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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 1 Vollz (Ws) 323/01 OLG Hamm

Leitsatz: Für die Entscheidung über Erteilung oder Verweigerung einer Zustimmung gemäß § 83 Abs. 1 StVollzG sind neben den Voraussetzungen des § 19 StVollzG auch andere Kriterien wie allgemeine Vollzugsziele, Unterbindung von Schwarzgeschäften und Abhängigkeiten zwischen Gefangenen usw. maßgeblich. Der Vollzugsbehörde steht hierbei ein eigenverantwortlicher Beurteilungsspielraum zu.

Senat: 1

Gegenstand: Strafvollzugssache

Stichworte: Gegenstände im Gewahrsam des Strafgefangenen

Normen: StVollzG 83, StVollzG 19

Beschluss: Strafvollzugssache
betreffend den Strafgefangenen H.O.
wegen Rechtmäßigkeit von Maßnahmen der Vollzugsbehörde.
Auf die Rechtsbeschwerde des Leiters der Justizvollzugsanstalt Werl vom 20. Dezember 2001 gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Arnsberg vom 20. November 2001 hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 26. 02. 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung des Betroffenen und des Präsidenten des Justizvollzugsamts Westfalen-Lippeeinstimmig beschlossen:

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens 1. und 2. Instanz fallen dem Betroffenen zur Last (§ 121 Abs. 1 u. 4 StVoIIzG).
Der Geschäftswert beträgt 100,- Euro.

Gründe:
Der Betroffene verbüßt zur Zeit eine Freiheitsstrafe in der Justizvollzugsanstalt Werl. Anlässlich einer Haftraumkontrolle am 23. August 2000 wurde festgestellt, dass er im Besitz eines Radioweckers der Marke „Yoko" war, der in der Erlaubniskarte des Betroffenen nicht eingetragen war. Das Gerät wurde daraufhin eingezogen und zur Habe des Betroffenen verfügt. Nach den Feststellungen des zugleich eingeleiteten Disziplinarverfahrens hatte sich der Betroffene diesen Radiowecker offensichtlich „im Tauschwege" von einem Mitgefangenen verschafft.
Gegen die Entscheidung des Leiters der Justizvollzugsanstalt, den Radiowecker zur Habe des Gefangenen zu nehmen, hat der Betroffene Widerspruch eingelegt. Dieser blieb erfolglos, weil nach Auffassung des Präsidenten des Justizvollzugsamtes ein Gefangener gemäß § 83 Abs. 1 StVoIIzG nur solche Sachen annehmen darf, die ihm von der Anstalt oder mit deren Zustimmung überlassen worden sind. Eine solche Erlaubnis liege nicht vor.
Der dagegen gerichtete Antrag des Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung hatte keinen Erfolg, weil nach Auffassung der Strafvollstreckungskammer eine hinreichende Begründung des Antrags nicht vorlag. Die gegen diese Entscheidung gerichtete Rechtsbeschwerde des Betroffenen führte zur Aufhebung dieser Entscheidung, weil die von dem Betroffenen zur Begründung seines Antrags auf gerichtliche Entscheidung in Bezug genommenen weiteren Vollzugsverfahren (hier: Vollz 214 u. 25812000) von der Strafvollstreckungskammer nicht dargestellt und berücksichtigt worden waren. Der Senat hat deshalb mit Beschluss vom 13. Juli 2001 das Verfahren zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Landgericht Arnsberg zurückverwiesen.
Die Strafvollstreckungskammer hat nunmehr mit Beschluss vom 20. November 2001 den Leiter der Justizvollzugsanstalt verpflichtet, den am 1. September 2000 zur Habe verfügten Radiowecker der Marke „Yoko" an den Antragsteller herauszugeben. Die Strafvollstreckungskammer hat dazu u.a. folgendes ausgeführt:
„Der vom Antragsteller gestellte Vornahmeantrag im Sinne von § 113 StrVollzG hat Erfolg, weil der Antragsgegner zur Herausgabe des Wecker verpflichtet ist. Dies ergibt sich aus § 19 StrVollzG. Gemäß § 19 Abs. 1 S. 1 StrVollzG darf der Gefangene seinen Haftraum im angemessenem Umfang mit eigenen Sachen ausstatten. Diese Regelung regelt den Besitz von Gegenständen zur Verbesserung des allgemeinen Lebenskomforts, zu denen auch der Besitz eines Weckers gehört. Die Ausstattung des Haftraumes des Antragstellers mit einem Wecker ist angemessen. Denn sie entspricht demjenigen, was einem Gefangenen zur menschenwürdigen Gestaltung einer Privatsphäre zugestanden werden muss bzw. im Hinblick auf die räumlichen Möglichkeiten der JVA zugestanden werden kann. Es sind auch keine Ausschlussgründe i. S. von § 19 Abs. 2 StrVollzG ersichtlich. Dass der Gegenstand die Sicherheit und Ordnung der Anstalt gefährden könnte, ist nicht ersichtlich und auch vom Antragsgegner nicht vorgetragen worden.
Der Herausgabeverpflichtung der Behörde steht auch nicht die Regelung93r§ 83 Abs. 1 entgegen. Hiernach darf der Gefangene nur Sachen im Gewahrsam haben oder annehmen, die ihm von Vollzugsbehörde oder mit ihrer Zustimmung überlassen werden. Ohne Zustimmung darf er nur Sachen von geringem Wert von einem anderen Gefangenen annehmen.

Dabei kann offen bleiben, ob hier die Regelung des § 83 Abs. 1 S. 1 StrVollzG einschlägig ist oder es sich um einen Gegenstand im Sinne von § 83 Abs. 1 S. 2 StVoIIzG handelt, der ohne Zustimmung der Vollzugsbehörde entgegengenommen werden darf. Denn jedenfalls wäre die Vollzugsbehörde auch dann zur Zustimmung zur Überlassung des Weckers verpflichtet gewesen, wenn es sich hierbei nicht um einen geringwertigen Gegenstand handelt. Denn die Kriterien, mit deren Hilfe die Anstalt ihre positive oder negative Entscheidung zur Zustimmung zu treffen hat, ergeben sich aus den allgemeinen Vorschriften betreffend den Gewahrsam von Sachen. Dazu gehört auch § 19 StrVollzG (vgl. Carlies/Müller, Dietz, Strafvollzugsgesetz § 83 Rdnr. 1). Aufgrund der Regelung des § 19 StrVollzG war der Antragsteller aber gerade nach dem oben gesagten zum Besitz des Weckers berechtigt. Weil der Antragsgegner jedenfalls zu Unrecht die Zustimmung zum Besitz des Weckers versagt hätte, war die Entscheidung, den Wecker an sich zu nehmen und zur Habe zur verfügen rechtswidrig und dem Antragsteller steht ein Anspruch auf Herausgabe des Weckers zu."

Gegen diese Entscheidung richtet sich die in zulässiger Weise eingelegte Rechtsbeschwerde des Leiters der Justizvollzugsanstalt. Das Rechtsmittel war zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, sowie zur Zurückweisung des Antrags auf gerichtliche Entscheidung.
Die Entscheidung der Vollzugsbehörde, den Radiowecker zur Habe des Betroffenen zu nehmen, beruht ersichtlich auf dem Umstand, dass der Betroffene diesen Gegenstand, der offensichtlich nicht von geringem Wert i.S. von § 83 Abs. 1 Satz 2 StVoIIzG ist, ohne die Zustimmung der Vollzugsbehörde von einem anderen Gefangenen angenommen hat. Damit hat der Betroffene aber zweifelsfrei gegen § 83 Abs. 1 Satz 1 StVoIIzG verstoßen, denn er darf nur Gegenstände im Besitz oder Gewahrsam haben oder annehmen, die ihm von der Vollzugsbehörde oder mit ihrer Zustimmung überlassen werden. Ohne Zustimmung darf er nur Sachen von geringem Wert von einem anderen Gefangenen annehmen.

Dabei kann offen bleiben, ob hier die Regelung des § 83 Abs. 1 S. 1 StrVollzG einschlägig ist oder es sich um einen Gegenstand im Sinne von § 83 Abs. 1 S. 2 StVoIIzG handelt, der ohne Zustimmung der Vollzugsbehörde entgegengenommen werden darf. Denn jedenfalls wäre die Vollzugsbehörde auch dann zur Zustimmung zur Überlassung des Weckers verpflichtet gewesen, wenn es sich hierbei nicht um einen geringwertigen Gegenstand handelt. Denn die Kriterien, mit deren Hilfe die Anstalt ihre positive oder negative Entscheidung zur Zustimmung zu treffen hat, ergeben sich aus den allgemeinen Vorschriften betreffend den Gewahrsam von Sachen. Dazu gehört auch § 19 StrVollzG (vgl. Carlies/Müller, Dietz, Strafvollzugsgesetz § 83 Rdnr. 1). Aufgrund der Regelung des § 19 StrVollzG war der Antragsteller aber gerade nach dem oben gesagten zum Besitz des Weckers berechtigt. Weil der Antragsgegner jedenfalls zu Unrecht die Zustimmung zum Besitz des Weckers versagt hätte, war die Entscheidung, den Wecker an sich zu nehmen und zur Habe zur verfügen rechtswidrig und dem Antragsteller steht ein Anspruch auf Herausgabe des Weckers zu."

Gegen diese Entscheidung richtet sich die in zulässiger Weise eingelegte Rechtsbeschwerde des Leiters der Justizvollzugsanstalt. Das Rechtsmittel war zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, sowie zur Zurückweisung des Antrags auf gerichtliche Entscheidung.

Die Entscheidung der Vollzugsbehörde, den Radiowecker zur Habe des Betroffenen zu nehmen, beruht ersichtlich auf dem Umstand, dass der Betroffene diesen Gegenstand, der offensichtlich nicht von geringem Wert i.S. von § 83 Abs. 1 Satz 2 StVoIIzG ist, ohne die Zustimmung der Vollzugsbehörde von einem anderen Gefangenen angenommen hat. Damit hat der Betroffene aber zweifelsfrei gegen § 83 Abs. 1 Satz 1 StVoIIzG verstoßen, denn er darf nur Gegenstände im Besitz oder Gewahrsam haben oder annehmen, die ihm von der Vollzugsbehörde oder mit
deren vorheriger Zustimmung überlassen werden. Das gilt auch für Gegenstände, die ihm von anderen Gefangenen - ggf. durch Tausch - überlassen werden. Eine solche Zustimmung liegt hier indes nicht vor, so dass die Vollzugsbehörde dem Betroffenen den Besitz des Radioweckers zu Recht entzogen hat.
Soweit die Strafvollstreckungskammer meint, auf das Fehlen der gemäß § 83 Abs. 1 StVoIIzG erforderlichen Zustimmung komme es nicht an, weil diese schon deshalb hätte erteilt werden müssen, da aus § 19 StVoIIzG ein Recht zum Besitz des Radioweckers folge, ist dies rechtsfehlerhaft.
Die Strafvollstreckungskammer geht dabei im Ansatz zwar zutreffend davon aus, dass im Rahmen des § 83 StrVollzG möglicherweise auch die Kriterien des § 19 StVoIIzG zu berücksichtigen sind, wenn der fragliche Gegenstand der Ausstattung des Haftraumes dienen soll (vgl. Callies/Müller-Dietz, 9. Auflage, RNr. 1 zu § 83 StrVollzG).
Die Strafvollstreckungskammer verkennt aber, dass die Voraussetzungen des § 19 StrVollzG nicht alleiniger Maßstab für die Erteilung oder Verweigerung der Zustimmung sein können, sondern dafür auch andere Kriterien - wie allgemeine Vollzugsziele, Unterbindung von Schwarzgeschäften und Abhängigkeiten zwischen Gefangenen etc.- maßgeblich sein können.
Vor allem aber lässt die angefochtene Entscheidung außer Betracht, dass die Beurteilung der Voraussetzungen des § 83 StrVollzG wie auch die dabei gegebenenfalls mitzuberücksichtigenden Kriterien des § 19 StrVollzG zunächst allein Sache der Vollzugsbehörde ist, der insoweit ein eigenverantwortlicher Beurteilungsspielraum zusteht. Die Strafvollstreckungskammer hat im Verfahren nach § 109 StrVollzG lediglich zu prüfen, ob die Vollzugsbehörde ihr Beurteilungsermessen fehlerfrei ausgeübt hat.
Etwas anderes könnte allenfalls dann gelten, wenn für die Vollzugsbehörde keine andere als die von der Strafvollstreckungskammer für richtig erachtete Entscheidung in Betracht käme, der Ermessensspielraum des Vollzuges also „auf Null reduziert" wäre.
Dies ist unter den gegebenen Umständen vorliegend aber ersichtlich weder hinsichtlich der allgemeinen Voraussetzungen des § 83 StrVollzG noch der Voraussetzungen des § 19 StrVollzG der Fall.
Sofern der Betroffene noch nachträglich auf Erteilung der Zustimmung gem. § 83 StrVollzG anträgt, wird die Vollzugsbehörde darüber unter Berücksichtigung obiger Grundsätze zu entscheiden haben.
Der angefochtene Beschluss war deshalb aufzuheben und der Antrag des Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung zurückzuweisen.


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