Aktenzeichen: 2 Ss OWi 1175/2001 OLG Hamm
Leitsatz: Zum erforderlichen Umfang der tatsächlichen Feststellungen hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals der "überwiegenden Bauleistung" im Sinn des § 211 Abs. 1 SGB III
Senat: 2
Gegenstand: Rechtsbeschwerde
Stichworte: Arbeitnehmerentsendegesetz; Begriff der überwiegenden Bauleistung, polnische Firma; Anwendbarkeit des Eurpoarechts
Normen: AEntG 5 Abs. 1, AEntG 1 Abs. 1; SGB III 211 Abs. 1
Beschluss: Bußgeldsache
gegen die polnische Firma K.M.B.
wegen Verstoßes gegen das Arbeitnehmerentsendegesetz
Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen vom 26. September 2001 gegen das Urteil des Amtsgerichts Hagen vom 20. September 2001 hat der 2. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 30. 01. 2002 durch die Richterin am Landgericht (als Einzelrichterin gem. § 80 a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 OWiG) nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:
Das angefochtene Urteil wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben und die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Hagen zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Die Betroffene ist durch Urteil des Amtsgerichts Hagen vom 20. September 2001 wegen fahrlässigen Verstoßes gegen das Arbeitnehmerentsendegesetz zu einer Geldbuße in Höhe von 6.000,00 DM verurteilt worden.
Das Amtsgericht hat u.a. folgende Feststellungen getroffen:
Bei der betroffenen Firma, die früher unter dem Namen K. firmierte, handelt es sich um eine polnische Baufirma, die aufgrund eines Werkvertrages mit dem Betonfertigteilwerk M. GmbH in G. einen Werkvertrag über Flechtarbeiten im Werk des Auftraggebers geschlossen hat. Entsprechende Genehmigungen wurden vom Arbeitsamt Duisburg erteilt. Nach dem Vorwurf aus dem Bußgeldbescheid vom 23.03.2000 beschäftigte die beteiligte polnische Firma in der Zeit von Januar 99 bis einschließlich April 99 acht polnische Arbeitnehmer im Rahmen des zuvor erwähnten Werkvertrages. Die Arbeitnehmer erhielten den damals nach dem Tarifvertrag vom 17.07.97 zur Regelung eines Mindestlohnes im Baugewerbe im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland geltenden Mindestlohn von 16,- DM. Daneben wurden sie frei untergebracht. Sie erhielten jedoch keine Leistungen für Verpflegung. Nach dem Vorwurf aus dem Bußgeldbescheid war der hier zu beurteilende Tatzeitraum auf Januar 99 bis April 99 und auf die acht in der Begründung des Bußgeldbescheides aufgeführten Arbeitnehmer beschränkt. Deren Anwesenheitstage ergeben sich aus Spalte 4 der dem Bußgeldbescheid angefügten Tabellen, wobei die Arbeitnehmer K. und S. hier nicht zu berücksichtigen waren.
...
Gem. § 5 Abs. 1 Ziffer 1 Arbeitnehmerentsendegesetz handelt ordnungswidrig, wer vorsätzlich oder fahrlässig entgegen § 1 Abs. 1 S. 2 ArbEntG als Arbeitgeber mit Sitz im Ausland einem Arbeitnehmer eine dort genannte Arbeitsbedingung nicht gewährt. Dieser Tatbestand ist erfüllt, da der Geschäftsführer Verpflegungskosten im Rahmen der Auslösung seinen Arbeitnehmern nicht gewährt hat. Das Gericht ist nicht der Ansicht der Verteidigung, dass die vertretungsberechtigten Organe der beteiligten Firma dies nicht hätten wissen können, da die Materie zu kompliziert sei. In seinem Antrag vom 03.12.97 an das Arbeitsamt Duisburg hat der Geschäftsführer der beteiligten Firma noch unter der Firmierung K. unterschrieben, dass der Arbeitnehmer für die auswärtige Beschäftigung zusätzliche Leistungen (Auslösung) erhält und diese Leistungen nicht in den angegebenen Lohnberechnungen enthalten seien. Außerdem hat er erklärt, dass die Lohn- und Arbeitsbedingungen der von der Firma in der Bundesrepublik Deutschland eingesetzten Arbeitnehmer denen vergleichbarer deutscher Arbeitnehmer entsprechen. Die Bestimmungen des Arbeitnehmerentsendegesetzes und der Rahmentarifvertrag dürften ihm daher bekannt gewesen sein. Sollte ihm nicht geläufig gewesen sein, was im einzelnen unter Auslösung zu verstehen ist, so hätte er sich bei den entsprechenden Stellen der Bundesanstalt für Arbeit erkundigen können. Die Geschäftsführung hat danach zumindest fahrlässig eine Ordnungswidrigkeit begangen, durch die Pflichten, die die juristische Peson oder die von ihr vertretene beteiligte Firma trafen, verletzt worden sind und durch die die Firma bereichert wurde. Da gegen verantwortliche Personen, insbesondere den Geschäftsführer, kein Ordnungswidrigkeitsverfahren in dieser Sache eingeleitet wurde, war die Geldbuße selbständig gegen die beteiligte Firma festzusetzen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Betroffene mit ihrer rechtzeitig eingelegten Rechtsbeschwerde, mit der sie unter näherer Begründung die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt und die Aufhebung des angefochtenen Urteils begehrt.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das angefochtene Urteil mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Hagen zurückzuverweisen.
II.
Das Rechtsmittel der Betroffenen ist zulässig und hat bereits mit der Sachrüge - zumindest vorläufigen Erfolg.
Die tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichts tragen die Verurteilung der Betroffenen wegen eines Verstoßes gegen das Arbeitnehmerentsendegesetz nicht, da sie lückenhaft sind.
Zwar unterliegen die Gründe des Urteils im Bußgeldverfahren keinen hohen Anforderungen (vgl. BGHSt 39, 291). Sie müssen jedoch so beschaffen sein, dass das Rechtsbeschwerdegericht zur Nachprüfung einer richtigen Rechtsanwendung hinsichtlich aller objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale entnehmen kann, welche Feststellung der Tatrichter getroffen hat (vgl. Göhler, OWiG, 12. Aufl., § 71 Rdnr. 42 m. w. Nachw.). Dem wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat hierzu in ihrer Stellungnahme vom 16. Januar 2002 ausgeführt:
Unerheblich ist zunächst, ob § 1 Abs. 1 u. 3 AEntG gegen Bestimmungen des EG-Vertrages oder des Europäischen Sekundärrechts verstößt (verneinend: OLG Hamm, Senatsbeschlüsse vom 14.03.2000 2 Ss OWi 1258/99 und vom 28.06.2000 2 Ss OWi 604/99, Wistra 2000, 393). Bei der Betroffenen handelt es sich um ein polnisches Unternehmen. Die Republik Polen ist nicht Mitglied der Europäischen Gemeinschaft, so dass europarechtliche Bestimmungen für die Betroffene nicht gelten. Selbst wenn § 1 Abs. 1 u. Abs. 3 AEntG mit europarechtlichen Bestimmungen unvereinbar sein sollten, führt dies nicht zur Nichtigkeit der gesetzlichen Regelungen, sondern lediglich dazu, dass diese Bestimmungen vom Gemeinschaftsrecht verdrängt werden und damit, soweit das Gemeinschaftsrecht gilt, nicht mehr angewandt werden dürfen (zu vgl. LAG Frankfurt, Urteil vom 10. April 2000 in 16 Sa 1858/99). Im Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Polen gilt kein primäres oder sekundäres Gemeinschaftsrecht.
Die in § 1 AEntG statuierte gesetzlich zwingende Wirkung bestimmter für allgemeinverbindlich erklärter Tarifverträge auch für ausländische Arbeitgeber und ihre im räumlichen Geltungsbereich des entsprechenden Tarifvertrages beschäftigten Arbeitnehmer verstößt auch nicht gegen Bestimmungen des am 16.12.1991 von der Bundesrepublik unterzeichneten, am 01.01.1994 in Kraft getretenen Europaabkommens zur Gründung einer Assoziation zwischen den europäischen Gemeinschaften sowie ihren Mitgliedstaaten und der Republik Polen (EA-Abkommen/Polen, BGBl. 1993, II S. 1316 ff.). Insoweit bedurfte es keiner Vorlage an den EuGH zur Vorabentscheidung. Denn die Konformität der gesetzlichen Regelung des § 1 Abs. 1 AEntG mit den Bestimmungen EA-Abkommens/Polen ist so offenkundig, dass für vernünftige Zweifel kein Raum bleibt (LAG Frankfurt a.a.O.).
Nach Art. 37 Abs. 1 EA-Abkommen/Polen wird, vorbehaltlich der in den einzelnen Mitgliedstaaten geltenden Bedingungen und Modalitäten, den Arbeitnehmern polnischer Staatsangehörigkeit, die in dem Gebiet eines Mitgliedstaates rechtmäßig beschäftigt sind, eine Behandlung gewährt, die hinsichtlich der Arbeitsbedingungen, der Entlohnung oder der Entlassung keine auf der Staatsangehörigkeit beruhende Benachteiligung gegenüber den eigenen Staatsangehörigen bewirkt. Von einem Verstoß der Bestimmung des § 1 Abs. 1 AEntG gegen diese Regelung kann keine Rede sein. Denn durch die Erstreckung der für Arbeitsbedingungen im Baugewerbe geltenden für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträge werden polnische Arbeitnehmer, auch wenn sie für ein Unternehmen mit Sitz in Polen arbeiten, gegenüber den eigenen Staatsangehörigen der Bundesrepublik Deutschland schon deshalb nicht benachteiligt, weil lediglich die gleichen Regelungen wie für diese auch für sie gelten.
Ein Verstoß gegen die Regelungen des EA-Abkommen/Polen hinsichtlich der Regelung über den Dienstleistungsverkehr zwischen der Gemeinschaft und Polen (Art. 55 ff) scheidet schließlich schon deshalb aus, weil die Vertragsparteien des Abkommens nach Art. 58 nicht gehindert sind, u.a. ihre Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Beschäftigung und Beschäftigungsbedingungen und die Erbringung von Dienstleistungen anzuwenden, sofern sie dies nicht in einer Weise tun, durch die die Vorteile, die einer Vertragspartei aus einer Abkommensbestimmung erwachsen, zunichte gemacht oder verringert werden. Letzteres ist nicht erkennbar, so dass § 1 Abs. 1 AEntG nicht gegen Regelungen des Abkommens über Dienstleistungsverkehr verstößt.
Den bisherigen Feststellungen des Urteils lässt sich jedoch nicht sicher entnehmen, ob das Arbeitnehmerentsendegesetz überhaupt Anwendung findet.
Gem. § 1 Abs. 1 S. 1 AEntG findet dieses Gesetz auf Betriebe Anwendung, von denen überwiegend Bauleistungen im Sinne des § 211 Abs. 1 SGB III erbracht werden. Nach § 211 Abs. 1 S. 2 SGB III sind Bauleistungen alle Leistungen, die der Herstellung, Instandsetzung, Instandhaltung, Änderung oder Beseitigung von Bauwerken dienen. Dazu gehören auch Stahlbiege- und Flechtarbeiten, die an der Baustelle durchgeführt werden, um Beton mit Eisen- und Stahleinlagen zu versehen (Armierungsarbeiten). Denn derartige Arbeiten dienen der Errichtung von Bauwerken, weil die Armierung notwendiger Bestandteil der Erstellung von Wänden und Decken aus Stahlbeton ist. Überwiegend werden Bauleistungen erbracht, wenn die überwiegende Arbeitszeit der Arbeitnehmer des Betriebes auf bauliche Leistungen entfällt. Dabei ist umstritten, ob bei einem Arbeitgeber mit Sitz im Ausland wie die Betroffene der in der Bundesrepublik Deutschland aus dem Ausland entsandten Arbeitnehmer beschäftigt, ohne in der Bundesrepublik Deutschland eine als Betrieb zu charakterisierende betriebliche Organisationseinheit zu unterhalten, auf die überwiegende Gesamtarbeitszeit in dem im Ausland liegenden Betrieb (einschließlich der entsandten Arbeitnehmer) abzustellen ist oder ob es insoweit nur auf die überwiegende Arbeitszeit der in der Bundesrepublik Deutschland eingesetzten Arbeitnehmer ankommt.
Im vorliegenden Fall bedarf es keiner abschließenden Beurteilung dieser Frage. Zwar kann aus der Bezeichnung Baufirma und dem Abschluss eines Werkvertrages über Flechtarbeiten entnommen werden, dass die Betroffene Bauleistungen erbringt. Den Feststellungen des Amtsgerichts kann jedoch nicht entnommen werden, ob bei einer Gesamtbetrachtung der unternehmerischen Betätigungen der Betroffenen derartige Bauleistungen überwiegen.
Diesen in jeder Hinsicht zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat nach eigenständiger Prüfung an. Da das Tatbestandsmerkmal überwiegend Bauleistungen im Sinne des § 211 Abs. 1 S. 2 SGB III in § 1 Abs. 1 AEntG nicht hinreichend ausgefüllt worden ist, leidet das angefochtene Urteil an einem Darstellungsmangel, so dass es bereits aus diesem Grund aufzuheben war.
Das Amtsgericht hat die verhängte Geldbuße, wie sich aus der Liste der angewendeten Vorschriften ergibt, gemäß § 30 OWiG gegen die Betroffene als juristische Person festgesetzt. Auch insoweit ist der angefochtene Beschluss nicht rechtsfehlerfrei. Zwar muss bei der Festsetzung einer Geldbuße nach § 30 OWiG die Identität des Täters nicht feststehen, es muss aber festgestellt werden, dass ein Organ vorwerfbar gehandelt hat. Insoweit müssen die Urteilsgründe Feststellungen zur betrieblichen Organisation der Betroffenen im Hinblick auf die Wahrnehmung der Pflichten nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz enthalten ( vgl. OLG Hamm, Senatsbeschluss vom 05.07.2000 2 Ss OWi 462/00). Vorliegend ist den Feststellungen nicht zu entnehmen, wie die Vertretungsverhältnisse nach der Firmenänderung bei der Betroffenen geregelt sind, ob neben dem Geschäftsführer weitere Verantwortliche für die Betroffene tätig waren (so wurde der Bußgeldbescheid von Herrn B. als Vertretungsberechtigtem in Empfang genommen) und wer die Arbeitsverträge mit den beschäftigten Arbeitnehmern geschlossen hat etc.
Mit den von der Betroffenen erhobenen Verfahrensrügen brauchte der Senat sich nicht mehr zu befassen, da bereits die Sachrüge Erfolg hatte.
III.
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
Der Tatrichter wird sich noch näher mit der subjektiven Seite des der Betroffenen zur Last gelegten Verstoßes befassen müssen. Bislang ist der ihr gemachte Fahrlässigkeitsvorwurf nicht ausreichend durch tatsächliche Feststellungen belegt. Im Hinblick auf die Einlassung der Betroffenen hätte das Gericht sich mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob die Betroffene sich ggf. in einem möglicherweise vermeidbaren Verbotsirrtum befunden hat. Die Betroffene ist nämlich offenbar aufgrund des Schreibens des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung vom 15.08.1994 und des Protokolls der deutsch-polnischen Arbeitsgruppe vom 16./17.11.1992 davon ausgegangen, dass Nebenleistungen der Unternehmen wie z.B. Fahrtkosten und Unterbringung ohne weitere Prüfung als Leistung anzuerkennen sind, mit der die Verpflichtung zur Zahlung der Auslösung erfüllt wird. Inwieweit hierdurch der der Betroffenen obliegenden Erkundigungspflicht Genüge getan wurde, kann dem Urteil nicht entnommen werden.
Auch die Begründung der vom Amtsgericht verhängten Geldbuße begegnet derzeit noch Bedenken:
Es fehlen nämlich gänzlich Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen der Betroffenen. Das Amtsgericht hat eine Geldbuße in Höhe von 6.000,00 DM festgesetzt. Die Festsetzung von Geldbußen in dieser Höhe dürfte aber auch bei einer juristischen Person Feststellungen zu deren wirtschaftlichen Verhältnissen erfordern (vgl. dazu Göhler, a. a. O., § 17 Rdrn. 21 ff. mit weiteren Nachweisen; siehe auch Beschluss des erkennenden Senats vom 28. Juni 2000 in 2 Ss OWi 604/99).
Das Amtsgericht hat vielmehr allein darauf abgestellt, welchen Vorteil die Betroffene aus der Nichtzahlung des Verpflegungsgeldes erlangt hat. Zwar ist nicht zu beanstanden, dass das Amtsgericht insoweit als Grundlage für seine Berechnung die Sachbezugsverordnung herangezogen hat. Die Höhe des wirtschaftlichen Nutzens kann aber nicht allein ausschlaggebend für die Bemessung der Höhe der Geldbuße sein.
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