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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 3 Ss 1024/02 OLG Hamm

Leitsatz: Zur Beweiswürdigung bei der sog. „Aussage gegen Aussage Problematik“

Senat: 3

Gegenstand: Revision

Stichworte: Aussage gegen Aussage, Beweiswürdigung, Pflichtverteidigerbestellung im Revisionsverfahren, Einlassung, Aufführen in den Urteilsgründen

Normen: StPO 261, StPO 140

Beschluss: Strafsache

gegen A.B.
wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz (hier: 1. Antrag auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers für das Revisionsverfahren, 2. Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Gladbeck vom 14.08.2002.

Auf den Antrag des Angeklagten auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers für das Revisionsverfahren sowie auf seine Sprungrevision gegen das Urteil des Amtsgerichts Gladbeck vom 14.08.2002 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 14. 01. 2003 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und des Angeklagten bzw. seines Verteidigers gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

1. Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Gladbeck zurückverwiesen.

2. Der Antrag des Angeklagten auf Bestellung eines Pflichtverteidigers für das Revisionsverfahren wird zurückgewiesen.

Gründe:
I.
Das Amtsgericht Gladbeck hat den Angeklagten am 14.08.2002 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln und wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 10 Monaten kostenpflichtig verurteilt.
Gegen das in seiner Anwesenheit verkündete Urteil hat der Angeklagte mit am 20.08.2002 bei dem Amtsgericht in Gladbeck eingegangenen Schriftsatz seines Verteiders „Rechtsmittel“ eingelegt und dieses Rechtsmittel nach Urteilszustellung an den Verteidiger am 13.09.2002 mit am 08.10.2002 bei dem Amtsgericht in Gladbeck eingegangenem weiteren Schriftsatz des Verteidigers als Revision bezeichnet und mit der Rüge der Verletzung formellen und sachlichen Rechts begründet. Mit der Begründung der Revision hat der Angeklagte beantragt, ihm Rechtsanwalt Wings aus Gladbeck für das Revisionsverfahren gemäß § 140 Abs. 2 StPO als Pflichtverteidiger beizuordnen.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Beiordnung eines Pflichtverteidigers abzulehnen und im Übrigen das angefochtene Urteil im Rechtsfolgenausspruch mit den dazu getroffenen Feststellungen aufzuheben und die Sache in diesem Umfang zur neuen Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Gladbeck zurückzuverweisen.

II.
Die zulässige Revision des Angeklagten hat zumindest vorläufig Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Gladbeck.

1. Der Schuldspruch des angefochtenen Urteils konnte zunächst keinen Bestand haben, soweit der Angeklagte wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln verurteilt worden ist. Das Amtsgericht hat den Angeklagten, der die Tat bestritten hat, als durch den Zeugen T.P. überführt angesehen, an diesen Zeugen am 31.10.2001 in Gladbeck 11 Gramm Hasisch für 100,00 DM verkauft zu haben. Zur Beweiswürdigung findet sich in dem angefochtenen Urteil lediglich der folgende Satz: „Nach anfänglichem Zögern hat der Angeklagte bei seiner Vernehmung uneidlich ausgesagt, dass es zu diesem Verkauf an ihn gekommen ist.“
Gemeint ist hier offenbar, dass der genannte Zeuge nach anfänglichem Zögern einen entsprechenden Verkauf durch den Angeklagten an ihn bekundet hatte. Damit hätte es sich bei dem Zeugen P. um das einzige Beweismittel gehandelt, das dem Amtsgericht zur Überführung des Angeklagten zur Verfügung stand. Da der Angeklagte die Tat bestritten hat, lag hier mithin eine Beweissituation Aussage gegen Aussage vor, die erhöhte Anforderungen an die Beweiswürdigung des Amtsgerichts stellte. Das Amtsgericht hätte daher nicht nur - was es bereits rechtsfehlerhaft unterlassen hat - die Einlassung des bestreitenden Angeklagten in den Urteilsgründen mitteilen müssen (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl., § 267 Rdnr. 12; BGH NStZ-RR 1997, 172). Das Amtsgericht hätte vielmehr zudem diese Einlassung unter Berücksichtigung der Aussage des Zeugen P. in einer für das Revisionsgericht nachvollziehbaren Weise würdigen (Kleinknecht/Meyer-Goßner, a. a. O.) und im Rahmen dieser Würdigung insbesondere auch die Umstände berücksichtigen müssen, die gegen die Glaubwürdigkeit des Zeugen P. und gegen die Glaubhaftigkeit seiner Angaben sprechen könnten. Hierzu bestand insbesondere deshalb Anlass, weil die Urteilsgründe selbst mitteilen, dass der Zeuge P. anfänglich gezögert hatte, den Angeklagten zu belasten. Darüber, welche Ursache dieses Zögern nach der Einschätzung des Amtsgerichts hatte - entweder wollte der Zeuge den Angeklagten nicht zu Unrecht belasten oder er hatte Bedenken, zum Nachteil des Angeklagten die Wahrheit zu sagen -, darüber schweigt sich das angefochtene Urteil vollständig aus. Bereits deshalb kann der Schuldspruch hinsichtlich der Verurteilung des Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln keinen Bestand haben. Auf die formelle Rüge, das Amtsgericht habe ermessensfehlerhaft von einer Vereidigung des Zeugen P. abgesehen und damit gegen §§ 59, 61 Ziffer 5 StPO verstoßen, kommt es bei dieser Sachlage nicht mehr an, weil sie der Revision keinen weitergehenden Erfolg verschaffen könnte. Diese Rüge wäre im Übrigen bereits deshalb unbegründet gewesen, weil von der Vereidigung des Zeugen P. als Tatbeteiligten ohnehin gemäß § 60 Ziffer 2 StPO abzusehen gewesen wäre (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, a. a. O., § 61 StPO Rdnr. 30).

2. Soweit der Angeklagte des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln schuldig befunden worden ist, kann der Schuldspruch des angefochtenen Urteils ebenfalls keinen Bestand haben.

Das Amtsgericht hat es auch hier rechtsfehlerhaft unterlassen, die Einlassung des bestreitenden Angeklagten in den Urteilsgründen mitzuteilen und zu würdigen (Kleinknecht/Meyer-Goßner, a. a. O.; BGH NStZ-RR 1997, 172).
Dem Senat ist so insbesondere die Prüfung verwehrt, ob und in welcher Weise sich der Angeklagte zu dem von dem Zeugen Verleger bekundeten Werfen mehrerer kleiner Gegenstände in den Grünstreifen eingelassen hatte, andere Gegenstände als die später dort gefundenen 3 Bobbles Heroin weggeworfen zu haben.

3. Hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruches wäre die Revision des Angeklagten im Übrigen ebenfalls begründet gewesen.
Das Amtsgericht hat nämlich im Rahmen der Strafzumessung zu Ungunsten des Angeklagten berücksichtigt, dass dieser „einschlägig vorbestraft“ sei, es jedoch versäumt, Feststellungen zu den Vorbelastungen des Angeklagten zu treffen. Damit bleiben die Art etwaiger Vorbelastungen, die zugrundeliegenden Taten, die Höhe der Strafe und das Datum der Rechtskraft völlig offen. Demgegenüber ist anerkannt, das bei Verwertung von Vorstrafen die Zeit der Verurteilung, Art und Höhe der erkannten Rechtsfolge sowie deren Vollstreckung und darüber hinaus in kurzer aber präziser Zusammenfassung der Gegenstand der früheren Verurteilung anzugeben ist (BGH NStZ-RR 1996, 266; OLG Köln StV 1996, 321; Kleinknecht/Meyer-Goßner, a. a. O., § 267 Rdnr. 18). Hierauf weist der Senat vorsorglich hin.

4. Der Antrag des Angeklagten auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers für das Revisionsverfahren war zurückzuweisen. Nachdem der Antrag auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers gleichzeitig mit der Revisionsbegründung gestellt worden war, war hier für eine - im Übrigen durch den Amtsrichter, dessen Urteil mit der Revision angefochten worden ist, vorzunehmende (vgl. BGHR StPO § 141 Bestellung 3, Beschluss vom 17.06.1999; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl., § 141 Rdnr. 6) Bestellung zur Begründung der Revision kein Raum mehr. Die rückwirkende Beiordnung eines Pflichtverteidigers nach bereits erfolgter Begründung der Revision kommt nämlich gerade nicht in Betracht (BGHR StPO § 141 Bestellung 2, Verfügung vom 19.12.1996; Kleinknecht/Meyer-Goßner, a. a. O., § 141 Rdnr. 8). Damit bliebe allein noch die Möglichkeit der Bestellung eines Pflichtverteidigers für eine durchzuführende Revisionshauptverhandlung vor dem Senat (vgl. BGH NStZ 1997, 48 Buchstabe f; BGHR StPO § 141 Bestellung 2, Verfügung vom 19.12.1996; Kleinknecht/Meyer-Goßner, a. a. O., § 141 Rdnr. 6). Auch hierfür war jedoch kein Raum, da der Senat über die Revision des Angeklagten bereits ohne Hauptverhandlung abschließend entschieden hat.
Die Entscheidung über die Ablehnung der Beiordnung eines Pflichtverteidigers stellt eine Entscheidung des Vorsitzenden des Senates dar.


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