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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 4 Ss 486/01 OLG Hamm

Leitsatz: Zur Annahme von Vorsatz bei Straßenverkehrsgefährdung

Senat: 4

Gegenstand: Revision

Stichworte: Aufhebung, Straßenverkehrsgefährdung durch Trunkenheit im Verkehr, Vorsatz, Fahrlässigkeit, Vorkehrungen gegen Trunkenheitsfahrt, BAK, Blutalkoholkonzentration

Normen: StGB 315 c Abs. 1 Nr. 1; StGB 316 Abs. 1

Beschluss: Strafsache gegen V.O.,
wegen Straßenverkehrsgefährdung u.a.

Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Rheine vom 8. März 2001 hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 19. 07. 2001 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs.4 StPO einstimmig beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Rheine Strafrichter zurückverwiesen.

Gründe:
I.Das Amtsgericht Rheine hat den Angeklagten durch das angefochtene Urteil wegen vorsätzlicher Straßenverkehrsgefährdung durch Trunkenheit in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung zu eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 60,00 DM verurteilt. Außerdem hat es ihm die Fahrerlaubnis entzogen, seinen Führerschein eingezogen und die Verwaltungsbehörde angewiesen, ihm vor Ablauf von noch zwölf Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen.
Zum Tatgeschehen hat der Amtsrichter festgestellt:
"Der Angeklagte befuhr am 30.09.2000 in Emsdetten gegen 23:10 Uhr öffentliche Straßen mit dem Pkw VW, ST- XM 516 und zwar unter anderem den Buchenweg. Infolge seiner alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit verursachte er einen Verkehrsunfall, indem er auf die Zeugin H. auffuhr und diese, wenn auch nicht erheblich, verletzte.
Bei der Unfallaufnahme stellte die Polizei alkoholische Beeinträchtigung fest und veranlaßte deshalb die Entnahme einer Blutprobe. Diese wurde um 23:57 Uhr gezogen und ergab einen Blutalkoholgehalt von 1,65 .
Auf den die Blutprobe entnehmenden Arzt hatte der Angeklagte einen deutlich unter Alhoholeinfluß stehenden Eindruck gemacht." (UA 3)
Der Angeklagte hat sich eingelassen, "er sei mit seiner Freundin an diesem Tag nach Greven gefahren, um an einer Feier teilzunehmen, bei der erwartungsgemäß in erheblichem Umfange Alkohol getrunken würde. Da er davon ausgegangen sei, nicht mehr motorisiert nach Emsdetten zurückkehren zu dürfen, sei mit seinen Gastgebern vereinbart worden, daß seine Freundin und er dort übernachten könnten. Im Verlauf der Feierlichkeit sei es zu einer Auseinandersetzung mit seiner Freundin gekommen, in deren Verlauf diese sein Auto genommen habe, um nach Emsdetten zurückzukehren. Nachdem er noch telefonisch einen Versöhnungsversuch gestartet habe, der gescheitert sei, habe er sich von einem Bekannten nach Emsdetten bringen lassen, um, wenn er schon seine Freundin nicht zurückbekommen könne jedenfalls sein Auto wieder in seinen Besitz bringen würde. Der Wagen habe vor der Wohnung der Freundin gestanden, den er mit seinen Zweitschlüsseln geöffnet und gestartet habe. An den genossenen Alkohol habe er bei dieser ganzen Angelegenheit nicht gedacht."
Das Amtsgericht hält diese Einlassung für rechtlich unbeachtlich und wertet das Geschehen als vorsätzliche Straßenverkehrsgefährdung durch Trunkenheit gemäß § 315c Abs.1 Nr. 1a StGB in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung. Zum Vorsatz des Angeklagten ist in den Urteilsgründen ausgeführt:
"Der Angeklagte wußte, daß er in erheblichem Maße Alkohol getrunken hatte. Er wußte auch, daß er in diesem Zustand nicht mehr fahren dürfte, weil er ihn schon vorausgesehen hatte. Mögen auch andere Umstände hinzugetreten sein, ändert dies nichts, daß der Angeklagte, der auf den die Blutprobe entnehmenden Arzt einen "deutlich” angetrunkenen Eindruck gemacht hat, sich selbst über diesen Zustand nicht im Unklaren gewesen sein kann." (UA 4)
Mit seiner u.a. auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten, form- und fristgerecht eingelegten (Sprung-) Revision erstrebt er Angeklagte die Aufhebung des angefochtenen Urteils.
Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt wie erkannt.
II. Das Rechtsmittel hat zumindest vorläufig Erfolg.
Das angefochtenen Urteil hält der sachlich-rechtlichen Überprüfung nicht stand, da die von dem Amtsgericht getroffenen Feststellungen den Schuldspruch wegen vorsätzlicher Straßenverkehrsgefährdung nicht tragen.
Eine Bestrafung wegen vorsätzlichen Vergehens nach § 315c Abs.1 Nr. 1a StGB setzt unter anderem voraus, daß der Fahrzeugführer seine rauschbedingte Fahruntüchtigkeit kennt oder zumindest billigend in Kauf nimmt, gleichwohl aber am öffentlichen Straßenverkehr teilnimmt (vgl. Senatsbeschluß vom 3. Februar 1998 zu § 316 StGB 4 Ss 87/98 in NZV 1998, 291f m.w.N.). Die Feststellung der Kenntnis der Fahruntüchtigkeit als innere Tatsache hat der Tatrichter auf der Grundlage der Hauptverhandlung und unter Heranziehung und Würdigung aller Umstände zu treffen. Bei einem insoweit bestreitenden Angeklagten müssen die für die Überzeugungsbildung des Tatgerichts verwendeten Beweisanzeichen lückenlos zusammengefügt und unter allen für die Beurteilung maßgebenden Gesichtspunkten gewürdigt werden. Nur so wird dem Revisionsgericht die Prüfung ermöglicht, ob der Schuldbeweis und damit der Beweis der Schuldform (Vorsatz oder Fahrlässigkeit) schlüssig erbracht ist und alle gleich naheliegenden Deutungsmöglichkeiten für und gegen den Angeklagten geprüft worden sind (vgl. OLG Köln, DAR 1997, 499; Senat aaO.).
Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.
Abgesehen von dem Ergebnis der dem Angeklagten um 23.57 Uhr entnommenen Blutprobe sind keine hinreichenden (zusätzlichen) Feststellungen getroffen, die den Schluß auf ein vorsätzliches Handeln des Angeklagten zulassen. Die von dem Amtsgericht hier angeführten weiteren Aspekte und die dazu angestellten Erwägungen sind nicht tragfähig.
Soweit das Amtsgericht darauf abstellt, der Angeklagte habe gewußt, daß er in erheblichem Maße Alkohol getrunken hatte, sind die Trinkmenge, der Trinkverlauf, die Art der konsumierten alkoholhaltigen Getränke und das Trinkende nicht festgestellt. Damit ist kein konkreter Rückschluß darauf möglich, für welches Maß an konsumiertem Alkohol der Angeklagte ein Bewußtsein entwickelt haben sollte.
Die Schlußfolgerung des Amtsgerichts, der Angeklagte habe gewußt, daß er in diesem Zustand nicht mehr fahren dürfte, weil er ihn schon vorhergesehen hatte, findet in den getroffenen Feststellungen keine Grundlage. Es ist nicht festgestellt, daß der Angeklagte seinen fahruntüchtigen Zustand (bereits) für den Zeitpunkt der im Verlauf des Abends durchgeführten Fahrt mit dem Pkw vorhergesehen hatte. Im übrigen ist nicht einmal klar, ob der Angeklagte den Eintritt eines fahruntüchtigen Zustandes überhaupt vorhergesehen hatte. Nach seiner Einlassung, mit den Gastgebern sei vereinbart gewesen, daß seine Freundin und er dort übernachten könnten, ist auch denkbar, daß dies als reine Vorsichtsmaßnahme gedacht war, der entsprechende Zeitpunkt und Alkoholisierungszustand bei Durchführung der Fahrt nach seiner Vorstellung aber gerade noch nicht eingetreten war.
Auch der äußere Eindruck, den der die Blutprobe entnehmende Arzt von dem alkoholbedingten Zustand des Angeklagten gewonnen hat, besagt letztlich nichts über die Selbstbeurteilung des Angeklagten. Dies gilt um so mehr in Anbetracht der emotionalen Erregung, in der sich der Angeklagte wegen der Auseinandersetzung mit seiner Freundin befand, in deren Verlauf diese die gemeinsam aufgesuchte Feier unter Mitnahme seines Fahrzeugs verlassen hatte, und angesichts des Bestrebens des Angeklagten, den Pkw wieder in seinen Besitz zu bringen. Hinzu kommt, daß der Angeklagte sich dahin eingelassen hat, er habe an den genossenen Alkohol "bei dieser ganzen Angelegenheit” nicht gedacht.
Damit bleibt als Beweisanzeichen eines vorsätzlichen Handelns die zum Entnahmezeitpunkt auf 1,65 Promille festgestellte Blutalkoholkonzentration. Die hier deutlich über 1,1 Promille liegende Blutalkoholkonzentration ist jedoch für sich genommen nicht geeignet, verbindliche Rückschlüsse auf die Schuldform des Vorsatzes zu ermöglichen. Zwar kann bei einem deutlich über 1,1 Promille liegenden Blutalkoholwert in vielen Fällen davon ausgegangen werden, daß die Einwirkungen des Alkohols für den Täter unübersehbar sind und er seine Fahruntüchtigkeit für möglich hält, sie in Kauf nimmt oder später erkennt. Einen medizinischen Erfahrungssatz dieses Inhaltes gibt es jedoch nicht. Mit fortschreitender Alkoholisierung nimmt die Kritik- und Erkenntnisfähigkeit des Täters ab, so daß gleichwohl denkbar ist, daß der tatsächlich fahruntüchtige Täter glaubt, noch fahrtüchtig zu sein. Für die Annahme vorsätzlicher Tatbegehung bedarf es deshalb der Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere der Täterpersönlichkeit, des Trinkverlaufs wie auch dessen Zusammenhangs mit dem Fahrtantritt sowie des Verhaltens des Täters während und nach der Fahrt (vgl. dazu OLG Köln, DAR 1999, 88; OLG Naumburg, DAR 1999, 420; ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. nur Senatsbeschlüsse vom 14. März 1996 4 Ss 236/96 in NStZ-RR 1996, 297f m.w.N. und vom 11. August 1998 4 Ss 922/98 in NZV 1998, 471f m.w.N.).
Das Urteil beruht auf dem aufgezeigten Rechtsfehler. Es war deshalb mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben (§ 353 StPO). Die Sache war zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Rheine zurückzuverweisen (§ 354 Abs.2 StPO), die auch über die Kosten der Revision zu befinden hat, da deren Erfolg im Sinne des § 473 StPO nicht feststeht.
Ergänzend weist der Senat darauf hin, daß das angefochtene Urteil auch konkrete Feststellungen zu Art und Ausmaß der durch den Verkehrsunfall entstandenen Verletzungen der Geschädigten vermissen läßt.


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