Aktenzeichen: 2 Ws 144/02 OLG Hamm
Leitsatz: Zur Zulässigkeit der längeren Aussetzung der Hauptverhandlung im Jugendgerichtsverfahren, um die Grundlagen für die Rechtsfolgenentscheidung weiter zu ermitteln.
Senat: 2
Gegenstand: Beschwerde
Stichworte: Hauptverhandlung, Aussetzung, Jugendgerichtsverfahren, Beschleunigungsmaxime, Konzentrationsmaxime
Normen: StPO 228, JGG 27, JGG 57
Beschluss: Strafsache
gegen M.Q.
wegen Verstoßes gegen das BtM-Gesetz (hier: Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Aussetzung der Hauptverhandlung).
Auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Bochum vom 22. Januar 2002 gegen den Beschluss der 3. großen Strafkammer des Landgerichts Bochum vom 22. Januar 2002 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 15. Mai 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht und die Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung des Angeklagten beschlossen:
Die Beschwerde wird auf Kosten der Landeskasse, die auch die dem Angeklagten im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen hat, verworfen.
Gründe:
I.
Der Angeklagte ist durch Urteil des Amtsgerichts Bochum vom 26. Oktober 2001 wegen unerlaubten Erwerbs und Besitzes von Betäubungsmitteln unter Einbeziehung einer früheren Jugendstrafe von 1 Jahr und neun Monaten zu einer Einheitsjugendstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt worden. Dagegen hat der Angeklagte Berufung eingelegt. Sein Rechtsmittel hat er in der Berufungshauptverhandlung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Die Jugendkammer hat in der Hauptverhandlung am 22. Januar 2002 diese für einen Zeitraum von ca. 8 Monaten ausgesetzt und dem Angeklagten im Aussetzungsbeschluss - mit dessen ausdrücklichem Einverständnis - aufgegeben, in regelmäßigen Abständen von vier Wochen eine Ärztin zum Drogenscreening aufzusuchen und zu seinem Bewährungshelfer - aus dem früheren Verfahren - Kontakt zu halten. Für den Fall, dass der Angeklagte dem nicht nachkommt, hat sie sich vorbehalten, kurzfristig die Hauptverhandlung anzuberaumen.
Gegen diese Aussetzungsentscheidung hat die Staatsanwaltschaft Bochum noch in der Hauptverhandlung Beschwerde eingelegt, der die Generalstaatsanwaltschaft inzwischen beigetreten ist. Sie ist mit der Staatsanwaltschaft Bochum der Auffassung, dass die Entscheidung der Jugendkammer nicht mehr der Förderung des Verfahrens diene und deshalb unzulässig sei. Die Jugendkammer hat der Beschwerde nicht abgeholfen. In ihrer Nichtabhilfeentscheidung hat sie darauf hingewiesen, dass das Verfahren Ausnahmecharakter habe. Dem Angeklagten solle mit der Aussetzung die Möglichkeit gegeben werden, die Voraussetzungen für die Anwendung des § 31 Abs. 3 JGG zu schaffen. Der Angeklagte hat beantragt, die Beschwerde zu verwerfen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig (vgl. dazu Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl., 2001, § 228 Rn. 16 ff. mit weiteren Nachweisen). Sie hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.
Die von der Jugendkammer getroffene Aussetzungsentscheidung ist unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Falles - ausnahmsweise - nicht zu beanstanden.
Nach § 228 Abs. 1 StPO ist die Aussetzung der Hauptverhandlung grundsätzlich zulässig, wenn Beschleunigungs- und die Konzentrationsmaxime nicht entgegenstehen. Diese gebieten grundsätzlich, dass eine einmal begonnene Hauptverhandlung zügig und unter Vermeidung unnötiger Verzögerungen zu Ende geführt wird (Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Aufl., § 228 Rn. 8 f., Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O., jeweils mit weiteren Nachweisen). Die gesetzlich vorgesehenen (Ausnahme)Fälle der Aussetzung der Hauptverhandlung stellen zwar keine abschließende Regelung dar. Eine Aussetzung kommt jedoch - über die gesetzlich geregelten Fälle hinaus - nur in Betracht, wenn dies zur Förderung des Verfahrens, insbesondere zu besseren Sachaufklärung, oder zur Wahrung von Verfahrensrechten der Beteiligten geboten erscheint. Insoweit ist eine Abwägung vorzunehmen.
Diesen Anforderungen wird die Aussetzungsentscheidung der Jugendkammer vom 22. Januar 2002 noch gerecht. Dies gilt insbesondere unter Berücksichtigung des Umstandes, dass sie im Jugendgerichtsverfahren ergangen ist, das, worauf die Jugendkammer in ihrem Nichtabhilfebeschluss zutreffend hingewiesen hat, die Möglichkeit zu flexiblen Entscheidungen, wie z.B. in § 27 oder § 57 JGG vorgesehen, bietet. (Allgemein) anerkannt ist zudem, dass eine Hauptverhandlung zur besseren Sachaufklärung ausgesetzt werden kann. Dem kommt das von der Jugendkammer mit der Aussetzung erstrebte Ziel in etwa gleich. Die Jugendkammer konnte - so die Begründung ihres Nichtabhilfebeschlusses - am 22. Januar 2002 nicht abschließend beurteilen, ob angesichts der positiven Entwicklung, die der Angeklagte in den letzten Monaten gemacht hat, schon von der Möglichkeit des § 31 Abs. 3 JGG Gebrauch gemacht werden konnte oder nicht. Ziel der Aussetzung war es mithin, die Grundlagen für die insoweit erforderliche Entscheidung weiter zu ermitteln und/oder zu festigen, indem dem Angeklagten die Möglichkeit geboten wurde, sich über einen weiteren längeren Zeitraum drogenfrei zu erweisen. Dafür stand das Vorgehen nach § 57 JGG, das andernfalls nahe gelegen hätte, wegen der Besonderheiten des Falles nicht zur Verfügung, da vorrangig die Entscheidung nach § 31 Abs. 3 JGG zu treffen war und erst danach die Entscheidung über die Aussetzung der Jugendstrafe anstand.
Der dem Jugendgerichtsverfahren immanente Erziehungsgedanke stand dem nicht entgegen. Vielmehr ist auch unter seiner Berücksichtigung die getroffene Entscheidung (noch) sachgerecht, wobei der Senat besonderes Gewicht auf den Umstand legt, dass der Angeklagte sich offenbar in der Tat "gefangen" hat und er zudem kurz vor Abschluss seiner Lehrzeit steht. Zudem ist darauf hinzuweisen, dass der Angeklagte sein Rechtsmittel auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt hat und damit auch die Beschleunigungsmaxime dem Vorgehen des Gerichts nicht entgegensteht. Durch die Beschränkung steht fest, dass der Angeklagte für sein Fehlverhalten mit einer gerichtlichen Reaktion rechnen muss.
Nach allem konnte das Rechtsmittel daher keinen Erfolg haben und war mit der sich aus den §§ 467, 473 ergebenden Kostenfolge zu verwerfen.
Der Senat weist abschließend noch einmal darauf hin, dass nur die Besonderheiten des Falles, insbesondere der Umstand, dass von der in § 57 JGG vorgesehenen Möglichkeit, erst später über die Aussetzung der verhängten Strafe zu entscheiden, nicht Gebrauch gemacht werden konnte, die Entscheidung der Kammer als (noch) sachgerecht erscheinen lassen. In anderen Fällen wird der Regelung des § 57 JGG der Vorrang zu geben sein. Insoweit verweist der Senat auf die Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme.
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