Diese Homepage verwendet Cookies, um Inhalte und Anzeigen zu personalisieren, Funktionen für soziale Medien anbieten zu können und die Zugriffe auf die Website zu analysieren. Außerdem gebe ich Informationen zu Ihrer Nutzung meiner Website an meine Partner für soziale Medien, Werbung und Analysen weiter.

OK Details ansehen Datenschutzerklärung

Rechtsprechung

Aktenzeichen: 2 Ss OWi 1062/01 OLG Hamm

Leitsatz: Zum erforderlichen Umfang der tatrichterlichen Feststellungen bei einer durch Nachfahren zur Nachzeit ermittelten Geschwindigkeitsüberschreitung

Senat: 2

Gegenstand: Rechtsbeschwerde

Stichworte: Geschwindigkeitsüberschreitung, Messung durch Nachfahren zur Nachzeit, Umfang der Feststellungen, Geständnis, Toleranzabzug

Normen: StVO 3, StPO 267

Beschluss: Bußgeldsache
gegen K.G. ,
wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit.

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Recklinghausen vom 29. August 2001 hat der 2. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 21. 12. 2001 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und nach Anhörung des Betroffenen bzw. seines Verteidigers beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an das Amtsgericht Recklinghausen zurückverwiesen.

Gründe:
I.
Das Amtsgericht Recklinghausen hat gegen den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit nach den §§ 41 Abs. 2 (Zeichen 274), 49 StVO i. V. m. § 24 StVG eine Geldbuße in Höhe von 937, 50 DM festgesetzt und außerdem ein Fahrverbot von drei Monaten verhängt (§ 25 StVG).

Dazu hat das Amtsgericht folgende tatsächliche Feststellungen getroffen:

„Am 12. 4. 2001 befuhr der Betroffene mit dem Pkw DB, polizeiliches Kennzeichen , die BAB A 43 in Fahrtrichtung Wuppertal. Auf dieser Strecke befinden sich bei Kilometer 41,200 ein 100 km/h, bei Kilometer 40,750 und 40,200 jeweils ein 80 km/h-Geschwindigkeits-Begrenzungsschild gem. § 41 (Z 274) StVO). Bei Kilometer 39,960 wird diese Geschwindigkeitsbegrenzung aufgehoben.

Bereits 12 bis 15 Kilometer vor dieser Messstelle fiel den Polizeibeamten, die mit dem Funkstreifenwagen MS-3643, justiert bis 20.12.2001, unterwegs waren, das Fahrzeug des Betroffenen auf.

Zwischen Kilometer 40,750 bis 39,960 fuhren sie in einem gleichbleibenden Abstand von 150 Meter hinter dem Betroffenen her. Es wurde in ihrem Fahrzeug eine Geschwindigkeit von 190 km/h angezeigt. Abzüglich eines Toleranzwertes von 15 % ergibt dies eine gefahrene Geschwindigkeit von 161 km/h, mithin eine Geschwindigkeitsüberschreitung von 81 km/h. Der von den Polizeibeamten gefahrene Funkstreifenwagen war mit Xenon-Scheinwerfern ausgestattet. Die Entfernung zu dem vorausfahrenden Fahrzeug haben die Polizeibeamten anhand der Leitpfosten festgestellt.

Nach dem Anhaltevorgang hat der Betroffene den Verkehrsverstoß gegenüber den Polizeibeamten eingeräumt.„

Im Rahmen der Beweiswürdigung heißt es u. a. dann weiter:

„Dieser Sachverhalt beruht auf der Einlassung des Betroffenen, soweit ihr gefolgt werden konnte, sowie den Aussagen der Zeugen L., P. und K..

Der Betroffene hat sich dahingehend eingelassen, dass er mit normaler Reisegeschwindigkeit über die Autobahn gefahren sei. Es sei nicht viel Verkehr gewesen. Er sei dann durch Scheinwerfer eines nachfolgenden Fahrzeuges geblendet worden. Dieses habe sogenannte Halogen-Scheinwerfer gehabt. Da er sich dadurch in seinem Fahrverhalten beeinträchtigt gefühlt habe, habe er seine Geschwindigkeit verringert, um sich überholen zu lassen. Dieses Fahrzeug habe ihn auch überholt und sei dann vor ihm auf die rechte Fahrbahn gefahren. Danach habe es seine Geschwindigkeit so stark herabgesetzt, dass es ihm zu langsam gefahren sei und er es dann seinerseits überholt habe.

Eine kurze Strecke, bevor er angehalten worden sei, habe es eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf 80 km/h mit dem Zusatz „Bei Nässe„ gegeben. Es sei jedoch nicht nass gewesen und die Beschränkung sei auch wieder aufgehoben worden.

Die an der Meßstrecke befindlichen Geschwindigkeitsbegrenzungs-Schilder habe er nicht gesehen. Er habe sich durch das ihm folgende Auto der Polizeibeamten genötigt gefühlt. Diese hätten ihm nach dem Anhaltevorgang gesagt, dass sie bereits ab Marl-Sinsen hinter ihm hergefahren seien. Die gemessene Geschwindigkeit zieht er nicht in Zweifel.

Die Zeugen P. und K. bestätigten diese Einlassung des Betroffenen bis ins Detail. ...„

Mit seiner form- und fristgerecht eingelegten Rechtsbeschwerde rügt der Betroffene unter näherer Begründung die Verletzung materiellen Rechts.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen.

II.
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und hat auch in der Sache - zumindest vorläufigen - Erfolg.

Die tatsächlichen amtsgerichtlichen Feststellungen tragen die Verurteilung des Betroffenen wegen einer fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung bislang nicht.
Das Amtsgericht hat die von der obergerichtlichen Rechtsprechung zur Feststellung einer Geschwindigkeitsüberschreitung durch Nachfahren zur Nachtzeit außerhalb geschlossener Ortschaften entwickelten Grundsätze, denen sich die Bußgeldsenate des Oberlandesgerichts Hamm angeschlossen haben, nicht ausreichend berücksichtigt.

Das angefochtene Urteil stellt insoweit allein die Länge der Messstrecke, den ungefähren Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug, die Justierung des Tachometers binnen der Jahresfrist und die Höhe des Sicherheitsabschlages fest. Diese Ausführungen beinhalten zwar eine ausreichende Begründung für eine Geschwindigkeitsüberschreitung mittels justiertem Tachometer bei Tage. Den weitergehenden Anforderungen für eine Messung zur Nachtzeit das Urteil teilt insoweit allerdings keine Uhrzeit mit, sondern erwähnt lediglich, dass es dunkel war genügen diese Feststellungen aber nicht. Bei den in der Regel schlechten Sichtverhältnissen zur Nachtzeit bedarf es nämlich grundsätzlich näherer Angaben dazu, wie die Beleuchtungsverhältnisse waren, ob der Abstand zu dem vorausfahrenden Fahrzeug durch Scheinwerfer des nachfahrenden Fahrzeugs oder durch andere Lichtquellen aufgehellt war und damit ausreichend sicher erfasst und geschätzt werden konnte und ob für die Schätzung des gleichbleibenden Abstands zum vorausfahrenden Fahrzeug ausreichende und trotz der Dunkelheit zu erkennende Orientierungspunkte vorhanden waren. Auch sind Ausführungen dazu erforderlich, ob die Umrisse des vorausfahrenden Fahrzeugs und nicht nur dessen Rücklichter erkennbar waren (vgl. dazu OLG Hamm VM 1993, 67 sowie u.a. die ständige Rechtsprechung des Senats in den Beschlüssen vom 31. Januar 1997 2 Ss OWi 1565/96, VRS 93, 380; vom 18. Februar 1997 2 Ss OWi 37/97, DAR 1997, 285 = VRS 93, 372; vom 22. Oktober 1997 2 SS OWi 1216/97, DAR 1998, 75 = MDR 1998, 155 und vom 30. Oktober 1998 -2 Ss 1295/97, MDR 1998, 156 = ZfS 1998, 193 = VRS 94, 467, vom 14. Januar 1999 2 Ss OWi 1377/98, VRS 96, 458 = NZV 1999, 391).

Auf diese Feststellungen kann grundsätzlich auch nicht verzichtet werden. Dies gilt namentlich dann, wenn der Abstand zu dem vorausfahrenden Fahrzeug wie vorliegend 150 Meter beträgt. Bei einem solch großen Abstand genügt die alleinige Mitteilung, die Polizeibeamten hätten sich bei der Abstandsfeststellung bzw. schätzung an den Leitpfosten orientiert, nicht (vgl. Senatsbeschluss vom 22. Oktober 1997 in 2 Ss OWi 1216/97). Zwar können in diesem Zusammenhang auch die in § 50 StVZO aufgestellten Anforderungen an die Beleuchtung der Fahrbahn durch PkwScheinwerfer von Bedeutung sein; bei einer Entfernung von ca. 150 Metern vermag aber das Scheinwerferlicht (Abblendlicht) ein vorausfahrendes Fahrzeug in der Regel nicht mehr zu erreichen, so dass in einem solchen Fall ein nicht beleuchteter Abschnitt, in dem möglicherweise auch Begrenzungspfähle nicht sichtbar sind, verbleibt. Im Übrigen ist ein Ausnahmefall, wie vom Senat bei Messungen innerorts über eine Messstrecke von 900 bzw. 1000 Metern bei einem Abstand von 60 Metern angenommen, hier nicht ersichtlich ( vgl. dazu Senatsbeschlüsse vom 9. Juni 1995 - 2 Ss OWi 317/95 - und vom 25. September 1995 - 2 Ss OWi 868/95 -).

Vorstehende Grundsätze hat die Tatrichterin vorliegend nicht beachtet, so dass das angefochtene Urteil nach alledem an einem Begründungsmangel leidet, der grundsätzlich zu dessen Aufhebung zwingt.

Dieser Rechtsfehler führt nur dann ausnahmsweise nicht zu einer Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, wenn die vom Amtsgericht festgestellte Geschwindigkeitsüberschreitung auf das Geständnis des Betroffenen gestützt werden könnte (vgl. dazu Beschluss des erkennenden Senats vom 14. Januar 1999 in 2 Ss OWi 1377/98, VRS 96, 458 = NZV 1999, 391). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (vgl. BGH NJW 1997, 3081 mit weiteren Nachweisen) kann eine Verurteilung wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit nämlich grundsätzlich auf einem uneingeschränkten und glaubhaften Geständnis des Betroffenen beruhen. Liegt dieses vor, reicht die Mitteilung des (standardisierten) Messverfahrens und der nach Abzug der Messtoleranz ermittelten Geschwindigkeit aus. Dies gilt nach Auffassung des Senats auch für Messungen durch Nachfahren. Etwas Anderes lässt sich jedenfalls den grundlegenden Ausführungen des Bundesgerichtshofes nicht entnehmen. Dieser hat in seinen Ausführungen keine Beschränkung hinsichtlich deren Geltung, z. B. nur auf Laser- oder andere technische Messverfahren, vorgenommen. Er hat vielmehr bei den von ihm erwähnten „standardisierten„ Verfahren gerade auch das Messen einer Geschwindigkeitsüberschreitung durch Nachfahren mit unverändertem Abstand aufgeführt (vgl. BGH NJW 1993, 3081, 3083). Daraus lässt sich nur der Schluss ziehen, dass bei Vorliegen eines Geständnisses grundsätzlich auch bei dieser Messmethode die bloße Angabe des Messverfahrens und des Toleranzwertes ausreicht.

Voraussetzung ist aber, dass das Geständnis des Betroffenen uneingeschränkt und glaubhaft ist (BGH NJW 1993, 3081, 3084 ) und der Tatrichter sich Klarheit darüber verschafft hat, wie die Äußerung des Betroffenen im Zusammenhang mit dem übrigen Verfahrensstoff und im Hinblick auf den konkreten Verfahrensverstoß zu verstehen ist.

Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Die getroffenen Feststellungen sind insoweit widersprüchlich. Zwar ist es allein Aufgabe des Tatrichters, das Ergebnis der Beweisaufnahme festzustellen und zu würdigen (vgl. BGH St 21, 149, 152). Die Feststellungen sind daher nur insoweit der Prüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht zugänglich, ob die Urteilsgründe rechtlich einwandfrei, d.h. frei von Widersprüchen, Lücken, Unklarheiten und Verstößen gegen die Denkgesetze oder gesicherte Lebenserfahrung sind (vgl. BGH St 29, 18, 20). Dabei hat das Rechtsbeschwerdegericht nicht zu prüfen, ob die Erwägungen und Schlüsse des Tatrichters zwingend oder überzeugend sind. Es reicht aus, dass sie denkgesetzlich möglich sind und von der subjektiven Gewissheit des Tatrichters getragen werden.

Diesen Ansprüchen genügt das angefochtene Urteil aber nicht. Das Amtsgericht teilt nämlich zunächst mit, der Betroffene habe „den Verkehrsverstoß nach dem Anhaltevorgang gegenüber den Polizeibeamten eingeräumt„. Anschließend wird jedoch die damit nicht im Einklang stehende Einlassung des Betroffenen wieder gegeben, wonach er sich durch das ihm folgende Polizeifahrzeug genötigt gefühlt habe und die Geschwindigkeitsbeschränkung auf 80 km/h überdies nur „Bei Nässe„ hätte beachtet werden müssen. Es sei jedoch - so die Einlassung des Betroffenen - nicht nass gewesen und die Beschränkung sei auch wieder aufgehoben worden.
Im Anschluss an die Wiedergabe dieser Einlassung heißt es dann in dem Urteil: „Die Zeugen P. und K. bestätigten diese Einlassung des Betroffenen bis ins Detail.„
Diesen Ausführungen lässt sich ein uneingeschränktes Geständnis des Betroffenen jedenfalls nicht entnehmen. Im Übrigen steht die Formulierung, dass die Polizeibeamten „diese Einlassung des Betroffenen bis ins Detail bestätigten„ in Widerspruch zu dem vom Amtsgericht festgestellten Beweisergebnis.

Nach alledem war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens an das Amtsgericht Recklinghausen zurückzuverweisen.

III.
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

Bei der Frage der Bemessung der zu verhängenden Geldbuße können zwar grundsätzlich früher begangene Ordnungswidrigkeiten zum Nachteil des Betroffenen verwertet werden, soweit ein innerer Zusammenhang zu der neuen Ordnungswidrigkeit gegeben ist ( vgl. hierzu Göhler, OWiG, 12. Aufl., § 17 OWiG Rdnr. 20). Die Pflicht des Tatrichters zur eigenen Festsetzung der Geldbuße auf der Grundlage der in § 17 Abs. 3 OWiG genannten Kriterien schließt aber eine Berechnung nach mathematischen Regeln aus ( vgl. KK Steindorf, OWiG, 2. Aufl., § 17 Rdnr. 44; Göhler, a.a.O., § 17 Rdnr. 28 b; Janiszewski NStZ 1994, 276).
Eine schematische Erhöhung der Geldbuße um einen bestimmten Prozentsatz, die zudem zu der zumindest ungewöhnlichen Geldbuße in Höhe von 937, 50 DM führt, ist damit nicht zulässig.


zur Startseite "Rechtsprechung"

zum Suchformular

Die Nutzung von Burhoff-Online ist kostenlos. Der Betrieb der Homepage verursacht aber für Wartungs-, Verbesserungsarbeiten und Speicherplatz laufende Kosten.

Wenn Sie daher Burhoff-Online freundlicherweise durch einen kleinen Obolus unterstützen wollen, haben Sie hier eine "Spendenmöglichkeit".