Aktenzeichen: (2) 4 Ausl. 3/2001 (18/02) OLG Hamm
Leitsatz: Zur Zulässigkeit der Auslieferung bei einer lange zurückliegenden schwer wiegenden Tat
Senat: 2
Gegenstand: Auslieferungssache
Stichworte: Zulässigkeit der Auslieferung, lange zurückliegende Tat
Normen: IRG 73
Beschluss: Auslieferungssache
(Zulässigkeit der Auslieferung)
betreffend den türkischen Staatsangehörigen
M.T.
wegen Auslieferung des Verfolgten aus Deutschland in die Türkei zum Zweck der Strafverfolgung wegen "Vergewaltigung" (hier: Antrag der Generalstaatsanwaltschaft auf Erklärung der Zulässigkeit der Auslieferung).
Auf den Antrag der Generalstaatsanwaltschaft in Hamm vom 19. Februar 2002 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 27. 02. 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Landgericht beschlossen:
Die Auslieferung des Verfolgten in die Türkei wird für zulässig erklärt.
Gründe:
I.
Die türkischen Behörden begehren die Auslieferung des Verfolgten zum Zweck der Strafverfolgung wegen "Vergewaltigung". Durch Beschluss vom 21. Juni 2001, auf den zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird, hat der Senat den damaligen Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Hamm auf Erlass eines förmlichen Auslieferungshaftbefehls abgelehnt, weil ein Haftgrund nicht vorgelegen hatte. Er hatte zudem darauf hingewiesen, dass den Auslieferungsunterlagen der dem Verfolgten in der Türkei gemachte Vorwurf nur rudimentär zu entnehmen sei. Inzwischen sind die türkischen Behörden von der Generalstaatsanwaltschaft um ergänzende Stellungnahme gebeten worden. Sie haben nun weitere Angaben zu dem dem Verfolgten zur Last gelegten Tatgeschehen gemacht.
Daraus ergibt sich nun mit einer für das Auslieferungsverfahren ausreichenden Bestimmtheit, dass der Verfolgte im Jahr 1985, zu einem Zeitpunkt, als die Geschädigte gerade 15 Jahre alt war, seine Stieftochter F.C. vergewaltigt haben soll. Er habe sich ihr an einem Tag, an dem ihre Mutter zur Arbeit abwesend war, sexuell genähert und sie unter Drohung mit einem Messer zum Geschlechtsverkehr gezwungen.
Dem demgemäss nunmehr gestellten Antrag, die Auslieferung für zulässig zu erklären, war zu entsprechen.
Die türkischen Behörden haben mit Verbalnote der türkischen Botschaft vom 5. Dezember 2000, die an das Auswärtige Amt gerichtet ist, unter Beifügung der Auslieferungsunterlagen um die Auslieferung des Verfolgten in die Türkei ersucht. Die Auslieferung ist gestützt auf den Versäumnishaftbefehl des 3. Schwurgerichts von Bursa vom 23. Oktober 1989 - Az.: 1988/22 - in Verbindung mit der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Bursa vom 14. Januar 1998 - Nr. 1988/ 2 B.
Die Auslieferungsfähigkeit folgt aus Art. 1 und Art. 2 Abs. 1 EuAlÜbk.
Die dem Verfolgten zur Last gelegte Straftat ist nach türkischen Strafrecht gemäss Art. 414 Abs. 2, 80, 417, 31, 33 des türkischen StGB strafbar. Die Strafbarkeit nach deutschem Recht folgt aus § 177 StGB und ist mit Freiheitsstrafe im Höchstmaß von mindestens einem Jahr bedroht.
Der Verfolgte ist türkischer Staatsangehöriger.
Der Zulässigkeit der Auslieferung steht nicht entgegen, dass der Verfolgte nicht gemäß § 28 IRG vernommen worden ist. Zwar ist diese Vernehmung grundsätzlich unverzichtbar, (Schomburg/Lagodny, IRG, 3. Aufl., § 28 Rn. 1). Der Verfolgte ist jedoch zweimal durch das zuständige Amtsgericht durch Zustellungsurkunde, die er bei der ersten Zustellung auch persönlich in Empfang genommen hat, zur Vernehmung geladen worden. Diesen Ladungen hat er jedoch keine Folge geleistet. Ihm ist damit ausreichend Gelegenheit zum rechtlichen Gehör gewährt worden.
Die Auslieferung des Verfolgten ist auch nicht wegen der langen Dauer des Verfahrens, in dem nun mehr als 16 Jahre nach Begehung der Tat durch den Verfolgten die Auslieferung zur Strafverfolgung beantragt wird, unzulässig. Die Taten sind bislang nach türkischem Recht nicht verjährt. Ferner ist grundsätzlich davon auszugehen, dass der um Auslieferung eines Verfolgten zur Strafvollstreckung ersuchende Staat mit seinem Auslieferungsantrag zum Ausdruck bringt, dass seine Rechtsordnung die Strafverfolgung und die sich ggf. daran anschließende Strafvollstreckung einer Verurteilung im eigenen Hoheitsbereich zulässt. Der ersuchte Staat ist nicht gehalten, diese rechtliche Beurteilung, die eine ausschließliche Angelegenheit des ersuchenden Staates ist, zu überprüfen (vgl. BVerfG, o.g. Beschluss vom 31. August 1986).
Auch angesichts der Gesamtverfahrensdauer von inzwischen mehr als 15 Jahren stehen vorliegend die völkerrechtlichen Mindeststandards und die unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätze der öffentlichen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland einer Auslieferung nicht entgegen. Insoweit hat der Senat zwar in seinem Beschluss vom 16. Juni 1998 in (2) 4 Ausl. 563/96 (75/97) = NStZ-RR 1998, 351 die Auslieferung eines Verfolgten in die Türkei zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe von vier Jahren, die durch Abwesenheitsurteil vom 17. April 1990 wegen der am 22. November 1975 begangenen fahrlässigen Tötung von zwei Menschen verhängt worden war, für unzulässig erklärt. Während wesentlicher Gesichtspunkt jener Entscheidung jedoch der Umstand war, dass dem damaligen Verfolgten lediglich der Vorwurf einer leichten Fahrlässigkeit gemacht worden ist, unterscheidet sich der vorliegende Sachverhalt insbesondere dadurch, dass es sich um vorsätzlich begangene schwere Straftaten zum Nachteil eines 15-jährigen Kindes handeln soll (vgl. dazu auch Beschluss des Senats in (2) 4. Ausl. 629/97 (33/01) vom 17. Mai 2001).
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