Aktenzeichen: 1 Ws (L) 8/02 OLG Hamm
Leitsatz: Die Zurückverweisung an das erstinstanzliche Gericht kommt im Beschwerdeverfahren insbesondere auch dann in Betracht, wenn eine den Sachverhalt ausschöpfende erstinstanzliche Entscheidung zur Sache selbst fehlt, also nur formal entschieden worden ist.
Senat: 1
Gegenstand: Beschwerde
Stichworte: Zurückverweisung
Normen: StPO 309
Beschluss: Strafvollstreckungssache
gegen K.W.,
wegen Mordes (hier: sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen die Versagung der bedingten Entlassung und die Feststellung der aus Schuldschweregesichtspunkten gebotenen Mindestverbüßungszeit).
Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten vom 12. Juni 2002 gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Arnsberg vom 24. April 2002 hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 02. 07. 2002 durch den Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Arnsberg, welche auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben wird, zurückverwiesen.
Gründe:
Der Verurteilte wurde durch Urteil der 2. Jugendkammer Recklinghausen des Landgerichts Bochum am 20. Dezember 1989 wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Gleichzeitig wurde seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Vom 19. November 1990 bis zum 2. September 1992 befand sich der Verurteilte im Maßregelvollzug in der Westfälischen Klinik Schloß Haldem. Nach erfolgreicher Beendigung der Therapie setzte die 15. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bielefeld mit Beschluss vom 27. August 1992 die Restunterbringung zur Bewährung aus. Seit dem 10. September 1992 befindet sich der Verurteilte in Strafhaft und zwar seit dem 8. Dezember 1992 in der Justizvollzugsanstalt Werl. 15 Jahre der lebenslangen Freiheitsstrafe werden voraussichtlich am 20. April 2004 verbüßt sein.
Mit dem angefochtenen Beschluss hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Arnsberg die bedingte Entlassung des Verurteilten abgelehnt und die aus Gründen der besonderen Schwere der Schuld gebotene Mindestvollstreckungsdauer der lebenslangen Freiheitsstrafe auf 19 Jahre festgesetzt.
Gegen diesen, dem Verteidiger des Verurteilten am 10. Juni 2002 zugestellten Beschluss richtet sich die sofortige Beschwerde des Verurteilten vom 11. Juni 2002, welche am 12. Juni 2002 bei dem Landgericht Arnsberg eingegangen ist.
Die fristgerecht erhobene sofortige Beschwerde des Verurteilten ist gemäß §§ 57 a StGB, 454 Abs. 3, 311 StPO zulässig. Sie hat auch in der Sache Erfolg. Der angefochtene Beschluss entspricht nicht den gesetzlichen Anforderungen. Er war daher - wie auch von der Generalstaatsanwaltschaft beantragt - aufzuheben und die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Arnsberg zurückzuverweisen.
Der Senat verkennt hierbei nicht, dass nach der gesetzlichen Regelung des § 309 Abs. 2 StPO das Beschwerdegericht die in der Sache erforderliche Entscheidung im Regelfall selbst zu treffen hat. Demzufolge besteht eine Möglichkeit der Zurückverweisung der Sache an das Erstgericht in der Regel nicht (vgl. BGH NJW 1964, 2119). Hiervon kann jedoch in Ausnahmefällen abgewichen werden (vgl. BGH NJW 1964, 2119; Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, StPO, 24. Aufl., § 309 RN 11; Pfeiffer, StPO, 3. Aufl., § 309 RN 4; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl., § 309 RN 7).
Eine Zurückverweisung soll nach allgemeiner Auffassung dann möglich sein, wenn das Erstgericht seine Entscheidung lediglich mit einer floskelhaften Wendung oder der bloßen Wiederholung des Gesetzestextes begründet hat (vgl. OLG Düsseldorf, StV 1986, 376; StV 1995, 138, 139). Auch soll eine Zurückverweisung dann zulässig sein, wenn ein durch das Beschwerdegericht nicht heilbarer Verfahrensfehler vorliegt (vgl. BGH NStZ 1992, 508). Weiterhin wird eine Zurückverweisung auch dann für zulässig gehalten, wenn eine den Sachverhalt ausschöpfende erstinstanzliche Entscheidung zur Sache selbst fehlt, wenn also nur formal entschieden worden ist (vgl. OLG Frankfurt, NStZ 1983, 426, 427; Plöd in KMR, StPO, § 309 RN 9).
So liegt der Fall hier. Die Strafvollstreckungskammer hat zwar eine Entscheidung in der Sache getroffen. Diese kommt aber im Ergebnis einer lediglich formalen Entscheidung gleich. Es fehlen sämtliche im Rahmen des § 57 a StGB erforderlichen Erwägungen.
So hat die Strafvollstreckungskammer zunächst keine eigene Abwägung der schulderhöhenden und schuldmindernden Umstände getroffen, sondern lediglich die
Strafzumessungserwägungen des Tatgerichts wiedergegeben. Auf diese konnte sie allerdings keinen bloßen Bezug nehmen, da sich die Jugendkammer nicht mit der besonderen Schwere der Schuld auseinander gesetzt hat. Zwar hat sie die erheblichen schulderhöhenden Faktoren aufgelistet. Die dort festgestellten Umstände hätte die Vollstreckungskammer auch - entgegen der einleitenden Ausführungen auf Blatt 2 des Beschlusses - berücksichtigen dürfen. Denn das Tatgericht musste sich mit der Milderungsmöglichkeit aus §§ 21, 49 StGB auseinander setzen. Die Ausführungen zur Strafzumessung waren daher revisionsrechtlich zu überprüfen. In einem solchen Fall darf auch die Strafvollstreckungskammer auf sie zurückgreifen.
Die schulderhöhenden Umstände sind jedoch vom Tatgericht allein für die Frage, ob eine Strafrahmenverschiebung gemäß §§ 21, 49 StGB erfolgen soll, herangezogen worden. Die Strafvollstreckungskammer hätte sich daher weiter damit auseinander setzen müssen, ob sie so schwer wiegen, dass sie nicht nur das Absehen von der Milderungsmöglichkeit rechtfertigen, sondern darüber hinaus auch noch zur Feststellung der Schwere der Schuld führen. Erwägungen in diese Richtung fehlen.
Weiter fehlt es an einer umfänglichen Auseinandersetzung mit der Entwicklung des Verurteilten während der nunmehr schon über 13 Jahre andauernden Zeit der Strafhaft und Unterbringung. Dies ist insbesondere deshalb zu bemängeln, da er offensichtlich die Unterbringung in der Maßregel erfolgreich durchlaufen hat.
Als wesentlicher - die Aufhebung des Beschlusses und Zurückverweisung tragender - Umstand tritt hinzu, dass die Strafvollstreckungskammer auch nicht auf den Eindruck eingegangen ist, welchen der Verurteilte in seiner persönlichen Anhörung hinterlassen hat. Aufgrund dieses Umstandes fehlt es dem Senat an einer für eine eigene Entscheidung wesentlichen Voraussetzung. Auch das bei den Akten befindliche - sehr knapp gefasste - Anhörungsprotokoll vermag den persönlichen Eindruck des Verurteilten in der Anhörung nicht wiederzugeben.
Der vorliegende Sachverhalt ist somit den Fällen vergleichbar, bei denen eine Anhörung überhaupt nicht stattgefunden hat. In einem solchen Fall hat nach allgemeiner Meinung immer eine Aufhebung und Zurückverweisung zu erfolgen (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, § 309 RN 7 m.w.N.).
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