Aktenzeichen: 3 Ss 209/02 OLG Hamm
Leitsatz: Ein bloßes Dulden des Betäubungsmittelkonsums in der gemeinsamen Wohnung reicht zur Tatbestandserfüllung des " Gewähren einer Gelegenheit zum unbefugten Verbrauch von Betäubungsmitteln" nicht aus. Erforderlich ist vielmehr eine darüber hinausgehende Unterstützung des Betäubungsmittelkonsums, etwa in der Weise, dass der Täter günstige Bedingungen zum Konsum von Betäubungsmitteln schafft.
Zum Umfang der erforderlichen Feststellungen.
Senat: 3
Gegenstand: Revision
Stichworte: BtM, Dulden von BtM-Konsum, Umfang der Feststellungen
Normen: BtMG 29, StPO 267
Beschluss: Strafsache
gegen S.G,
wegen Verstoßes gegen das BtM-Gesetz
Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der XI. kleinen Strafkammer des Landgerichts Essen vom 05.11.2001 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 04. 04. 2002 durch den Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und des Angeklagten bzw. seines Verteidigers gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Dem Angeklagten wird auf seine Kosten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist gewährt.
2. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der XI. kleinen Strafkammer des Landgerichts Essen vom 05.11.2001 mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
3. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Essen zurückverwiesen.
G r ü n d e :
I.
Das Amtsgericht Gelsenkirchen hat den Angeklagten am 25.06.2001 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Auf die Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Essen das Urteil des Amtsgerichts Gelsenkirchen vom 25.06.2001 mit dem angefochtenen Urteil aufgehoben und den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Gewähren einer Gelegenheit zum unbefugten Verbrauch, Erwerb oder unbefugter Abgabe von Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt. Die weitergehende Berufung des Angeklagten hat das Landgericht verworfen.
Gegen das in Anwesenheit des Angeklagten verkündete Urteil hat dieser mit am 06.11.2001 beim Landgericht Essen eingegangenem Schreiben seines Verteidigers vom 05.11.2001 Revision eingelegt.
Dem Verteidiger ist das angefochtene Urteil am 29.11.2001 zugestellt worden. Die Revisionsbegründung des Verteidigers war bis zum Ablauf der Revisionsbegründungfrist nicht beim Landgericht eingegangen. Daraufhin hat das Landgericht die
Revision des Angeklagten mit Beschluss vom 09.01.2002 gemäß § 346 Abs. 1 StPO mangels fristgerechter Revisionsbegründung als unzulässig verworfen.
Mit am 11.01.2002 beim Landgericht Essen eingegangenem Schreiben seines Verteidigers vom selben Tage hat der Angeklagte beantragt, ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist zu gewähren und zur Begründung vorgetragen, die Revisionsbegründung sei durch die Urlaubsabwesenheit des Verteidigers und die Notbesetzung seiner Kanzlei versäumt worden. Dies hat der Verteidiger anwaltlich versichert. Gleichzeitig hat der Verteidiger die Rüge der Verletzung materiellen Rechts erhoben und nach Zustellung der Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft vom 13.03.2002 mit Schreiben vom 25.03.2002 näher ausgeführt.
II.
Dem Angeklagten war auf seine Kosten, § 473 Abs. 7 StPO, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Revisionsbegründung gemäß § 345 Abs. 1 StPO zu gewähren. Der Verteidiger hat insoweit hinreichend glaubhaft gemacht, dass die verspätete Begründung der Revision auf ein Kanzleiversehen zurückzuführen ist, das dem Angeklagten nicht zugerechnet werden kann, § 44 StPO.
Mit der Gewährung von Wiedereinsetzung ist der Beschluss des Landgerichts vom 09.01.2002 gegenstandslos.
III.
Die nach der Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zulässige Revision des Angeklagten hat auch in der Sache einen zumindest vorläufigen Erfolg. Die Feststellungen des angefochtenen Urteils tragen nämlich nicht die Verurteilung auch wegen Gewähren einer Gelegenheit zum unbefugten Verbrauch, Erwerb oder unbefugter Abgabe von Betäubungsmitteln gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 10 BtMG a.F..
Zunächst ist für die hier am 12.01.2001 begangene Tat des Angeklagten das Betäubungsmittelgesetz in der seit dem 01.04.2000 gültigen Fassung anzuwenden. Nach der Neufassung des Betäubungsmittelgesetzes ist in § 29 Abs. 1 Nr. 10 BtMG das Gewähren einer Gelegenheit zum unbefugten Erwerb oder zur unbefugten Abgabe von Betäubungsmitteln unter Strafe gestellt, das Gewähren einer Gelegenheit zum unbefugten Verbrauch von Betäubungsmitteln wird dagegen nunmehr von § 29 Abs. 1 Nr. 11 BtMG erfasst. Hier kommt nach den Feststellungen des Landgerichts ohnehin nur eine Straftat nach § 29 Abs. 1 Nr. 11 BtMG (Gewähren einer Gelegenheit zum unbefugten Verbrauch von Betäubungsmitteln) in Betracht, da das Landgericht allein darauf abgestellt und auch allein Feststellungen dazu getroffen hat, dass der Angeklagte seiner damaligen Lebensgefährtin seine Wohnung zur Verfügung stellte, damit diese dort Betäubungsmittel konsumieren konnte. Das Landgericht hat insoweit folgende Feststellungen getroffen:
Der Angeklagte hatte damit gerechnet, dass sich in seiner Wohnung Betäubungsmittel befanden. Er lebte damals mit seiner Freundin M.P. zusammen, der die in der Wohnung aufgefundenen Betäubungsmittel gehörten. Der Angeklagte wusste, dass seine Freundin in seiner Wohnung Betäubungsmittel aufbewahrte. Er rechnete zumindest damit, dass sie sie dort jedenfalls teilweise auch konsumierte - was sie auch tat -, weil sie dort ungestört war und nahm dies billigend in Kauf. Er war sich lediglich nicht im Klaren über die doch recht erhebliche Menge.
Diese Feststellungen tragen jedoch auch nicht eine Verurteilung wegen Gewähren einer Gelegenheit zum unbefugten Verbrauch von Betäubungsmitteln gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 11 BtMG.
Das Landgericht ist der Ansicht, der Tatbestand dieser Strafbestimmung sei bereits deshalb erfüllt, weil der Angeklagte den Betäubungsmittelkonsum seiner damaligen Lebensgefährtin in der Wohnung duldete und sich dabei darüber bewusst war, dass die Lebensgefährtin dort deshalb Betäubungsmittel konsumierte, weil sie in der Wohnung ungestört war. Ein solches bloßes Dulden des Betäubungsmittelkonsums in der gemeinsamen Wohnung reicht jedoch zur Tatbestandserfüllung noch nicht aus (vgl. BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 10 Gelegenheit 2, Urteil vom 16.12.1999). Erforderlich ist vielmehr eine darüber hinausgehende Unterstützung des Betäubungsmittelkonsums (BGH, a.a.O.) etwa in der Weise, dass der Täter günstige Bedingungen zum Konsum von Betäubungsmitteln schafft (BayObLG, MDR 1983, 75), oder die dort konsumierten Betäubungsmittel dem Konsumenten zuvor verschafft oder zum Verbrauch überlassen hat (BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 10 Gelegenheit 1, Beschluss vom 16.09.1998). Entscheidend ist damit, ob der Täter dem Betäubungsmittelkonsumenten überhaupt erst die Möglichkeit eröffnet, ungestört Betäubungsmittel rauchen zu können - dann wäre bereits der Tatbestand des Verschaffens einer Gelegenheit zum unbefugten Verbrauch von Betäubungsmitteln gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 11 BtMG erfüllt (BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 10 Gelegenheit 1, Beschluss vom 16.09.1998) - oder über das bloße Dulden des Konsums in der gemeinsamen - und zwar nicht nur zum Zwecke des Betäubungsmittelkonsums - bewohnten Wohnung hinaus günstige Bedingungen zum Konsum von Betäubungsmitteln schafft (ebda.). Der Angeklagte hätte damit den Tatbestand des Gewährens (oder Verschaffens) einer Gelegenheit zum unbefugten Erwerb von Betäubungsmitteln dann erfüllt, wenn er seiner damaligen Lebensgefährtin die eigene Wohnung gezielt zum Betäubungsmittelkonsum überlassen bzw. zur Verfügung gestellt hätte (vgl. OLG Frankfurt, StV 1989, 20, 21). Dies war hier jedoch nicht der Fall, da der Angeklagte und die Lebensgefährtin in der fraglichen Wohnung gemeinsam lebten und zwar offenbar nicht nur zu dem Zweck des - gemeinsamen - Betäubungsmittelkonsumes. Damit verbleibt nach den Feststellungen des Landgerichts allein, dass der Angeklagte Mitinhaber einer Wohnung war, in der durch einen Mitbewohner Betäubungsmittel konsumiert worden sind. Dies reicht aber für sich genommen - ohne das Bestehen einer hier nicht erkennbaren Rechtspflicht zum Handeln bzw. Einschreiten - für eine strafrechtliche Haftung nicht aus (OLG Karlsruhe, StV 1998, 80, 81; BGH StV 1999, 212; OLG Zweibrücken,
StV 1999, 213; OLG Celle, StV 2000, 624).
Die Strafkammer wird daher Feststellungen dazu treffen müssen, ob und in welcher Weise der Angeklagte seine damalige Lebensgefährtin über das Dulden des Rauschgiftkonsums in der gemeinsam bewohnten Wohnung hinaus in ihrem Konsum unterstützt oder gefördert hat, und zwar gerade im Hinblick darauf, in der gemeinsamen Wohnung ungestört Rauschmittel konsumieren zu können.
Über die Verurteilung wegen Gewähren einer Gelegenheit zum unbefugten Verbrauch, Erwerb oder unbefugter Abgabe von Betäubungsmitteln hinaus weist das angefochtene Urteil keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf, § 349 Abs. 2 StPO. Der Senat hat allerdings den Schuldspruch insgesamt aufgehoben, da die Strafkammer Tateinheit zwischen dem vorgenannten Delikt und dem rechtsfehlerfrei bejahten Vergehen des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln angenommen hat und zu dieser Tat ergänzende Feststellungen möglich erscheinen.
Soweit die Revision darüber hinaus rügt, dass hier aufgrund einer unzulässigen Durchsuchung des Angeklagten ein Beweisverwertungsverbot bestanden habe, greift diese Rüge bereits deshalb nicht durch, weil es sich um eine Verfahrensrüge handelt, die von dem Angeklagten aber weder in der § 344 Abs. 2 S. 2 StPO gebotenen Form noch innerhalb der Revisionsbegründungsfrist des § 345 Abs. 1 StPO ausgeführt worden ist. Die Rüge wäre im Übrigen auch nicht begründet, da die Voraussetzungen des § 102 StPO für eine Durchsuchung des Angeklagten hier aus den von der Kammer im Einzelnen herausgearbeiteten Gründen vorlagen. Ausreichend ist insoweit, dass nach kriminalistischer Erfahrung Anhaltspunkte vorhanden sind, die die Vermutung begründen, die Durchsicht werde zum Auffinden von Beweismitteln führen (BGH StV 1988, 90; vgl. auch BVerfG NJW 1994, 2079; KK-Nack, StPO, 4. Aufl., § 102 Rdnr. 1). Es muss durch Tatsachen der Verdacht konkretisiert sein, dass eine Straftat begangen worden ist und der Betroffene als Täter oder Teilnehmer in Betracht kommt (KK-Nack, a.a.O.; vgl. auch Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl., § 102 Rdnr. 2). Hierfür reichte hier aus, dass sowohl der Angeklagte als auch der F. den einschreitenden Polizeibeamten als Betäubungsmittelkonsumenten (der Angeklagte) bzw. Dealer (F.) bekannt waren und dass diese im Dunkeln eng beieinander standen. Dieses äußere Erscheinungsbild deutete nach kriminalistischer Erfahrung eindeutig auf ein dort durchgeführtes Drogengeschäft hin.
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