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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 3 Ws 338/02 OLG Hamm

Leitsatz: Zum sog. gemeinsamen 2/3-Zeitpunkt bei Vollstreckung von Jugend- und Erwachsenenstrafe.

Senat: 3

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: Jugendstrafe, Erwachsenenstrafe, Bedingte Entlassung, gemeinsamer 2/3-Zeitpunkt

Normen: StPO 454 b, StGB 57, JGG 92, JGG 85, JGG 88, JGG 89 a

Beschluss: Strafsache
gegen M.T.
wegen Diebstahls u.a. (hier: sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung).

Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Paderborn vom 26.04.2002 gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer 24 b des Landgerichts Bielefeld vom 24.04.2002 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am
08. 08. 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Eine Entscheidung über die Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung aus dem Urteil des Amtsgerichts Lippstadt vom 11.09.2001 ist derzeit nicht veranlasst.

Gründe:
Der Verurteilte ist durch Urteil des Amtsgerichts Lippstadt vom 11.09.2001 (27 Ds 430 Js 431/00 (283/00) wegen Diebstahls geringwertiger Sachen sowie wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt worden. 2/3 dieser Strafe hatte der Verurteilte am 30.04.2002 verbüßt. Mit dem angefochtenen Beschluss vom 24.04.2002 hat die Strafvollstreckungskammer 24 b des Landgerichts Bielefeld die bedingte Entlassung des Verurteilten aus der Strafhaft gemäß § 57 Abs. 1 StGB zum 30.04.2002 angeordnet und die Restgesamtfreiheitsstrafe aus dem vorgenannten Urteil bis zum 29.04.2005 zur Bewährung ausgesetzt. Gegen diesen Beschluss richtet sich die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Paderborn. Sie macht geltend, die Strafvollstreckungskammer habe bei ihrer Entscheidung vom 24.04.2002 die Verurteilung des Verurteilten durch das Amtsgericht - Jugendschöffengericht - Lippstadt vom 20.07.1999 zu einer Jugendstrafe von acht Monaten nicht berücksichtigt und auch nicht berücksichtigen können, da sie in der Strafzeitberechnung noch nicht enthalten gewesen sei. Die Jugendstrafe werde nunmehr im Erwachsenenvollzug vollstreckt. 2/3 dieser Strafe seien erst am 25.11.2002 verbüßt, so dass eine bedingte Entlassung des Verurteilten frühestens zu diesem Zeitpunkt erfolgen könne.

Die Generalstaatsanwaltschaft ist der Beschwerde der Staatsanwaltschaft Paderborn unter ergänzenden Ausführungen beigetreten. Sie macht geltend, die Entscheidung über die bedingte Entlassung des Verurteilten sei verfrüht ergangen. Nach § 454 b Abs. 3 StPO dürfe die Strafvollstreckungskammer die Entscheidung gemäß § 57 StGB erst dann treffen, wenn der Verurteilte auch tatsächlich entlassen werden könne. Dies sei erst vor dem Ende der letzten Anschlussvollstreckung der Fall. Angesichts der gegen den Verurteilten noch zu vollstreckenden Jugendstrafe von acht Monaten komme derzeit dessen bedingte Entlassung nicht in Betracht. Die Aussetzung der Jugendstrafe bestimme sich zwar nicht nach § 57 Abs. 1 StGB, sondern nach § 88 JGG, so dass die Berechnung eines gemeinsamen Zwei-Drittel-Zeitpunktes nicht möglich sei. Jedoch sehe § 88 Abs. 2 JGG in der Regel die Verbüßung von sechs Monaten der Jugendstrafe vor, bevor über die Aussetzung des Strafrestes entschieden werden könne. Die bei Erreichen dieses Zeitpunkts zuständige Strafvollstreckungskammer habe sodann über die Aussetzung der Reste sowohl der Freiheits- als auch der Jugendstrafe zu entscheiden.

II.
Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Paderborn ist zulässig und führt zu einer Aufhebung des angefochtenen Beschlusses.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat zu Recht darauf hingewiesen, dass gemäß § 454 b Abs. 3 StPO die Strafvollstreckungskammer eine Entscheidung über die Reststrafenaussetzung erst dann treffen darf, wenn über die Aussetzung der Vollstreckung der Reste aller Strafen gleichzeitig entschieden werden kann, d.h. regelmäßig erst vor dem Ende der letzten Anschlussvollstreckung (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl., § 454 b Randziffer 6). Die Vorschrift des § 454 b StPO gilt allerdings nicht bei der Vollstreckung von Freiheits- und Jugendstrafe, und zwar auch dann nicht, wenn Jugendstrafe gegen einen Heranwachsenden gemäß § 92 Abs. 2 JGG nach Erwachsenenrecht zu vollziehen ist (vgl. Paulus in KMR, StPO, § 454 b Randziffer 9; Fischer in KK, StPO, 4. Aufl., § 454 b Randziffer 3; Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O., §§ 454 b Randziffer 1; Pfeiffer, StPO, 4. Aufl., § 454 b Randziffer 1). Auch ist dann, wenn Jugendstrafe neben Freiheitsstrafe zu vollstrecken ist und hinsichtlich der Jugendstrafe gemäß § 92 Abs. 2 JGG die Vollstreckung nach den Vorschriften des Strafvollzuges für Erwachsene angeordnet worden ist, eine Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer für die Jugendstrafe nicht gegeben. In einem derartigen Fall verbleibt es vielmehr bei der Zuständigkeit des Jugendrichters für alle die Strafvollstreckung der Jugendstrafe betreffenden Entscheidungen (vgl. Fischer in KK, StPO, a.a.O., § 462 a Randziffer 5; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, a.a.O., § 462 a Randziffer 40; Eisenberg, JGG,
9. Aufl., § 92 Randziffer 16 m.w.N.). Die Strafvollstreckungskammer ist bei einer solchen Fallgestaltung daher auch nicht für die Entscheidung über die Aussetzung der im Erwachsenenvollzug zu vollstreckenden Jugendstrafe zuständig, sondern vielmehr gemäß § 88 Abs. 1 JGG der Jugendrichter als Vollstreckungsleiter. Erst mit der Abgabe der Vollstreckung durch den Jugendrichter als Vollstreckungsleiter an die Staatsanwaltschaft gemäß § 85 Abs. 6 JGG bzw. gemäß § 89 a JGG i.V.m. § 85 Abs. 6 JGG geht die Zuständigkeit für die Entscheidung über die Restaussetzung der Vollstreckung der Jugendstrafe auf Strafvollstreckungskammer über (vgl. Eisenberg, JGG, a.a.O., § 85 Randziffer 17 a).

Die gegen den Verurteilten durch Urteil des Amtsgerichts - Jugendschöffengericht - Lippstadt vom 20.07.1999 verhängte Jugendstrafe von acht Monaten wird nach der telefonisch erteilten Auskunft des Richters am Amtsgericht Herford K. seit dem 16.06.2002 in der Justizvollzugsanstalt Herford vollstreckt. Nach der weiteren Auskunft des Amtsrichters ist bisher weder eine Anordnung der Vollstreckung dieser Strafe im Erwachsenenvollzug gemäß § 92 JGG ergangen noch eine Abgabe der Vollstreckung nach den §§ 85 Abs. 6, 89 a Abs. 3 JGG erfolgt, so dass die Vorschrift des § 454 b Abs. 3 StPO vorliegend keine Anwendung finden kann. Dennoch ist die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer über eine bedingte Entlassung des Verurteilten im vorliegenden Verfahren als verfrüht anzusehen. Der Senat folgt insoweit den zutreffenden Ausführungen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main in seinem Beschluss vom 30.11.1999, veröffentlicht in NStZ-RR 2000, Seite 95). Diese Entscheidung betraf eine vergleichbare Fallgestaltung einer Reststrafenaussetzung hinsichtlich einer Freiheitsstrafe ohne Berücksichtigung einer zur Anschlussvollstreckung anstehenden Einheitsjugendstrafe. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat in der vorgenannten Entscheidung unter weiteren Nachweisen zutreffend ausgeführt, dass eine bedingte Entlassung dem Verurteilten grundsätzlich die Freiheit verschaffen muss, weil anderenfalls nicht erprobt werden könne, ob er außerhalb des Vollzuges keine Straftaten mehr begehen könne. Eine gemeinsame Entscheidung über die Aussetzung sämtlicher Strafreste beim Zusammentreffen des Vollzugs mehrerer Freiheitsstrafen gemäß § 454 b StPO komme bei der Fallgestaltung, dass eine Freiheitsstrafe zur anschließenden Vollstreckung einer Jugendstrafe unterbrochen worden sei, zwar nicht in Betracht. Auch seien die Voraussetzungen für eine vorzeitige Entlassung aus der Haft nach dem § 57 StGB und dem § 88 JGG unterschiedlich geregelt. Die Anforderungen für die Annahme einer günstigen Sozialprognose in § 57 StGB und in § 88 JGG seien jedoch sachlich im Wesentlichen gleich und deshalb könne die Prognoseentscheidung auch beim Anschluss vollstreckter Freiheits- und Jugendstrafe grundsätzlich nicht unterschiedlich ausfallen. Eine Sachentscheidung hinsichtlich der Aussetzung der Freiheitsstrafe, bevor eine Aussetzung der Restjugendstrafe in Betracht kommen könne, sei verfrüht. Wenn nämlich die Mindestverbüßungszeit des § 88 Abs. 2 JGG hinsichtlich der Jugendstrafe bei Weitem noch nicht erreicht sei, liege der frühest mögliche Entlassungszeitpunkt noch so weit in der Zukunft, dass noch nicht beurteilt werden könne, ob eine Erprobung des Verurteilten im Rahmen einer Strafaussetzung verantwortet werden könne. Es sei daher die weitere Entwicklung des Verurteilten im Vollzug abzuwarten und die Entlassungsbedingungen zu überprüfen, wenn die Aussetzung der Restjugendstrafe in Betracht komme. Eine Sachentscheidung über die Aussetzung der restlichen Freiheitsstrafe sei daher erst dann zu treffen, wenn - entweder gemeinsam über die Aussetzung beider Reste entschieden werden könne, bzw. bei fehlender Aussetzbarkeit des Jugendstrafrestes (§ 89 a Abs. 1 S. 4 JGG), wenn der Zeitpunkt der möglichen Entlassung für die Beurteilung der Entlassungssituation nahe genug bevorsteht. Sofern keine Vollstreckungsabgabe nach § 89 a Abs. 3 JGG durch den Vollstreckungsleiter erfolgt sei und es deshalb bei den getrennten Vollstreckungszuständigkeiten von Strafvollstreckungskammer und Vollstreckungsleiter bleibe, seien in diesem Fall die Entscheidungen entweder unabhängig voneinander oder aufgrund formlosen Einvernehmens zu treffen (OLG Frankfurt am Main a.a.O. m.w.N.).

Wendet man diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall an, so kann der angefochtene Beschluss keinen Bestand haben. Die gegen den Verurteilten verhängte Jugendstrafe von acht Monaten wird seit dem 16.06.2002 vollstreckt. Gemäß § 88 Abs. 2 JGG kommt eine Reststrafenaussetzung der Jugendstrafe erst nach einer Mindestverbüßungszeit von sechs Monaten in Betracht. Angesichts dessen muss die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer über die Aussetzung der restlichen Gesamtfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Lippstadt vom 11. September 2001 als verfrüht angesehen werden.

Der angefochtene Beschluss war daher aufzuheben.

Eine Kostenentscheidung war nicht veranlasst, da es sich vorliegend um keine das Verfahren abschließende Entscheidung handelt.


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