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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 3 Ws 315/02 OLG Hamm

Leitsatz: Zur Besorgnis der Befangenheit bei einem Sachverständigen, der eine Zusage gegenüber dem Probanden nicht einhält und sein Gutachten erheblich verspätet erstattet.

Senat: 3

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: Sachverständiger, Besorgnis der Befangenheit, verspätete Gutachtenerstattung

Normen: StPO 74

Beschluss: Strafsache

gegen M.O.
wegen schwerer Körperverletzung (hier: a) Beschwerde des Verurteilten gegen die Zurückweisung seines Antrags auf Ablehnung des Sachverständigen, b) Gegenvorstellungen des Verteidigers gegen den Senatsbeschluss vom 20.06.2002).

Auf die Beschwerde des Verurteilten vom 18.04.2002 gegen den Beschluss der 23. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bielefeld vom 12.04.2002 betreffend die Zurückweisung des Ablehnungsgesuches des Verurteilten gegen den Sachverständigen G. sowie auf die Gegenvorstellungen des Verteidigers gegen den Senatsbeschluss vom 20.06.2002 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 16. 07. 2002 durch den Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und des Beschwerdeführers bzw. seines Verteidigers beschlossen:

1. Der Beschluss der 23. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bielefeld vom 12.04.2002 wird aufgehoben.

Das Ablehnungsgesuch des Verurteilten gegen den Sachverständigen G. wird für begründet erklärt.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Landeskasse.

2. Die Gegenvorstellungen gegen den Senatsbeschluss vom 20.06.2002 werden zurückgewiesen.

Gründe
I. Die gemäß § 304 Abs. 1 StPO statthafte Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss der 23. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bielefeld vom
12.04.2002, mit dem diese das gegen den Sachverständigen G. gerichtete Ablehnungsgesuch des Beschwerdeführers als unbegründet zurückgewiesen hat, hat in der Sache Erfolg.
Vom Standpunkt des Beschwerdeführers aus liegen hier nämlich Gründe vor, die aus seiner Sicht verständigerweise ein Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Sachverständigen gerechtfertigt erscheinen lassen (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl., § 74 Rdnr. 4 m.w.N.). Der Senat ist dabei von folgendem Sachverhalt ausgegangen:

Der Strafvollstreckungskammer bei dem Landgericht in Bielefeld sind die Akten am 01.10.2001 zur Entscheidung gemäß § 454 StPO über die bedingte Entlassung des Beschwerdeführers aus der Strafhaft nach Verbüßung von 2/3 der gegen ihn verhängten Freiheitsstrafe vorgelegt worden. Mit Beschluss vom 08.10.2001 hat die Strafvollstreckungskammer die Einholung eines Sachverständigengutachtens gemäß § 454 Abs. 2 S. 2 StPO beschlossen und den Diplom-Psychologen G. von der Westfälischen Klinik Schloß Haldem zum Sachverständigen bestellt. Eine vorherige Kontaktaufnahme mit dem Sachverständigen etwa zur Abstimmung seiner Belastung ist erkennbar nicht erfolgt. Mit Verfügung vom 08.10.2001 sind die Akten sodann dem Sachverständigen zugeleitet worden. 2/3 der gegen ihn verhängten Freiheitsstrafe hatte der Beschwerdeführer am 03.12.2001 verbüßt. Mit Verfügung vom 20.11. und vom 30.11.2001 hat die Strafvollstreckungskammer im Hinblick auf den bereits am 03.12.2001 anstehenden 2/3-Termin die Akten jeweils vom Sachverständigen zurückgefordert. Die Akten gingen daraufhin am 30.11.2001 bei dem Landgericht in Bielefeld wieder ein. In dem Begleitschreiben teilte der Sachverständige mit, dass die Begutachtung des Beschwerdeführers nach seinen Planungen in der ersten Dezemberwoche erfolgen und das Gutachten der Strafvollstreckungskammer dann voraussichtlich bis zum 15.12.2001 vorliegen werde. Nachdem das Gutachten dann bis Ende Dezember 2001 nicht bei der Strafvollstreckungskammer eingegangen war, erfolgte unter dem 27.12.2001 von dort aus eine telefonische Anfrage bei dem Sachverständigen, die zu einem Vermerk führte, wonach das Gutachten angeblich vor Weihnachten abgeschickt worden sei. Von wem diese Information stammte, ist aktenmäßig nicht dokumentiert. In der Folgezeit wurde der Sachverständige unter dem 21.01.2002 über die ärztliche Leitung der Klinik Schloß Haldem und sodann persönlich unter dem 01.02.2002 durch die Strafvollstreckungskammer an die Vorlage des Gutachtens erinnert. Am 01.02.2002 erklärte der Sachverständige gegenüber dem Vorsitzenden der Strafvollstreckungskammer, er lese das Gutachten gerade Korrektur. Die Mitteilung seines Sekretariats vom 27.12.2001, das Gutachten sei bereits vor Weihnachten abgeschickt worden, sei falsch gewesen. Das auf den 27.02.2002 datierte Sachverständigengutachten ging sodann am 04.03.2002 bei den Bielefelder Justizbehörden ein.
Mit Schreiben vom 12.03.2002 hat der Beschwerdeführer den Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Zur Begründung hat er ausgeführt, der Sachverständige habe ihm am 07.12.2001 nach Durchführung des Explorationsgesprächs mündlich mitgeteilt, er, der Sachverständige, werde eine vorzeitige Haftentlassung befürworten. Der Beschwerdeführer könne mit seiner Entlassung noch vor Weihnachten rechnen. Der Sachverständige habe ihm versprochen, sein Gutachten noch vor Weihnachten dem Gericht mitzuteilen.
Der Senat hat diese Äußerungen des Beschwerdeführers dem Sachverständigen zur Stellungnahme zugeleitet. Dieser ist den fraglichen Äußerungen des Beschwerdeführers in seiner Stellungnahme vom 26.06.2002 nicht entgegengetreten. Er hat vielmehr eingeräumt, dass der Beschwerdeführer „in der Begutachtungssituation mit dem höflich-freundlichen, punktuell charmanten Eindruck durchaus auch einen Eindruck hinterließ, der bei der späteren rationalen Auseinandersetzung in Zusammenschau von persönlicher Entwicklung, der Persönlichkeit, seinen Ressourcen, den Fehlanpassungen und Störungen, der Ausgangsdelinquenz und den vorhersehbaren Umfeld-/Situationskonstellationen nicht aufrechtzuerhalten war“.
Der Senat musste damit davon ausgehen, dass die Angaben des Beschwerdeführers zu den Äußerungen des Sachverständigen ihm gegenüber im Anschluss an den Explorationstermin zutreffend sind. Vor diesem Hintergrund erweist sich das Befangenheitsgesuch gegen den Sachverständigen als begründet. Aus der allein maßgebenden Sicht des Beschwerdeführers konnte nämlich angesichts der erheblichen zeitlichen Verzögerung bei der Gutachtenerstattung und angesichts des Sinneswechsels des Sachverständigen hinsichtlich des Ergebnisses seiner Begutachtung berechtigterweise der Eindruck entstehen, dass der Sachverständige aufgrund der von ihm zu vertretenden erheblichen Zeitverzögerung bei der Vorlage des Gutachtens nicht mehr unbefangen in der Beurteilung der Prognosefrage sein könnte. Aus Sicht des Beschwerdeführers wäre der Sachverständige nämlich in erhebliche Erklärungsnot gekommen, aus welchen Gründen er ein die bedingte Entlassung befürwortendes Sachverständigengutachten erst drei Monate nach Ablauf des 2/3-Termins dem Gericht vorlegt. Soweit der Sachverständige in seiner vom Senat eingeholten Äußerung darauf verweist, dass seine Beauftragung durch die Strafvollstreckungskammer nicht mit ihm abgestimmt worden sei und er anderweitig stark belastet gewesen sei, als ihn der Gutachtenauftrag erreicht habe, vermag dies jedenfalls aus Sicht des Beschwerdeführers den Eindruck der Befangenheit nicht zu beseitigen. Dies erklärt nämlich jedenfalls nicht, aus welchen Gründen der Sachverständige in insoweit völlig unprofessioneller Weise gegenüber dem Beschwerdeführer selbst mündlich erklärt bzw. zugesichert hatte, er werde dessen bedingte Entlassung befürworten und noch vor Weihnachten 2001 das schriftliche Gutachten dem Landgericht vorlegen. Gerade diese Äußerungen begründen aber in Verbindung mit der verspäteten Vorlage des Gutachtens mit dann gänzlich anderem Ergebnis aus Sicht des Beschwerdeführers den Eindruck der Befangenheit.

II.
Die Gegenvorstellungen des Beschwerdeführers gegen den Senatsbeschluss vom 20.06.2002 waren zurückzuweisen. Der Beschwerdeführer wiederholt mit seinen Gegenvorstellungen allein seine bisherige rechtliche Argumentation und übersieht dabei, dass auch das Bundesverfassungsgericht in der von ihm selbst zitierten und vorgelegten Entscheidung vom 06.06.2001 (NStZ 2002, 333, 334) entschieden hat, dass im Rahmen des Entlassungsverfahrens eingetretene Verfahrensverzögerungen von Verfassungs wegen gerade nicht zu einem Vollstreckungshindernis führen,
dass es vielmehr weiterhin für die bedingte Entlassung darauf ankommt, ob diese unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann, §§ 57 a Abs. 1 S. 1 Nr. 3, 57 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB (BVerfG, a.a.O., 334).


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