Aktenzeichen: 3 Ss 744/02 OLG Hamm
Leitsatz: Zum erforderlichen Umfang der Feststellungen bei einer Verurteilung wegen Vorenthalten der Sozialversicherungsbeiträgen
Senat: 3
Gegenstand: Revision
Stichworte: Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen; erforderlicher Umfang der Feststellungen; Vermögensschaden
Normen: StGB 266a, StPO 267
Beschluss: Strafsache
gegen F.R.
wegen Vorenthaltung von Beiträgen Zur Sozialversicherung
Auf die (Sprung-)Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Hattingen vom 17.05.2002 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 17. 10. 2002 durch den Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:
Das Urteil des Amtsgerichts Hattingen vom 17.05.2002 wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Hattingen zurückverwiesen.
Gründe:
Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme zu der Revision des Angeklagten Folgendes ausgeführt:
Die (Sprung-)Revision ist rechtzeitig eingelegt, sowie form- und gem. § 345 Abs. 1 S. 2 i.V.m. § 43 Abs. 2 StPO fristgerecht begründet worden. Sowohl die Einlegung der Revision als auch deren Begründung sind mittels unterschriebenen Telefaxes zulässig (zu vgl. OLG Düsseldorf NJW 1995, 671).
Das angefochtene Urteil ist auf die Sachrüge hin aufzuheben, da die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen den Schuldspruch wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt nicht tragen.
Die Urteilsgründe teilen lediglich mit, dass der Angeklagte vom Gehalt seiner Arbeitnehmer in den Monaten Mai bis August 2000 Sozialversicherungsbeiträge i.H.v. insgesamt 49.037,73 DM einbehalten hatte und es unterlassen hat, diese an die AOK Westfalen-Lippe und die Techniker Krankenkasse abzuführen. Allein aufgrund dieser Feststellungen ist es dem Revisionsgericht jedoch nicht möglich nachzuprüfen, ob der Angeklagte den Tatbestand des § 266 a StGB verwirklicht hat.
Bei § 266 a StGB handelt es sich um ein unechtes Unterlassungsdelikt. Der Tatbestand entfällt daher, wenn dem Arbeitgeber die Erfüllung der Leistungspflicht aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist (BGH NJW 1997, 133). Eine solche Unmöglichkeit ist dabei dann anzunehmen, wenn dem Arbeitgeber zum Fälligkeitszeitpunkt keinerlei finanzielle Mittel mehr zur Verfügung stehen, um die Sozialversicherungsbeiträge zu entrichten. Allerdings kann der Tatbestand auch dadurch verwirklicht werden, dass der Handlungspflichtige zwar zum Fälligkeitszeitpunkt zahlungsunfähig ist, es jedoch im vorhinein bei Anzeichen von Liquiditätsschwierigkeiten unterlassen hat, Sicherungsvorkehrungen für die Zahlung der Arbeitnehmerbeiträge zu treffen, und dabei billigend in Kauf genommen hat, dass diese später nicht mehr erbracht werden können (sog. omissio libera in causa, zu vgl. BGH NJW 1997, 1237; NJW 2002, 2481). Feststellungen bezüglich der Zahlungsfähigkeit der Esser & Co. GmbH oder einer pflichtwidrigen Herbeiführung der Zahlungsunfähigkeit enthält das Urteil jedoch nicht.
Solche sind auch nicht entbehrlich gewesen. Einer eingehenden Auseinandersetzung hiermit bedurfte es nämlich schon deshalb, da das Amtsgericht auch festgestellt hat, dass das Unternehmen im Laufe des Jahres 2000 erhebliche Auftragsrückgänge hinnehmen musste und trotz intensiver Anstrengungen letztlich nicht mehr zu retten war. Schließlich wurde auch zeitnah zum hier relevanten Tatzeitraum über das Vermögen der Essen & Co. GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet. In einer solchen angespannten Situation aber ist eine Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens nicht fernliegend. Schließlich ergeben die Feststellungen auch nicht eindeutig, ob der Beschuldigte im fraglichen Zeitraum an seine Arbeitnehmer Arbeitslohn ausbezahlt hat, so dass auch nicht unter diesem Gesichtspunkt die Zahlungsfähigkeit der Esser & Co. GmbH konstruiert werden kann. Die in den Urteilsgründen enthaltene Feststellung, dass der Angeklagte vom Gehalt seiner Arbeitnehmer Sozialversicherungsbeiträge einbehalten und diese nicht abgeführt hat, lässt nämlich nicht zweifelsfrei erkennen, ob das Amtsgericht hierdurch zum Ausdruck bringen wollte, der Angeklagte habe die Gehälter ausbezahlt und damit über ausreichend Barmittel verfügt. Damit aber sind die Feststellungen mehrdeutig und lassen eine Kontrolle durch das Revisionsgericht nicht zu.
Weitergehende Feststellungen hinsichtlich der Zahlungsfähigkeit waren auch nicht etwa aufgrund der Gesamtumstände, insbesondere des umfassenden Geständnisses des Angeklagten entbehrlich. Insoweit führt das Gericht nämlich nur aus, dass der Angeklagte aufgrund seiner in der Hauptverhandlung hervorgetretenen Eloquenz und Sachkunde das erörterte Zahlenwerk im Einzelnen verstanden hat. Damit bezieht sich das Gericht lediglich auf die tabellarisch aufgeführte Höhe der monatlichen Arbeitnehmerbeiträge. Dem Geständnis allein lässt sich aber nichts dafür entnehmen, dass der Angeklagte etwa auch eingeräumt hat, über ausreichende finanzielle Mittel verfügt zu haben.
Schließlich bedarf es in den Urteilsgründen regelmäßig auch der Angaben über die Anzahl der Beschäftigten, deren Beschäftigungszeiten, das zu zahlende Arbeitsentgelt und die Höhe der Beitragssätze, um dem Revisionsgericht die Kontrolle zu ermöglichen, ob zu den Arbeitnehmern auch sogenannte Geringverdiener gehörten, bei denen der Arbeitgeber die Beiträge gem. § 249 Abs. 2 Nr. 1 SGB V allein zu tragen hat. Die bloße Mitteilung des geschuldeten Sozialversicherungsbeitrags ist nicht ausreichend (BGH NStZ 1996, 543; NJW 2002, 2480; OLG Frankfurt StV 1999, 32). Diesen Anforderungen genügen die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen ebenfalls nicht, so dass die Revision auch aus diesem Gesichtspunkt begründet ist.
Hingegen nötigen die weiteren Ausführungen der Revision nicht zur Aufhebung des Urteils. Insbesondere vermögen sie einen durch die Revisionsanträge vorrangig erstrebten Freispruch durch das Revisionsgericht nicht zu rechtfertigen.
Soweit die Revision anführt, die Nichtabführung der Arbeitnehmeranteile könne aufgrund einer möglichen Anfechtung durch den späteren Insolvenzverwalter bereits nicht kausal für den eingetretenen Schaden der Krankenkassen gewesen sein, ist dieses Vorbringen unerheblich. Ein (Vermögens-)Schaden ist nämlich nicht Voraussetzung der Strafbarkeit nach § 266 a StGB.
Aber auch die grundsätzlich bestehende Möglichkeit einer späteren Insolvenzanfechtung vermag nicht die Strafbarkeit auszuschließen. Die Voraussetzungen der Strafbarkeit müssen nämlich zum Zeitpunkt der Tatbegehung feststehen. Sie können nicht von der lediglich hypothetischen Anfechtung durch den Insolvenzverwalter abhängig gemacht werden. Zudem spricht die st. Rspr. der Zivilgerichte, welcher sich nunmehr auch der V. Strafsenat des Bundesgerichtshofs ausdrücklich angeschlossen hat, den in § 266 a StGB genannten Ansprüchen Vorrang vor allen anderen Verbindlichkeiten des Arbeitgebers zu (zu vgl. BGH NJW 1997, 1237; NJW 2002, 2480, 2481). Dieser Vorrang begründet aber eine Höherwertigkeit der von § 266 a StGB geforderten Verhaltspflicht gegenüber einer in den §§ 130, 131 InsO mittelbar ihren Ausdruck findenden Pflicht, Zahlungen in der Krise zu unterlassen, so dass auch eine Rechtfertigung unter dem Gesichtspunkt einer Pflichtenkollision nicht in Betracht kommt.
Schließlich befindet sich der GmbH-Geschäftsführer auch in der Krise des Unternehmens nicht in der von der Revision angeführten Zwangslage. Die Gefahr einer Strafbarkeit gem. § 283 c StGB besteht bei Zahlung der fälligen Arbeitnehmeranteile bereits deshalb nicht, da es sich gerade um eine kongruente Befriedigung der Sozialversicherungsträger handelt. Des Weiteren macht sich der Geschäftsführer aber auch nicht gem. § 64 Abs. 2 GmbHG ersatzpflichtig, da es sich aufgrund des von der Rechtsprechung postulierten Vorrangs der Arbeitnehmeranteile um solche Zahlungen handelt, welche mit der Pflicht eines ordentlichen Geschäftsmanns i.S.d. § 64 Abs. 2 S. 2 GmbHG vereinbar sind (zu vgl. Lenckner/Perron in Schönke-Schröder, 26. Auflg., § 266 a StGB, Rz. 10).
Diesen zutreffenden Ausführungen tritt der Senat in vollem Umfang bei und macht sie zur Grundlage seiner Entscheidung.
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