Aktenzeichen: 2 Ss 126/03 OLG Hamm
Leitsatz: 1. Auf eine Verletzung des § 55 StPO kann die Revision nicht gestützt werden.
2. Wird mit formellen Rüge geltend gemacht, der Tatrichter habe den Unmittelbarkeitsgrundsatz nach § 250 StPO dadurch verletzt, dass er die nicht mehr vorhandene Erinnerung eines Zeugen in der Hauptverhandlung durch einen unmittelbaren, durchgehenden Rückgriff auf den Inhalt von Vermerken ersetzt habe, muss vorgetragen werden, ob in der Hauptverhandlung vom Zwischenrechtsbehelf des § 238 Abs. 2 StPO Gebrauch gemacht worden ist .
Senat: 2
Gegenstand: Revision
Stichworte: Verfahrensrüge; Begründung, Auskunftsverweigerungsrecht; Belehrung; Rechtskreistheorie; Vorhalt; Begründung der Verfahrensrüge;
Normen: StPO 55, StPO 238, StPO 250, StPO 261; StPO 344; StGB 46, StGB 145 d
Beschluss: Strafsache
gegen K.B.
wegen Vortäuschens einer Straftat u.a.
Auf die Revision des Angeklagten vom 17. September 2002 gegen das Urteil der 5. kleinen Strafkammer des Landgerichts Hagen vom 16. September 2002 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 28. 04. 2003 durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Landgericht auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft nach Anhörung des Angeklagten und seines Verteidigers einstimmig beschlossen:
Die Revision des Angeklagten wird auf seine Kosten (§ 473 Abs. 1 StPO) als offensichtlich unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten nicht erkennen lässt (§ 349 Abs. 2 StPO).
Zusatz:
Der näheren Erörterung bedürfen hinsichtlich der formellen Rügen lediglich folgende Punkte:
1.
Soweit der Angeklagte einen Verstoß gegen § 261 StPO mit der Begründung rügt, das Landgericht Hagen habe seiner Beweiswürdigung die mangels Belehrung des Zeugen S. über ein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO in verfahrensrechtlich nicht zulässiger Weise erlangten Erkenntnisse aus den Vermerken des Polizeibeamten M. vom 08. und 13. September 2000 zu Grunde gelegt, ist bereits bedenklich, ob die Verfahrensrüge den Formerfordernissen des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO genügt. Nach dieser Vorschrift sind die den Verfahrensverstoß begründenden Tatsachen so vollständig und so genau mitzuteilen, dass das Revisionsgericht allein aufgrund der Begründungsschrift das Vorliegen eines Verfahrensfehlers prüfen kann (BGHSt 3, 213; 21, 334, 340; 22, 169, 170; 29, 203). Dabei müssen Schriftstücke und Aktenbestandteile im Einzelnen bezeichnet und wörtlich oder wenigstens inhaltlich wiedergegeben werden (BGH NStZ 1984, 213; Meyer-Goßner, StPO, 46. Aufl., § 344 Rn. 22).
In der Revisionsbegründung werden weder der Wortlaut noch der Inhalt der genannten Vermerke vorgetragen. Letzterer ergibt sich nur mittelbar aus den wörtlich zitierten Passagen der Beweiswürdigung des angefochtenen Urteils, die sich über die Vermerke verhalten. Zwar darf das Revisionsgericht Verfahrensrügen aus den Urteilsgründen ergänzen, wenn wie hier auch die Sachrüge zulässig erhoben worden ist (BGH bei Miebach NStZ-RR 1998, 3; BGH NStZ 1993, 143; Dahs/Dahs, Die Revision im Strafprozess, 6. Aufl., Rn. 483). Es ist aber auch dann nicht feststellbar, ob der Inhalt der Vermerke in den ergänzend herangezogenen Urteilsgründen vollständig dargestellt worden ist.
Ob die Formerfordernisse für Verfahrensrügen gewahrt worden sind, kann jedoch letztlich dahin stehen, weil der Angeklagte seine Revision auf eine Verletzung des § 55 StPO nicht stützen kann (BGHSt 1, 39, 40; 11, 213, 216 ff.). Denn das Auskunftsverweigerungsrecht des Zeugen dient nicht dem Schutz des Angeklagten. Vielmehr stellt es im Gegensatz zum Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 StPO, das auf familiären Beziehungen zum Angeklagten beruht und dessen Rechtskreis Schutz der Familie unmittelbar berührt, ein Persönlichkeitsrecht ausschließlich des Zeugen dar. Diesem soll eine Selbstbezichtigung oder Beschuldigung seiner Angehörigen nicht zugemutet werden, um ihm Gewissenskonflikte zu ersparen. An der Wahrung der Entschlussfreiheit des Zeugen besteht indes kein rechtlich zu schützendes Interesse des Angeklagten.
2. Die weitere formelle Rüge, das Landgericht Hagen habe den Unmittelbarkeitsgrundsatz nach § 250 StPO verletzt, indem es die nicht mehr vorhandene Erinnerung des Zeugen S. in der Hauptverhandlung durch einen unmittelbaren, durchgehenden Rückgriff auf den Inhalt der Vermerke vom 08. und 13. September 2000 ersetzt habe, greift nicht durch, weil hier die Formerfordernisse für Verfahrensrügen nach § 344 Abs. 2 S. 2 StPO nicht gewahrt sind.
Denn in der Revisionsbegründung wird nicht vorgetragen, ob der Angeklagte vom Zwischenrechtsbehelf des § 238 Abs. 2 StPO Gebrauch gemacht hat. Danach hätte er die Verwendung der Vermerke vom 08. und 13. September 2002 in der Hauptverhandlung beanstanden und eine Entscheidung der Kammer herbeiführen müssen, um sein Recht auf Revision nicht zu verwirken (BGHSt 1, 322, 325; 3, 368; 4, 364, 366). Sachleitende Anordnungen des Vorsitzenden im Sinne dieser Vorschrift sind nämlich - wie hier - auch Vorhalte schriftlich niedergelegter früherer Äußerungen eines Zeugen zur Gedächtnisstütze bei seiner Vernehmung in der Hauptverhandlung (BGHSt 3, 199, 202).
Selbst wenn man die Zulässigkeit der Rüge unterstellen würde, wäre sie indes nicht begründet. Dazu ist zu bemerken, dass § 250 StPO nur die Ersetzung der Zeugenaussage des Wahrnehmenden durch die Verlesung einer Urkunde über die Wahrnehmung untersagt. Die Verwertung einer früheren Aussage zum Zweck der Vorhaltungen ist aber zulässig. Werden wie hier einem Zeugen seine schriftlich dokumentierten früheren Angaben als Gedächtnisstütze in der Weise zugänglich gemacht, dass seine Bekundung in der Hauptverhandlung alleinige Beweisgrundlage bleibt, wird der Grundsatz der Unmittelbarkeit und Mündlichkeit nicht durchbrochen (BGHSt 1, 4 ff; 3, 199, 201; 3, 281, 283 f.; 11, 338, 341; 14, 310, 312; 20, 160 ff.; 21, 285 ff.; 22, 171 f.). Denn nicht der Vorhalt selbst bildet die Grundlage für die Überzeugungsbildung des Gerichts, sondern das, was der Zeuge aussagt, nachdem seine Erinnerung auf den Vorhalt als Vernehmungshilfe hin zurückgekehrt ist (OLG Düsseldorf StV 2002, 131).
Aus der in der Revisionsbegründungsschrift zitierten Beweiswürdigung des angefochtenen Urteils ergibt sich, dass dem in der Hauptverhandlung vernommenen Zeugen S. die fraglichen Vermerke lediglich zur Auffrischung seiner Erinnerung vorgehalten worden sind
(S. 5 der Revisionsbegründung: Auf Vorhalt hat er dann seine Erklärungen gegenüber dem Polizeibeamten M., wie sie in den Vermerken...niedergelegt worden sind, im einzelnen bestätigt. Dabei war es bei der Vernehmung so, dass die Kammer dem Zeugen allgemein den Inhalt seiner Bekundungen vorhielt und der Zeuge dies dann durchaus detaillierter bestätigte und auf genauen Vorhalt der Aussagen sich auch wieder an Einzelheiten erinnerte.; S. 7: Auch den Inhalt des Telefonats vom 11. September hat S. bei seiner Vernehmung auf Vorhalt bestätigt ebenso wie der Polizeibeamte M.).
Ferner hat das Landgericht Hagen sich bei seiner Beweiswürdigung auf die nach Vorhalt der Vermerke vom Zeugen S. bekundeten Wahrnehmungen und nicht unmittelbar auf den Inhalt der Vermerke selbst gestützt
(s.o. ; weiter S. 5: Nach den übereinstimmenden Bekundungen des Zeugen S. und des Zeugen M....; S. 4: Der Zeuge S. hat bei seiner Vernehmung zwar angegeben...; S. 6: ...hat S. dann in der Hauptverhandlung erklärt...; S. 7: hat S. bei seiner Vernehmung auf Vorhalt bestätigt...; S. 16: In der Hauptverhandlung hat der Zeuge S. insoweit erklärt...).
Hinsichtlich der Sachrüge sind nur folgende Punkte erörterungsbedürftig:
1.
Die Rüge, die Urteilsfeststellungen rechtfertigten keine Verurteilung wegen Vortäuschens einer Straftat, ist unbegründet.
Ungeachtet dessen, dass § 145 d StGB als abstraktes Gefährdungsdelikt entgegen der Auffassung des Revisionsführers weder einen Irrtum der Behörde über eine Straftat noch einen Erfolg der Täuschungshandlung durch die Aufnahme von Ermittlungstätigkeiten voraussetzt (OLG Hamburg StV 1995, 589; Schönke/Schröder-Stree/Sternberg-Lieben, StGB, 26. Aufl., § 145 d Rn. 1, 11, 23; Tröndle-Fischer, StGB, 51. Aufl., § 145 d Rn. 2), ist vorliegend aufgrund der Strafanzeige des Angeklagten bereits mit Ermittlungen begonnen worden. Immerhin haben die Polizeibeamten H. und K. von der Polizeiinspektion Ennepetal, denen das vom Zeugen M. an die Polizei in Schwelm gesandte Telefax über die Angaben des Zeugen S. wohl noch nicht vorlag, den Tatort aufgesucht und den Sachverhalt aufgenommen.
2. Das Landgericht Hagen ist in seiner Beweiswürdigung auch keinem Denkfehler unterlegen.
Dass der Pkw Audi A 6 Avant bereits Wochen vor seiner Verschiebung in Weißrussland angemeldet worden sei, hat die Strafkammer nur als eine Angabe des Zeugen S. referiert, die dieser bei seinem Telefonat mit dem Zeugen M. gemacht habe. Sie hat diese Bekundung aber erkennbar weder den getroffenen Feststellungen
(S. 7 der Urteilsgründe: Anfang September 2000 kam der Angeklagte mit einem Dritten...überein, dass dieses Fahrzeug nach Weißrußland verschoben werden sollte.; S. 8: Am 06. September 2000 übernahm S....das Fahrzeug und passierte am 06. September 2000 um 20.35 Uhr die Grenze von Polen nach Weißrußland.)
noch den sonstigen Ausführungen im Urteil zu Grunde gelegt. Vielmehr hat die Kammer zu Gunsten des Angeklagten eine Spontantat angenommen und im Rahmen der Strafzumessung als Milderungsgrund berücksichtigt
(S. 23: Innerhalb dieses Strafrahmens konnte wiederum zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigt werden, dass es sich um eine Spontantat handelt....).
Er ist daher ersichtlich nicht beschwert.
3. Schließlich ist auch der Sachrüge, die Anforderungen des § 46 Abs. 2 StGB seien nicht beachtet worden, weil die Kammer den tatsächlichen Wert des Pkw Audi A 6 Avant zum Tatzeitpunkt nicht ausreichend ermittelt habe, kein Erfolg beschieden.
Zwar müssen die Strafzumessungstatsachen ebenso einwandfrei festgestellt und erwiesen sein wie die schuldrelevanten Tatsachen, so dass insoweit Mängel der Tatsachenfeststellung die Revision nach denselben Kriterien wie bei der Schuldfeststellung begründen (Dahs/Dahs, a.a.O., Rn. 439). Die Strafkammer hat aber mit dem Neupreis, dem Leasingzeitraum, der Laufleistung sowie der Ausstattung des Fahrzeugs (S. 7 und 10 der Urteilsgründe) genügend Tatsachen festgestellt, aus denen sich sein erheblicher Wert zur Tatzeit sowie die vom Angeklagten erhoffte Versicherungssumme als von ihm erstrebter und im Hinblick auf seine Höhe strafschärfend zu berücksichtigender Vermögensschaden (Schönke/Schröder-Stree, a.a.O., § 46 Rn. 19) entnehmen lassen.
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