Aktenzeichen: 3 Ws 187/02 OLG Hamm
Leitsatz: Zum Verschulden des Angeklagten, wenn dieser nach einem Umzug rechtzeitig einem Nachsendeauftrag bei der Post gestellt hat, er aber noch unter der alten Anschrift geladen wird.
Senat: 3
Gegenstand: Beschwerde
Stichworte: Berufungsverwerfung, Versäumung der Berufungshauptverhandlung, Widereinsetzung, Nachsendeauftrag, Umzug des Angeklagten
Normen: StPO 329, StPO 44, StPO 40
Beschluss: Strafsache
gegen M.V.
wegen Betruges (hier: Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung).
Auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten vom 21.02.2002 gegen den Beschluss der XI. Strafkammer des Landgerichts Essen vom 12.12.2001 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 16. 07. 2002 durch den Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Dem Angeklagten wird auf seine Kosten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung am 14. Januar 2002 vor dem Landgericht Essen in dem Verfahren 31 (144/01) gewährt.
Gründe:
I.
Das Landgericht Essen hat mit Urteil vom 14.01.2002 die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts B. vom 20.06.2001, durch das der Angeklagte wegen Betruges in zwei Fällen und wegen Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 14 Monaten verurteilt worden war, gemäß § 329 ZPO verworfen. Zur Begründung hat die Strafkammer ausgeführt, der Angeklagte sei in der Hauptverhandlung ungeachtet der durch Urkunde vom 13.11.2001 nachgewiesenen Ladung ohne genügende Entschuldigung ausgeblieben und auch nicht in zulässiger Weise vertreten worden. Das Urteil wurde dem Verteidiger des Angeklagten am 28.01.2002 zugestellt. Mit Schriftsatz vom 21.01.2002, der am selben Tag beim Landgericht Essen eingegangen ist, hat der Verteidiger des Angeklagten die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungshauptverhandlung beantragt. Zur Begründung hat der Verteidiger vorgetragen, er habe den Angeklagten nach der Hauptverhandlung am 14.01.2002 schriftlich über das Ergebnis der Berufungshauptverhandlung unterrichtet, worauf der Angeklagte fernmündlich mitgeteilt habe, dass er inzwischen nach D., E.weg 3, verzogen sei. Der Angeklagte habe sich ordnungsgemäß umgemeldet und einen Nachsendeauftrag bei der Bundespost erteilt. Dennoch sei die Ladung zur Berufungshauptverhandlung am 14.01.2002 unter seiner früheren Adresse B.straße 8 in B. hinterlegt worden. Der Angeklagte habe daher ohne sein Verschulden keine Kenntnis von dem Berufungshauptverhandlungstermin gehabt.
Das Landgericht Essen hat mit Beschluss vom 12.02.2002 den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als unbegründet verworfen. Zur Begründung hat es u.a. ausgeführt, das Vorbringen des Angeklagten belege keine unverschuldete Unkenntnis vom Termin. Denn wie im Umkehrschluss aus § 40 Abs. 3 StPO folge, müsse der Berufungsführer dafür Sorge tragen, dass er ohne weitere Nachforschungen für das Gericht zu erreichen sei. Mit einem Nachsendeantrag sei es nicht getan. Der Angeklagte habe noch am 25.04.2001 anlässlich der Haftbefehlsverkündung angegeben, in B. zu wohnen. Auf jeden Fall fehle es an einer Glaubhaftmachung der Angaben des Angeklagten. Er habe nicht einmal angegeben, wann er umgezogen sei. Darüber hinaus erkläre der Wiedereinsetzungsantrag nicht, warum sich der Angeklagte auf einen Brief seines Verteidigers hin mit diesem habe in Verbindung setzen können, obwohl dem Verteidiger nach seinen Angaben die neue Anschrift unbekannt gewesen sei.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die sofortige Beschwerde des Angeklagten vom 21.02.2002. Er beruft sich auf sein bisheriges Vorbringen und lässt über seinen Verteidiger außerdem vortragen, er sei am 01.09.2001 nach D. verzogen. Aufgrund des von ihm gestellten Nachsendeantrages habe er davon ausgehen können, dass unter seiner alten Adresse keine Zustellungen mehr erfolgen würden. So sei ein an seine frühere Anschrift B.straße 8, B. adressierter Bußgeldbescheid im Wege der vereinfachten Zustellung aufgrund des von ihm gestellten Postnachsendeauftrags an seine neue Adresse in D. weitergeleitet worden, ebenso das Schreiben des Verteidigers betreffend das Ergebnis der Berufungshauptverhandlung. Wie sich aus dem beigefügten Briefumschlag nebst dem Bußgeldbescheid ergebe, habe der Postbeamte die vormalige Adresse durchgestrichen und stattdessen die neue Adresse in D. eingetragen. Unter der neuen Anschrift habe er den Bußgeldbescheid am 07.12.2001 erhalten. Für ihn sei daher nicht nachvollziehbar, dass die Ladung zum Berufungshauptverhandlungstermin noch unter seiner ehemaligen Adresse durch Postniederlegung zugestellt worden sei. Nicht zuletzt aufgrund der Zustellung des Bußgeldbescheides der Stadt D. habe er davon ausgehen können, dass trotz seines Umzugs Gerichtspost an ihn weitergeleitet werde.
II.
Die sofortige Beschwerde ist zulässig und begründet.
Der Angeklagte ist zum Berufungshauptverhandlungstermin am 14.01.2002 ausweislich der in den Akten befindlichen Postzustellungsurkunde unter der Anschrift B.straße 8 in B. durch Niederlegung geladen worden. Dass der Angeklagte zum Zeitpunkt der Postniederlegung am 13.11.2001 nicht mehr unter der vorgenannten Anschrift wohnhaft war, lässt sich nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen. Der Angeklagte macht zwar geltend, er sei am 01.09.2001 nach D. verzogen und er habe sich ordnungsgemäß umgemeldet. Ausweislich der von ihm vorgelegten Ummeldebestätigung der Stadt D. vom 07.02.2002 (Bl. 205 d.A.) ist eine Ummeldung des Angeklagten erst am selben Tage erfolgt und als Tag des Einzugs der 01.11.2001 angegeben. Nach der vom Senat eingeholten Auskunft der Stadt D. vom 18. Juni 2002 erfolgte die Ummeldung am 08.02.2002 und wurde dieses Datum als dasjenige des Einzugs eingegeben. Für einen Umzug des Angeklagten bereits am 01.09. von B. nach D. spricht allerdings der von dem Angeklagten bei der Deutschen Post eingereichte Nachsendeantrag der für den Zeitraum von sechs Monaten ab dem 01.09.2001 für die Adresse E.weg 3 in D. gestellt worden ist, das allerdings wie die Deutsche Post AG auf Anfrage des Senats mit Schreiben vom 12.07.2002 mitgeteilt hat, gemäß dem auf dem Nachsendeauftrag vermerkten Datum der Erfassung erst am 29.09.2001 beim Auftragszentrum in München eingegangen ist. Letztlich konnte im vorliegenden Verfahren allerdings die Frage, ob der Angeklagte zum Zeitpunkt der Niederlegung der Ladung zum Berufungshauptverhandlungstermin noch unter der darin angegebenen alten Anschrift wohnhaft war oder bereits umgezogen war, dahingestellt bleiben. Aus diesem Grunde hat der Senat auch davon abgesehen, vor einer Entscheidung die durch die Stadt D. und durch die Deutsche Post AG erteilten Auskünfte vorab dem Angeklagten zur Stellungnahme zuzuleiten. Denn war der Angeklagte am 13.11.2001 nicht mehr unter der in der Ladung angegebenen Anschrift B.Straße 8 in B. wohnhaft, so wäre er nicht ordnungsgemäß geladen worden. In diesem Falle hätte ihn das Landgericht Essen zu Unrecht als Säumigen behandelt. Auch bei einer derartigen Fallgestaltung stand dem Angeklagten der Rechtsbehelf der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu, der ihm entsprechend den Vorschriften der §§ 329 Abs. 3, 44 StPO zu gewähren gewesen wäre, weil derjenige, der zu Unrecht als säumig behandelt wird, nicht schlechter gestellt werden darf als ein Säumiger (vgl. Rautenberg in Heidelberger Kommentar zur Strafprozessordnung, 3. Aufl., § 329 Randziffer 43 m.w.N.). Die sofortige Beschwerde des Angeklagten hätte daher bei dieser Fallgestaltung zur Folge, dass der angefochtene Beschluss aufzuheben und ihm in entsprechender Anwendung der vorgenannten Vorschriften Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren wäre.
Falls der Angeklagte zum Zeitpunkt der Zustellung der Ladung zur Berufungshauptverhandlung am 13.11.2001 noch unter der Anschrift B.Straße 8 in B. wohnhaft gewesen sein sollte, wäre zwar die Ladung zum Hauptverhandlungstermin ordnungsgemäß erfolgt. Die sofortige Beschwerde hätte aber dennoch Erfolg, da er entgegen der Ansicht des Landgerichts Essen ein Sachverhalt vorgetragen und glaubhaft gemacht worden ist, der ein der Wiedereinsetzung entgegenstehendes Verschulden ausschließt. Der Angeklagte hatte nach seinem Vorbringen bei der Deutschen Post AG einen Nachsendeauftrag erteilt und dieses Vorbringen durch Überreichung einer Kopie des Nachsendeauftrages, die am 25.02.2002 beim Landgericht Essen eingegangen ist, glaubhaft gemacht. Entgegen der Ansicht der Generalstaatsanwaltschaft ist diese Glaubhaftmachung nicht verspätet erfolgt. Denn nach dem eindeutigen Wortlaut des § 45 Abs. 2 StPO kann die Glaubhaftmachung des Antragsvorbringens auch noch im Beschwerderechtszug nachgeholt werden
(vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl., § 45 Randziffer 7). Aus der Überreichung der Kopie des Nachsendeantrages ergibt sich, dass der Angeklagte den Nachsendeantrag mit Wirkung ab 01.09.2001 für die ausdrücklich als neue Adresse angegebene Anschrift E.weg 3 in D. gestellt hatte. Die Anschrift B.Straße 8 in B. wurde im Nachsendeantrag als bisherige Adresse bezeichnet. Der Angeklagte durfte daher davon ausgehen, dass Briefsendungen ihm nicht mehr unter seiner alten Anschrift, sondern unter der im Nachsendeantrag genannten neuen Anschrift zugestellt würden und damit seine Erreichbarkeit für gerichtliche Benachrichtigungen gegeben war. Dass in dem Nachsendeauftrag Postzustellungsaufträge nicht ausdrücklich erwähnt werden und möglicherweise deshalb die Zustellung der Ladung zur Berufungshauptverhandlung noch unter der Anschrift B.Straße 8 in B. niedergelegt worden ist, kann dem Angeklagten nicht als Verschulden angelastet werden. Denn der Nachsendeauftrag bezog sich u.a. auf Briefpost und alle Briefsendungen. Dass davon Postzustellungsaufträge möglicherweise nicht erfasst wurden, war für den Angeklagten nicht erkennbar. Er hat darüber hinaus durch Vorlage des Bußgeldbescheides der Stadt D. vom 30.11.2001 und den dazugehörigen Umschlag glaubhaft gemacht, dass ihm dieser Bußgeldbescheid, der an seine ursprüngliche Adresse in B. gerichtet worden war, am 07.12.2001 durch Niederlegung unter seiner neuen Adresse in D. zugestellt worden ist, nachdem die Anschrift handschriftlich abgeändert worden war. Diese Zustellung beinhaltete zumindest eine Bestätigung für den Angeklagten, dass durch den von ihm gestellten Nachsendeantrag seine Erreichbarkeit auch für Gerichtspost gesichert war. Er hat daher die Berufungshauptverhandlung ohne ein Verschulden seinerseits versäumt.
Der angefochtene Beschluss war deshalb aufzuheben und dem Wiedereinsetzungsgesuch des Angeklagten stattzugeben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 7 StPO.
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