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Rechtsprechung


Aktenzeichen: 1 Ws (L) 14/03 OLG Hamm

Leitsatz: Zur nachträglichen Feststellung der besonderen Schwere der Schuld

Senat: 1

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: besondere Schwere der Schuld; nachträgliche Feststellung, Kriterien; Berücksichtigung von Vorstrafen

Normen: StGB 57 a

Beschluss: Strafvollstreckungssache
gegen R.B.
wegen Mordes u. a. (hier: Sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen die Ablehnung der bedingten Entlassung und gegen die Ablehnung der Umkehr der Vollstreckungsreihenfolge).

Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten vom 17. Juni 2003 gegen den Beschluss der 2. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Kleve vom 14. Mai 2003 hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 31. 07. 2003 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird auf dessen Kosten als unbegründet verworfen (§ 473 Abs. 1 StPO).

Gründe:
Das Landgericht Münster hat den Verurteilten am 17. November 1987 wegen Mordes in Tateinheit mit schwerem Raub zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Nachdem der Bundesgerichtshof diese Entscheidung mit Beschluss vom 21. April 1988 im Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache zurückverwiesen hatte, wurde der Verurteilte mit Urteil vom 24. Oktober 1989 erneut wegen Mordes in Tateinheit mit schwerem Raub zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt wurde aufrechterhalten. Der Verurteilte befand sich sodann vom 06. August 1990 bis zum 17. Dezember 1992 im Maßregelvollzug. Mit Beschluss vom 04. November 1992 hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bielefeld angeordnet, dass zunächst die verhängte Freiheitsstrafe vor den weiteren Vollzug der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt zu vollstrecken sei. Unter Berücksichtigung der Dauer des Maßregelvollzuges werden fünfzehn Jahre der lebenslangen Freiheitsstrafe am 01. Juli 2004 verbüßt sein.

Die Strafvollstreckungskammer hat nunmehr mit Beschluss vom 14. Mai 2003 im Verfahren nach § 57 a StGB festgestellt, dass die besondere Schwere der Schuld eine Verbüßung von achtzehn Jahren der lebenslangen Freiheitsstrafe gebiete und deshalb eine Strafaussetzung des Restes der lebenslangen Freiheitsstrafe sowie die Aussetzung der Restunterbringung nicht in Betracht komme. Darüber hinaus hat es die Strafvollstreckungskammer abgelehnt, eine Umkehr der Vollstreckungsreihen-
folge in der Weise anzuordnen, dass bereits jetzt die Überstellung des Verurteilten in den Vollzug der Maßregel gem. § 64 StGB erfolgt. Auf die Gründe dieses Beschlusses wird auch insoweit zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die in zulässiger Weise erhobene sofortige Beschwerde des Verurteilten. Er ist der Auffassung, dass eine besondere Schuldschwere nicht vorliege. Er sei bei der Tatbegehung stark drogenabhängig gewesen. Die Festsetzung einer Mindestverbüßungsdauer von fünfzehn Jahren sei nunmehr geeignet, ihm die Möglichkeit zu eröffnen, in den Maßregelvollzug überstellt zu werden, um sich dort einer therapeutischen Behandlung zu unterziehen. Der Verurteilte hält deshalb weiterhin seinen Antrag aufrecht, nunmehr die Umkehr der Vollstreckungsreihenfolge zu beschließen und in den Vollzug der Maßregel nach § 64 StPO verlegt zu werden.

Das Rechtsmittel bleibt erfolglos.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat dazu u. a. wie folgt Stellung genommen:

„Die Strafvollstreckungskammer hat im Ergebnis zu Recht festgestellt, dass die Schuld des Verurteilten besonders schwer wiegt. Zwar kommt dem Umstand, dass er nach den Feststellungen des Schwurgerichts zwei Mordmerkmale verwirklicht hat, im vorliegenden Fall kein besonderes Gewicht zu, weil sich diese in tatsächlicher Hinsicht überlagern und deswegen bei der Bemessung der Schuldschwere von nur eingeschränkter Bedeutung sind (zu vgl. Senatsbeschluss vom 21.10.1999 (1 Ws L 14/99). Die Strafvollstreckungskammer hat aber zu Recht darauf abgestellt, dass der Verurteilte neben der vorsätzlichen Tötung eines Menschen aus Habgier auch des Raubes schuldig ist.

Rechtlichen Bedenken unterliegt die angefochtene Entscheidung allerdings insoweit, als die Strafvollstreckungskammer bei ihrer Schuldbewertung auch auf die Vorstraftaten des Verurteilten zugegriffen hat. Bei der Schuldbewertung im Rahmen des § 57 a StGB dürfen zu Lasten eines Verurteilten nur das dem Urteil zugrunde liegende Tatgeschehen und die dazu festgestellten Umstände der Ausführung und der Auswirkung der Tat berücksichtigt werden. Dem gegenüber dürfen Ausführungen des Tatgerichts zu weiteren subjektiven, die Tatschuld prägenden Kriterien, soweit sie nicht der Annahme eines Mordmerkmales dienen, nicht auf eine Schuldbewertung durch das Vollstreckungsgericht im Hinblick auf die besondere Schwere der Schuld übertragen werden (zu vgl. BVerfG NStZ 92, 484). Der Ausnahmefall, dass die aus der Vorstraftat einerseits und der Mordtat andererseits sich ergebende Geneigtheit eines Verurteilten zur Gewalt schuldsteigernd in Rechnung gestellt werden darf (zu vgl. Senatsbeschluss vom 29.04.2003 1 Ws (L) 10/03), liegt hier nicht vor, weil es sich bei den herangezogenen Vorstrafen des Beschwerdeführers um Verurteilungen wegen Diebstahls handelt.

Der unzulässige Rückgriff auf die Vorstrafen des Verurteilten greift den Bestand des Beschlusses aber nicht an. Die Begehung des weiteren schweren Verbrechenstatbestandes durch den Verurteilten führt nämlich bereits zur besonderen Schuldschwere i. S. d. § 57 a StGB.

Eine 18-jährige Mindestverbüßungszeit ist auch bei der vorzunehmenden vollstreckungsrechtlichen Gesamtschau geboten. Über die von der Strafvollstreckungskammer gewürdigte positive Entwicklung des Verurteilten im Strafvollzug hinaus sind keine Umstände erkennbar, die unter dem Gesichtspunkt des Gebotenseins weiterer Strafvollstreckung eine weitere Herabsetzung der Verbüßungsdauer rechtfertigen könnten.

Soweit sich der Beschwerdeführer darüber hinaus gegen die weitere Entscheidung der Strafvollstreckungskammer wendet, mit der sein Antrag auf erneute Umkehr der Vollstreckungsreihenfolge zurückgewiesen worden ist, hat die sofortige Beschwerde ebenfalls keinen Erfolg.

Die Strafvollstreckungskammer hat sachverständig beraten durch das psychiatrische Gutachten des Arztes für Psychiatrie vom 29.01.2003 zutreffend ausgeführt, dass der Vorwegvollzug der Freiheitsstrafe bessere Erfolgsaussichten für die mit der Maßregel bezweckte Rehabilitation des Verurteilten bieten kann. Nach Auffassung des Sachverständigen schiebt der Beschwerdeführer, der aus einem früheren Maßregelvollzug bereits entwichen ist, weitere notwendige Initiativen zur Einleitung einer angestrebten Veränderung der abstinenten Lebensführung unter Verweis auf ungünstige äußere Faktoren vor sich her und ist derzeit (nur) vordergründig therapiemotiviert (S. 60, 63 des Gutachtens).

Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt eine andere Beurteilung nicht. Soweit der Beschwerdeführer auf die unterbliebene Gesamtstrafenbildung hinweist, bleibt ungeachtet dessen, ob die Voraussetzungen dafür vorliegen, festzustellen, dass sich die Einbeziehung der Verurteilung des Beschwerdeführers durch das Landgericht Münster am 05.08.1985 wegen Erwerbs und Einfuhr von Haschisch und Heroin u. a. bei der Bemessung der aus Gründen der besonderen Schuldschwere festzusetzenden Verbüßungsdauer deutlich zum Nachteil des Verurteilten hätten auswirken müssen, weil die der Verurteilung durch das Schwurgericht zugrundeliegende Tat auch zum Erwerb von Drogen dienen sollte. Im Übrigen verkennt der Beschwerdeführer, dass der tatgerichtliche Schuldspruch, der die Vollstreckungsgrundlage bildet, rechtskräftig ist und die ihm zugrunde liegenden Feststellungen für das Vollstreckungsgericht bindend sind. Durch das Urteil ist das Maß der Tatschuld festgeschrieben.“

Diesen Erwägungen schließt sich der Senat im Ergebnis an. Hinsichtlich der besonderen Schuldschwere und der Dauer der Mindestverbüßungszeit ist dabei zusätzlich zu berücksichtigen, dass es sich um eine mehraktige Tatbegehung handelte.


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