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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 4 Ss 820/01 OLG Hamm

Leitsatz: 1. Ist aufgrund der getroffenen Feststellungen davon auszugehen, dass der Angeklagte rechnerisch eine nicht ausschließbare Blutalkoholkonzentration von mehr als 3,0 ‰ hatte, ist zur Frage der Schuldfähigkeit die Einholung eines Sachverständigengutachten erforderlich.
2. Zur Frage, wann ein Schuh ein gefährliches Werkzeug im Sinn des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB ist

Senat: 4

Gegenstand: Revision

Stichworte: Aufhebung, gefährliche Körperverletzung, Steuerungsfähigkeit, kein Ausschluss der Steuerungsfähigkeit, fehlende sachverständige Beratung, kein Sachverständiger, fehlende Alkoholberechnung, beschuhter Fuß, Schuh, Tritt

Normen: StGB 20, StGB 21, StGB 224 Abs. 1 Nr. 2, StGB 224 Abs. 1 Nr. 4

Beschluss: Strafsache
gegen D.B.,
wegen gefährlicher Körperverletzung.

Auf die Revision der Angeklagten gegen das Urteil der 16. kleinen Strafkammer des Landgerichts Münster vom 30. Januar 2001 hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 29. 11. 2001 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft einstimmig beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Münster zurückverwiesen.

Gründe: I.
Das Amtsgericht Rheine hat die Angeklagte am 25. September 2000 wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Die hiergegen von der Angeklagten rechtzeitig eingelegte Berufung hat das Landgericht Münster mit dem angefochtenen Urteil verworfen. Gegen dieses Urteil wendet sich die Angeklagte mit der Revision, die sie mit der allgemein erhobenen und näher ausgeführten Sachrüge und der Aufklärungsrüge begründet hat.

II. Das Rechtsmittel hat schon mit der in (noch) zulässiger Weise erhobenen Aufklärungsrüge einen zumindest vorläufigen Erfolg.

Das Landgericht hätte sich, wie sich aus den Urteilsgründen selbst ergibt, gedrängt sehen müssen, die Frage der Schuldfähigkeit der Angeklagten durch Einholung eines Sachverständigengutachtens näher aufzuklären.

Das Landgericht hat seiner Entscheidung im wesentlichen folgenden Sachverhalt zugrunde gelegt:

Die Angeklagte ist bisher strafrechtlich noch nicht in Erscheinung getreten. Am 26. August 1999 hatten die Angeklagte und ihre Geschwister N. und T.B. sowie M.S. ihren Vater beerdigt. Nach der Beerdigung und dem Beerdigungskaffee wollten die Geschwister ihre Trauer und ihren Kummer über den Tod des Vaters mit Alkohol mildern. Die Angeklagte trank zu einer nicht näher festgestellten Zeit 4 bis 5 Flaschen Bier der Marke Krombacher zu je 0,5 l. Anschließend ließen sich die Geschwister mit einem Taxi zum Bahnhof von Rheine bringen. Auf dem Bahnhofsvorplatz "fiel die Angeklagte hin, wobei die genaue Ursache nicht geklärt werden konnte. Möglich ist ..., dass sie wegen des von ihr zuvor genossenen Alkohols sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte. ... Wie sie auf dem Boden lag, kreischte sie hysterisch herum. Mindestens eine andere männliche Person, deren Identität nicht festgestellt werden konnte, half ihr dann wieder auf die Füße. Sie konnte aber dann wieder selbständig gehen ohne gestützt werden zu müssen." Der Geschädigte G., der sich am Bahnhofsvorplatz aufgehalten und der möglicherweise über die angetrunkene Gruppe gelächelt hatte, wurde von den Geschwistern angegriffen. Nachdem er zu Fall gekommen war, wurde er durch Mitglieder der Gruppe getreten und dadurch nicht unerheblich verletzt. Die Angeklagte hatte sich dabei innerhalb dieser Gruppe befunden und "möglicherweise wieder hysterisch gekreischt", jedoch den Geschädigten nicht selbst getreten und verletzt. Die Zeugen und Taxifahrer G., T., S. und W. beobachteten das Geschehen und forderten die Gruppe auf, den Geschädigten G. zufrieden zu lassen. Daraufhin wandte sich die Gruppe mit Ausnahme von Thomas Berger den Zeugen T. und G. zu. Die Angeklagte D.B. begab sich ebenfalls zu der Stelle, wo sich die Taxen befanden, und setzte sich dort zunächst wenige Minuten auf den Bordstein hin. Die Geschwister einschließlich der Angeklagten griffen im weiteren Verlauf die Zeugin T. an, wobei die Angeklagte "mit ihren Stöckelschuhen auf die am Boden liegende Zeugin T. zielgerichtet, aber wahllos bewusst und gewollt eintrat." Die Zeugin trug Schürfwunden am Bein, am Oberarm und an einer Hand davon.

Die Strafkammer hat dieses Geschehen unter Annahme einer natürlichen Handlungseinheit als gefährliche Körperverletzung zum Nachteil zweier Personen gewertet, wobei sie in beiden Fällen den Qualifikationstatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB und im Fall der Körperverletzung zum Nachteil der Zeugin T. zusätzlich das Qualifikationsmerkmal des gefährlichen Werkzeugs des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB bejaht hat.

Die Strafkammer hat "zugunsten der Angeklagten" angenommen, dass deren Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkt gewesen war (§ 21 StGB). Eine Aufhebung der Steuerungsfähigkeit (§ 20 StGB) hat die Kammer - ohne sachverständige Beratung - verneint und dazu ausgeführt:

"Zugunsten der Angeklagten hat die Kammer angenommen, dass diese, wenn auch wohl nicht in ihrer Einsichtsfähigkeit, so jedoch in ihrer Steuerungsfähigkeit möglicherweise erheblich eingeschränkt im Sinne von § 21 StGB war. Bereits nach ihrer eigenen Einlassung hat die Angeklagte (1,68 m und damals 45 kg schwer) 4 bis 5 Flaschen alkoholhaltiges Bier der Marke Krombacher a 0,5 l getrunken. Zugunsten der Angeklagten konnte die Kammer nicht ausschließen, dass diese nicht derart alkoholgewöhnt wie ihre Geschwister war und ist, zumal sie von den anwesenden Berger Geschwistern in der Hauptverhandlung den besten Eindruck hinterließ. Die Beweisaufnahme hat aber auch ergeben, dass sich die Angeklagte nicht ganz normal benahm. Sie "wackelte" bzw. "stöckelte" auf ihren Schuhen herum und war bereits nach dem Eindruck der anwesenden Zeugen erheblich angetrunken. Die Angeklagte schrie auch hysterisch herum. Dies spricht für einen gewissen Trunkenheitsgrad der Angeklagten. Andererseits vermochte sie noch, wenn auch schwankend und stöckelnd, sich zu der Gruppe um den Zeugen G. zu begeben und auch zum Taxistand zu gehen, dort herumzuschreien und auch mit ihren Stöckelschuhen durchaus zielgerichtet, wenn auch wahllos, auf die am Boden liegende Zeugin T. einzutreten, bis sie von einer dritten Person von der Zeugin T. an den Haaren heruntergerissen wurde. Dieses Verhalten der Angeklagten spricht eindeutig gegen eine Schuldfähigkeit (gemeint ist: Schuldunfähigkeit) insbesondere angesichts der von der Angeklagten selbst zugegebenen Alkoholmengen. Dies gilt auch, wenn man von einem damaligen Körpergewicht der Angeklagten von 45 kg bei einer Größe von 1,68 m ausgeht. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass sich die Angeklagte zum damaligen Zeitpunkt in einem stark emotionalisierten Zustand wegen des Todes des Vaters und der an demselben Tag stattgefundenen Beerdigung befand. Angesichts dieser Gesamtumstände hat die Kammer zugunsten der Angeklagten angenommen, dass sie zumindest in ihrer Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkt war."
Die Strafkammer hat nicht hinreichend bedacht, dass bereits unter Berücksichtigung der festgestellten Alkoholmenge, der Art des genossenen Alkohols, des Körpergewichts und der Körpergröße unter Berücksichtigung eines Resorptionsdefizits von 10 % die Blutalkoholkonzentration der Angeklagten zur Tatzeit - je nachdem, ob man einen Verteilungsfaktor von 0,6 oder ausnahmsweise 0,7 zugrunde zu legen hat, was sachverständiger Abklärung bedarf - 2,71 ‰ (bei 0,7) oder sogar 3,16 ‰ (bei 0,6) betragen haben kann. Hinzu kommen weitere Faktoren, die für die Beurteilung der Schuldfähigkeit Bedeutung haben können: so insbesondere der Umstand, dass die Angeklagte möglicherweise nur in geringerem Maße alkoholgewohnt ist, sie sich möglicherweise noch in der Anflutungsphase befunden hat, sie möglicherweise alkoholbedingt auf dem Bahnhofsvorplatz gefallen ist und auf dem Boden liegend hysterisch herumgekreischt hat (S. 7 U.A.) oder aber auch - insoweit sind die Feststellungen teilweise widersprüchlich -, dass sie sich nach den für glaubhaft erachteten Aussagen der Zeuginnen W. und S. auf den Boden des Bahnhofsvorplatzes "geschmissen" und hysterisch herumgeschrieben (gemeint ist: herumgeschrieen) habe (S. 14 U.A.), sie sich vor dem Angriff auf die Zeugin T. auf den Bordstein gesetzt hat, sie an den Vorfall keine Erinnerung haben will und sie aufgrund der Beerdigung innerlich aufgewühlt gewesen ist. Schließlich hat die Strafkammer die Aussage des Zeugen Wehner für glaubhaft erachtet, der die Angeklagte für "total besoffen" gehalten hat.

Schon die aufgrund der festgestellten Alkoholmenge rechnerisch nicht ausschließbare Blutalkoholkonzentration von mehr als 3,0 ‰, erst recht aber die Berücksichtigung der oben genannten weiteren Faktoren, hätte die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Frage der Schuldfähigkeit erforderlich gemacht.

Weil das Landgericht die gebotene Aufklärung in diesem Punkt unterlassen hat, war das angefochtene Urteil mit den Feststellungen aufzuheben und die Sache an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Münster zurückzuverweisen, § 354 Abs. 2 StPO. Diese wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben, da der Erfolg des Rechtsmittels noch nicht feststeht.

III. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen die Annahme einer natürlichen Handlungseinheit hinsichtlich der Körperverletzungshandlungen zum Nachteil G. und T. durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet. Es dürfte vielmehr davon auszugehen sein, dass die (weitere) gefährliche Körperverletzung zum Nachteil der Zeugin T. auf einem neuen selbständigen Tatentschluss beruhte und deshalb zu dem vorangegangenen Geschehen in Tatmehrheit stehen dürfte.

Die neue Strafkammer wird auch zu bedenken haben, dass die Annahme einer täterschaftlich begangenen gefährlichen Körperverletzung i.S. von § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB im Fall zum Nachteil G. nicht damit begründet werden kann, die Angeklagte habe "durch ihr hysterisches Verhalten die übrige Gruppe um den Zeugen G. "angeheizt" und auch ... in ihrem Tatwillen bestärkt" (S. 21 U.A.), wenn nach den Feststellungen nur die Möglichkeit besteht, dass die Angeklagte dort "wieder hysterisch gekreischt" hat (S. 9 U.A.).

Schließlich wird die neue Kammer die Frage näher abzuklären haben, ob die Angeklagte im Fall zum Nachteil T. den Qualifikationstatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB erfüllt hat. Ob ein Schuh am Fuß des Täters ein gefährliches Werkzeug ist, ist nach den Umständen des Einzelfalles zu beurteilen (vgl. BGHSt 30, 375, 376). Dabei kommt es auf die Beschaffenheit der Schuhe, bei Schuhen mit hohen, möglicherweise spitzen Absätzen insbesondere darauf an, welcher Teil des Schuhs als Werkzeug eingesetzt worden ist, sowie auf die Heftigkeit der Tritte und gegen welche Körperteile sie sich gerichtet haben. Insoweit fehlen im angefochtenen Urteil bisher hinreichende Feststellungen, um diesen Qualifikationstatbestand annehmen zu können.


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