Aktenzeichen: (2) 4 Ausl. 251/02 (101/02) OLG Hamm
Leitsatz: Zur Fluchtgefahr bei einem Verfolgten, der seit 20 Jahren in der Bundesrepublik Deutschland lebt.
Senat: 2
Gegenstand: Auslieferungssache
Stichworte: Fluchtgefahr,
Normen: IRG 15
Beschluss: Auslieferungssache
betreffend den türkischen Staatsangehörigen O.Y.,
wegen Auslieferung des Verfolgten aus Deutschland nach Spanien zur Strafverfolgung wegen Körperverletzung, (hier: Antrag der Generalstaatsanwaltschaft auf Erlass eines förmlichen Auslieferungshaftbefehls).
Auf den Antrag der Generalstaatsanwaltschaft in Hamm vom 20. September 2002, gegen den Verfolgten die förmliche Auslieferungshaft anzuordnen, hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 25. 09. 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht beschlossen:
Der Antrag auf Erlass eines förmlichen Auslieferungshaftbefehls wird abgelehnt.
Gründe:
Ihren Antrag, gegen den Verfolgten die förmliche Auslieferungshaft anzuordnen, hat die Generalstaatsanwaltschaft wie folgt begründet:
Die spanischen Behörden haben mit Verbalnote ihrer Botschaft vom 15.08.2002 - Nr. 146 - um Auslieferung des Verfolgten zum Zwecke der Strafverfolgung wegen der ihm in dem Haftbefehl des Strafgerichts in Girona vom 16.07.2002 - 282/99 - zur Last gelegten Straftat ersucht.
Dem Verfolgten wird zur Last gelegt, am 08.09.1998 gegen 22.30 Uhr in Lloret de Mar im Hotel Royal Beach der Geschädigten C.M. mehrmals mit der Faust in das Gesicht geschlagen und sie getreten zu haben, so dass die Geschädigte einen Nasenbeinbruch, eine Platzwunde auf der Nase und Prellungen am Arm erlitten habe. Außerdem habe der Verfolgte mehrmals den Hotelwächter J.T. geschlagen, als dieser in die Schlägerei eingegriffen habe. Aufgrund der Schläge habe der Geschädigte M. eine Verrenkung des rechten Knöchels und Schürfwunden am rechten Arm erlitten.
Zuvor hatte bereits SIRENE Spanien durch Vermittlung des Bundeskriminalamtes mit Funkspruch vom 24.05.2002 um die Festnahme des Verfolgten zum Zwecke der Auslieferung zur Strafverfolgung wegen der oben bezeichneten Straftat ersucht (Bl. 1 ff der ursprünglichen Akten 4 Ausl. 167/02 GStA Hamm).
Der Verfolgte war aufgrund des spanischen Festnahmeersuchens am 10.07.2002 unter seiner Wohnanschrift festgenommen worden und befand sich aufgrund der Festhalteanordnung des Amtsgerichts Dortmund vom 11.07.2002 - 77 Gs 1021/02 - bis zum 22.07.2002 in Auslieferungshaft in der Justizvollzugsanstalt Dortmund. Hintergrund der sofortigen Entlassung des Verfolgten am 22.07.2002 war, dass aufgrund des seinerzeit von den spanischen Behörden mitgeteilten Sachverhalts von der Beantragung eines vorläufigen Auslieferungshaftbefehls abgesehen wurde.
Die Voraussetzungen für die Anordnung der förmlichen Auslieferungshaft liegen nach diesseitiger Auffassung nunmehr vor.
Die dem Verfolgten zur Last gelegte Straftat ist sowohl nach spanischem als auch nach deutschem Recht zumindest als Körperverletzung strafbar und mit Freiheitsstrafe im Höchstmaß von mindestens einem Jahr bedroht.
Die Auslieferung des Verfolgten nach Spanien erscheint nicht von vornherein unzulässig. Die Auslieferungsfähigkeit der ihm vorgeworfenen Straftat ergibt sich aus Artikel 2 Abs. 1 des EuAlÜbk. Anhaltspunkte dafür, dass der Verfolgte deutscher Staatsangehöriger sein könnte, liegen nicht vor. Die Auslieferung erscheint auch sonst nicht von vornherein unzulässig.
Die Anordnung der förmlichen Auslieferungshaft ist geboten, weil der Verfolgte im Falle der Auslieferung mit der Verhängung einer empfindlichen Freiheitsstrafe in Spanien zu rechnen hat. Ausweislich des Gerichtsbeschlusses zur Untersuchungshaft des Gerichts in Girona vom 16.07.2002 wird gegen den Verfolgten für die ihm zur Last gelegten Straftaten eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten sowie eine Geldstrafe von zwei Monaten zu einem Tagessatz von 2000 Pta beantragt. Diese Straferwartung stellt einen Fluchtanreiz dar.
Soweit der Beistand des Verfolgten mit Schriftsatz vom 15.07.2002 (Bl. 36 ff der ursprünglichen Akte 4 Ausl. 167/02) darauf verweist, der Verfolgte sei Student und habe in Deutschland einen festen Wohnsitz, vermag dies kein anderes Ergebnis zu begründen, da sich der Verfolgte seit über drei Jahren der Strafverfolgung in Spanien entzieht. Dabei stehen gerade die familiären und sozialen Bindungen des Verfolgten in Deutschland der Erwartung entgegen, er werde sich freiwillig wegen der erhobenen Vorwürfe in spanische Untersuchungshaft begeben. Dies gilt umso mehr, als der Verfolgte nach Mitteilung seines Verteidigers nicht davon ausgeht, in Spanien auf ein faires Verfahren hoffen zu können, weil die Entlastungszeugen nicht bereit wären, zu einer Hauptverhandlung nach Spanien zu reisen. Es ist daher zu erwarten, dass sich der Verfolgte ohne die Anordnung und den Vollzug der Auslieferungshaft auch dem weiteren Verfahren durch Flucht entziehen wird. Die Auslieferungshaft steht schließlich nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der in Spanien zu erwartenden Strafe. Nach Verkündung des beantragten Haftbefehls wird ggfls. zu prüfen sein, ob und unter welchen Auflagen eine Außervollzugsetzung des Haftbefehls in Betracht kommt.
Diesen Ausführungen vermag der Senat bei vorläufiger Bewertung insoweit noch beizutreten, als die Auslieferung nicht von vornherein als unzulässig erscheint.
Anzumerken ist in diesem Zusammenhang, dass es sich bei dem Verfolgten, der nach Ermittlungen der deutschen Polizei mit Vornamen O. und mit Familiennamen Y. heißt, um die von den spanischen Behörden gesuchte Person handelt. Zwar haben die spanischen Behörden insoweit Vor- und Familiennamen vertauscht und sich nach entsprechendem Hinweis durch das Landeskriminalamt außerstande gesehen, insoweit eine Änderung vorzunehmen, da die Personalien damals bei der Festnahme nach der Tat in Spanien so aufgenommen worden seien; doch hat der Vergleich des von den spanischen Behörden übermittelten erkennungsdienstlichen Materials mit den im Juli 2002 durch die Kriminalpolizei in Dortmund genommenen Fingerabdrücken zweifelsfrei ergeben, dass es sich bei dem zunächst im Juli 2002 festgenommenen Verfolgten um die gesuchte Person handelt.
Der Senat vermag jedoch nicht der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft zu folgen, dass die Anordnung der förmlichen Auslieferungshaft derzeit geboten ist, um die weitere Durchführung des Auslieferungsverfahrens und die Auslieferung des Verfolgten nach Spanien sicherzustellen.
Zwar kann dem Haftbefehl des Strafgerichts in Girona vom 16. Juli 2002 entnommen werden, dass die Anklageschrift vom 23. November 1998 und der Eröffnungsbeschluss zur Hauptverhandlung vom 30. November 1998 dem Verfolgten am 22. Juli 1999 im Wege der Rechtshilfe über die Staatsanwaltschaft in Dortmund persönlich zugestellt worden ist mit der Aufforderung, einen Rechtsanwalt bzw. einen Prozess-
bevollmächtigten zu stellen. Da er dieser Aufforderung nicht gefolgt war, wurde durch das Gericht in Girona ein Rechtsanwalt gestellt, der am 13. Oktober 1999 eine entsprechende Verteidigungsschrift eingereicht haben soll. Zu der auf den 10. Mai 2000 anberaumten Hauptverhandlung in Girona ist der Verfolgte nicht erschienen, obwohl er wiederum im Wege der Rechtshilfe über die Staatsanwaltschaft in Dortmund geladen worden ist. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft wurde die mündliche Gerichtsverhandlung sodann ausgesetzt, weil eine Verhandlung in Abwesenheit aufgrund der beantragten Strafhöhe nicht möglich war. Am 24. Mai 2002 wurde ein erster Steckbrief mit Haftbefehl erlassen, der sodann durch den nunmehr erlassenen Haftbefehl des Gerichts in Girona vom 16. Juli 2002 ersetzt worden ist.
Gleichwohl ist ein Haftgrund i.S.d. § 15 Abs. 1 Nr. 1 IRG derzeit nicht gegeben. Der Verfolgte lebt seit rund 20 Jahren in der Bundesrepublik Deutschland, ist hier zur Schule gegangen, wohnt weiterhin in Dortmund bei seinen Eltern und studiert Telekommunikationstechnik. Er lebt also in jeder Hinsicht sozial integriert, so dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass er sich dem Auslieferungsverfahren entziehen wird. Nach seinen Angaben vor dem Amtsgericht Dortmund anlässlich seiner Festnahme im Juli 2002 hat er zudem zum Ausdruck gebracht, vor etwa drei Jahren von den spanischen Behörden Briefe bekommen zu haben, die er jedoch seinem Rechtsanwalt übergeben habe, worauf er davon ausgegangen sei, dass die Sache erledigt worden ist, zumal er auch Geld gezahlt und lange Zeit nichts mehr von dieser Sache gehört habe.
Zudem hat der Beistand des Verfolgten in der von der Generalstaatsanwaltschaft erwähnten Schutzschrift vom 15. Juli 2002 zum einen zwar darauf hingewiesen, dass nicht davon ausgegangen werden könne, dass die Entlastungszeugen bereit wären zu einer Hauptverhandlung nach Spanien zu reisen. Gleichzeitig hat der Verfolgte jedoch erklären lassen, dass er im Falle der Zulässigkeit der Auslieferung einen Hauptverhandlungstermin in Spanien wahrnehmen werde und in diesem Falle auch bereit wäre, sich strengen Meldeauflagen zu unterwerfen und seine Personalpapiere zu hinterlegen.
Unter den gegebenen Umständen ist nicht ersichtlich, wohin sich der Verfolgte angesichts seiner festen sozialen Bindungen an seinen deutschen Wohnort und an
seine Familie begeben sollte, um sich dem weiteren Auslieferungsverfahren zu entziehen. Es erscheint vielmehr naheliegend, dass sich der Verfolgte nunmehr - mit Hilfe seines Beistands und evtl. eines spanischen Rechtsanwalts - mit dem Gericht in Girona in Verbindung setzen wird, um evtl. eine Klärung im Hinblick auf eine künftige Hauptverhandlung und den Fortbestand des spanischen Auslieferungsersuchens zu erreichen.
Der Senat geht daher derzeit davon aus, dass sich der Verfolgte für das weitere Auslieferungsverfahren zur Verfügung halten wird, so dass der Antrag der Generalstaatsanwaltschaft auf Erlass eines Auslieferungshaftbefehls abzulehnen war.
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