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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 3 Ws 10/03 OLG Hamm

Leitsatz: 1. Zu den Voraussetzungen für die Anordnung einer Telefonüberwachung.
2. Es ist anerkannt, dass auch außerhalb des Verfahrens nach §§ 121, 122 StPO jederzeit die Frage zu prüfen ist, ob die weitere Untersuchungshaft noch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht. Dies gilt insbesondere dann, wenn sich nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils das Rechtsmittelverfahren ungebührlich verzögert .

Senat: 3

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: Telefonüberwachung, Beweisverwertungsverbot, Katalogtat, Anordnung, Beurteilungsspielraum, Ermessen, Anfangsverdacht, Untersuchungshaft, Verhältnismäßigkeit, Verzögerung, Rechtsmittelverfahren

Normen: StPO 100 a, StPO 121, StPO 122

Beschluss: Strafsache
gegen J.M.,
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a. (hier: weitere Haftbeschwerde des Angeklagten).

Auf die weitere Haftbeschwerde des Angeklagten vom 05.12.2002 gegen den
Beschluss des Landgerichts Bielefeld vom 29.11.2002 hat der 3. Strafsenat des
Oberlandesgerichts Hamm am 16. 01. 2003 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und des Angeklagten bzw. seines Verteidigers beschlossen:

Der Haftbefehl des Amtsgerichts Bad Oeynhausen vom 31.10.2001 - 5 Gs 650/01 - in der Fassung durch den Haftfortdauerbeschluss des Schöffengerichts Herford vom 05.04.2002 - 3 Ls 36 Js 665/01 (96/01) - sowie der angefochtene Beschluss werden aufgehoben.

Die Kosten der Beschwerde trägt die Landeskasse.

Gründe:
I.
Der Angeklagte ist in vorliegender Sache am 31.10.2001 festgenommen worden und befindet sich seitdem aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Bad Oeynhausen vom 31.10.2001 - 5 Gs 6050/01 - bis heute ununterbrochen in Untersuchungshaft.
Das Amtsgericht - Schöffengericht - Herford hat den Angeklagten am 05.04.2002 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von
2 Jahren und 9 Monaten verurteilt sowie Haftfortdauer angeordnet. Das Schöffengericht hat den Angeklagten aufgrund der am 10.09.2001 in seinem Pkw Audi A 6 mit dem amtlichen Kennzeichen XXXX durchgeführten akustischen Innenraum-Überwachung als überführt angesehen, an jenem Tage in dem Pkw von dem anderweitig verfolgten M.V. gegen Zahlung von 14.000 DM in bar 200 g Kokain ausgehändigt erhalten zu haben. Wie das Schöffengericht weiter festgestellt hat, wollte der Angeklagte tatsächlich von M.V. insgesamt 500 g Kokain erwerben, M.V. hatte aber die verschlüsselte telefonische Bestellung des Angeklagten bei ihm „Ich komme mit zwei Mann zum Training“ falsch dahin verstanden, der Angeklagte habe lediglich 200 g Kokain erwerben wollen. Nach den Feststellungen des Schöffengerichts verabredeten der Angeklagte und M.V. deshalb bei der Übergabe der 200 g Kokain, dass M.V. die weiteren 300 g alsbald nachliefern sollte und verabredeten hierzu ein erneutes Treffen für den 12.09.2001 an derselben Stelle. Der Angeklagte und M.V. wurden daraufhin am 12.09.2001 polizeilich observiert und M.V. konnte an jenem Tage im Besitz von 300 g Kokain festgenommen werden. Auch der Angeklagte erschien an dem fraglichen Treffpunkt, konnte M.V. aufgrund dessen Festnahme aber nicht mehr antreffen und versuchte in der Folgezeit mehrfach vergeblich, diesen telefonisch zu erreichen. M.V. selbst wurde durch Urteil des Schöffengerichts Herford vom 12.02.2002 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln und wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren verurteilt. Auch dieses Urteil ist nicht rechtskräftig.

Der Angeklagte hat gegen das Urteil des Schöffengerichts Herford vom 05.04.2002 Berufung eingelegt. Die Akten gingen daraufhin am 05.06.2002 bei dem Landgericht in Bielefeld ein. Auf entsprechende Anfrage des Vorsitzenden der Berufungskammer teilte der Verteidiger mit Schriftsatz vom 02.07.2002 mit, dass die Berufung mit dem Ziel des Freispruchs durchgeführt werde und dass die Berufung insbesondere
die Ansicht vertrete, dass die Ergebnisse der Innenraumüberwachung im Pkw
XXXXX nicht verwertbar seien.
Der Vorsitzende der Berufungskammer bestimmte daraufhin mit Verfügung vom 05.08.2002 Termin zur Berufungshauptverhandlung auf den 12.11.2002 mit Fortsetzungstermin am 14.11.2002.
Mit Schriftsatz vom 28.10.2002 beantragte der Verteidiger des Angeklagten, die Ergebnisse der Innenraumüberwachung im Pkw XXXXX aus dem vorliegenden Verfahren weder durch Verlesung der Gedächtnisprotokolle noch durch Augenscheinseinnahme der Tonbandmitschnitte noch mittelbar durch Vernehmung der Zeugen oder durch Vorhalte zu verwerten und machte zur Begründung dieses Antrags nähere Ausführungen. Der Verteidiger widersprach mit dieser Begründung der Vernehmung sämtlicher durch den Vorsitzenden der Berufungskammer geladener Polizeibeamter, soweit sie an den Überwachungsmaßnahmen beteiligt waren, deren Auswertung vorgenommen oder mittelbar Kenntnis von den Ergebnissen der Überwachung erhalten hatten.

Mit Verfügung vom 07.11.2002 hob der Vorsitzende der Berufungskammer den Berufungshauptverhandlungstermin vom 12. und 14.11.2002 auf und führte zur Begründung aus, dass er durch plötzlich aufgelaufene Mehrarbeit nicht in der Lage sei, den Hauptverhandlungstermin umfassend sachgerecht vorzubereiten, insbesondere innerhalb von 5 Wochen das schriftliche Urteil abzusetzen. Entweder von der Staatsanwaltschaft oder dem Angeklagten stehe ein Rechtsmittel zu erwarten. In der Parallelsache M.V. habe der Verteidiger mit 44-seitigem Schriftsatz Haftprüfung beantragt, die nunmehr vorrangig zu entscheiden sei. Falls der Angeklagte M.V. in Haft verbleiben sollte, sei mit Sicherheit Beschwerde zu erwarten. Die Entscheidung des OLG Hamm werde voraussichtlich die vorweggenommene Revisionsentscheidung sein. Der Verteidiger des Angeklagten M. habe mit Schriftsatz vom 28.10.2002 erneut der Verwertung der Erkenntnisse aus der Fahrzeuginnenraumüberwachung widersprochen und zur Begründung dabei auch auf den o. g. 44-seitigen Schriftsatz Bezug genommen. Bis zum Termin am 12.11.2002 seien die darin aufgeworfenen Fragen noch nicht abschließend zu klären. Darüber hinaus habe der Vorsitzende der Berufungskammer Ende November/Anfang Dezember 2002 noch weitere Haftsachen anstehen, bei denen voraussichtlich Rechtsmittel anfallen werden. Zudem müsse Anfang Dezember ein zweitägiges Seminar in Hamm besucht werden. Darüber hinaus seien kurzfristig am 01.11.2002 im Justizministerialblatt Stellen für Bewährungshelfer ausgeschrieben worden. Im Dezember sollten noch kurzfristig Vorstellungstermine erfolgen. Der Vertreter sowie die Ersatzvertreter seien durch andere Termine und Sitzungen gehindert, die Sitzung am 12.11.2002 durchzuführen.
Neuer Termin sei mit dem Verteidiger auf den 27. und 28.03.2002 abgestimmt worden. Einen früheren Termin könne der Verteidiger des Angeklagten M. nicht wahrnehmen, er sei bis dahin „ausgebucht“. Mit Schreiben vom 13.01.2003 hat der Vorsitzende der Kammer dies dahin präzisiert, „dass der eine oder andere Tag bei Rechtsanwalt Dr. R. noch frei war, nicht aber an den vorgesehenen Sitzungstagen und auch nicht zwei zeitlich innerhalb von 10 Tagen liegende Termine“.
Mit Verfügung vom 3.12.2002 hat der Vorsitzende der Berufungskammer sodann Termin zur Berufungshauptverhandlung auf den 27.03.2003 mit Fortsetzung am 28.03.2003 anberaumt und zu diesem Termin erneut die bereits für den aufgehobenen Termin geladenen Zeugen geladen.

Der Angeklagte hat daraufhin mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 11.11.2002 beantragt, den Haftbefehl des Amtsgerichts Bad Oeynhausen vom 31.10.2001 aufzuheben, hilfsweise außer Vollzug zu setzen. Zur Begründung hat er zum einen geltend gemacht, dass die Ergebnisse der technischen Überwachungsmaßnahmen nicht verwertbar seien. Zudem sei der Hauptverhandlungstermin vom 12. und 14.11.2002 völlig unerwartet und kurzfristig aufgehoben worden, so dass angesichts der Straferwartung des Angeklagten, der bisherigen Dauer der Untersuchungshaft und des Datums der erneuten Berufungshauptverhandlung Ende März 2003 der weitere Vollzug der Untersuchungshaft unverhältnismäßig sei. Die Terminsverlegung erscheine auch willkürlich und verletze den Beschleunigungsgrundsatz.

Die Staatsanwaltschaft Bielefeld hat mit Verfügung vom 25.11.2002 Verwerfung der Haftbeschwerde beantragt und zur Begründung ausgeführt, dass bei Bestätigung des Strafmaßes I. Instanz der Zwei-Drittel Zeitpunkt erst zum 30.08.2003 erreicht würde. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft sei deshalb nicht unverhältnismäßig.

Mit Beschluss vom 29.11.2002 hat die Berufungskammer den Haftbefehl des Amtsgerichts Bad Oeynhausen vom 31.10.2001 in der Fassung durch den Beschluss des Schöffengerichts Herford vom 05.04.2002 aufrechterhalten.
Das Landgericht ist der Ansicht, dass die Ergebnisse der Fahrzeug-Innenraumüberwachung verwertbar seien, insbesondere hätten ausreichende Verdachtsmomente gegen den Angeklagten vorgelegen, bevor die entsprechende Anordnung erfolgt sei.
Bei dem Angeklagten bestehe weiterhin der Haftgrund der Fluchtgefahr, zumal er seine Ausreise nach Thailand geplant habe, um dort bei den Hells Angels weiter aktiv zu bleiben. Der verbleibende Strafrest von einem Jahr und acht Monaten sei auch nicht so gering, dass bereits deshalb kein Anreiz zur Flucht mehr bestehen würde.
Auch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sei noch gewahrt. Gegen den Angeklagten sei allein wegen der Tat des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln eine Einzelstrafe von 2 Jahren und 8 Monaten Freiheitsstrafe ausgeurteilt worden. Angesichts seiner Vorbelastungen und seiner Zugehörigkeit zu den Hells Angels könne auch nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass er nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe bedingt aus der Strafhaft entlassen werde.

Gegen diesen Beschluss hat der Angeklagte mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 05.12.2002 Beschwerde eingelegt und zur Begründung im wesentlichen sein bisheriges Vorbringen wiederholt.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die weitere Haftbeschwerde als unbegründet zu verwerfen.

II.
Die zulässige weitere Haftbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg und führt zur Aufhebung der angegriffenen Haftentscheidungen.

1. Der Haftbefehl war allerdings nicht bereits deshalb aufzuheben, weil die Ergebnisse der gegen den Angeklagten durchgeführten Fahrzeug-Innenraumüberwachung gemäß § 100 c Abs. 1 Nr. 2 StPO oder der gegen ihn angeordneten Überwachung der Telekommunikation gemäß § 100 a StPO oder der längerfristigen Observation gemäß § 163 f StPO einem strafprozessualen Verwertungsverbot unterliegen mit der Folge, dass gegen den Angeklagten kein dringender Tatverdacht bestünde. Die Ergebnisse der genannten Überwachungsmaßnahmen sind vielmehr jeweils verwertbar.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dürfen mit Blick auf die Grundsätze eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens die aus einer rechtswidrig angeordneten Überwachungsmaßnahme gewonnenen Erkenntnisse nicht als Beweismittel verwertet werden, und zwar insbesondere dann nicht, wenn es an einer wesentlichen sachlichen Voraussetzung für die Anordnung der Maßnahme gefehlt hat (BGHSt 41, S. 30, 31 m.w.N.). Dementsprechend hat es etwa die Unverwertbarkeit zur Folge, wenn der Verdacht einer Katalogtat von vorneherein nicht bestanden hatte oder wenn die Anordnung unter Missachtung des Subsidiaritätsgrundsatzes ergangen war (BGH, a.a.O.). Schließlich kommt ein Verwertungsverbot auch dann in Betracht, wenn - wofür hier allerdings keine genügenden Anhaltspunkte bestehen - durch die Kumulation verschiedener Überwachungsmaßnahmen die „Totalüberwachung“ einer Person erreicht wird, die gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Artikel 1 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 2 Absatz 1 GG) und gegen Artikel 8 EMRK verstoßen könnte (BGH, Urteil vom 24.01.2001 - 3 StR 324/00 - lexetius.com/2002/12/454). Keine dieser Voraussetzungen, für deren Vorliegen das Eintreten eines Verwertungsverbotes anerkannt ist, ist hier indes gegeben.

a) Bei der Prüfung, ob ein auf bestimmte Tatsachen gestützter Tatverdacht gegeben ist und der Subsidiaritätsgrundsatz nicht entgegensteht, hat der eine Telefonüberwachung Anordnende einen Beurteilungsspielraum mit der Folge, dass die Nachprüfung durch den Tatrichter und das Revisionsgericht, ob die Ergebnisse der Telefonüberwachung verwertbar sind, auf den Maßstab der Vertretbarkeit beschränkt ist (BGHSt 41, 30, 34). Es kommt mithin nicht darauf an, wie Tatrichter und Revisonsgericht auf der Grundlage des im Zeitpunkt der Anordnung gegebenen Ermittlungsstandes den Tatverdacht und die Möglichkeit anderer Erforschung des Sachverhaltes beurteilen würden. Als rechtswidrig (mit der Folge eines Verwertungsverbots) stellt sich die von dem Ermittlungsrichter oder dem Staatsanwalt angeordnete Überwachungsmaßnahme vielmehr nur dann dar, wenn deren Entscheidung - was im Ergebnis auf eine Kontrolle nach dem Maßstab (objektiver) Willkür oder grober Fehlbeurteilung hinauslaufen mag - nicht mehr vertretbar ist. Anderenfalls ist im Verfahren vor dem Tatrichter wie auch im Revisionsverfahren von der Rechtmäßigkeit der getroffenen Maßnahme und damit von der Verwertbarkeit der gewonnenen Erkenntnisse auszugehen (BGHST 41, 30, 34).

b) Im Hinblick auf diesen Prüfungsmaßstab erweisen sich die Angriffe der Beschwerde gegen die Verwertbarkeit der Ergebnisse der genannten Überwachungsmaßnahmen als unbegründet.

aa) Vertretbar war zunächst die Beurteilung durch den Ermittlungsrichter bei Anordnung der Telefonüberwachung am 04.04.2001, dass der Angeklagte einer Katalogtat nach § 100 a Ziffer 4 - unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge - aufgrund bestimmter Tatsachen verdächtig war. Insbesondere bestanden entgegen der Ansicht der Beschwerde nicht nur bloße Vermutungen, Mutmaßungen oder Befürchtungen in dieser Richtung (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Auflage, § 100 a Rdnr. 6; § 112 Rdnr. 7, 22).
Das Ermittlungsergebnis stellte sich - aktenmäßig dokumentiert - vor der Anordnung der Telefonüberwachung am 04.04.2001 wie folgt dar:
Am 27.10.2000 und am 30.10.2000 hatte sich jeweils eine männliche Person bei der Kriminalpolizei in Herford anonym gemeldet und Hinweise zu Betäubungsmittelgeschäften im Bereich Herford gegeben. Unter anderem erklärte die Person bei dem Telefonat vom 30.10.2000, dass die Bar „B 7“ in Herford durch einen „Nasenjörg aus Bielefeld“ mit Kokain beliefert werde. Dieser Nasenjörg wiederum erhalte das Kokain von einem B.K., der im Bereich Minden wohne. Der K. sei groß im Geschäft. Beide seien bei einem „Freddy“ beschäftigt, der einen Nutzfahrzeughandel im Bereich Minden betreibe.

Als „Nasenjörg“ war den Ermittlungsbehörden der zu diesem Zeitpunkt bereits umfangreich polizeilich in Erscheinung getretene Angeklagte bekannt.
Die im Rahmen des Ermittlungsverfahrens gegen den genannten K. durchgeführte Telefonüberwachung ergab sodann bis zum 02.04.2001 einen regelmäßigen Kontakt des K. zu dem Angeklagten. Die Ermittlungen ergaben weiter, dass K. am 30.03.2001 gegenüber mehreren seiner Betäubungsmittel-Abnehmer Lieferschwierigkeiten andeutete und in diesem Zusammenhang bei einem Telefonat am selben Tage den Angeklagten fragte, ob „der ihm gerade helfen könne“. Der Angeklagte selbst sagte daraufhin ein Treffen noch am selben Tag mit K. zu.
Ebenfalls am 30.03.2001 ergab die Quellenvernehmung der V-Person „Bruno“ durch die Kriminalpolizei in Bielefeld, dass ein F.I. Anfang des Jahres 2001 gegenüber der V-Person „Bruno“ erzählt habe, dass er von dem J.R. Kokain beziehe. Der R. wohne mit dem Angeklagten zusammen im Bereich Bad Salzuflen. Wie die V-Person „Bruno“ weiter angab, habe I. zudem erzählt, „das mit dem Kokain sei zwischen ihnen wie immer“. Auf die Frage der Ermittlungsbeamten, was dies zu bedeuten habe, erklärte die V-Person „Bruno“, dass ihr der Angeklagte und R. schon seit einigen Jahren bekannt seien. Beide hätten im Jahre 1994 und in der Folgezeit Kokain aus Rotterdam bezogen, wobei die Geschäfte zumeist vorher verschlüsselt per Telefon (Handy) abgesprochen worden seien. Es seien immer größere Mengen ab 200 g Kokain bezogen worden, eine Lieferung an R., die die V-Person selbst gesehen habe, habe aus mindestens 750 g Kokain bestanden. Die Lieferungen seien dann von dem Angeklagten und R. an Unterverkäufer weiterveräußert worden, wobei der Angeklagte Verbindungen ins Rotlichtmilieu gehabt habe, R.s Abnehmer dagegen Geschäftsleute gewesen seien. Diese Unterverkäufer hätten pro Lieferung mindestens 50 g bezogen. Seinerzeit hätten der Angeklagte und R. für 100 g Kokain immer 10.000 DM genommen.

Diese Ermittlungsergebnisse, die dem die Telefonüberwachung anordnenden Ermittlungsrichter auch sämtlich zur Kenntnis gebracht worden waren, rechtfertigen nach Maßgabe kriminalistischer Erfahrung (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Strafverteidiger 1991, 290) den Verdacht unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln, nämlich mit Kokain, in nicht geringer Menge durch den Angeklagten. Entscheidend ist insoweit die Gesamtbetrachtung sämtlicher vorgenannter tatsächlicher Umstände (Bundesverwaltungsgericht, a.a.O., 291). Wenngleich die VP „Bruno“ konkrete Angaben nur zu einer Kokainlieferung etwa aus dem Jahre 1994 machen konnte, ergibt sich jedenfalls unter Hinzunahme der konkreten Angaben aus dem anonymen Hinweis vom 30.10.2000 in Verbindung mit dem telefonischen Kontakt zwischen K. und dem Angeklagten im März 2001 zwanglos der erforderliche, auf bestimmte Tatsache gestützte Verdacht einer Katalogstraftat.
Angesichts des konspirativen Vorgehens des Angeklagten, wie es insbesondere von der VP „Bruno“ geschildert wurde, sich aber auch aus der Telefonüberwachung K. ergibt, war ohne die Anordnung der Telefonüberwachung die Erforschung des Sachverhaltes zumindest wesentlich erschwert, so dass auch der Subsidiaritätsgrundsatz gewahrt war.
bb) Aus den genannten Gründen war hier auch die Anordnung der Observation zunächst durch die Staatsanwaltschaft Bielefeld am 06.04.2001 und sodann für weitere 3 Monate durch Beschluss des Amtsgerichts Lemgo vom 03.05.2001 zumindest vertretbar. Am 06.04.2001 bestanden aufgrund des oben dargestellten Ermittlungsergebnisses zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass eine Straftat von erheblicher Bedeutung, nämlich unerlaubtes Handeltreiben mit Kokain in nicht geringer Menge, durch den Angeklagten begangen worden war. Die Erforschung des Sachverhaltes war aufgrund des konspirativen Vorgehens des Angeklagten ohne die Observation auch zumindest weniger erfolgversprechend. Bei Anordnung der Verlängerung der Observation am 03.05.2001 lagen darüber hinaus Erkenntnisse aus der bisherigen Observation vor, wonach der Angeklagte in Kontakt zu den möglichen Betäubungsmittelhändlern Y. und C.B. stand.

cc) Zum Zeitpunkt der Anordnung der akustischen Fahrzeug-Innenraumüberwachung am 01.06.2001 hatten sich die Verdachtsmomente gegen den Angeklagten weiter verstärkt. Der Verdacht unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge stützte sich zu diesem Zeitpunkt nicht nur auf den anonymen Hinweis vom 30.10.2000 und die Angaben der VP „Bruno“ vom 30.03.2001 sowie auf das Ergebnis der Telefonüberwachung in dem Verfahren gegen K., insbesondere das Telefonat vom 02.04.2001. Darüber hinaus lagen nunmehr auch die Observationsberichte vom 10.04.2001 und vom 02.05.2001 vor, wonach der Angeklagte in Kontakt zu den potentiellen Drogenhändlern Y. und C.B. stand. Zudem konnten die observierten Fahrten des Angeklagten in die Niederlande am 28.05.2001 und nach Gronau am 29.05.2001 gemeinsam mit dem C.B. und dem H.F. mit Kontaktaufnahme zu dem einschlägig in Erscheinung getretenen A.K. berücksichtigt werden. Auch ergaben sich aus der bis dahin bereits durchgeführten Telekommunikationsüberwachung Erkenntnisse zu Kokainabnehmern des Angeklagten aus Lübbecke und Porta-Westfalica. Hinzu kam als Ergebnis der bisherigen TKÜ, dass die Telefonate des Angeklagten äußerst konspirativ geführt wurden. Damit war auch der Subsidiaritätsgrundsatz gewahrt, da aufgrund des festgestellten konspirativen Verhaltens des Angeklagten bei der Führung von Telefonaten die Erforschung des Sachverhaltes ohne das Abhören des Fahrzeuginnenraumes wesentlich erschwert worden wäre.

Entsprechende Erkenntnisse konnten die Ermittlungsbehörden dann im Rahmen der akustischen Innenraumüberwachung gewinnen: Nähere Gespräche wurden in dem Pkw geführt, während per Telefon nur die Verabredung der Treffen ohne Besprechung von Einzelheiten erfolgte.
Angesichts dieser weiteren Erkenntnisse war auch die Verlängerung der akustischen Fahrzeug-Innenraumüberwachung durch Beschluss des Amtsgerichts Lemgo vom 28.08.2001 zumindest vertretbar und führt ebenfalls nicht zu einem Verwertungsverbot hinsichtlich der so gewonnenen Erkenntnisse. Die äußerst knappe Begründung des Beschlusses vom 28.08.2001 ist dabei unschädlich, da jedenfalls in dem Antrag vom 27.08.2001 auf Verlängerung der Überwachungsmaßnahme diese weiteren Erkenntnisse mitgeteilt worden waren, ebenso die Umstände, dass der Angeklagte am 28.05.2001, am 16.07.2001 und 24.07.2001 jeweils Fahrten in die Niederlande unternahm, die entgegen seinen sonstigen Gewohnheiten zuvor in keinster Weise telefonisch verabredet worden waren (vgl. BVerwG, a. a. O.).

2. Bei dem Angeklagten besteht auch nach wie vor der Haftgrund der Fluchtgefahr gem. § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO. Gegen den Angeklagten ist allein wegen des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln eine Einzelstrafe von 2 Jahren und 8 Monaten verhängt worden. Der Angeklagte muss damit rechnen, dass seine Berufung und für diesen Fall auch seine möglicherweise eingelegte Revision verworfen werden, und dass er diese Strafe wird verbüßen müssen. Er verfügt über keine beruflichen oder familiären Bindungen. Auch kann der Angeklagte angesichts seines Vorlebens nicht ohne weiteres mit einer bedingten Entlassung in vorliegender Sache rechnen. Es spricht daher alles dafür, dass er sich im Falle seiner Freilassung dem Verfahren alsbald durch Untertauchen oder Flucht in das Ausland entziehen wird, zumal er nach den Erkenntnissen aus der Telefonüberwachung ohnehin geplant hatte, sich auf Dauer nach Thailand abzusetzen.
Der Zweck der Untersuchungshaft lässt sich deshalb auch nicht mit weniger einschneidenden Maßnahmen nach § 116 StPO erreichen.

3. Der Haftbefehl des Amtsgerichts Bad Oeynhausen vom 31.10.2001 - 5 Gs 650/01 - in der Fassung durch die Haftfortdauerentscheidung des Schöffengerichts Herford vom 05.04.2000 sowie der angefochtene Beschluss des Landgerichts vom 29.11.2002 waren jedoch deshalb aufzuheben, weil der weitere Vollzug der Untersuchungshaft gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstößt.

Es ist anerkannt, dass auch außerhalb des Verfahrens nach §§ 121, 122 StPO (Haftprüfung durch das Oberlandesgericht) bei der gemäß § 120 Abs. 1 StPO jederzeit zu prüfenden Frage, ob die weitere Untersuchungshaft noch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht, auch auf das in Haftsachen im besonderen Maße geltende Beschleunigungsprinzip des Artikel 6 EMRK abzustellen ist (Löwe/Rosenberg-Hilger, StPO, 25. Aufl., § 120 Rdnr. 16). Dies gilt insbesondere dann, wenn sich nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils das Rechtsmittelverfahren ungebührlich verzögert (Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl., § 120 Rdnr. 7 und § 121 Rdnr. 8 m. w. N.). Ein solcher erheblicher Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot ist hier gegeben. Der Angeklagte befindet sich mittlerweile seit mehr als einem Jahr und zwei Monaten in Untersuchungshaft. Zum Zeitpunkt der Berufungshauptverhandlung am 27.03.2003 wird er sich fast 1 Jahr und 5 Monate lang in Untersuchungshaft befinden. Hierin liegt eine nicht mehr hinnehmbare Verzögerung des Verfahrens durch die Berufungskammer, die den Senat zur Aufhebung des Haftbefehls nötigt. Es ist bereits wenig nachvollziehbar, aus welchen Gründen die Berufungskammer trotz der Inhaftierung des Angeklagten die bei ihr bereits am 05.06.2002 eingegangene Berufung erst auf den 12.11.2002 und damit auf einen Zeitpunkt mehr als 5 Monate nach Eingang der Berufung terminiert hatte. Sachliche Gründe hierfür sind nicht erkennbar. Trotz dieser späten Ansetzung der zunächst ins Auge gefassten Berufungshauptverhandlung hat die Berufungskammer sodann den Termin vom 12.11.2002 ebenfalls ohne durchschlagenden sachlichen Grund wiederum um mehr als 4 Monate auf den 27.03.2003 verschoben. Die von dem Vorsitzenden der Berufungskammer in seinem Vermerk vom 07.11.2002 für die Aufhebung des ursprünglichen Termins zur Berufungshauptverhandlung angeführten Gründe überzeugen nicht. Insbesondere waren die mit der Verwertbarkeit der Fahrzeuginnenraumüberwachung des Pkws des Angeklagten verbundenen rechtlichen Probleme bereits seit Eingang der Berufung bekannt, da die Verwertbarkeit der so gewonnenen Erkenntnisse bereits in erster Instanz von der Verteidigung angezweifelt worden war. Der Verteidiger des Angeklagten hatte die diesbezüglichen Bedenken in seinem Schriftsatz vom 02.07.2002 auch ausdrücklich aufrechterhalten. Die Auseinandersetzung mit den sich hieraus ergebenden rechtlichen Fragen gehörte damit zur ordnungsgemäßen Vorbereitung der Berufungshauptverhandlung vom 12.11.2002 durch die Berufungskammer und stellte keineswegs eine für die Kammer unvorhersehbare, neu aufgetretene juristische Fragestellung dar. Der von dem Kammervorsitzenden angeführte Umstand, dass entweder von der Staatsanwaltschaft oder von dem Angeklagten Rechtsmittel zu erwarten seien, dürfte ebenfalls keine Besonderheit darstellen. Diese „Gefahr“ droht bei jeder mit Rechtsmittel angreifbaren richterlichen Entscheidung. Die Erforderlichkeit einer Haftbeschwerdeentscheidung in der Parallelsache M.V. berührt die vorliegende Sache ohnehin nur mittelbar, da der Angeklagte seinerseits Haftbeschwerde erst nach Aufhebung des ursprünglichen Termins zur Berufungshauptverhandlung eingelegt hatte und die in der Haftbeschwerde angesprochenen Fragen bereits im Rahmen der Vorbereitung des ursprünglichen Termins zur Berufungshauptverhandlung zu klären waren. Soweit der Vorsitzende der Berufungskammer eine Mehrbelastung durch seine Tätigkeit im Rahmen der Verwaltung des Landgerichts Bielefeld geltend macht, handelte es sich durchweg um Mehrarbeit, die nach dem ursprünglichen Berufungstermin anstand. Hier hätte sich der Vorsitzende der Berufungskammer bei dem Präsidenten des Landgerichts um eine entsprechende Arbeitsentlastung im Bereich der Verwaltungsaufgaben bemühen müssen. Der Senat geht davon aus, dass für die Wahrnehmung dieser Verwaltungsaufgaben gegebenenfalls ein Vertreter zur Verfügung stand. Im Übrigen ist nicht ersichtlich, aus welchen Gründen der Angeklagte sich die Belastung des Vorsitzenden der Berufungskammer mit Verwaltungsaufgaben als Grund für die Verlängerung seiner Untersuchungshaft entgegenhalten lassen müsste. Insoweit ist anerkannt, dass nur die anderweitige Belastung mit Haftsachen überhaupt geeignet ist, solches zu begründen.

Die Kostenentscheidung folgt aus einer analogen Anwendung von § 473 Abs. 4 StPO.


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