Aktenzeichen: 2 (s) Sbd. VII - 188/02 OLG Hamm
Leitsatz: Zur Einordnung eines Schwurgerichtsverfahrens als "besonders schwierig" im Sinn von § 99 Abs. 1 BRAGO
Senat: 2
Gegenstand: Pauschvergütung
Stichworte: besonderer Umfang, besondere Schwierigkeit, Schwurgerichtsverfahren, Nebenkläger, Bedeutung des Verfahrens
Normen: BRAGO 99
Beschluss: Strafsache
gegen T.S.
wegen Mordes u.a. (hier: Anträge auf Bewilligung einer Pauschvergütung für den als Nebenklägervertreter bestellten Rechtsanwalt).
Auf den Antrag des Rechtsanwalts F. aus K. vom 18. Juni 2002 auf Bewilligung einer Pauschvergütung für die Vertreter der Nebenkläger J. und Jo.B., sowie M., A. und B.B. hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 30. September 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Landgericht nach Anhörung des Leiters des Dezernats 10 der Verwaltungsabteilung des Oberlandesgerichts beschlossen:
Der Antrag wird abgelehnt.
Gründe:
I.
Dem ehemaligen Angeklagten wurde im vorliegenden Verfahren zur Last gelegt, am 28. Januar 1998 die damals 22-jährige C.B. und am 4. August 2001 die 24 Jahre alte M.B. aus sexuellen Motiven ermordet zu haben. Er ist deshalb durch Urteil des Landgerichts Münster vom 13. Juni 2002 zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Der Antragssteller ist den Brüdern der C.B., die sich dem Verfahren als Nebenkläger angeschlossen hatten, und den Eltern und der Schwester der M.B., die sich ebenfalls als Nebenkläger angeschlossen hatten, als Beistand beigeordnet worden. Er beantragt nunmehr für seine für seine jeweiligen Mandanten erbrachten Tätigkeiten die Gewährung einer Pauschvergütung, die er im Wesentlichen mit folgenden Tätigkeiten begründet:
Der Antragsteller hat vor Eröffnung des Verfahrens für seine Mandanten mehrere Schreiben verfasst und einmal Akteneinsicht genommen. Die Akten bestanden aus 10 Leitzordnern und weiteren Aktenbänden, in denen sich die zahlreichen Vernehmungsprotokolle, Spurensicherungsberichte und Gutachten befanden. Er hat außerdem vor und während der Hauptverhandlung seine Mandanten besucht. Dazu hat er sich zweimal von Köln nach Essen, dem Wohnort der Mandanten B., und zweimal von Köln nach Ahaus, dem Wohnsitz der Mandanten Be., begeben. Den Zeitaufwand für die Besuche bei den Mandanten B. hat der Antragsteller nicht näher angeben, der Zeitaufwand bei der Familie Be. hat nach Angaben des Antragstellers 18 Stunden betragen. Der Antragsteller hat außerdem beim Schwurgericht einen Adhäsionsantrag der Nebenkläger eingereicht, mit dem ein Schmerzensgeld von mindestens 100.000 EURO geltend gemacht worden ist.
Der Antragsteller hat an allen 9 Hauptverhandlungsterminen beim Schwurgericht in Münster teilgenommen. Die durchschnittliche Dauer der Hauptverhandlungstermine hat 3 Stunden 37 Minuten betragen. Der längste Termin dauerte 6:35 Stunden, der kürzeste nur 0:50 Stunden. Die Termine waren locker terminiert. Das gegen den ehemaligen Angeklagten ergangene Urteil ist durch Fristablauf rechtskräftig geworden.
Wegen des weiteren Umfangs der Inanspruchnahme und der von dem Antragsteller für seine Mandanten erbrachten Tätigkeiten wird auf die dem Antragsteller bekannt gemachte Stellungnahme des Leiters des Dezernats 10 vom 09. September 2002 Bezug genommen.
Die gesetzlichen (Pflichtverteidiger-)Gebühren des Antragstellers betragen 6.512 EURO. Darin ist berücksichtigt, dass der Antragsteller fünf Nebenkläger vertreten hat und ihm somit über § 6 Abs. 1 Satz 3 BRAGO auf das 2,2-Fache der gesetzlichen Gebühren erhöhte Gebühren zustehen. Die stellvertretende Vorsitzende des Schwurgerichts hat das Verfahren als nicht "besonders schwierig" angesehen. Der Vertreter der Staatskasse hat sich dem angeschlossen. Er sieht das Verfahren auch nicht als besonders umfangreich an und hat demgemäss beantragt, den Antrag abzulehnen.
II.
Dem Antragsteller steht ein Pauschvergütungsanspruch nach den §§ 102, 99 BRAGO nicht zu.
1. Das Verfahren war nicht "besonders schwierig". "Besonders schwierig" im Sinn des § 99 Abs. 1 BRAGO ist ein Verfahren, das aus besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Gründen über das Normalmaß hinaus erheblich verwickelt ist (vgl. dazu Burhoff StraFo 1999, 261, 264). Das ist vorliegend der nicht Fall. Insoweit tritt der Senat mit dem Vertreter der Staatskasse der sachnahen Einschätzung der stellvertretenden Vorsitzenden der Strafkammer bei. Ein Grund, der Einschätzung nicht zu folgen, ist nicht ersichtlich (vgl. insoweit Senat in AnwBl. 1998, 416 = ZAP EN-Nr. 609/98 = AGS 1998, 104 und Senat in JurBüro 1999, 194 = AGS 1999, 104 = AnwBl. 2000, 56). Diese hat ihre Einschätzung damit begründet, dass der ehemalige Angeklagte die Taten gegenüber den Vernehmungsbeamten und dem Haftrichter gestanden habe.
Dem tritt der Senat bei und weist zusätzlich auf folgendes hin: Der Senat hat bereits wiederholt darauf hingewiesen, dass in Schwurgerichtsverfahren der Gesetzgeber dem besonderen, im Vergleich zu anderen Verfahren vor der Strafkammer in der Regel höheren, Schwierigkeitsgrad schon dadurch Rechnung getragen hat, dass der Verteidiger höhere (gesetzliche) Gebühren erhält als in "normalen" Strafkammerverfahren (vgl. dazu u.a. Senat in StraFo 2000, 286 = ZAP EN-Nr. 557/2000 = AnwBl. 2001, 246). Demgemäss führen Schwierigkeiten, die in anderen Verfahren zur Bejahung des Merkmals der "besonderen Schwierigkeit" herangezogen werden können, in diesen Verfahren nicht automatisch auch zur Bejahung dieses Merkmals. Das gilt vorliegend insbesondere für die zahlreichen Sachverständigengutachten und die durchgeführten Vernehmungen. Deren große Zahl wird zusätzlich noch relativiert, dass sie, nachdem der ehemalige Angeklagte geständig war und - was von Bedeutung ist - geständig blieb, teilweise ihre Bedeutung für das Verfahren verloren haben. Zwar hat der ehemalige Angeklagte sich in der Hauptverhandlung nicht zur Sache eingelassen, er hat aber seine Täterschaft auch nicht bestritten und auch nicht die Verwertbarkeit der im Ermittlungsverfahren durchgeführten Vernehmungen angegriffen. Damit war der Prozessstoff zur Zeit des Tätigwerdens des Antragstellers, vor allem also während der Hauptverhandlung, nicht (mehr) besonders schwierig im Sinn von § 99 Abs. 1 BRAGO (zur Einordnung eines Schwurgerichtsverfahrens als besonders schwierig siehe z.B. Senat in ZAP EN-Nr. 393/2002 = Rpfleger 2002, 480).
Die Bedeutung des Verfahrens für die Mandanten des Antragstellers ist bei der Beurteilung der Frage der "besonderen Schwierigkeit" ohne Belang. Insoweit gelten die gleichen Überlegungen wie bei der Vertretung eines Angeklagten (vgl. dazu Burhoff StraFo 1999, 261, 263). Der Senat weist in dem Zusammenhang aber ausdrücklich darauf hin, dass damit keineswegs in Abrede gestellt werden soll, dass es sich für die Mandanten des Antragstellers um ein "fürchterliches Geschehen" gehandelt hat.
2. Das Verfahren war für den Antragsteller auch nicht "besonders umfangreich" im Sinn des § 99 Abs. 1 BRAGO.
Bei den insoweit zu berücksichtigenden Tätigkeiten war vor allem die Teilnahme des Antragstellers an den Hauptverhandlungsterminen berücksichtigt. Diese waren jedoch mit einer durchschnittlichen Dauer von nur 3 Stunden und 37 Minuten für ein Schwurgerichtsverfahren nur unterdurchschnittlich lang gewesen. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass auch bei Schwurgerichtsverfahren eine Tendenz zu kürzeren Hauptverhandlungen festzustellen ist. Dies zu beurteilen, ist der Senat aufgrund der Vielzahl der bei ihm anhängigen Pauschvergütungsverfahren in der Lage. Auch die Länge der einzelnen Hauptverhandlungstermine führt vorliegend nicht zu einer anderen Beurteilung (vgl. dazu Senat in ZAP EN-Nr. 34/2002 = AGS 2002, 37 = AnwBl. 2002, 433). Nur zwei der Termine haben nämlich mehr als 6 Stunden gedauert. Die Termine waren zudem mit 9 Terminen in der Zeit vom 3. Mai 2002 bis zum 3. Juni 2002 locker terminiert.
Soweit der Antragsteller auf den Umfang der Akten verweist, ist dieser zwar beträchtlich. Ein großer Teil der Akten befasst sich jedoch mit den Bemühungen der örtlichen Ermittlungsbehörden in Zusammenhang mit der Suche nach den verschwundenen Opfern und der anschließenden Ermittlung des Täters. Nachdem der ehemalige Angeklagte dann als Täter ermittelt war, waren diese Aktenbestandteile angesichts des Geständnisses des ehemaligen Angeklagten für das weitere Verfahren im Wesentlichen ohne Belang.
Auch der vom Antragsteller erbrachte Zeitaufwand für Besuche seiner Mandanten macht das Verfahren nicht "besonders umfangreich" im Sinn von § 99 Abs. 1 BRAGO. Dabei geht der Senat davon aus, dass dieser Zeitaufwand - ebenso wie der von einem Pflichtverteidiger für die Besuche seines Mandanten in der Justizvollzugsanstalt erbrachte Aufwand - bei der Gewährung einer Pauschvergütung für den Nebenklägervertreter zu berücksichtigen sein wird. Diese Frage kann indes dahinstehen. Denn insoweit ist zu berücksichtigen, dass dieser Zeitaufwand durch die nur unterdurchschnittliche Dauer der Hauptverhandlungstermine, vor allem aber dadurch kompensiert wird, dass dem Antragsteller wegen der Vertretung von insgesamt 5 Nebenklägern der 2,2-fache Satz der gesetzliche Gebühren zusteht. In dem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der vom Antragsteller geltend gemachte Aufwand für die Betreuung der "Verwandten meiner Nebenkläger" für die beantragte Pauschvergütung ohne jede Bedeutung ist. Von Belang ist nur der für die Nebenkläger erbrachte Zeitaufwand.
Nach allem war die Gewährung einer Pauschvergütung für die Vertretung der Nebenkläger abzulehnen.
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