Aktenzeichen: 2 Ws 464 u. 465/02 OLG Hamm
Leitsatz: Zur Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer bei Übergang von Untersuchungshaft in Strafhaft
Senat: 2
Gegenstand: Beschwerde
Stichworte: Zuständigkeit, Strafvollstreckungskammer, Übergang Untersuchungshaft in Strafhaft, Befasstsein
Normen: StPO 462 a
Beschluss: Strafsache
gegen P.K.
wegen Diebstahls, (hier: Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung, Bestellung eines Pflichtverteidigers und Ablehnung eines Richters).
Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten vom 6. November 2002 gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hagen vom 21. Oktober 2002 bezüglich des Widerrufs der Strafaussetzung zur Bewährung, auf die Beschwerde des Verurteilten vom 6. November 2002 gegen den genannten Beschluss bezüglich der Ablehnung der Bestellung eines Pflichtverteidigers sowie auf den Antrag des Verurteilten vom 6. November 2002 auf Ablehnung des Richters am Landgericht hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 12. 12. 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:
Der angefochtene Beschluss wird als gegenstandslos aufgehoben, soweit die Bestellung eines Pflichtverteidigers abgelehnt worden ist.
Im Übrigen wird der angefochtene Beschluss aufgehoben, soweit die Strafaussetzung zur Bewährung widerrufen worden ist.
In diesem Umfang hat die örtlich zuständige Strafvollstreckungskammer auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden.
Eine Sachentscheidung über den Antrag auf Ablehnung des Richters am Landgericht J. wegen Besorgnis der Befangenheit ist durch den Senat nicht veranlasst.
Gründe:
Der Beschwerdeführer ist im vorliegenden Verfahren durch Urteil des Amtsgerichts Dortmund vom 3. August 2000, rechtskräftig seit dem 11. August 2000, wegen Diebstahls in zwei Fällen sowie wegen versuchten Diebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Monaten, deren Vollstreckung für drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt worden war, verurteilt worden.
Nachdem der Verurteilte durch Urteil der Schwurgerichtskammer des Landgerichts Dortmund vom 7. Juni 2001, welches inzwischen seit dem 7. November 2001 rechtskräftig ist, wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt worden war, hat die Staatsanwaltschaft mit Verfügung vom 18. Oktober 2001 den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung beantragt. Das Amtsgericht hat daraufhin mit Verfügung vom 16. Januar 2002 Anhörungstermin auf den 11. April 2002 bestimmt. Auf den Antrag des Angeklagten vom 6. November 2001 hat es durch Beschluss vom 4. April 2002 Rechtsanwalt Dr. Neuhaus aus Dortmund im Verfahren über den Widerruf der Strafaussetzung zum Pflichtverteidiger bestellt.
Durch Beschluss vom 11. April 2002 hat das Amtsgericht vom Widerruf der Strafaussetzung abgesehen und stattdessen die Bewährungszeit um ein Jahr verlängert. Dieser Beschluss ist jedoch auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft durch Beschluss der XI. Strafkammer des Landgerichts Dortmund vom 14. Juni 2002 (14 (XI) Qs 39/02) aufgehoben worden, weil der erkennende Amtsrichter insoweit funktionell nicht mehr zuständig gewesen sei. In den Gründen dieses Beschlusses ist darauf hingewiesen worden, dass sich der Verurteilte im Zeitpunkt des Erlasses des damals angefochtenen Beschlusses bereits in Strafhaft wegen der Vollstreckung der achtjährigen Freiheitsstrafe befunden habe und deshalb die Strafvollstreckungskammer zuständig gewesen sei und es somit nicht darauf ankomme, dass das Amtsgericht mit nicht nachzuvollziehender Begründung vom Widerruf abgesehen habe.
Die Staatsanwaltschaft Dortmund hat sodann mit Verfügung vom 31. Juli 2002 die Akten der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hagen mit dem Antrag auf Widerruf vorgelegt.
Nachdem der Verteidiger des Verurteilten mit Schriftsatz vom 12. September 2002 erneut mündliche Anhörung zur Frage des Widerrufs sowie seine Beiordnung zum Pflichtverteidiger beantragt hatte, hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hagen diesen mit Verfügung vom 18. September 2002 darauf hingewiesen, dass eine mündliche Anhörung nicht für erforderlich gehalten werde und im Übrigen davon ausgegangen werde, dass die erfolgte Bestellung zum Pflichtverteidiger fortgelte.
Durch den nunmehr angefochtenen Beschluss hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hagen den Antrag auf Bestellung eines Pflichtverteidigers abgelehnt und die Strafaussetzung zur Bewährung widerrufen.
Dieser Beschluss vom 21. Oktober 2002 ist dem Verurteilten am 24. Oktober 2002 und dem Pflichtverteidiger am 4. November 2002 zugestellt worden. Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 6. November 2002, welcher per Telefax am darauffolgenden Tag und im Original am 11. November 2002 beim Landgericht Hagen eingegangen ist, hat der Verurteilte sowohl gegen die Ablehnung der Bestellung eines Pflichtverteidigers als auch gegen den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung die sofortige Beschwerde eingelegt.
Diese wird hinsichtlich der Ablehnung der Bestellung eines Pflichtverteidigers damit begründet, dass der Beschluss nicht erkennen lasse, ob die Ablehnung deshalb erfolgte, weil eine Bestellung wegen Fortwirkung der früheren Entscheidung des Amtsgerichts Dortmund überflüssig war oder ob die frühere Bestellung für unwirksam erachtet worden sei, die Bestellung eines Pflichtverteidigers aber nicht für erforderlich erachtet werde.
Bezüglich des Widerrufs ist der Beschwerdeführer der Ansicht, dieser sei zu Unrecht erfolgt.
Ferner hat der Verurteilte folgende Formulierung im angefochtenen Beschluss zum Anlass genommen, den Vorsitzenden der Strafvollstreckungskammer, Richter am Landgericht J., wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen:
Die erneute Verurteilung erfolgte wegen Totschlags; gegen den Probanden wurde eine Freiheitsstrafe von acht Jahren verhängt. Wenn eine solche Straftat nicht zum Widerruf der Strafaussetzung führt, ist das Institut der Bewährung reif für die Abschaffung. Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass die der Strafaussetzung zugrunde liegende günstige Prognose für den Probanden hinfällig ist."
Soweit sich der Beschwerdeführer gegen die Ablehnung der Pflichtverteidigung durch die Strafvollstreckungskammer wendet, ist die Beschwerde und der angefochtene Beschluss als gegenstandslos anzusehen. Eine wirksame Pflichtverteidigerbestellung für das Widerrufsverfahren lag bereits vor und musste nicht wiederholt werden. Gemäß § 141 Abs. 4 StPO entscheidet über die Bestellung als Pflichtverteidiger das Gericht, bei dem das Verfahren anhängig ist. Auch wenn das Amtsgericht Dortmund zum Zeitpunkt der Beschlussfassung insoweit nicht mehr zuständig war, war das Verfahren doch noch bei ihm anhängig. Damit ist auch die Pflichtverteidigerbestellung durch das Amtsgericht vom 4. April 2002 wirksam erfolgt. Einer erneuten Bestellung zum Pflichtverteidiger bedurfte es nicht. Demgemäss ist auch der Verteidiger mit Schreiben der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hagen vom 18. September 2002 darauf hingewiesen worden, dass von der Fortgeltung der Pflichtverteidigerbestellung ausgegangen werde. Der angefochtene Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 21. Oktober 2002 ist auch nicht etwa dahin zu verstehen, dass die bestehende Pflichtverteidigerbestellung aufgehoben und eine weitere Pflichtverteidigerbestellung abgelehnt wird.
Soweit sich der Verurteilte mit seiner sofortigen Beschwerde gegen den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung wendet, kann dem Rechtsmittel ein - allerdings vorläufiger - Erfolg nicht versagt werden.
Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hagen war für die Entscheidung über den beantragten Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung örtlich nicht zuständig.
Wie bereits den Akten entnommen werden kann (BI. 90, 91 d.A.) und wie der Senat durch Nachfrage bei den Justizvollzugsanstalten Dortmund und Hagen in Erfahrung gebracht hat, befand sich der Verurteilte seit dem 18. September 2000 in dem wegen des Tötungsdelikts gegen ihn geführten Verfahren zunächst in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt Dortmund. Auch nachdem das Urteil der Schwurgerichtskammer des Landgerichts Dortmund vom 7. Juni 2001 am 7. November 2001 rechtskräftig geworden war, befand sich der Verurteilte weiterhin zunächst in der Justizvollzugsanstalt Dortmund in Strafhaft. Er wurde erst am 12. April 2002 in die Einweisungsanstalt Hagen und von dort am 9. August 2002 in die Justizvollzugsanstalt Schwerte, in der er sich derzeit noch befindet, verlegt.
Mit der Aufnahme in den Strafvollzug der Justizvollzugsanstalt Dortmund ist aber die Bewährungsüberwachung im vorliegenden Verfahren auf die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Dortmund übergegangen. Geht nämlich die Untersuchungshaft nach Rechtskraft des Urteils unmittelbar in Strafhaft über, begründet dies nach allgemeiner Auffassung in der Rechtsprechung die Aufnahme zur Strafvollstreckung und somit die Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer, in deren Bezirk diese Justizvollzugsanstalt gelegen ist (vgl. insoweit BGHSt 38, 63; BGHR StPO § 462 a Abs. 1 Aufnahme 2 - Strafhaft nach U-Haft = NJW 1992, 518; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl., § 462 a Rdnr. 6).
Mit der Aufnahme in den Strafvollzug der Justizvollzugsanstalt Dortmund am 7. November 2001 ist aber die Bewährungsüberwachung im vorliegenden Verfahren auf die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Dortmund übergegangen. Diese war somit auch für die Entscheidung über den zu jenem Zeitpunkt beim Amtsgericht Dortmund anhängigen Widerrufsantrag im vorliegenden Verfahren zuständig geworden (§ 462 a Abs. 1 S. 1, Abs. 4 S. 3 StPO).
Mit dem Übergang der Zuständigkeit auf die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Dortmund wurde diese auch mit der Frage des Widerrufs der Strafaussetzung zur Bewährung im vorliegenden Verfahren befasst. Dabei ist es für die Frage des Befasstseins" ohne Bedeutung, dass die Strafvollstreckungskammer beim Landgericht Dortmund in der Zeit, in der der Verurteilte sich in der Justizvollzugsanstalt Dortmund befand, von der anstehenden Widerrufsentscheidung keine Kenntnis hatte. Denn die Zuständigkeitsfixierung der Strafvollstreckungskammer durch Befasstsein tritt bereits dann ein, wenn zum Zeitpunkt der erforderlich gewordenen Entscheidung ein Gericht mit der Sache befasst ist, das zuständig sein kann (vgl. BGHSt 26, 214; Senatsbeschluss vom 7. Juni 1995 in 2 Ws 292/95 = MDR 1995, 1058 m.w.N.). Diese Voraussetzungen lagen hier in Bezug auf das Amtsgericht Dortmund vor. Dieses war nämlich bis zur Rechtskraft des Urteils des Schwurgerichts für die Entscheidung über den Widerruf funktionell und örtlich zuständig und durch die Mitteilungen des Bewährungshelfers über das erneut anhängige Strafverfahren und dem Widerrufsantrag der Staatsanwaltschaft Dortmund auch mit der Widerrufsfrage befasst.
Die Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Dortmund ist auch nicht nachträglich dadurch entfallen, dass der Verurteilte am 12. April 2002 in die Justizvollzugsanstalt Hagen und anschließend am 9. August 2002 in die Justizvotlzugsanstalt Schwerte aufgenommen worden ist. Zum Zeitpunkt des Anstaltswechsels war nämlich über die Frage des Widerrufs noch nicht abschließend entschieden worden. Ohne Rücksicht auf die nachträgliche Änderung der Zuständigkeitsvoraussetzungen bleibt die einmal mit einer Sache befasste Strafvollstreckungskammer bis zur abschließenden Entscheidung zuständig (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O., Rdnr. 12, 13, 15).
Danach war der angefochtene Beschluss bezüglich der Entscheidung über den Widerruf mangels örtlicher Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hagen aufzuheben.
Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens war der für die Sachentscheidung zuständigen Strafvollstreckungskammer - hier des Landgerichts Dortmund - zu überlassen, da der Senat insoweit keine das Verfahren abschließende Entscheidung i.S.d. § 464 Abs. 2 StPO getroffen hat.
Soweit der Verurteilte nach Erlass der angefochtenen Entscheidung den Richter am Landgericht J. mit Antrag vom 6. November 2002 wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt hat, ist der Senat unabhängig von der Frage der Zulässigkeit dieses Antrags (vgl. KleinknechtlMeyer-Goßner, a.a.0., § 25 Rdnr. 10 m.w.N.) für die Entscheidung nicht zuständig. Sollte der Verurteilte diesen Antrag gleichwohl weiterverfolgen wollen, hätte hierüber gemäß §§ 26, 26 a und 27 StPO der abgelehnte Richter bzw. das Gericht, dem der abgelehnte Richter angehört, zu entscheiden.
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