Aktenzeichen: 1 Ss OWi 598/02 OLG Hamm
Leitsatz: Wenn einem Betriebsinhaber die Verletzung der Aufsichtspflicht vorgeworfen wird, muss das Urteil die mit der Zuwiderhandlung in Zusammenhang stehende Betriebsorganisation, die Abgrenzung der Verantwortlichkeit, die tatsächlichen Betriebsabläufe, die getroffenen und unterlassenen Aufsichtsmaßnahmen, deren Veranlassung und Wirksamkeit sowie deren Kausalzusammenhang mit der Zuwiderhandlung darlegen.
Senat: 1
Gegenstand: Rechtsbeschwerde
Stichworte: Verletzung der Aufsichtspflicht, Umfang der Feststellungen
Normen: OWiG 130, StPO 267
Beschluss: Bußgeldsache
gegen T.W.
wegen Aufsichtspflichtverletzung gemäß § 130 OWiG.
Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Siegen vom 7. Mai 2002 gegen das Urteil des Amtsgerichts Siegen vom 6. Mai 2002 hat der 1. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 28. 07. 2002 durch die Richterin am Oberlandesgericht als Einzelrichterin gemäß § 80 a Abs. 2 OWiG nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:
Das angefochtene Urteil wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an das Amtsgericht Siegen zurückverwiesen.
Gründe:
Durch Bußgeldbescheid vom 30. November 2001 hat das Staatliche Amt für Arbeitsschutz Siegen gegen den Betroffenen wegen Verstoßes gegen § 130 OWiG eine Geldbuße in Höhe von 1.000 Euro festgesetzt. Auf den Einspruch des Betroffenen hat das Amtsgericht Siegen mit Urteil vom 6. Mai 2002 den Betroffenen von diesem Vorwurf freigesprochen. Gegen dieses Urteil richtet sich die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Siegen, mit der die Verletzung materiellen Rechts gerügt wird. Die Generalstaatsanwaltschaft ist diesem Rechtsmittel beigetreten.
Die gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 1 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde ist rechtzeitig eingelegt und form- und fristgerecht begründet worden. Sie hat auch in der Sache einen zumindest vorläufigen Erfolg.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat ausgeführt:
Die Rüge der Verletzung materiellen Rechts greift durch. Die tatsächlichen Feststellungen des amtsgerichtlichen Urteils reichen nicht aus, um den Betroffenen freizusprechen.
Nach den Feststellungen des amtsgerichtlichen Urteils steht nicht fest, dass der Betroffene die von ihm nicht wahrnehmbaren Aufsichtsmaßnahmen lückenlos verteilt und den Aufsichtspersonen den Inhalt ihrer Pflichten genau mitgeteilt hat. Wenn einem Betriebsinhaber die Verletzung der Aufsichtspflicht vorgeworfen wird, muss das Urteil die mit der Zuwiderhandlung in Zusammenhang stehende Betriebsorganisation, die Abgrenzung der Verantwortlichkeit, die tatsächlichen Betriebsabläufe, die getroffenen und unterlassenen Aufsichtsmaßnahmen, deren Veranlassung und Wirksamkeit sowie deren Kausalzusammenhang mit der Zuwiderhandlung darlegen (zu vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 23 Mai 1996 - 2 Ss OWi 375/96 -; KG Berlin, Beschluss vom 26. August 1997 - 2 Ss 182/97 -). Die tatrichterlichen Feststellungen müssen die Verantwortlichkeit des Betriebsinhabers sowie die dazu gehörende Beweiswürdigung in einer für das Rechtsbeschwerdegericht nachprüfbaren Weise anführen (zu vgl. KG Berlin, Beschluss vom 6. Oktober 1998 - 2 Ss 326/98 -).
Der Betroffene ist als Firmeninhaber verpflichtet, auf die Einhaltung der entsprechenden Unfallverhütungsvorschriften zu achten und deren Einhaltung regelmäßig zu überwachen. Ein Verschulden als Betriebsinhaber betrifft ihn gemäß § 130 Abs. 1 OWiG allerdings nur dann, wenn er bei der Einstellung des Personals seinen Sorgfaltspflichten nicht genügt oder seine Kontrollpflichten bezüglich des von ihm eingesetzten Personals nicht erfüllt. Das Ausmaß der Aufsichts- und Kontrollpflicht hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.
Das Amtsgericht hat jedoch bereits ungeklärt gelassen, ob dem Betroffenen bei der Auswahl seines Personals und bei der regelmäßigen Beaufsichtigung ein Verschulden trifft. Ungeklärt ist weiter, welche Maßnahmen der Betroffene angeordnet hat und in welchem Maße er die Einhaltung dieser Maßnahmen kontrolliert hat. Ob und in welchem Umfang der Betroffene die Überwachungspflichten delegiert hat, ist ebenfalls ungeklärt. Festzustellen ist indessen, dass der Betroffene eine definitive Auswahl der Aufsichtspersonen nicht vorgenommen hat, es vielmehr dem Zufallsprinzip überlassen war, wer auf den jeweiligen Baustellen für die Einhaltung von Unfallverhütungsvorschriften verantwortlich war. Damit hat er seine Auswahlpflicht verletzt.
Unter diesen Umständen kann sich der Betroffene auch nicht dadurch entlasten, dass er an dem Tattage - jedenfalls zeitweilig - auf der Baustelle anwesend war. Durch das amtsgerichtliche Urteil ist lediglich festgestellt worden, dass die erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen nicht eingehalten worden sind. Inwieweit die mangelnde Auswahl und Überwachung von Aufsichtspersonen für den tatsächlichen Verstoß gegen Unfallverhütungsvorschriften kausal geworden ist, bedarf ebenfalls der Klärung.
Diese Ausführungen macht der Senat sich zu eigen und legt sie seiner Entscheidung zugrunde. Wie das Amtsgericht zutreffend festgestellt hat, fällt dem Betroffenen dann eine Aufsichtspflichtverletzung zur Last, wenn er die Aufsichtspflicht delegiert, die Aufsichtsperson indes nicht sorgfältig ausgewählt und ordnungsgemäß überwacht hat. Wie das Amtsgericht aber auch selbst zutreffend ausgeführt hat, fehlt es bezüglich der Auswahl der Aufsichtsperson an hinreichenden Feststellungen. Dies ist jedoch Aufgabe des Tatgerichts. Des weiteren hat das Amtsgericht dargelegt, dass es entgegen seiner Verpflichtung keine Feststellungen hinsichtlich der im Betrieb des Betroffenen geltenden allgemeinen Regelung zur Übertragung der Aufsichtspflicht im Hinblick auf Sicherungsmaßnahmen getroffen hat. Aufgrund dieser unzureichenden Tatsachenfeststellungen durch das Amtsgericht kann das Urteil keinen Bestand haben. Jedenfalls mit der Begründung durch das Tatgericht ist der Freispruch des Betroffenen nicht zu rechtfertigen.
Nach alledem war das angefochtene Urteil mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Siegen zurückzuverweisen.
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