Aktenzeichen: 2 Ss 836/01 OLG Hamm
Leitsatz: Setzt sich das Gericht mit seiner Beweiswürdigung in Widerspruch zu einer Ansicht des Sachverständigen, dann muss es die Gegengründe des Sachverständigen ausführlich erörtern und mit eigenen Gründen so widerlegen, dass ersichtlich wird, dass es das von ihm beanspruchte bessere Sachwissen auf dem zur Erörterung stehenden Teilbereich des fremden Wissensgebietes zu Recht für sich in Anspruch nimmt.
Senat: 1
Gegenstand: Revision
Stichworte: Sachverständigengutachten, Abweichung, erforderlicher Umfang der Begründung, gefährliche Körperverletzung
Normen: StGB 20, StGB 224, StPO 261
Beschluss: Strafsache
gegen F.M.
wegen gefährlicher Körperverletzung und Körperverletzung
Auf die (Sprung-)Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Bochum vom 29. Januar 2001 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 08. 02. 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
Das angefochtene Urteil wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung, begangen am 25. Mai 2000, verurteilt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens einschließlich der insoweit entstandenen notwendigen Auslagen der Nebenklägerin, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Bochum zurückverwiesen.
Gründe:
Der Angeklagte ist durch das angefochtene Urteil wegen gefährlicher Körperverletzung begangen im Zustand verminderter Schuldfähigkeit in Tatmehrheit mit Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt worden, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist.
Wegen der zum Nachteil seiner Tochter K. am 9. April 2000 begangenen vorsätzlichen Körperverletzung hat das Amtsgericht eine Einzelstrafe von 50 Tagessätzen zu je 100,- DM und wegen der am 25. Mai 2000 zum Nachteil seiner geschiedenen Ehefrau begangenen gefährlichen Körperverletzung eine Einzelstrafe von 11 Monaten festgesetzt.
Die Revision richtet sich ausschließlich gegen die Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung zum Nachteil seiner geschiedenen Ehefrau und ist insoweit beschränkt worden.
Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils ist die Ehe des Angeklagten und der Zeugin I.M. im Jahre 1998 geschieden worden, nachdem sich die Zeugin bereits zuvor einem anderen Mann zugewandt hatte. Der Angeklagte konnte die Trennung nicht verwinden und belästigte die Zeugin und ihren Lebensgefährten vielfach. Zudem hatte sich ein Streit über die Schenkung eines Betrages von 40.000,- DM an die beiden Töchter des Angeklagten und eine mögliche Rückzahlung dieses Betrages entwickelt.
Zu der Tat vom 25. Mai 2000 enthält das Urteil folgende Feststellungen:
Am 25.05.2000 fand wegen der ständigen Belästigungen durch den Angeklagten, die unter anderem in dem Strafverfahren 63 Js 156/2000 Staatsanwaltschaft Bochum ihren Niederschlag gefunden hatten, in der Fachstelle für Täter-Opferausgleich in Bochum unter Leitung der Zeugin W. ein Ausgleichsgespräch zwischen dem Angeklagten und der Zeugin I.M. statt, an dem auch die Töchter des Angeklagten teilnahmen. Das Gespräch musste jedoch abgebrochen werden, da der Angeklagte, nachdem ihm die Rückzahlung der 40.000,- DM verweigert wurden, sowohl seine geschiedene Ehefrau, wie auch seine Kinder damit bedrohte ihnen in die Fresse zu schlagen, wenn er sein Geld nicht bekomme. Nach Beendigung des Gesprächs war der Angeklagte immer noch sehr aufgebracht, weil er sein Geld nicht zurückerhalten sollte und entschloss sich nochmals, seine Ex-Frau zur Rede zu stellen. Hierzu fuhr er zunächst die Wohnung seiner Ex-Frau an, sodann die Wohnung der Tochter, wie auch der Schwiegereltern und letztlich als er seine Ex-Frau nicht antreffen konnte, die Wohnung des jetzigen Lebensgefährten der Zeugin I.M. auf dem Grundstück F.M. 17. Als die Zeugin die Haustür aufschließen wollte, schlug ihr der Angeklagte mehrfach, zumindest zweimal, mit der Faust mit erheblicher Wucht ins Gesicht und auch in den Magen. Die Versuche der Zeugin, sich gegen die Schläge zu wehren, führten dazu, dass ihr der Angeklagte nochmals mit der Faust ins Gesicht schlug. Durch die Schläge fiel die Zeugin zu Boden. Der Angeklagte kümmerte sich sodann nicht weiter um die Zeugin, obwohl er bemerkt hatte, dass durch seine Schläge das Nasenbein gebrochen war und die Nase schief im Gesicht stand. Sodann fuhr er davon.
Der Angeklagte war zum Zeitpunkt der Tat vermindert schuldfähig im Sinne des § 21 StGB. Zwar war seine Einsichtsfähigkeit nicht beeinträchtigt, wohl aber seine Steuerungsfähigkeit. Als ursächlich hierfür ist eine Persönlichkeitsstörung anzusehen, die sich im Rahmen der Trennung von seiner Ehefrau ausgebildet hat. Ausgehend von dieser Persönlichkeitsstörung mit fanatischen Anteilen, die sich im Rahmen einer narzisstischen Kränkung bei dem Angeklagten ausgebildet hat, bestand zur Tatzeit eine affektive Bewusstseinseinengung und damit eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit.
Die Zeugin I.M. wurde durch die erlittenen Schläge in lebensgefährlicher Weise verletzt. Sie musste sich für die Zeit vom 25.05.2000 bis 31.05.2000 in stationäre Behandlung ergeben. Dort wurde ein Monockelhämatom links, sowie ein stark ausgeprägtes Hämatom der rechten Orbita und des rechten Jochbogens festgestellt. Darüber hinaus ergab die radiologische Untersuchung eine Jochbeinfraktur mit Beteiligung des Orbitabodens sowie des Jochbodens und der Kieferhöhle rechtsseitig und eine Nasenbeinfraktur. Am 26.05.2000 musste daher operativ eine Orbitabodenrevision mit Jochbeinverplattung rechts sowie eine Nasenbeinreposition durchgeführt werden. Eine weitere Operation wird erforderlich, um die bei der Operation verwandten Metallteile wieder zu entfernen. Die Zeugin leidet bis heute unter Taubheitsgefühlen im Gesichtsbereich. Eine Besserung dieser Beschwerden ist nicht zu erwarten. Darüber hinaus hat die Zeugin ein psychisches Trauma erlitten. Sie ist jedoch zur Zeit nicht in entsprechender ärztlicher Behandlung.
Nach dem 25.05.2000 befand sich der Angeklagte zunächst in Untersuchungshaft. Die Aussetzung der Untersuchungshaft nutzte der Angeklagte jedoch erneut, um seine geschiedene Ehefrau zu belästigen und zu bedrohen. Er musste daraufhin zur Verhinderung weiterer Straftaten am 09. August 2000 erneut in Untersuchungshaft genommen werden. Nach Aufhebung des entsprechenden Haftbefehls und Entlassung des Angeklagten am 07.09.2000 ist es jedoch zu keinen weiteren Belästigungen bzw. Bedrohungen der Zeugin Ingeborg Müller mehr gekommen.
Zur Frage, ob die Schuldfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit erheblich vermindert oder ausgeschlossen war, hat das Amtsgericht die folgenden Feststellungen getroffen:
Aufgrund des von dem Sachverständigen Dr. G. im Rahmen der Hauptverhandlung erstatteten Sachverständigengutachtens ist ferner davon auszugehen, dass der Angeklagte zur Tatzeit im Sinne des § 21 StGB vermindert schuldfähig war. Der Sachverständige hat insoweit nachvollziehbar dargelegt, dass der Angeklagte im Zuge der Trennung von seiner Ex-Ehefrau eine Persönlichkeitsstörung im Sinne einer schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne des § 21 StGB entwickelt hat.
Grundlage dieser Persönlichkeitsstörung ist eine narzisstische Erkrankung mit fanatischen Anteilen, die dazu führte, dass der Angeklagte am 25.05. in der dortigen affektiven Ausnahmesituation in seiner Steuerungsfähigkeit in erheblichem Umfang vermindert war. Ausgehend von den von dem Sachverständigen durchgeführten Explorationen des Angeklagten und seiner Einlassung in der Hauptverhandlung hielt der Sachverständige es auch für denkbar, dass während des affektiven Ausnahmezustandes selber die Steuerungsfähigkeit letztendlich am Ende auch gänzlich aufgehoben gewesen sein könne.
Das Gericht ist dem Sachverständigen insoweit nicht gefolgt. Ausgehend von der Richtigkeit der Aussage zum Tathergang, so wie ihn die Zeugin I.M. geschildert hat, hat es während des Tatablaufes keinen Bruch gegeben, der ihm Rahmen des Tatverlaufs eine differenzierte Betrachtungsweise hinsichtlich der Schuldfähigkeit rechtfertigen könnte. Danach kann zugunsten des Angeklagten für den gesamten Tathergang des 25.05.2000 lediglich von einer verminderten Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB ausgesprochen (gemeint offensichtlich: ausgegangen) werden.
Die auf diese Tat wirksam beschränkte Revision des Angeklagten hat mit der in zulässiger Weise erhobenen Rüge der Verletzung materiellen Rechts zumindest vorläufig Erfolg.
Die bislang vom Tatrichter getroffenen Feststellungen tragen die Verurteilung des Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB nicht.
Der Schuldspruch begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken:
Die Darlegung in den Urteilsgründen, warum entgegen den Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen das Vorliegen der Voraussetzungen des § 20 StGB auszuschließen ist, genügt - worauf die Revision zu Recht hinweist - den aus § 261 StPO herzuleitenden Anforderungen an die Urteilsgründe nicht.
Setzt sich nämlich das Gericht mit seiner Beweiswürdigung in Widerspruch zu der Ansicht des Sachverständigen, dann muss es die Gegengründe des Sachverständigen ausführlich erörtern und mit eigenen Gründen so widerlegen, dass ersichtlich wird, dass es das von ihm beanspruchte bessere Sachwissen auf dem zur Erörterung stehenden Teilbereich des fremden Wissensgebietes zu Recht für sich in Anspruch nimmt (vgl. BGH NStZ 1983, 377; LR-Gollwitzer, StPO, 25. Aufl., § 261
Rdnr. 91; KK-Engelhardt, StPO, 4. Aufl., § 261 Rdnr. 33, jeweils m.w.N.).
Gegebenenfalls muss es bei fehlendem eigenen Sachwissen im Fall des Abweichens von der Beurteilung eines Sachverständigen einen weiteren Sachverständigen hören.
Vorliegend hat der Tatrichter lediglich ausgeführt, es habe während des Tatablaufes keinen Bruch gegeben, der eine differenzierte Betrachtungsweise hinsichtlich der Schuldfähigkeit rechtfertigen könnte. Das Gericht lässt jedoch offen, aus welchen Umständen der Sachverständige es für denkbar gehalten hat, dass die Steuerungsfähigkeit gegen Ende der Tatausführung auch gänzlich aufgehoben gewesen sein könnte. Insoweit lässt das Urteil auch die erforderliche Mitteilung der Anknüpfungstatsachen vermissen, wobei zudem offen bleibt, von welchem Zeitpunkt an der Sachverständige von einer möglichen Schuldunfähigkeit ausgegangen ist.
Wenn es nach der vom Tatrichter vorgenommenen Beweiswürdigung während des Tatablaufs keinen Bruch gegeben hat, bliebe - wenn man die Beurteilung des Sachverständigen zugrunde legen würde - auch die Möglichkeit, dass der Angeklagte zum Zeitpunkt sämtlicher Körperverletzungshandlungen schuldunfähig war. Auch hierzu lassen die Urteilsgründe die erforderliche Auseinandersetzung vermissen.
Das Urteil kann daher im angefochtenen Umfang keinen Bestand haben, so dass es insoweit mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsmittels an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Bochum zurückzuverweisen war (§ 354 Abs. 2 StPO).
Für die neue Verhandlung weist der Senat darauf hin, dass die bislang getroffenen Feststellungen nicht ausreichen, um eine Subsumtion des Tatgeschehens unter das Tatbestandsmerkmal einer das Leben gefährdenden Behandlung im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB rechtsfehlerfrei vornehmen zu können.
Das Amtsgericht hat hierzu festgestellt, die Nebenklägerin sei durch die erlittenen Schläge in lebensgefährlicher Weise verletzt worden und hat im Anschluss daran mehrere Hämatome und Knochenbrüche aufgelistet. Es versteht sich aber nicht von selbst, dass die erlittenen Verletzungen lebensgefährlich waren, auch wenn sie sich im Bereich des Kopfes befunden haben. Dazu hätte es zumindest näherer Ausführungen bedurft, zumal medizinisches Allgemeinwissen für die Beurteilung dieser Frage in der Regel nicht ausreichen dürfte.
Wenn aber die Verletzungen als solche nicht lebensgefährlich sein sollten, bedürfte es näherer Ausführungen und der Darlegung weiterer Einzelheiten, warum die Behandlung, die zu diesen Verletzungen geführt hat, als zumindest abstrakt geeignet für eine Lebensgefährdung anzusehen ist. Auch bei Faustschlägen auf den Kopf sind insoweit nähere Ausführungen nicht entbehrlich (vgl. BGH StV 1988, 65; OLG Düsseldorf JZ 1995, 908; OLG Köln StV 1994, 247 und NJW 1983, 2274; LK-Lilie, StGB, 11. Aufl., § 224 Rdnr. 36 und 37 m.w.N.).
Für den Fall, dass in der neuen Hauptverhandlung hinreichende Feststellungen zur Tatbestandserfüllung des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB getroffen und Schuldunfähigkeit ausgeschlossen werden können, jedoch von erheblich verminderter Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB auszugehen sein sollte, müssen die Urteilsgründe auch zu erkennen geben, dass sich das Gericht der Möglichkeit bewusst war, dass im Hinblick auf den vertypten Milderungsgrund des § 21 StGB auch die Annahme eines minder schweren Falles gemäß § 224 Abs. 1 Halbsatz 2 StGB möglich wäre (vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 50. Aufl., § 50 Rdnr. 2, 2 a m.w.N.). Eine Ausnahme hiervon ist nur dann möglich, wenn alle Umstände, die für diese Wertung bedeutsam sein können, von vornherein die Annahme eines minder schweren Falles als so fernliegend oder gar abwegig erscheinen lassen, dass die Verneinung auf der Hand liegt (vgl. BGH GA 1987, 227). Eine sich dann ggf. ergebende Verschiebung des Strafrahmens ließe jedoch den Unrechtsgehalt des deliktischen Verhaltens als solches unberührt.
Im übrigen gehört zu der gem. § 260 Abs. 4 Satz 1 StPO in die Urteilsformel aufzunehmenden rechtlichen Bezeichnung der Tat nicht eine Strafzumessungsregel wie § 21 StGB (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl., § 260 Rdnr. 25 m.N.).
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