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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 2 Ws 305 u. 306/01 OLG Hamm

Leitsatz: 1. Auch gegen den Bestand eines außer Vollzug gesetzten Haftbefehls ist noch eine weitere Beschwerde statthaft.
2. Zur Verdunkelungsgefahr

Senat: 2

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: Haftbefehl, Außervollzugsetzung, Haftbeschwerde, weitere Beschwerde, Verdunkelungsgefahr, Beschleunigungsgrundsatz

Normen: StPO 310, StPO 117, StPO 116, StPO 112, StPO 121

Beschluss: Strafsache
gegen 1. R.W. und 2. J.W.
wegen Steuerhinterziehung

Auf die weiteren Beschwerden der Beschuldigten vom 30. Oktober 2001 gegen den Beschluss der 13. großen Strafkammer Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Bochum vom 2. Oktober 2001 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 13. 12. 2001 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Die Beschwerden werden auf Kosten der Beschwerdeführer verworfen.

Gründe:
I.
Den Beschuldigten wird in dem von der Staatsanwaltschaft Bochum seit November 2000 geführten Ermittlungsverfahren 35 Js 179/00 vorgeworfen, bei dem Betrieb der Gaststätte „A.“ in H. den Jahren 1995 bis 2000 gemeinschaftlich durch 77 selbständige Handlungen Einkommen-, Umsatz-, Lohn- und Gewerbesteuer sowie Solidaritätszuschlag in Höhe von insgesamt etwa 3, 5 Millionen DM verkürzt zu haben (Vergehen, strafbar gemäß § 370 AO, § 25, 53 StGB).
Nachdem gegen die Beschuldigten bereits am 1. Dezember 2000 durch das Amtsgericht Bochum die Untersuchungshaft angeordnet worden war, die Haftbefehle jedoch bereits nach kurzer Zeit gemäß § 116 StPO unter Erteilung von Weisungen außer Vollzug gesetzt worden waren (gegen die am 6. Dezember 2000 festgenommene Beschuldigte J.W. am 7. Dezember; gegen ihren ebenfalls am 6. Dezember 2000 festgenommenen Ehemann, den Beschuldigten R.W:, am 19. Dezember 2000), hat das Amtsgericht Bochum auf Antrag der Staatsanwaltschaft am 3. September 2001 gegen die Beschuldigten erneut die Untersuchungshaft angeordnet (AZ: 64 Gs 4072/01 und 4074/01), die durch Beschluss vom selben Tag gegen Auflagen gemäß § 116 StPO außer Vollzug gesetzt worden ist (AZ: 64 Gs 4073/01 und 4075/01). Zum einen wurden die neuen Haftbefehle dem Stand der Ermittlungen angepasst ; zum anderen war Anlass für die erneute Anordnung der Untersuchungshaft die Kontaktaufnahme des Beschuldigten R.W. mit dem nicht unwichtigen Zeugen J.E.. Der Beschuldigte hat diesen Zeugen Ende April 2001 und nochmals Anfang Juni 2001 in dessen Geschäftsräumen aufgesucht und ihm bei diesen Besuchen zu erkennen gegeben, welcher Aussageinhalt seiner Zeugenaussage ganz erheblich zur Entlastung der Beschuldigten beitragen würde. Von diesen Zusammentreffen hatte der Zeuge E. anlässlich seiner Vernehmung vor der Staatsanwaltschaft Bochum am 25. Juli 2001 berichtet und sich dahingehend geäußert, dass er insgesamt dabei ein ungutes Gefühl gehabt habe und sich vorstellen könnte, dass die Sache nicht in Ordnung sei. Nachdem die Staatsanwaltschaft diese Informationen erhalten hatte, hat sie bei dem zuständigen Amtsgericht Bochum beantragt, die Haftbefehle entsprechend ihren Anträgen neu zu fassen und die Haftverschonungsbeschlüsse im Hinblick auf die Kontaktaufnahme zu dem Zeugen E. zu ergänzen. Das Amtsgericht Bochum hat daraufhin antragsgemäß entschieden. Danach werden gegen die Beschuldigten folgende Tatvorwürfe erhoben:

„Der Beschuldigte R.W. ist faktischer Geschäftsführer des Gastronomiebetriebs in der K.straße in H.. Der Betrieb wurde bis März 1995 von der Einzelfirma des Mitbeschuldigten K. von April 1995 bis Dezember 1999 von der Einzelfirma der Mitbeschuldigten L. (Schwägerin des Beschuldigten W.) und von Januar 2000 bis 29. Januar 2001 von der W. GmbH betrieben. Gesellschafter der W. GmbH waren die Mitbeschuldigten H. Tochter des Beschuldigten W. und der Mitbeschuldigte K., der als alleiniger Geschäftsführer bestellt wurde. Wie bereits in der Vernehmung am 23.01.01 seitens des Beschuldigten R.W. und seines Verteidigers Rechtsanwalt T. angekündigt worden war, hat die Schwiegermutter des Beschuldigten R.W., Brigitte L., am 24.01.2001 eine Gewerbeanmeldung bei der Stadt Herne für eine Schank- und Speisewirtschaft vorgenommen, um im Anschluss an die Mitbeschuldigten H. und K. (W. GmbH) als „Strohfrau“ zu fungieren.
Obwohl der Beschuldigte laut Steuerakte keiner beruflichen Tätigkeit nachgeht, betätigte er sich mindestens seit 1990 als Gastronom, Bauherr, Initiator oder Finanzier für diesen Gastronomiebetrieb und wirkte als tatsächlicher / wirtschaftlicher Berechtigter auf die formell eingetragenen oder gemeldeten Betriebsinhaber ein, den steuerlichen Pflichten nicht nach zu kommen. Durch Manipulationen im Bereich des Einkaufs der Gaststätte, durch Nichtverbuchung von Erlösen der Gaststätte und durch Verbuchung von Scheinrechnungen wurden die wahren steuerlich relevanten Tatsachen verfälscht. Der Beschuldigte R.W. und seine Ehefrau, die Beschuldigte J.W., wurden steuerlich gemeinsam veranlagt und haben die Steuererklärungen auch gemeinsam abgegeben. Die Beschuldigte J.W. war zu jeder Zeit über die tatsächlichen Gewinne und Umsätze aus dem Betrieb der Gaststätte, über die Anzahl der Beschäftigten der Gaststätte und ihre Entlohnung und über die Verwendung von Scheinrechnungen beim Umbau der Immobilie Kirchhofstraße 1 3 informiert.
Durch die Abgabe unrichtiger Einkommen- , Gewerbe- und Umsatzsteuererklärungen 1995 bis 1999 (11 Handlungen) sowie unrichtiger Lohnsteueranmeldungen für den Zeitraum 04/1995 bis 09/2000 (66 Handlungen) und unrichtiger Umsatzsteuervoranmeldungen für den Zeitraum 01 bis 08/2000 (z.T. gemeinschaftlich handelnd mit der Mitbeschuldigten Anja L. bzw. als faktischer Geschäftsführer der W. GmbH) im Zusammenhang mit dem Betreiben der Gaststätte K.str. und durch die Abgabe unrichtiger Einkommen- und Umsatzsteuererklärungen 1997 bis 1999 bezüglich der gewerblichen Vermietung der Immobilie K.Straße, der Verbuchung von Rechnungen der „Scheinfirmen“ S. Bau und B. Bau und die Nichtabgabe von Lohnsteueranmeldungen für den Zeitraum 07/1997 bis 02/1999 bezüglich der beschäftigten Arbeitnehmer beim Neu/Umbau der Immobilie K.str. haben die Beschuldigten in den strafbefangenen Jahren Steuern und Solidaritätszuschläge in Höhe von insgesamt 3.512.237; 80 DM verkürzt....“

Hinsichtlich der Berechnung, wie sich dieser Steuerschaden im Einzelnen zusammen setzt, wird auf die Haftbefehle Bezug genommen.
Das Amtsgericht hat als Haftgrund sowohl Flucht- als auch Verdunkelungsgefahr angenommen (§ 112 Abs. 2 Nrn. 2 und 3 StPO).
Gegen diese Haftbefehle sowie die Haftverschonungsbeschlüsse und die darin getroffenen Anordnungen wenden sich die Beschuldigten mit ihren Beschwerden, denen das Amtsgericht nicht abgeholfen hat. Die zuständige 13. Strafkammer des Landgerichts Bochum hat die Beschwerden durch Beschluss vom 2. Oktober 2001 verworfen. Gegen diese Entscheidung richten sich die weiteren Beschwerden der Beschuldigten vom 30. Oktober 2001, mit denen der Bestand der Haftbefehle angegriffen wird. Zur Begründung machen die Beschuldigten geltend, dass die Schätzungen des Finanzamtes auf falschen Berechnungsgrundlagen beruhten. Die Beschuldigte J.W. trägt außerdem vor, allein durch ihre Unterschrift unter den Steuererklärungen habe sie keine Mitverantwortlichkeit ausgelöst. Im Übrigen weise sie jegliche Verantwortung für die Kontaktaufnahme ihres Ehemannes mit dem Zeugen E. von sich.

Das Landgericht Bochum hat den Beschwerden mit Beschluss vom 19. November 2001 nicht abgeholfen.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Beschwerden als unbegründet zu verwerfen.

II.
Die weiteren Beschwerden der Beschuldigten sind gemäß §§ 304 Abs. 1, 310 Abs. 1 StPO statthaft und zulässig, haben aber in der Sache keinen Erfolg.
1.
Nach § 310 Abs. 1 StPO können Beschlüsse, die von dem Landgericht auf die Beschwerde hin erlassen worden sind, durch weitere Beschwerde angefochten werden, sofern sie Verhaftungen oder die einstweilige Unterbringung des Beschuldigten betreffen.
Es ist umstritten, ob eine weitere Beschwerde, die sich - wie im vorliegenden Fall - gegen den Bestand eines außer Vollzug gesetzten Haftbefehls richtet, statthaft ist. Der Senat bejaht diese Frage.
Teilweise wird in der Rechtsprechung und Literatur die Auffassung vertreten, mit der weiteren Beschwerde seien nur Entscheidungen anfechtbar, mit denen unmittelbar entschieden werde, ob der Beschuldigte in Untersuchungshaft zu nehmen oder zu halten sei (vgl. OLG Stuttgart MDR 1978, 953; OLG Zweibrücken MDR 1979, 695 u. MDR 1990, 945 = StV 1991, 219 m. Anm. Hilger; OLG München MDR 1980, 74; OLG Nürnberg MDR 1980, 75; OLG Karlruhe NStZ 1983, 41; OLG Düsseldorf, 1. Strafsenat, StV 1990, 309; OLG Düsseldorf, 3. Strafsenat, JMBl. NRW 1990, 21; der 1. Strafsenat des OLG Koblenz hat diese früher von ihm vertretene Auffassung in OLGSt § 310 StPO Nr. 3 u. 4 und NStZ 1988, 327 f. aufgegeben; OLG Koblenz, 1. Strafsenat, StV 1990, 26 = NStZ 1990, 102 m. zust. Anm. Hohmann NStZ 1990, 507; vgl. auch OLG Bremen StV 1997, 533).
Diese Auffassung würdigt jedoch nicht hinreichend, dass auch ein nicht vollzogener Haftbefehl eine erhebliche Beeinträchtigung der Persönlichkeits- und Freiheitsrechte des Beschuldigten mit sich bringt. Diese besondere Beeinträchtigung ist keineswegs nur in den Auflagen nach § 116 StPO bei einem außer Vollzug gesetzten Haftbefehl zu sehen, die ihrerseits freiheitsentziehenden Charakter haben können ( so etwa die Anweisung, sich zu bestimmten Zeiten bei Gericht oder an anderer Stelle zu melden oder Anordnungen, die sich auf den Aufenthalt beziehen und eine Einschränkung nach Art. 11 Abs. 2 GG darstellen). Auch bereits die Existenz eines Haftbefehls stellt für denjenigen eine erhebliche Belastung dar, der ohne weitere Auflage von der Untersuchungshaft verschont worden ist. Der Aussetzungsbeschluss beinhaltet nämlich implizit die Entscheidung, den Haftbefehl als solchen aufrecht zu erhalten und ist mithin die Grundlage dafür, den Beschuldigten - wenn auch nur unter den Voraussetzungen des § 116 Abs. 4 StPO - wieder in Haft zu nehmen. Im Übrigen bleibt die schon im Tenor eines Haftbefehls zum Ausdruck kommende „Anordnung“ der Untersuchungshaft auch dann bestehen, wenn der Haftbefehl außer Vollzug gesetzt wird oder wenn Überhaft notiert ist; auch nach einer Außervollzugsetzung des Haftbefehls steht der Beschuldigte unter dem Verdikt, dass gegen ihn Untersuchungshaft angeordnet ist. Der Senat hält daher in Übereinstimmung mit der herrschenden Meinung die weitere Beschwerde auch gegen einen außer Vollzug gesetzten Haftbefehl für zulässig ( ebenso KG NJW 1979, 2626; OLG Düsseldorf, 1. Strafsenat, NJW 1980, 2426 und StV 1981, 131; OLG Düsseldorf StV 1990, 309; OLG Hamm NJW 1981, 294; OLG Hamburg NJW 1981, 834 unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung; StV 1994, 323; OLG Köln StV 1994, 321; OLG Schleswig NJW 1981, 1523; OLG Celle StV 1983, 466; OLG Frankfurt/M. StV 1989, 133; OLG Karlsruhe StV 1994, 321; OLG Koblenz, StV 1990, 26; StV 1986, 242; OLG Bremen StV 1997, 533; Kleinknecht/Meyer-Goßner, 45. Aufl., § 310 Rdnr. 7; KK- Engelhardt, StPO, 4. Aufl., § 310 Rdnr. 10; Löwe-Rosenberg-Hilger, StPO, 25. Aufl., § 116 Rdnr. 43). Gegen diese Auffassung spricht auch nicht etwa der Wortlaut des § 310 Abs. 1 StPO. Der dort genannte Begriff „Verhaftung“ ist nicht gleich zu setzen mit dem tatsächlichen Vollzug des Haftbefehls. Vielmehr ist der Begriff „Verhaftung“ der Überschrift des Neunten Abschnitts im Ersten Buch der StPO entnommen ( vgl. hierzu auch Kopp NJW 1979, 2627), die lautet „Verhaftung und vorläufige Festnahme“.
Soweit die Beschuldigten mit der weiteren Beschwerde auch eine Abänderung der Auflagen und Weisungen des Verschonungsbeschlusses begehren, ist ihr Rechtsmittel nicht statthaft. Die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung von Auflagen betrifft nämlich nicht die Grundlagen für eine Inhaftierung eines Beschuldigten, sondern allein die Ausgestaltung seines Lebens in Freiheit. Eine Entscheidung hierüber ist keine die Verhaftung betreffende Entscheidung im Sinne des § 310 Abs. 1 StPO (vgl. dazu OLG Hamburg StV 1994, 323, 324; vgl. zum Meinungsstand auch Schlothauer/Weider, Untersuchungshaft, 3. Aufl., 2001, Rdnr. 778 Fn. 153).
2. Die Rechtsmittel der Beschuldigten können aber in der Sache selbst keinen Erfolg haben. Das Landgericht Bochum hat die Haftbefehle des Amtsgerichts Bochum vom 3. September 2001 sowie die Haftverschonungsbeschlüsse vom selben Tag zu Recht aufrecht erhalten. Auf die Ausführungen in seinem Beschluss vom 2. Oktober 2001 wird Bezug genommen.
a. Entgegen der Auffassung der Verteidiger sind die Beschuldigten der ihnen im Haftbefehl zur Last gelegten Taten der Steuerhinterzeihung dringend verdächtig. Aufgrund des bisherigen Ermittlungsergebnisses besteht eine große Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Beschuldigten die ihnen vorgeworfenen Straftaten begangen haben. Die von der Verteidigung vorgebrachten Einwände sind hingegen nicht geeignet, den dringenden Tatverdacht auszuräumen.

So hat der Beschuldigte R.W. bereits im Termin zur Verkündung des ursprünglich gegen ihn erlassenen Haftbefehls am 6. Dezember 2000 (vgl. Bd. I, Bl. 283 R) eingeräumt, faktischer Geschäftsführer des Unternehmens zu sein. Er hat angegeben, er habe deshalb nicht selbst als offizieller Betriebsinhaber auftreten können, da er den „Offenbarungseid“ geleistet habe. Dass der Beschuldigte R. W. die Rolle des Firmenchefs inne hatte, ist sowohl von seiner Ehefrau, der Beschuldigten J.W., als auch von sämtlichen bislang als Zeugen vernommenen Angestellten der Gaststätte bestätigt worden.
Im Rahmen der sich anschließenden Vernehmungen vor der Staatsanwaltschaft Bochum (Bd. II, Bl. 452 ff., 480 ff.) hat der Beschuldigte darüber hinaus auch nicht die Hinterziehung von Steuern in Abrede gestellt, wenngleich er sich gegen die Höhe der ihm und seiner Ehefrau vorgeworfenen Steuerverkürzung wendet. So hat er sich beispielsweise in seiner Vernehmung vom 12. Dezember 2000 u.a. wie folgt geäußert:
„Zur Kassenführung:
Die Kassenberichte wurden nicht täglich geführt. Ich habe einmal im Monat einen Abschlag gemacht. Die Umsätze wurden zunächst vollständig im Kassencomputer erfasst. Anschließend wurde ein Kellnerkonto, das in etwa der Höhe der schwarz gezahlten Löhne entsprach, zum Monatsende gelöscht. Der verbleibende Umsatz wurde versteuert. Dabei wurde nachträglich der Kassenbericht in der Weise geschrieben, dass die täglichen Einnahmen dieser verkürzten Monatssumme entsprachen. ...“

In seiner Vernehmung vom 19. Dezember 2000 vor der Staatsanwaltschaft Bochum hat er ferner eine umfangreiche Einlassung dazu abgegeben, in welchem Ausmaß in der Gaststätte durchgeführte Umbaumaßnahmen „schwarz“, d.h. ohne Rechnungslegung verrichtet worden sind.

Die Beschuldigte J.W. hat im Rahmen ihrer staatsanwaltschaftlichen Vernehmung am 7. Dezember 2000 erklärt, sie sei in der Gaststätte u.a. für die Personaleinteilung zuständig gewesen, habe unregelmäßig die Tageskassenabrechnungen wahr genommen und die Hauptkasse geführt.
Schon aufgrund dieser Tätigkeiten können ihr die wahren Umsätze des Unternehmens nicht verborgen geblieben sein.
Nach der Funktion ihres Ehemannes befragt, hat sie mitgeteilt, dieser sei seit Bestehen der Gaststätte immer deren tatsächlicher Betreiber gewesen und zwar unabhängig davon, welcher Name als Konzessionsträger den Behörden gegenüber angegeben worden sei.

Die Berechnungen des Finanzamtes zur Höhe der Betriebseinnahmen beruhen - entgegen der Auffassung der Beschuldigten - nicht lediglich auf Schätzungen des Betriebsprüfers. Dieser hat sich vielmehr zur Ermittlung der tatsächlichen Umsätze im Prüfungszeitraum auf die Wareneinkäufe gestützt, die er anhand der beschlagnahmten Geschäftsunterlagen der Firmen R., M. und N. feststellen konnte. Diese ergaben nicht unerhebliche Schwarzeinkäufe. Auf vorgenannten Unterlagen sowie den Aussagen der bislang als Zeugen vernommenen Angestellten der Gaststätte basiert die „Ausbeutekalkulation“ für die Jahre 1995 1999. Aus diesen Unterlagen ergeben sich konkrete Mengenangaben für Lebensmittel und Getränke, die der Betriebsprüfer seiner Umsatzkalkulation zugrunde gelegt hat. Die Berechnungen sind von daher nicht wie von der Verteidigung behauptet völlig aus der Luft gegriffen, sondern basieren auf
einer soliden und nachvollziehbaren Grundlage. Die Feststellung der Höhe der verkürzten Steuern im Einzelnen bleibt der Hauptverhandlung vorbehalten.
b. Dahin stehen kann, ob vorliegend der Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO gegeben ist.
Jedenfalls besteht der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 3 StPO. Dieser ist anzunehmen, wenn das Verhalten der Beschuldigten den dringenden Tatverdacht begründet, dass sie durch bestimmte Handlungen auf sachliche oder persönliche Beweismittel einwirken und dadurch die Ermittlung der Wahrheit erschwert wird (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O., Rdnr. 27 zu § 112; Löwe-Rosenberg-Hilger, StPO, 25. Aufl., § 112 Rdnr. 44; KK-Boujong, a.a.O., § 112 Rdnr. 23). Der Verdacht muss durch bestimmte Tatsachen aus dem Verhalten, aus Beziehungen und den Lebensumständen der Beschuldigten begründet sein (vgl.
Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O., § 112 Rdnr. 28; KK-Boujong, a.a.O., § 112
Rdnr. 27 m.w.Nachw.).
Diese Voraussetzungen liegen bei beiden Beschuldigten vor.
Der Senat sieht in der Art und Weise, wie der Beschuldigte R.W. an den Zeugen Jürgen E. herangetreten ist, ein gewichtiges Indiz für die Annahme von Verdunkelungsgefahr. Dem Zeugen gegenüber ist unmissverständlich zum Ausdruck gebracht worden, welcher Aussagegehalt für die Beschuldigten am günstigsten wäre. Der Zeuge E. fühlte sich durch das Gespräch mit dem Beschuldigten W. in die Verantwortung genommen.
Es ist insoweit wie die Beschuldigte einwendet zwar zutreffend, dass sie bei dem Besuch ihres Ehemannes in den Geschäftsräumen des Zeugen E. nicht zugegen war, sie muss sich das Verhalten ihres Ehemannes aber zurechnen lassen. Es bestehen keine vernünftige Zweifel daran, dass die Kontaktaufnahme durch ihren Ehemann nach vorheriger Abstimmung mit ihr erfolgt ist. Die Sachverhaltsdarstellung, mit der der Beschuldigte den Zeugen E. konfrontiert hat, entspricht nämlich genau den Angaben, die die Beschuldigte J.W. in dem anhängigen Verfahren vor dem Finanzgericht Münster vorgebracht hat.
Da die Frage der zu befürchtenden Verdunkelungsgefahr Prognosecharakter hat (vgl. L - R - Hilger, a.a.O., §112 Rdnr. 172), ist kein Grund ersichtlich, früheres Täterverhalten für die Prognose seines künftigen Verhaltens unberücksichtigt zu lassen (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. u.a. Beschlüsse vom 2. August 1999 in 2 Ws 236 u. 237/99 und zuletzt vom 12. Oktober 2001 in 2 Ws 246/01). Die Taten sind vorliegend auch weder in vollem Umfang aufgeklärt noch sind die Beweismittel derartig gesichert, dass die Beschuldigten die Wahrheitsermittlung nicht mehr mit Aussicht auf Erfolg stören könnten.

Die Aufrechterhaltung der Haftbefehle ist auch nicht unverhältnismäßig in Bezug auf die Sache und die Höhe der zu erwartenden Freiheitsstrafe, so dass die weiteren Haftbeschwerden, wie von der Generalstaatsanwaltschaft beantragt, mit der Kostenfolge des § 473 Abs. 1 StPO als unbegründet zu verwerfen waren.
Der Senat weist jedoch darauf hin, dass der Beschleunigungsgrundsatz, der eine Ausprägung des im Rechtsstaatgrundsatz enthaltenen Verhältnismäßigkeitsprinzips ist, auch dann zu beachten ist, wenn die Untersuchungshaft nicht vollzogen wird. Die den Beschuldigten auferlegten Weisungen beinhalten für diese nicht unerhebliche Belastungen und Beschränkungen der Freizügigkeit. Aufgrund dieser Auswirkungen muss das Verfahren auch für den Fall beschleunigt bearbeitet werden, dass der Haftbefehl nicht vollzogen wird (vgl. Schlothauer/Weider, a.a.O., Rdnr. 282 mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung). Dies kann im Einzelfall unter Umständen dazu führen, dass die Nichtbeachtung des Beschleunigungsgebots, welches sich aus Art. 2 Abs. 2 GG ergibt, ungeachtet von Art und Schwere des Tatvorwurfs zur Aufhebung auch eines nicht vollzogenen Haftbefehls zwingen kann (vgl. hierzu auch den Beschluss des Senats vom 26. September 2000 in 2 BL 165/2000). Der Senat geht daher davon aus, dass unverzüglich nach Erstellung des strafrechtlichen Schlussberichtes des Finanzamtes Anklage erhoben wird.


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