesprochene Schwere.

Da nach § 338 StPO zwingend davon auszugehen ist, dass das angefochtene Urteil auf dem dargestellten Mangel beruht, war es aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an ein anderes Jugendschöffengericht zurückzuverweisen. Mit der Verweisung der Sache an das Jugendschöffengericht bei dem Amtsgericht Paderborn hat der Senat von der durch § 354 Abs. 2 S. 1 StPO eröffneten Möglichkeit Gebrauch gemacht.


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