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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 3 Ws 466/02 OLG Hamm

Leitsatz: Zur Anordnung einer umfassenden akustischen Besuchsüberwachung zur Vermeidung von Fluchtvorbereitungen
Senat: 3

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: Akustische Besuchsübewachung,

Normen: StPO 119, UVollzO Nr. 74

Beschluss: Strafsache
gegen J.M.
unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln,
(hier: Beschwerde des Angeklagten gegen die Versagung der Aufhebung der akustischen Besuchsüberwachung).

Auf die Beschwerde des Angeklagten vom 08.08.2002 gegen den Beschluss der XI. Strafkammer des Landgerichts Bielefeld vom 30.07.2002 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 10. 09. 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Die Beschwerde wird auf Kosten des Beschwerdeführers als unbegründet verworfen.

Gründe:
I.
Das Amtsgericht Herford hat den Beschwerdeführer am 05.04.2002 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt und den gegen den Angeklagten erlassenen Haftbefehl des Amtsgerichts Bad Oeynhausen vom 31.10.2001 aufrechterhalten. Aufgrund dieses Haftbefehls, der auf den Haftgrund der Fluchtgefahr gestützt ist, befindet sich der Beschwerdeführer seit seiner Festnahme am 31.10.2001 bis heute ununterbrochen in Untersuchungshaft.
Gegen das Urteil des Amtsgerichts Herford vom 05.04.2002 hat der Beschwerdeführer form- und fristgerecht Berufung eingelegt. Termin zur Berufungshauptverhandlung ist anberaumt auf den 12. und 14.11.2002. Ziel der Berufung ist der Freispruch des Beschwerdeführers.
Mit Schreiben vom 27.06.2002 hat der Verteidiger des Beschwerdeführers beantragt, die akustische Besuchsüberwachung für sämtliche Besuche des Angeklagten aufzuheben. Zur Begründung hat er ausgeführt, sämtliche Besuche des Angeklagten könnten ohne akustische Überwachung durchgeführt werden. Dies stehe dem Sicherungszweck des Verfahrens nicht entgegen. Dies ergebe sich bereits aus der Zeugenliste erster Instanz. Es stünden überhaupt keine Zeugen zur Verfügung, auf die eingewirkt werden könnte.
Das Landgericht hat mit Beschluss vom 30.07.2002 die Aufhebung der akustischen Besuchsüberwachung abgelehnt und zur Begründung ausgeführt, dass der Angeklagte sich zur Sache bislang nicht näher eingelassen habe. Der Angeklagte sei Mitglied der „Hells Angels“, einem Motorrad-Rocker-Club, der vor allem im Rotlichtmilieu und im BtM-Bereich aktiv sei. Vor der Festnahme des Angeklagten sei der Polizei im Rahmen der TKÜ-Maßnahme bekannt geworden, dass der Angeklagte für ca. 2 Wochen nach Thailand fliegen wollte, um einem anderen Mitglied der „Hells Angels“ dort beim Aufbau einer neuen Gruppe zu helfen. Danach habe er beabsichtigt, spätestens Januar/Februar 2002 auf Dauer nach Thailand auszuwandern. Darüber hinaus stehe am 17.09.2002 ein weiteres Berufungsverfahren an, in dem es um eine weitere Verurteilung des Angeklagten durch Urteil des Amtsgerichts Herford vom 04.03.2002 wegen gefährlicher Körperverletzung im minder schweren Fall zu einer Gesamtgeldstrafe von 200 Tagessätzen zu je 21 Euro gehe. Die Höhe der Strafen stelle für den Angeklagten einen recht beträchtlichen Fluchtanreiz dar. Vor diesem Hintergrund könne jedenfalls die beantragte umfassende Aufhebung der akustischen Besuchsüberwachung nicht gewährt werden.

Gegen diesen Beschluss hat der Angeklagte mit Schreiben seines Verteidigers vom 08.08.2002 Beschwerde eingelegt mit dem Antrag, die akustische Besuchsüber-
wachung insgesamt aufzuheben. Zur Begründung hat er u.a. ausgeführt, die
Hells Angels hätten mit dem vorliegenden Verfahren überhaupt nichts zu tun. Es bestünden auch keine Anhaltspunkte, dass der Angeklagte Fluchtbestrebungen habe. Immerhin habe der Angeklagte im Oktober 2002 bereits 12 Monate der Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verbüßt. Auch aus der Geldstrafe ergebe sich kein beträchtlicher Fluchtanreiz. Angesichts der Dauer der Untersuchungshaft und vor dem Hintergrund, dass bereits ein Urteil erster Instanz vorliege, sei die akustische Besuchsüberwachung aufzuheben. Für den Angeklagten gebe es nichts mehr zu verdunkeln.

II.
Die gemäß § 304 Abs. 1 StPO, Nr. 74 Abs. 1 UVollzO zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Das Landgericht hat zu Recht die vollständige Aufhebung der akustischen Besuchsüberwachung für sämtliche Besuche, die der Beschwerdeführer empfängt, abgelehnt. Eine auf einen bestimmten Personenkreis beschränkte Aufhebung der akustischen Besuchsüberwachung ist dagegen nicht beantragt.

Das Landgericht hat die Aufhebung der akustischen Besuchsüberwachung zu Recht abgelehnt, da hier konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Angeklagte akustisch nicht überwachte Besuche beliebiger Besucher zur Vorbereitung seiner Flucht aus der Untersuchungshaft nützen könnte.

Das dem Untersuchungsgefangenen grundsätzlich zustehende Recht, Besuche zu empfangen, darf gemäß § 119 Abs. 3 StPO nur insoweit eingeschränkt werden, als dies der Zweck der Untersuchungshaft oder die Ordnung der Vollzugsanstalt er-
fordern. Die Anordnung der akustischen Besuchsüberwachung stellt, wie auch die in § 27 Abs. 1 StVollzG vorgenommene Differenzierung zwischen der akustischen Überwachung und anderen Formen der Besuchsüberwachung zeigt, einen ganz erheblichen Eingriff in den persönlichen, durch Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Lebensbereich sowohl des Gefangenen als auch des Besuchers dar (BVerfG, StV 1993, 592). § 119 Abs. 3 StPO stellt sich damit als grundrechtseinschränkende Bestimmung dar, deren Auslegung der Tatsache Rechnung zu tragen hat, dass ein Untersuchungsgefangener noch nicht verurteilt worden ist und deshalb nur unvermeidlichen Beschränkungen unterworfen werden darf (BVerfG, NJW 1976, 1311; StV 1993, 592; OLG Köln StV 1995, 259; Senat, Beschluss vom 05.11.1996 - 3 Ws 514/96 -; Beschluss vom 24.02.1998 - 3 Ws 579/97 -; OLG Hamm, 5. Strafsenat, Beschluss vom 26.04.2001 - 5 Ws 174/01 -).
Der Richter hat daher stets zu prüfen, ob im Einzelfall überhaupt konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass ein nicht akustisch überwachter Besuch eine Gefährdung von Haftzweck oder Ordnung der Anstalt mit sich brächte (BVerfG, StV 1993, 592; Senat, a.a.O.; OLG Hamm, 5. Strafsenat, a.a.O.).
Der Umstand allein, dass ein möglicher Missbrauch eines Freiheitsrechts nicht völlig auszuschließen ist, reicht dagegen bei einer den Grundrechten Rechnung tragenden Auslegung von § 119 Abs. 3 StPO nicht aus, um dem Gefangenen Beschränkungen aufzuerlegen (BVerfG, StV 1993, 592; Senat, a.a.O.).
Insoweit ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung anerkannt, dass der Richter auch Besuche ohne Überwachung gestatten kann, wenn der Haftzweck, die Person der Beteiligten und die Ordnung der Anstalt es zulassen (Senat, a.a.O.; OLG Köln, StV 1995, 260; OLG Düsseldorf, StV 1983, 111; OLG Frankfurt, StV 1983, 289, 465;
LR-Wendisch, StPO, 24. Aufl., § 119 Rdnr. 42; KK-Boujong, StPO, 4. Aufl., § 119 Rdnr. 26).
Bei Vorliegen von Verdunkelungsgefahr wird daher die Anordnung akustischer Besuchsüberwachung naheliegen, beim Haftgrund der Fluchtgefahr dagegen nur dann, wenn konkrete Hinweise dafür bestehen, dass gerade zwischen dem Untersuchungsgefangenen und seinen Besuchern Fluchtpläne abgesprochen werden könnten (Senat, Beschluss vom 05.11.1996 - 3 Ws 514/96 OLG Hamm -; OLG Köln, StV 1995, 260).

Die nach diesen Grundsätzen gebotene Einzelfallprüfung ergibt für den vorliegenden Fall, dass es der Vorsitzende der Berufungskammer im Ergebnis zu Recht abgelehnt hat, die akustische Besuchsüberwachung bei sämtlichen Besuchen des Beschwerdeführers entfallen zu lassen.

Dabei kann dahinstehen, inwieweit mit der Überwachungsmaßnahme auch einer Verdunkelungsgefahr entgegengewirkt werden kann. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer mit seinen Besuchern Verdunkelungshandlungen besprechen würde, bestehen nicht. Auch die Ordnung der Anstalt erfordert nach der sich bei den Akten befindlichen Auskunft der JVA Detmold die akustische Überwachung der Besuche des Beschwerdeführers nicht.

Die akustische Besuchsüberwachung ist vorliegend jedoch zur Vermeidung von Fluchtvorbereitungen unerlässlich. Bereits der gegen den Angeklagten ergangene Haftbefehl ist auf den Haftgrund der Fluchtgefahr gestützt. Der Vorsitzende der Strafkammer hat in dem angefochtenen Beschluss auch von der Beschwerde unwidersprochen konkrete Umstände angeführt, aus denen sich Fluchtgefahr bei dem Angeklagten ergibt. Der Kammervorsitzende hat insoweit zu Recht darauf hingewiesen, dass bei dem Angeklagten bereits aufgrund seiner Mitgliedschaft bei den Hells Angels, einer weltweit operierenden Motorrad-Rocker-Gruppe, die gerichtsbekannt in vielfältige kriminelle Aktivitäten vornehmlich im Gebiet der Prostitution und des Rauschgifthandels verstrickt ist und über erhebliche Geldmittel verfügt, eine gesteigerte Fluchtgefahr besteht. Diese wird weiter dadurch konkretisiert, dass der Beschwerdeführer nach den Erkenntnissen aus der Telefonüberwachung konkret geplant hatte, sich auf Dauer nach Thailand abzusetzen, um dort bei den Hells Angels weiter aktiv zu sein. Der verbleibende Strafrest von mehr als einem Jahr und neun Monaten ist auch nicht so gering, dass bereits deshalb kein Fluchtanreiz mehr bestehen würde. Schließlich hat sich der Angeklagte in der Vergangenheit auch äußerst gewaltbereit gezeigt.

Die Fortdauer der akustischen Besuchsüberwachung ist für den Beschwerdeführer auch nicht unzumutbar. Zwar befindet er sich mittlerweile seit fast einem Jahr ununterbrochen in Untersuchungshaft. Dies rechtfertigt aber jedenfalls nicht die vollständige Aufhebung der akustischen Besuchsüberwachung. Für Besuche naher Familienangehöriger bleibt dem Beschwerdeführer nämlich unbenommen, jeweils konkret abgestellt auf den einzelnen Besucher die Aufhebung der akustischen Besuchsüberwachung zu beantragen. Dann könnte in jedem Einzelfall geprüft werden, ob auch von Gesprächen des Angeklagten gerade mit dem fraglichen Besucher eine gesteigerte Fluchtgefahr bzw. die Gefahr der Besprechung von Fluchtvorbereitungen zwischen dem Angeklagten und dem jeweiligen Besucher ausgeht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.


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