Aktenzeichen: 3 Ss 1025/02 OLG Hamm
Leitsatz: Zur Beruhensfrage, wenn dem Angeklagten nicht das letzte Wort gewährt worden ist.
Senat: 3
Gegenstand: Revision
Stichworte: letztes Wort des Angeklagten, Beruhensfrage
Normen: StPO 258, StPO 344
Beschluss: Strafsache
gegen K.L.
wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes
Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der IV. kleinen Strafkammer des Landgerichts Essen vom 10.07.2002 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 03. 12. 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft einstimmig beschlossen:
Das angefochtene Urteil wird nebst den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Essen zurückverwiesen.
Gründe:
Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme vom 20.11.2002 Folgendes ausgeführt:
I.
Der Angeklagte ist durch Urteil des Amtsgerichts Bottrop vom 11.04.2002
(Bl. 74 ff. d. A.) wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in 200 Fällen, davon in drei Fällen im besonders schweren Fall, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt worden.
Das Landgericht Essen hat durch Urteil vom 10.07.2002 (Bl. 109 ff. d. A.), das dem Verteidiger des Angeklagten am 27.08.2002 zugestellt worden ist (Bl. 124 d. A.), die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Bottrop verworfen.
Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, die er durch Schriftsatz seines Verteidigers vom 16.07.2002 - eingegangen beim Landgericht Essen am selben Tage - eingelegt (Bl. 106 d. A.) und durch weiteren Schriftsatz seines Verteidigers vom 28.08.2002 - eingegangen beim Landgericht Essen am 29.08.2002 - mit der Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts begründet hat (Bl. 142 ff. d.A.).
II.
Die rechtzeitig eingelegte form- und fristgerecht begründete Revision ist zulässig und hat auch in der Sache - einen zumindest vorläufigen - Erfolg.
Das Rechtsmittel führt auf die Rüge der Verletzung des § 258 Abs. 2, 2. Halbsatz, Abs. 3 StPO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.
Für die ordnungsgemäße Begründung der Rüge der Verletzung des § 258 StPO ist erforderlich, dass die behauptete Verletzung durch Angabe aller Tatsachen dargetan wird, die den konkreten Fehler belegen (zu vgl. Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Auflage, § 258 Rdnr. 59 m. w. N.). Es bedarf somit der Schilderung der der Urteilsverkündung unmittelbar vorausgegangenen Verfahrenshandlungen sowie der Darlegung, dass der Angeklagte nicht als letzter Verfahrensbeteiligter vor dem Beginn der Beratung gesprochen hat und nicht befragt worden ist, ob er selbst noch etwas zu seiner Verteidigung anzuführen habe (zu vgl. BGH StV 1995, 176).
Nicht erforderlich ist dagegen die Angabe, welche Anträge und Ausführungen der Angeklagte vorgebracht hätte, wenn ihm das letzte Wort erteilt worden wäre (zu vgl. BGHSt 21, 288, 290).
Nach dem Vorbringen der Revision ist nach den Schlussvorträgen des Verteidigers, des Vertreters der Staatsanwaltschaft und der Nebenklagevertreterin die Nebenklägerin persönlich informatorisch durch die Kammer gehört worden. Unmittelbar anschließend habe sich die Kammer sodann zur Urteilsberatung begeben, ohne dem Angeklagten zuvor das letzte Wort zu erteilen.
Mit dieser Darstellung des Verfahrensganges genügt die Revisionsbegründung den Anforderungen, die nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO an die Darlegung eines Verfahrensmangels zu stellen sind.
Die Rüge ist auch begründet. Ausweislich des Sitzungsprotokolls vom 10.07.2002 ist dem Angeklagten das letzte Wort nicht erteilt worden. Damit liegt ein Verstoß gegen die wesentliche Verfahrensförmlichkeit des § 258
Abs. 2, 2. Halbsatz, Abs. 3 StPO vor, deren Beobachtung gem. § 274 StPO nur durch das Sitzungsprotokoll bewiesen werden kann.
Es ist auch nicht auszuschließen, dass das Urteil auf diesem Verfahrensverstoß beruht (§ 337 Abs. 1 StPO).
Insoweit genügt die bloße Möglichkeit des Beruhens (zu vgl. BGHSt 21, 288, 290). Bei Versagung des letzten Wortes, dessen Sinn gerade auch darin besteht, dass der Angeklagte noch im letzten Augenblick entlastende Umstände vorbringen kann, ist nur in besonderen Ausnahmefällen auszuschließen, dass er dadurch das Urteil zu seinen Gunsten hätte beeinflussen können (zu vgl. Stuckenberg in KMR, § 258 Rdnr. 62 f. m. w. N.). Selbst bei einem - wie hier - geständigen Angeklagten und bereits rechtskräftigem Schuldspruch kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Angeklagte in seinem letzten Wort Beweggründe für seine Tat vorgebracht hätte, die zu einer geringeren Strafe hätten führen können (zu vgl. Karlsruher Kommentar, StPO, 4. Auflage, § 258 Rdnr. 37 unter Hinweis auf BGH 26.05.1955, 4 StR 136/55).
Vor diesem Hintergrund rechtfertigt auch die in den Urteilsgründen niedergelegte Auffassung der Kammer, wonach sie selbst bei Erteilung des letzten Wortes nicht zu einem anderen Straferkenntnis gelangt wäre, eine andere Beurteilung nicht.
Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts Essen zurückzuverweisen.
Diesen Ausführungen schließt sich der Senat an und macht sie zum Gegenstand seiner Entscheidung.
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