Aktenzeichen: 3 (s) Sbd. 1 - 1/02 OLG Hamm
Leitsatz: 1. Zur Bestimmung der Zuständigkeit der für die Entscheidung über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis zuständigen Gerichts, wenn nach Einlegung der Beschwerde gegen die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis Anklage erhoben wird.
2. Der Tatbestand des Überholens ist nur dann erfüllt, wenn ein Fahrzeug an einem anderen fahrenden oder nur im Verkehrsvorgang kurz haltenden Fahrzeug vorbeifährt
Senat: 3
Gegenstand: Zuständigkeitsbestimmung
Stichworte: Zuständigkeit, vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis, Identität zwischen Tatrichter und Ermittlungsrichter, Falsches Überholen im Straßenverkehr
Normen: StPO 111 a, StGB 315 c
Beschluss: Strafsache
gegen M.A.,
wegen des Vorwurfs der Straßenverkehrsgefährdung und Nötigung,
(hier: Bestimmung des für die Entscheidung über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis zuständigen Gerichts).
Auf die Vorlage der Akten zur Bestimmung des zuständigen Gerichts gemäß § 14 StPO hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 14. 02. 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:
Das Amtsgericht Bochum ist für die Entscheidung über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis zuständig.
Gründe:
I.
Der Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Bochum hat durch Beschluss vom 11.12.2001 dem Angeschuldigten die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen. Zur Begründung hat er ausgeführt, der Angeschuldigte sei nach dem Ermittlungsergebnis dringend verdächtig, sich am 13.06.2001 um 13.05 Uhr der Straßenverkehrsgefährdung und Nötigung gemäß §§ 315 c Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b, 240, 52 StGB schuldig gemacht zu haben, indem er zur Tatzeit auf der BAB 44 unter Benutzung der Standspur rechts an einer dort eingerichteten Tagesbaustelle mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit vorbeigefahren sei und dabei zumindest einen der dort tätigen Arbeiter gefährdet habe.
Gegen den ihm am 15.12.2001 zugestellten Beschluss hat der Angeschuldigte mit am 20.12.2001 bei dem Amtsgericht eingegangenem Schreiben seines Verteidigers Beschwerde eingelegt.
Noch vor der Entscheidung über die Beschwerde hat die Staatsanwaltschaft Bochum unter dem 28.12.2001 Anklage - 2 Js 432/01 - gegen den Angeschuldigten zum Strafrichter in Bochum erhoben. Die Anklageschrift ist dem Verteidiger am 10.01.2002 zugestellt worden. Der Ermittlungsrichter hat mit Verfügung vom 07.01.2002 der Beschwerde nicht abgeholfen und die Akten dem Landgericht Bochum zur Entscheidung vorgelegt. Das Landgericht hat mit Verfügungen vom 18.01.2002 und vom 29.01.2002 die Entscheidung über die Beschwerde, die prozessual überholt sei und über die nunmehr zunächst das Amtsgericht als Tatrichter zu entscheiden habe, abgelehnt. Dieser Rechtsansicht ist das Amtsgericht mit Verfügung vom 22.01.2002 unter Hinweis auf die persönliche Identität von Ermittlungsrichter und Tatrichter im vorliegenden Fall entgegen getreten und hat die Akten dem Senat mit Verfügung vom 04.02.2002 gemäß § 14 StPO vorgelegt.
II.
Das Amtsgericht Bochum war gemäß § 14 StPO als das für die Entscheidung über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis zuständige Gericht zu bestimmen. Hier war zwar zunächst das Landgericht Bochum als Beschwerdegericht für die Entscheidung über die von dem Angeschuldigten eingelegte Beschwerde zuständig. Die Beschwerde hat sich dann aber durch die Anklageerhebung zum Strafrichter prozessual überholt. Nach diesem Zuständigkeitswechsel vom Ermittlungsrichter zum Strafrichter ist die Beschwerde aufgrund der prozessualen Überholung als jederzeit zulässiger Antrag auf Aufhebung der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis zu behandeln, über den zunächst der mit Anklageerhebung zuständig gewordene Strafrichter zu entscheiden hat, bevor dann ggf. eine Beschwerdentscheidung des Landgerichts herbeizuführen ist. Dies entspricht soweit erkennbar einhelliger Ansicht (vgl. statt aller OLG Düsseldorf, VRS 99, 203, 204; OLG Düsseldorf, VRS 72, 370, 371 m.w.N.; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl., § 111 a Rdnr. 19 m.w.N.; Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 36. Aufl., Rdnr. 7 zu § 111 a StPO m.w.N.). Auf die - zufällige - personale Identität zwischen Ermittlungsrichter und Amtsrichter kommt es in diesem Zusammenhang naturgemäß nicht an.
Der Senat weist allerdings vorsorglich darauf hin, dass die Voraussetzungen für eine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 111 a StPO im vorliegenden Fall nicht gegeben sein dürften. Es sind nämlich keine dringenden Gründe für die Annahme vorhanden, dass dem Angeschuldigten die Fahrerlaubnis entzogen werden wird, § 69 StGB. Es sind nicht einmal dringende Gründe dafür vorhanden, dass der Angeschuldigte hier überhaupt eine Straftat begangen haben könnte. Die Ansicht der Staatsanwaltschaft, das Verhalten des Angeschuldigten erfülle den Tatbestand der Nötigung gemäß § 240 StGB teilt der Senat nicht. Nach dem Ermittlungsergebnis hatte der Angeschuldigte einen Straßenarbeiter, der im Begriff war, hinter dem Sicherungsanhänger auf die Standspur zu treten, möglicherweise gefährdet. Aus welchen Gründen und insbesondere mit welchem Vorsatz der Angeschuldigte diesen Arbeiter aber auch genötigt haben sollte, bleibt dagegen nach dem Ermittlungsergebnis unerfindlich. Anhaltspunkte dafür, dass der Angeschuldigte etwa vorsätzlich derart nah an dem Arbeiter vorbei gefahren wäre, um zu verhindern, dass dieser die Standspur betrete, sind nicht vorhanden.
Ähnlich fernliegend ist aber auch die Annahme der Staatsanwaltschaft, der Angeschuldigte habe hier den Tatbestand der Straßenverkehrsgefährdung nach § 315 c Abs. 1 Nr. 2 b StGB erfüllt. Es fehlt hier bereits an dem Tatbestandsmerkmal des Überholens i.S.v. § 315 c Abs. 1 Nr. 2 b StGB, da es sich bei der Tagesbaustelle nicht um einen anderen Verkehrsteilnehmer im Sinne der vorgenannten Bestimmung gehandelt haben dürfte. Der Tatbestand des Überholens ist nämlich nur dann erfüllt, wenn ein Fahrzeug an einem anderen fahrenden oder nur im Verkehrsvorgang kurz haltenden Fahrzeug vorbeifährt (Tröndle/Fischer, StGB, 50. Aufl., § 315 c Rdnr. 6 m.w.N.; Schönke/Schröder, StGB, 26. Aufl., § 315 c Rdnr. 17 m.w.N.; Überholen ist ein zielgerichteter Vorgang, bei dem ein Fahrzeug sich vor ein anderes, das in gleicher Richtung fährt, zu setzen beabsichtigt). Hält dagegen das andere Fahrzeug um zu parken, so liegt bereits kein Überholen, sondern nur ein Vorbeifahren vor (Schönke/Schröder, a.a.O., m.w.N.; vgl. auch BGH VRS 4, 543; 6, 155; 11, 171; OLG Düsseldorf NZV 1989, 315). Selbst dann, wenn man hier nicht auf die Tagesbaustelle insgesamt, sondern nur auf die dort abgestellten Baufahrzeuge abstellen würde, läge damit allenfalls ein Vorbeifahren aber kein Überholmanöver vor, weil diese Fahrzeuge dem Verkehrsfluss entzogen waren.
Auch die anderen Tatbestandsalternativen des § 315 c Abs. 1 Nr. 2 StGB liegen hier erkennbar nicht vor. Insbesondere fehlen genügende Anhaltspunkte für die Annahme einer unübersichtlichen Stelle i.S.v. § 315 c Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d und e StGB. Allein durch die Einrichtung der Tagesbaustelle wurde der fragliche Autobahnabschnitt nicht unübersichtlich. Unübersichtlichkeit liegt nämlich nur dann vor, wenn die Straßenverhältnisse oder hinzutretende vorübergehende Umstände wie Nebel, Dunkelheit etc. ein Überblicken der Strecke erschweren, wohingegen eine unklare Verkehrslage keine Unübersichtlichkeit begründet (Schönke/Schröder, a.a.O., § 315 c Rdnr. 22).
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