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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 2 Ss 1077/01 OLG Hamm

Leitsatz: Zur Frage, in welchem Umfang ein Berufungsurteil hinsichtlich des in Rechtskraft erwachsenen Schuldspruchs begründet werden muss, wenn die Berufung auf die Überprüfung des Rechtsfolgenausspruchs beschränkt wird (Anschluss an BGH NStZ-RR 2001, 202).

Senat: 2

Gegenstand: Revision

Stichworte: Berufungsbeschränkung; Umfang der Bezugnahme im tatrichterlicher Urteil; vorsätzliche Trunkenheit im Verkehr, Umfang der Feststellungen; Schuldfähigkeit

Normen: StPO 318, StPO267, StGB 20, StGB 21, StGB 64

Beschluss: Strafsache
gegen W.K.
wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr u.a.

Auf die Revision des Angeklagten vom 6. September 2001 gegen das Urteil der 1. kleinen Strafkammer Recklinghausen des Landgerichts Bochum vom 30. August 2001 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 11.02.2002 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht und die Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gem. § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Bochum zurückverwiesen.

Gründe:
I.
Der Angeklagte ist vom Amtsgericht Recklinghausen wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis zu einer Freiheitsstrafe von 5 Monaten verurteilt worden. Die dagegen gerichtete Strafmaßberufung des Angeklagten, die auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung beschränkt war, hat das Landgericht mit dem angefochtenen Urteil verworfen. Hiergegen richtet sich nunmehr die Revision des Angeklagten. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision zu verwerfen.

II.
Die Revision des Angeklagten ist zulässig und hat auch teilweise Erfolg, da die Überprüfung des angefochtenen Urteils Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erkennen lässt.

1. Der Angeklagte hat seine Revision auf den Rechtsfolgenausspruch und weiter auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung beschränkt. Die Beschränkung ist insoweit wirksam, als sie den Schuldspruch wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr (§ 316 StGB) in Tateinheit mit Fahren ohne Fahrerlaubnis (§ 21 StVG) erfasst. Hinsichtlich der Beschränkung auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung ist sie indes unwirksam. Insoweit war das angefochtene Urteil mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Bochum zurückzuverweisen.

a) Nach allgemeiner Meinung hat das Revisionsgericht trotz einer Beschränkung des Rechtsmittels auf den Rechtsfolgenausspruch ohne Bindung an die rechtliche Beurteilung einer Berufungsbeschränkung durch die Strafkammer von Amts wegen zu untersuchen, ob das Berufungsgericht über alle Bestandteile des erstinstanzlichen Urteils selbst entschieden hat. Hierzu gehört auch die Prüfung, ob die Berufung in wirksamer Weise beschränkt werden konnte oder ob eine Beschränkung des Rechtsmittels, wie vorliegend auf den Rechtsfolgenausspruch, nicht zulässig und demgemäss das ganze erstinstanzliche Urteil vom Berufungsgericht nachzuprüfen war (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, 44. Aufl., § 352 Rn. 3 und 4 m.w.N.). Die Beschränkung eines Rechtsmittels auf bestimmte Beschwerdepunkte gemäß § 318 Satz 1 StPO ist nur zulässig und wirksam, wenn sie dem Rechtsmittelgericht die Möglichkeit lässt, den angefochtenen Teil des Urteils, losgelöst vom übrigen Urteilsinhalt, selbständig zu prüfen und rechtlich zu beurteilen (vgl. BGHSt 27, 70, 72; zuletzt Senat in NStZ-RR 2001, 300). Demgegenüber ist sie unwirksam, wenn die vorangegangenen tatrichterlichen Feststellungen entweder unklar, lückenhaft, widersprüchlich oder so dürftig sind, dass sie den Unrechts- und Schuldgehalt der Tat nicht erkennen lassen und daher keine geeignete Grundlage für die Beurteilung der Rechtsfolgenentscheidung sind. Dies gilt sowohl für die Merkmale der äußeren als auch der inneren Tatseite. Auch Letztere müssen, sofern sie sich nicht von selbst aus der Sachverhaltsschilderung ergeben, durch tatsächliche Feststellungen belegt werden (vgl. KK-Ruß, StPO, 2. Aufl., § 318 Rdnr. 7 m.w.N.). Dabei kann im Berufungsurteil auf die tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichts Bezug genommen werden (Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, 24. Aufl., § 267 Rn. 10 mit weiteren Nachweisen).
In Rechtsprechung und Literatur ist nicht unbestritten, wie und in welchem Umfang in Berufungsurteilen auf die tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichts Bezug genommen werden kann bzw. sogar muss (vgl. u.a. OLG Oldenburg StV 1989, 55, OLG Celle Nds.Rpfl. 1992, 240; OLG Köln VRS 86, 351; Senat in NStZ-RR 1997, 369 = VRS 94, 117). Der Senat hat dazu bislang in ständiger Rechtsprechung die Auffassung vertreten, dass grundsätzlich eine ausdrückliche Bezugnahme auf die amtsgerichtlichen Feststellungen erfolgen und sich dem Berufungsurteil entnehmen lassen müsse, in welchem Umfang die amtsgerichtlichen Feststellungen dem Berufungsurteil zugrunde gelegt werden.

Das lässt sich dem angefochtenen Urteil hier nicht vollständig und eindeutig entnehmen. Eine allgemeine Bezugnahme auf das amtsrichterliche Urteil ist nicht erfolgt. Es werden nur einzelne Passagen zitiert, wobei insbesondere die innere Tatseite nicht ausreichend dargelegt sein dürfte, da die gesetzlichen Merkmale des Vorsatzes sich dem angefochtenen Urteil nicht entnehmen lassen.

Darin ist jedoch ein Rechtsfehler zu Lasten des Angeklagten, der zur Aufhebung des angefochtenen Urteils auch im Schuldspruch führen würde, nicht zu sehen. Der Bundesgerichtshof hat in seiner auf Vorlage des OLG Hamburg ergangenen Entscheidungen vom 6. Juli 2000 (5 StR 149/00, NStZ-RR 2001, 202) zur Frage des Begründungsumfangs des Berufungsurteils ausgeführt, dass er "eine Wiederholung der den Schuldspruch tragenden Feststellungen oder auch nur eine ausdrückliche, mehr oder weniger konkrete Bezugnahme auf das angefochtene Urteil hinsichtlich des rechtskräftigen Schuldspruchs gänzlich für entbehrlich " halte, sondern es "allein auf die ausreichende Feststellung der den rechtskräftigen Schuldspruch tragenden Feststellungen im erstinstanzlichen Urteil" ankomme. Dem schließt sich der Senat unter Aufgabe seiner früheren engeren Rechtsauffassung (vgl. Senat, a.a.O.) nunmehr an.

Die demnach maßgeblichen tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichts tragen die Verurteilung des Angeklagten wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr in Tateinheit mit Fahren ohne Fahrerlaubnis. Das Amtsgericht hat insoweit festgestellt:
"Obwohl der Angeklagte wusste, dass er aufgrund vorher genossenen Alkohols absolut fahruntauglich war und obwohl er wusste, dass er nicht im Besitz einer Fahrerlaubnis war, befuhr der Angeklagte am 1. 12. 2000 um 1.35 Uhr mit dem Pkw VW-Golf xx öffentliche Straßen in Herten, u.a. die Feldstraße. Im Rahmen einer Verkehrskontrolle wurde er an der Haltestelle Ebbelicher Weg angehalten, dabei wurde starker Alkoholgenuss festgestellt. Die dem Angeklagten am 1. 12. 2000 um 2.00 Uhr entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 2,2 Promille. .........
Er (der Angeklagte) hat des weiteren eingeräumt, dass er gewusst habe, dass er aufgrund des Alkoholgenusses fahruntüchtig gewesen sei, er habe hauptsächlich Liköre getrunken, zur Menge und zur Trinkdauer hat er keinerlei Angaben machen können und wollen.“
Diese Angaben sind zwar knapp (zum erforderlichen Umfang der tatsächlichen Feststellungen bei einer vorsätzlichen Trunkenheitsfahrt siehe zuletzt u.a. Senat in BA 2001, 463; siehe auch die Zusammenstellung der Rechtsprechung bei Burhoff in Verkehrsrecht Aktuell 2001, 34 ff. mit weiteren Nachweisen), tragen aber noch

 ausreichend die Verurteilung des Angeklagten. Das gilt insbesondere auch hinsichtlich der inneren Tatseite. Der Angeklagte hat vorliegend nämlich nach den Ausführungen im amtsrichterlichen Urteil die vorsätzliche Begehungsweise eingeräumt. Das machte weitere Feststellungen (vgl. dazu u.a. auch Beschluss des 4. Strafsenats vom 25. Januar 2001 in BA 2001, 461, sowie ebenfalls Beschluss des 4. Strafsenats vom 27. April 2000 - 4 Ss 310 = http://www.burhoff.de) entbehrlich. Das gilt insbesondere deshalb, weil Amtsgericht und Landgericht festgestellt haben, dass der Angeklagte innerhalb von Monaten insgesamt drei Mal wegen Trunkenheit im Verkehr in Erscheinung getreten und erst am 23. Februar 2000 wegen einer vorsätzlichen Trunkenheitsfahrt, die der nunmehr abgeurteilten im Wesentlichen gleich war, verurteilt worden ist. 

b) Der Rechtsfolgenausspruch des angefochtenen Urteils konnte hingegen keinen Bestand haben. Dieser war vielmehr mit den zugrundeliegenden Feststellungen insgesamt aufzuheben. Dem stand die Beschränkung der Revision auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung nicht entgegen. Zwar kann grundsätzlich ein Rechtsmittel auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung beschränkt werden (vgl.

 Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O., § 318 StPO Rn. 20 mit weiteren Nachweisen aus der obergerichtlichen Rechtsprechung). Vorliegend hat das angefochtene Urteil sich jedoch nicht mit den Fragen des § 64 StGB auseinandergesetzt, was aber angesichts der Gesamtumstände nahe gelegen hätte. Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung und Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB können jedoch in der Regel nicht voneinander getrennt werden (vgl. BGH NStZ 1994, 449; OLG Köln NStZ-RR 1997, 360, 361). Es ist kein Grund ersichtlich, vorliegend von diesem Grundsatz abzuweichen. Die Begründung des Strafausspruchs ist lückenhaft (§ 267 StPO). Die sich bei einer 
Rückrechnung zugunsten des Angeklagten für den Tatzeitpunkt ergebende hohe Blutalkoholkonzentration von mehr als 2,2 o/oo machte Erörterungen zur Schuldfähigkeit des Angeklagten erforderlich (Senat in ZAP EN-Nr. 361/98 = NZV 1998, 334 = zfs 1998, 313 = MDR 1998, 1027 = VM 1998, 68 (Nr. 85) = VRS 95, 255; DAR 1999, 346 = MDR 1999, 1264 = VRS 97, 351; Beschluss des 4. Strafsenats in BA 2001, 187). Damit war es grundsätzlich auch erforderlich, dass das Landgericht die Möglichkeit einer Strafmilderung gem. den §§ 21, 49 StGB erörterte und damit im Urteil zu erkennen gab, dass es sich der Milderungsmöglichkeit bewusst war.

Nach Auffassung des Senats ist es auch nicht ausgeschlossen, dass sich dieser Begründungsmangel zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt hat. Zwar spricht viel dafür, dass der Angeklagte, der bereits einmal wegen einer Trunkenheitsfahrt zu einer Freiheitsstrafe unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt worden ist, nicht zu einer milderen Strafe verurteilt und ihm nicht noch einmal Strafaussetzung zur Bewährung gewährt werden kann. Andererseits erscheint dies unter Berücksichtigung des Umstandes, dass das Landgericht in dem neuen Urteil die Voraussetzungen des § 64 StGB zu diskutieren haben wird, nicht ausgeschlossen. Insoweit unterscheidet sich die vorliegende Fallgestaltung daher von der der Entscheidung des OLG Hamm in BA 1980, 294 zugrundeliegenden, die von der Generalstaatsanwaltschaft angeführt worden ist.
III. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf folgendes hin:
1. Die Begründung des Strafausspruchs ist zudem bislang auch deshalb lückenhaft, weil sich das angefochtene Urteil nicht mit den Voraussetzungen des § 64 StGB auseinandergesetzt hat. Das hätte aber angesichts der mitgeteilten Gesamtumstände - drei Mal innerhalb 18 Monaten wegen einer Trunkenheitsfahrt in Erscheinung getreten, hohe Blutalkoholkonzentration, offenbar alkoholabhängig, therapiewillig - geschehen müssen.
Nach § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO steht das Verschlechterungsverbot der Annahme der Voraussetzungen des § 64 StGB durch die neu zur Entscheidung berufene Strafkammer nicht entgegen.
2. Auf § 246 a StPO wird hingewiesen.


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