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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 2 BL 22/02 OLG Hamm

Leitsatz: Zur Außervollzugsetzung eines Haftbefehls in einem Steuerstrafverfahren

Senat: 2

Gegenstand: Haftprüfung, BL 6

Stichworte: Haftprüfung durch das OLG, wichtiger Grund, umfangreiche Ermittlungen, Außervollzugsetzung, Fluchtgefahr

Normen: StPO 121, StPO 112

Beschluss: Strafsache
gegen W.P.,
wegen Steuerhinterziehung (hier: Haftprüfung durch das Oberlandesgericht).

Auf die Vorlage der (Original-)Akten zur Haftprüfung gemäß den §§ 121, 122 StPO hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 04. 03. 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht und die Richter am Oberlandesgericht und nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft, des Beschuldigten und seines Verteidigers beschlossen:

Die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus wird angeordnet.

Die Haftprüfung für die nächsten drei Monate wird dem nach den allgemeinen Vorschriften dafür zuständigen Gericht übertragen.

Der Vollzug des Haftbefehls des Amtsgerichts Bochum vom 06. Februar 2002 - 64 Gs 504/02 wird unter folgenden Auflagen außer Vollzug gesetzt:

1.Der Beschuldigte hat unter folgender Anschrift Wohnung zu nehmen: XXXXXXXXX. Er hat jede Wohnsitzänderung der Staatsanwaltschaft Bochum mitzuteilen.
2. Der Beschuldigte darf bis auf weiteres das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland nicht verlassen. Reisen innerhalb Deutschlands, die länger als drei Tage dauern, sind vorher der Staatsanwaltschaft Bochum anzuzeigen. Der Beschuldigte darf bis auf weiteres ggf. beantragte neue Personalpapiere nicht vom Einwohnermeldeamt in Empfang nehmen.
3. Der Beschuldigte hat allen Ladungen von Gerichten und Staatsanwaltschaft Folge zu leisten.
4. Der Beschuldigte hat sich zweimal wöchentlich, und zwar Montags und Donnerstags bei der für seinen Wohnsitz zuständigen Polizeidienststelle zu melden.
5. Der Beschuldigte hat eine Sicherheitsleistung in Höhe von 50.000 EURO zu erbringen. Die Sicherheitsleistung kann in bar oder durch unwiderrufliche selbstschuldnerische Bürgschaft einer bundesdeutschen Großbank oder öffentlichen Sparkasse erbracht werden.

Gründe
I.
Der Beschuldigte wurde am 23. August 2001 vorläufig festgenommen. Er befand sich dann zunächst aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Bochum vom 24. August 2001 (64 Gs 3932/01) in Untersuchungshaft. Der Haftbefehl und der Haftverschonungsbeschluss vom selben Tag, der jedoch nicht in Kraft getreten ist, wurden mit Beschluss vom 25. September 2001 aufgehoben und durch den Haftbefehl vom 25. September 2001 (64 Gs 4426/01), der dem Beschuldigten am 28. September 2001 verkündet worden ist, ersetzt. Dieser Haftbefehl wurde durch den Haftbefehl des Amtsgerichts Bochum vom 6. Februar 2002 (64 Gs 504/02) ersetzt. Dieser Haftbefehl ist dem Beschuldigten am 8. Februar 2002 verkündet worden.

Dem Beschuldigten wird im Haftbefehl vom 6. Februar 2002 zur Last gelegt, in den Jahren 1995, 1998 bis Januar 2001 sowie in den Monaten März bis Juli 2001 Umsatz- und Lohnsteuer dadurch hinterzogen zu haben, dass er als tatsächlicher Betreiber und wirtschaftlicher Inhaber einer Firma, die auf den Namen seiner Lebensgefährtin Lohnsteueranmeldungen abgegeben hat. Dadurch soll ein Steuerschaden von rund 200.000 DM (106.000 EURO) bei der Umsatzsteuer und rund 600.000 DM (306.000 EURO) bei der Lohnsteuer entstanden sein. Wegen der weiteren Einzelheiten, insbesondere wegen des dem Beschuldigten im Einzelnen zur Last gelegten Tatgeschehens, wird auf den genannten Haftbefehl vom 06. Februar 2002 Bezug genommen.

Das Amtsgericht hat die Fortdauer der Untersuchungshaft für erforderlich angesehen und die Akten dem Senat durch Vermittlung der Staatsanwaltschaft Bochum und der Generalstaatsanwaltschaft zur Entscheidung über die Haftfortdauer gemäß den §§ 121, 122 StPO vorgelegt. Der Verteidiger hat in seiner Stellungnahme Aufhebung bzw. Außervollzugsetzung des Haftbefehls beantragt.

II.
Die Fortdauer der Untersuchungshaft des Beschuldigten über sechs Monate hinaus war, entsprechend dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft, anzuordnen. Allerdings konnte der Haftbefehl erneut gegen Auflagen außer Vollzug gesetzt werden (§ 116 StPO).

1. Es besteht gegen den Beschuldigten dringender Tatverdacht hinsichtlich der ihm im Haftbefehl vom 6. Februar 2002 zur Last gelegten Taten. Dies ergibt sich aus der Einlassung des Beschuldigten, der seit dem 29. Oktober 2001 weitgehend geständig ist, sowie aus den vom Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung Bochum ausgewerteten Unterlagen und den Angaben der Mitbeschuldigten L. und F..

Allerdings ist der Beschuldigte nicht nur in 78 Fällen der Steuerhinterziehung dringend verdächtig, sondern bei 81 Taten. Die Addition der im Haftbefehl aufgeführten Einzeltaten ergibt 81 und nicht nur 78 Taten, wie Staatsanwaltschaft und Amtsgericht, das den von der Staatsanwaltschaft vorgefertigten Haftbefehlsentwurf übernommen hat, berechnet haben.

2. Als Haftgrund ist bei dem Beschuldigten (noch) der des § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO gegeben. Der Beschuldigte ist dringend verdächtig, Steuerhinterziehungen mit einem erheblichen Schaden begangen zu haben. Er hat deswegen, worauf die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend hingewiesen hat, mit einer empfindlichen, langjährigen Freiheitsstrafe zu rechnen, die mit Sicherheit nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt werden kann. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Beschuldigte in der Vergangenheit bereits zweimal wegen Steuerhinterziehung in Erscheinung getreten ist. Er ist deswegen erst am 21. Januar 1994 vom Landgericht Bochum zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 3 Monaten verurteilt worden und hat die diesem Verfahren zugrunde liegenden Taten aus dem Vollzug heraus begangen. Diese hohe Straferwartung stellt zwar einen nicht unerheblichen Fluchtanreiz dar. Der Senat hat jedoch bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass eine hohe Straferwartung allein die Fluchtgefahr im Sinn von § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO grundsätzlich nicht begründen kann (vgl. Senat in StV 1999, 37; StV 1999, 215; StraFo 1999, 248; NStZ-RR 2000, 188 = StraFo 2000, 203; StV 2001, 685 = StraFo 2002, 23). Vielmehr müssen bestimmte Tatsachen vorliegen, die den Schluss rechtfertigen, der Beschuldigte werde dem in der hohen Straferwartung liegenden Fluchtanreiz nachgeben (so auch die übrige obergerichtliche Rechtsprechung, vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl., 2001, § 112 Rn. 24 ff. mit weiteren Nachweisen). Die Beurteilung der Fluchtgefahr erfordert neben der Straferwartung die Berücksichtigung aller Umstände des Falles, wozu insbesondere auch die Lebensverhältnisse des Beschuldigten zählen.

Diese damit erforderliche Gesamtschau aller Umstände führt vorliegend dazu, dass zwar noch Fluchtgefahr besteht, diese aber nicht so stark ist, dass ihr nicht durch andere Maßnahmen als dem Vollzug der Untersuchungshaft begegnet werden könnte. Dabei berücksichtigt der Senat einerseits die schon beträchtliche Höhe des Steuerschadens. Es darf aber auch nicht übersehen werden, dass der Beschuldigte offenbar stabile soziale Bindungen zu seiner langjährigen Lebensgefährtin hat, mit der er zusammen mit den Kindern in den vergangenen Jahren zusammengelebt hat. Zudem handelt es sich bei dem Beschuldigten um einen jetzt 54-jährigen Mann, der von seinen persönlichen Voraussetzungen her - der Beschuldigte ist ohne Schulabschluss - kaum in der Lage sein dürfte, sich ins Ausland abzusetzen und dort zu leben. Dem Beschuldigten dürften zudem die dafür erforderlichen finanziellen Mittel nicht zur Verfügung stehen. Den Ermittlungen lässt sich nicht entnehmen, dass der Beschuldigte Vermögenswerte ins Ausland verschoben hat. Jedenfalls wird er nach Hinterlegung der Kaution von 50.000 EURO nicht mehr über ausreichende Mittel zur Flucht verfügen. Soweit die Generalstaatsanwaltschaft darauf verweist, dass gegen den Beschuldigten auch noch ein Verfahren wegen Betruges zum Nachteil der Sozialversicherungsträger anhängig ist (Verfahren 35 Js 23/02 StA Bochum), weist der Senat darauf hin, dass sich den dem Senat vorliegenden Akten zu diesen Taten, die nicht Gegenstand des vorliegenden Haftprüfungsverfahrens sind, nichts Näheres entnehmen lässt. Sie haben hier daher auch bei der Prüfung der Fluchtgefahr außer Betracht zu bleiben.

3.
Die übrigen für die grundsätzliche Anordnung der Fortdauer der Untersuchungshaft erforderlichen Voraussetzungen im Verfahren nach den §§ 121, 122 StPO sind ebenfalls gegeben (vgl. dazu Senat in StV 2000, 631[ Ls.] = ZAP EN-Nr. 747/2000).

Es steht die bisher gegen den Beschuldigten vollzogene Untersuchungshaft nämlich nicht außer Verhältnis zur Bedeutung des Tatvorwurfs und der im Fall der Verurteilung zu erwartenden Freiheitsstrafe.

Die besonderen Voraussetzungen des § 121 Abs. 1 StPO, unter denen die Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus fortdauern darf, sind ebenfalls auch noch gegeben, da wichtige Gründe ein Urteil bislang noch nicht zugelassen haben und die Fortdauer und den Vollzug der Untersuchungshaft grundsätzlich rechtfertigen.

Nach der Festnahme des Beschuldigten sind zunächst die umfangreichen und schwierigen Ermittlungen in dem Steuerstrafverfahren weiter geführt worden. Die Ermittlungsbehörden haben die beschlagnahmten Unterlagen ausgewertet. Zudem sind weitere Durchsuchungen, u.a. bei Banken, durchgeführt worden. Die dabei sichergestellten Unterlagen haben die Ermittlungsbehörden dann ebenfalls auswerten müssen. In der Folgezeit sind dann noch Zeugen und Mitbeschuldigten vernommen worden. Die Staatsanwaltschaft hat außerdem die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Frage des § 66 StGB für erforderlich gehalten. Dieses hat sie am 19. November 2001 in Auftrag gegeben. Das schriftliche Gutachten liegt seit dem 2. Februar 2002 vor. Das Finanzamt für Steuerstrafsachen Bochum hat seinen strafrechtlichen Schlussbericht unter dem 4. Februar 2002 erstattet. In den dem Senat vorliegenden Originalakten befindet sich bislang eine Anklage nicht. Die Generalstaatsanwaltschaft hat jedoch in ihrem Übersendungsbericht mitgeteilt, "dass die Anklage bereits abgefasst worden sei". Nur im Hinblick darauf ist der Verfahrensablauf noch nicht zu beanstanden ist. Vermeidbare Fehler und Versäumnisse der Justizbehörden können angesichts des Umfangs der erforderlichen Ermittlungen noch nicht festgestellt werden.

Der Senat weist allerdings darauf hin, dass, nachdem sich der Beschuldigte nunmehr mehr als sechs Monate in Untersuchungshaft befindet, die Staatsanwaltschaft Bochum entsprechend der Mitteilung der Generalstaatsanwaltschaft nunmehr unverzüglich die bereits abgefasste Anklage beim Landgericht zu erheben hat. Weiteres Abwarten ist im Hinblick auf den sich aus Art. 2 GG ergebenden Freiheitsanspruch des noch nicht verurteilten Beschuldigten nicht mehr hinnehmbar.

IV.
Die Nebenentscheidung beruht auf § 122 Abs. 3 Satz 3 StPO.


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