Aktenzeichen: 2 Ss OWi 1090/02 OLG Hamm
Leitsatz: Auch für einen Untersuchungshaftgefangenen
kommt es für den Begriff der Wohnung i.S. der Zustellungsvorschriften der
ZPO entscheidend darauf an, ob der Zustellungsempfänger tatsächlich
an der angegebenen Anschrift (noch) wohnt. Anders als bei der Strafhaft ist bei
der Untersuchungshaft für die Beurteilung, ob der
Untersuchungshaftgefangene dort(noch) seinen Lebensmittelpunkt hat, nicht die
bei der Strafhaft von vornherein absehbare gesamte Dauer des Zwangsaufenthalts
maßgeblich, sondern die tatsächliche Zeit, die der
Zustellungsempfänger bis zur Ersatzzustellung von dem aufrecht erhaltenen
Wohnsitz abwesend gewesen ist.
Senat: 2
Gegenstand: Revision
Stichworte:
Zustellung, Wirksamkeit, Begriff der Wohnung, Ersatzzustellung, Strafhaft,
Untersuchungshaft, tatsächlicher Aufenthalt
Normen:
ZPO 181, ZPO 182, StPO 44
Beschluss: Strafsache
gegen
N.W.
wegen Diebstahls .
Auf den Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen
Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision gegen das
Urteil der 2. auswärtigen Strafkammer - Jugendkammer - Recklinghausen des
Landgerichts Bochum vom
16. Mai 2002 und auf die Revision des Angeklagten
gegen das Urteil der 2. auswärtigen Strafkammer - Jugendkammer -
Recklinghausen des Landgerichts Bochum vom 16. Mai 2002 hat der 2. Strafsenat
des Oberlandesgerichts Hamm am 06. 03. 2003 durch den Vorsitzenden Richter am
Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am
Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gem. §
349 Abs. 1 StPO beschlossen:
Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird auf
Kosten des Angeklagten verworfen.
Die Revision wird auf Kosten des
Angeklagten als unzulässig verworfen.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht Recklinghausen hat den
Angeklagten durch Urteil vom 6. Dezember 2001 gemeinsam mit seiner Tochter
wegen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten, deren
Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist, verurteilt. Die gegen
dieses Urteil gerichtete Berufung des Angeklagten ist durch Urteil der 2.
auswärtigen Strafkammer - Jugendkammer - Recklinghausen des Landgerichts
Bochum vom 16. Mai 2002 gemäß § 329 StPO verworfen worden.
Dieses Urteil ist dem Angeklagten durch Niederlegung am 23. Mai 2002 zugestellt
worden.
Mit am 9. August 2002 eingegangenem Antrag hat der Angeklagte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist beantragt. Diese Anträge sind durch Beschluss der 2. auswärtigen Strafkammer Recklinghausen des Landgerichts Bochum vom 30. September 2002 zurückgewiesen worden. Der Angeklagte hat zugleich auch Revision eingelegt und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision gegen das Urteil vom 16. Mai 2002 beantragt. Zur Begründung hat er angegeben, er habe sich in der Zeit vom 6. Mai 2002 bis zum 15. Juli 2002 in Untersuchungshaft befunden und habe erst am 3. August 2002 von seiner mit ihm nach Sinti- und Romaart verheirateten Ehefrau J. das Urteil des Landgerichts Bochum vom 16. Mai 2002 erhalten. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, dem Angeklagten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
II.
Der beantragten Wiedereinsetzung gegen die Versäumung
der Frist zur Einlegung der Revision gegen das Urteil vom 16. Mai 2002 bedarf
es. Die am 23. Mai 2002 durch Niederlegung erfolgte Zustellung des angefochten
Urteils ist wirksam (§ 182 ZPO). Der Angeklagte hatte - zumindest noch am
23. Mai 2002 - seine Wohnung an der Zustellungsadresse. Diese hatte ihre
Wohnungseigenschaft nicht dadurch verloren, dass der Angeklagte in anderer
Sache in der Zeit vom 6. Mai bis zum 15. Juni 2002 in Untersuchungshaft
inhaftiert war.
Nach allgemeiner Meinung in Rechtsprechung und Literatur (vgl. u.a. BGH NJW 1978, 1858 mit weiteren Nachweisen; OLG Karlsruhe StV 1985, 291; Meyer-Goßner, StPO, 46. Aufl., 2003, § 37 Rn. 9 mit weiteren Nachweisen) kommt es für den Begriff der Wohnung im Sinne der in der StPO entsprechend anwendbaren Vorschriften der §§ 181, 182 ZPO entscheidend darauf an, ob der Zustellungsempfänger tatsächlich an der angegebenen Anschrift wohnt, insbesondere ob er in den Räumen wohnt und dort schläft (BGH, a.a.O.). Nach der Rechtsprechung des BGH, die soweit ersichtlich in der übrigen obergerichtlichen Rechtsprechung unbestritten ist, verliert eine (frühere) Wohnung bei Abwesenheit des Zustellungsempfängers dann ihre Eigenschaft als dessen Wohnung im Sinne der Zustellungsvorschriften, wenn sich während seiner Abwesenheit der räumliche Mittelpunkt seines Lebens an den neuen Aufenthaltsort verlagert. Dies hat der BGH u.a. für den Fall angenommen, dass sich der Zustellungsempfänger in einer zweimonatigen Strafhaft befindet, wenn er während seiner Inhaftierung keine fortdauernde persönliche Beziehung zu seiner Wohnung aufrecht erhalten hat, wie sie z.B. noch bestehen könnte, wenn Angehörige des Zustellungsempfängers dort noch wohnen würden (BGH, a.a.O.).
Nach Auffassung des Senats muss Entsprechendes gelten, wenn sich der Zustellungsempfänger nicht in Strafhaft, sondern in Untersuchungshaft befindet (so auch OLG Karlsruhe, a.a.O.). Das OLG Karlsruhe weist zutreffend darauf hin, dass das entscheidende Merkmal der Zuweisung eines Zwangsaufenthalts auf die Untersuchungshaft in gleichem Maße zutrifft wie für die Strafhaft. Anders als bei der Strafhaft ist bei der Untersuchungshaft jedoch nicht die bei der Strafhaft von vornherein absehbare gesamte Dauer des Zwangsaufenthalts maßgeblich, sondern die tatsächliche Zeit, die der Zustellungsempfänger bis zur Ersatzzustellung von dem aufrecht erhaltenen Wohnsitz abwesend gewesen ist. Anders als Strafhaft ist Untersuchungshaft nämlich nicht im Vorhinein berechenbar (so auch VGH Hessen FamRZ 1992, 831; OLG Hamm NJW 1962, 264). Vorliegend hat sich der Angeklagte im Zeitpunkt der Ersatzzustellung aber erst 17 Tage in Untersuchungshaft befunden. Damit kann zu diesem Zeitpunkt, worauf die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend hinweist, noch nicht davon ausgegangen werden , dass er seine bisherige Wohnung bereits aufgegeben bzw. diese ihre Eigenschaft als Wohnung des Angeklagten im Sinne der §§ 181, 182 ZPO verloren hätte. Damit kam es nicht darauf an, ob der Angeklagte eine fortdauernde persönliche Beziehung zu seiner Wohnung unterhalten hat. Dahinstehen kann damit auch, ob ggf. die schon nach nur einmonatiger Dauer der (Untersuchungs)Haft bewirkte Zustellung als unwirksam anzusehen ist (so BGH NJW 1951, 931 für die Strafhaft).
III.
Der Wiedereinsetzungsantrag war zurückzuweisen. Der
Angeklagte hat nicht ausreichend im Sinne der §§ 44, 45 StPO
glaubhaft gemacht, dass er die Nichteinhaltung der Frist nicht selbst
verschuldet hat. Der Vortrag des Angeklagten ist nämlich
widersprüchlich bzw. unzutreffend. Soweit der Angeklagte vorgetragen hat,
er habe erst am 3. August 2002 das Urteil vom 16. Mai 2002 von Frau J.
erhalten, kann dieses nicht zutreffen. Nach Auskunft der Deutschen Post AG vom
14. Januar 2003 ist die Niederlegung nämlich am 16. September 2002 an das
Landgericht Bochum zurückgesandt worden. Etwas anderes folgt auch nicht
aus dem Schreiben des Verteidigers vom 26. Februar 2003. Auch der dort gemachte
Vortrag trifft im Übrigen nicht zu. Denn der Angeklagte ist nicht zusammen
mit seiner Ehefrau, sondern zusammen mit seiner Tochter verurteilt worden. Der
Senat vermag schließlich auch dem Wiedereinsetzungsantrag nicht -
insoweit abweichend von der Generalstaatsanwaltschaft - den konkludenten
Vortrag entnehmen, dass dem Angeklagten die Benachrichtigung über die
Niederlegung der für ihn bestimmten Urteilsausfertigung von seinen
Familienangehörigen nicht oder nicht sofort ausgehändigt worden ist.
Dazu verhält sich die Glaubhaftmachung an keiner Stelle.
IV.
Die
Revision war gemäß § 349 Abs. 1 StPO als unzulässig zu
verwerfen. Das angefochtene Urteil ist dem Angeklagten am 23. Mai 2002
zugestellt worden. Die Frist zur Einlegung der Revision endete demgemäss
gemäss § 341 Abs. 2 StPO am 30. Mai 2002. Die Revision ist aber erst
am 9. August 2002 beim Landgericht eingegangen.
V.
Die
Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.
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