Aktenzeichen: 4 Ss 304/03 OLG Hamm
Leitsatz: Hat der Amtsrichter über die Bildung einer Gesamtstrafe keine Entscheidung getroffen, muss das Berufungsgericht diese nachholen, um dem aus § 55 StGB folgenden Gebot gerecht zu werden. Durch § 331 Abs. 1 StPO ist es daran nicht gehindert.
Senat: 4
Gegenstand: Revision
Stichworte: unterlassene Gesamtstrafenbildung; Nachholung; Verschlechterungsverbot
Normen: StGB 55, StPO 331
Beschluss: Strafsache
gegen T.K.,
wegen Verstoßes gegen das BetäubungsmittelG
Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der XIII. kleinen Strafkammer des Landgerichts Münster vom 26. November 2002 hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 06. 05. 2003 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und des Angeklagten bzw. seiner Verteidiger gemäß § 349 Abs. 2 u. 4 StPO einstimmig beschlossen:
Unter Verwerfung der Revision im Übrigen wird das angefochtene Urteil im Gesamtstrafenausspruch und im Ausspruch über die Sperre der Erteilung einer Fahrerlaubnis mit den Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Münster zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht Münster hat den Angeklagten wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen, Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 20 Fällen, vorsätzlichen Führens eines Fahrzeugs, obwohl ihm das Führen von Fahrzeugen verboten war, in zwei Fällen, einmal in Tateinheit mit Trunkenheit im Verkehr, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und die Verwaltungsbehörde angewiesen, dem Angeklagten vor Ablauf einer Sperrfrist von neun Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen.
Das Landgericht Münster hat die Berufung des Angeklagten mit der Maßgabe verworfen, dass die Trunkenheit im Verkehr fahrlässig begangen worden ist.
Gegen dieses Berufungsurteil richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt und
- nach Zugang des Verwerfungsantrags der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs. 2 und 3 StPO - die Unzuständigkeit der Berufungskammer rügt.
II.
1. Die mit der Gegenerklärung der Verteidigerin vom 15. April 2003 erhobene Rüge, die Zuständigkeit der Jugendgerichte sei gegeben, ist nicht innerhalb der Revisionsbegründungsfrist gemäß § 345 Abs. 1 StPO erhoben worden und damit unzulässig.
Die Nichtbeachtung der Zuständigkeit der Jugendgerichte wird nämlich nur auf eine Rüge nach § 338 Nr. 4 StPO geprüft (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 46. Aufl., § 338 Rdnr. 34). Die Rüge nach § 338 Nr. 4 StPO ist eine Verfahrensrüge, die innerhalb der Frist des § 345 Abs. 1 StPO zu erheben ist (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 338 Rdnr. 34 a und § 352 Rdnr. 8). Die Revisionsbegründungsfrist war jedoch spätestens nach ordnungsgemäßer Zustellung des Urteils an den Angeklagten am 14. Januar 2003 am 14. Februar 2003 abgelaufen, so dass die Rüge der Unzuständigkeit der Berufungskammer mit Schriftsatz vom 15. April 2003 verspätet war.
2. Die im Übrigen mit der allgemeinen Sachrüge begründete Revision des Angeklagten ist hinsichtlich des Schuldspruchs und der Einzelstrafaussprüche i.S.v. § 349 Abs. 2 StPO offensichtlich unbegründet. Sie hat jedoch im Ausspruch über die Gesamtstrafe und der Entscheidung über die Festsetzung einer Sperrfrist für die Erteilung einer erneuten Fahrerlaubnis Erfolg.
Die Gesamtstrafenbildung der Strafkammer ist rechtsfehlerhaft.
Nach den Urteilsfeststellungen ist der Angeklagte zuletzt wie folgt bestraft worden:
6.
Mit Strafbefehl vom 20.07.2001 verhängte das Amtsgericht Münster (32 Cs 25 Js 937/01) gegen den Angeklagten wegen Diebstahls eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 20,- DM.
7.
Mit Strafbefehl vom 19.09.2001 verhängte das Amtsgericht Münster (32 Cs
25 Js 1397/01) gegen den Angeklagten wegen Beleidigung eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 50,- DM.
8.
Mit Beschluss vom 23.01.2002 führte das Amtsgericht Münster die Strafen aus den Verurteilungen zu oben Nummern 6 und 7 auf eine Gesamtgeldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 20,- zurück.
Im vorliegenden Verfahren hat der Angeklagte die Taten am 19. Juli 2001, Anfang August 2001, am 19. August 2001, im Zeitraum Juli/August 2001, am 2. November 2001 und am 4. November 2001 begangen.
Eine Gesamtstrafenbildung gemäß § 55 StGB hat die Berufungskammer mit folgender Begründung abgelehnt:
Soweit die Vorstrafen zu oben Nummern 6 und 7 gesamtstrafenfähig gewesen wären, steht dem schon der Rechtsgedanke des § 331 StPO entgegen. Denn da diese Strafen schon dem Amtsgericht bekannt waren und das Amtsgericht sie nicht zur Gesamtstrafenbildung herangezogen hat, ergibt sich, dass das Amtsgericht hier von der Möglichkeit des § 53 Abs. 2 S. 2 StGB Gebrauch gemacht hat.
Dem Berufungsgericht ist es bei der Frage der Gesamtstrafenbildung nur dann aufgrund des Verschlechterungsverbots des § 331 Abs. 1 StPO verwehrt, die Entscheidung des ersten Richters zu korrigieren, wenn dieser eine Entscheidung darüber getroffen hat, ob aus einer Geld- und einer Freiheitsstrafe eine Gesamtfreiheitsstrafe zu bilden ist. Hat der Amtsrichter jedoch über die Bildung einer Gesamtstrafe keine Entscheidung getroffen, muss das Berufungsgericht diese nachholen, um dem aus § 55 StGB folgenden Gebot gerecht zu werden. Durch § 331 Abs. 1 StPO ist es daran nicht gehindert (BGHR § 55 Abs. 1 S. 1 StGB Geldstrafe 1). Diese Grundsätze hat das Berufungsgericht im vorliegenden Fall verkannt. Eine Gesamtstrafenbildung durch das Berufungsgericht ist nur ausgeschlossen, wenn das Amtsgericht die Gesamtstrafenbildung abgelehnt hat, also eine Entscheidung hierüber getroffen hat. Eine solche Entscheidung des Amtsgerichts ist hier nicht ersichtlich. Allein aus der Tatsache, dass das Amtsgericht eine Gesamtstrafenbildung nicht vorgenommen hat, kann nicht der Schluss gezogen werden, das Amtsgericht habe eine Gesamtstrafenbildung abgelehnt. Denn es ist auf der anderen Seite ebenso möglich wie naheliegend, dass das Amtsgericht die Möglichkeit einer Gesamtstrafenbildung übersehen hat.
Durch die Nichtanwendung des § 55 StGB ist der Angeklagte auch beschwert, da es im Hinblick auf die Zäsurwirkung (vgl. hierzu Tröndle/Fischer, StGB, 51. Aufl., § 55 Rdnrn. 9 - 13) der Strafbefehle vom 20. Juli 2001 und vom 9. September 2001 zur Bildung von drei Gesamtstrafen gekommen wäre, wobei nicht auszuschließen ist, dass diese jeweils zwei Jahre nicht überschritten hätten. Die Berufungskammer hätte sich mithin damit auseinandersetzen müssen, ob die drei einzelnen Gesamtstrafen jeweils zur Bewährung auszusetzen gewesen wären. Das Ziel der Berufung des Angeklagten war die Verhängung einer zur Bewährung auszusetzenden Freiheitsstrafe, so dass er sein Berufungsziel bei Anwendung des § 55 StGB möglicherweise erreicht hätte.
Da die Entscheidung über die Frage der Anordnung einer Sperre für die Erteilung einer neuen Fahrerlaubnis einer Gesamtbetrachtung nach Bildung der Gesamtstrafen unterliegt (vgl. Beschluss des Senats vom 14. Januar 1999 - 4 Ss 1502/98 OLG Hamm), war die von der Kammer (nur) in den Entscheidungsgründen getroffene Anordnung einer Sperre von noch neun Monaten ebenfalls aufzuheben.
III.
Da der Erfolg des Rechtsmittels i.S.d. § 473 StPO noch nicht feststeht, hat der neue Tatrichter auch über die Kosten der Revision zu befinden.
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