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Rechtsprechung


Aktenzeichen: 1 Ss 362/03 OLG Hamm

Leitsatz: Der Senat hält an der auch überwiegend von den Senaten des BGH vertretenen Auffassung, dass bei schwerwiegenden Taten - wie der Durchführung von Betäubungsmittelgeschäften im größeren Umfang unter Benutzung eines Kraftfahrzeuges - die charakterliche Unzuverlässigkeit zum Führen eines Kraftfahrzeuges in aller Regel verneint werden muss und nur unter ganz besonderen Umständen etwas anderes gelten kann, fest (vgl. zuletzt noch BGH, Beschluss vom 14. Mai 2003 - 1 StR 113/03; so auch OLG Hamm, Beschluss vom 1. Juli 2003 - 4 Ss 387/03).

Senat: 1

Gegenstand: Revision

Stichworte: Fahrerlaubnisentziehung, Ungeeignetheit, allgemeines Delikt

Normen: StGB 69, StGB 69 a

Beschluss: Strafsache
gegen I.S.
wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz.

Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der XVII. Kleinen Strafkammer des Landgerichts Dortmund vom 11. Dezember 2002 hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm in der Sitzung vom 20. 08. 2003, an der teilgenommen haben:

Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht
als Vorsitzender,
Richter am Oberlandesgericht,
Richterin am Oberlandesgericht
als beisitzende Richter

Oberstaatsanwalt
als Beamter der Staatsanwaltschaft,

Rechtsanwalt
als Verteidiger,

Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für R e c h t erkannt:

Die Revision wird auf Kosten des Angeklagten als unbegründet verworfen.

G r ü n d e :

Das Amtsgericht Unna hat den Angeklagten am 29. Mai 2002 wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Darüber hinaus hat das Amtsgericht die Entziehung der Fahrerlaubnis und die Einziehung des Führerscheins angeordnet und die Verwaltungsbehörde angewiesen, vor Ablauf von zwei Jahren keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen. Die dagegen gerichtete Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Dortmund mit Urteil vom 11. Dezember 2002 mit der Maßgabe verworfen, dass die Sperrfrist für die Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis auf noch neun Monate festgesetzt werde. Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils hat der Angeklagte entsprechend dem zuvor gefassten Tatplan dabei mitgewirkt, in den Morgenstunden des 26. September 2001 insgesamt 500 g Kokain zum Preise von 24.000,- DM oder 26.000,- DM in den Niederlanden erworben und sodann mit seinem PKW in die Bundesrepublik Deutschland eingeführt zu haben. Das Rauschgift wurde bei der Übergabe an Mittäter des Angeklagten von diesen verabredungsgemäß mit Falschgeld bezahlt. Der Angeklagte war als Fahrer mit seinem Opel Vectra beteiligt. Nachdem die Mittäter des Angeklagten den Umschlag mit dem Falschgeld übergeben und das
Kokain erhalten hatten - wobei die Rauschgiftverkäufer noch nicht bemerkten, dass es sich um Falschgeld handelte - hatten sie „nichts Eiligeres zu tun, als zu dem Angeklagten in den PKW einzusteigen und sich damit schleunigst zu entfernen“. Auf der Rückfahrt nach Deutschland wechselten sich der Angeklagte und der Zeuge Ftouni als Fahrer ab.

Der Angeklagte ist in der Vergangenheit einmal strafrechtlich in Erscheinung getreten. Das Amtsgericht Werl hat ihn am 7. Februar 2001 wegen Erpressung in zwei Fällen und wegen versuchter Nötigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist, verurteilt.

Zur Anordnung der Maßregel hat das Landgericht ausgeführt, der Angeklagte habe sich durch Einsatz seiner Fahrerlaubnis zur Einfuhr einer großen Rauschgiftmenge in die Bundesrepublik Deutschland als charakterlich ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen. Ihm sei deswegen gemäß § 69 Abs. 1 StGB die Fahrerlaubnis zu entziehen und sein Führerschein einzuziehen. Zur verkehrserzieherischen Einwirkung auf ihn sei gemäß § 69 a Abs. 1 StGB eine Sperre für die Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis von noch neun Monaten zu verhängen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten, die mit näherer Begründung die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision als unbegründet zu verwerfen.

Die Revision war als unbegründet zu verwerfen, da die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat. Insbesondere hält auch die vom Landgericht angeordnete Maßregel gemäß § 69 StGB rechtlicher Nachprüfung stand, obwohl das Landgericht die mangelnde Eignung des Angeklagten nur damit begründet hat, dass sich der Angeklagte durch das Einführen einer großen Menge Rauschgift als charakterlich ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen habe. Diese Begründung genügt im vorliegenden Fall den Anforderungen.

Nach einhelliger Meinung ist § 69 Abs. 1 StGB nicht nur bei Verkehrsverstößen im engeren Sinne, sondern auch bei sonstigen strafbaren Handlungen anwendbar, sofern sie im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeuges begangen worden sind und sich daraus die mangelnde charakterliche Eignung zum Führen eines Kraftfahrzeuges ergibt. Unterschiedlich beurteilt wird nur, welche Faktoren für die Feststellung der Ungeeignetheit des Täters maßgeblich sind. Ein Teil der Rechtspre-
chung hat den Standpunkt vertreten, bei schwerwiegenden Taten, wie z.B. der Durchführung von Betäubungsmittelgeschäften unter Benutzung eines Kraftfahrzeuges, müsse die charakterliche Zuverlässigkeit zum Führen von Kraftfahrzeugen in aller Regel verneint werden; nur unter ganz besonderen Umständen könne ausnahmsweise etwas anderes gelten (BGHR StGB § 69 Abs. 1, Entziehung 3; BGH NStZ 1992, 586; BGH NStZ 2000, 26). In anderen Entscheidungen wird zwar ebenfalls die besondere Indizwirkung von Delikten der allgemeinen Kriminalität für den charakterlichen Eignungsmangel des Täters i.S.d. § 69 StGB bejaht, es wird aber eine Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit, soweit sie in der Tat zum Ausdruck gekommen ist, verlangt (BGH NStZ-RR 1997, 197; BGHR StGB § 69 Abs. 1 Entziehung 10). Neuerdings wird in der Rechtsprechung die Auffassung vertreten, dass bei Nicht-Katalogtaten i.S.d. § 69 Abs. 2 StGB konkrete Anhaltspunkte für die Gefahr vorliegen müssten, der Täter werde seine kriminellen Ziele über die im Verkehr gebotene Sorgfalt und Rücksichtnahme stellen, mithin als Anlasstat Delikte generell ausscheiden, die keinerlei spezifische Verkehrssicherheitsinteressen berühren (BGH NStZ-RR 2003, 74; BGH NStZ-RR 2003, 122).

Der Senat hält an der auch überwiegend von den Senaten des BGH vertretenen Auffassung, dass bei schwerwiegenden Taten - wie der Durchführung von Betäubungsmittelgeschäften im größeren Umfang unter Benutzung eines Kraftfahrzeuges - die charakterliche Unzuverlässigkeit zum Führen eines Kraftfahrzeuges in aller Regel verneint werden muss und nur unter ganz besonderen Umständen etwas anderes gelten kann, fest (vgl. zuletzt noch BGH, Beschluss vom 14. Mai 2003 - 1 StR 113/03; so auch OLG Hamm, Beschluss vom 1. Juli 2003 - 4 Ss 387/03 -). Unbe-
schadet dessen ist bisher ebenso anerkannt, dass eine Indizwirkung für einen Eignungsmangel nicht in Betracht kommt, wenn die Tat nur bei Gelegenheit der Nutzung des Kraftfahrzeuges begangen ist oder nur ein äußerer - örtlicher oder zeitlicher - Zusammenhang mit dieser besteht (BGHSt 22, 328).

§ 69 StGB sieht die Maßregel der Entziehung der Fahrerlaubnis nach einer rechtswidrigen Tat vor, wenn diese „unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers“ begangen wurde oder - gleichberechtigt als weiterer Anknüpfungspunkt danebenstehend - bei oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeuges - verwirklicht wurde. Hinzu kommen muss in beiden Fällen, dass der Täter zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist und sich dies aus der Tat ergibt. Schon das systematische Nebeneinander der Anknüpfungspunkte für die Maßregel - die Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers einerseits und die Tatbegehung bei oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeuges andererseits - verdeutlicht, dass diese Vorschrift nicht nur Verkehrsstraftaten erfasst, für welche die gesetzliche Regelvermutung der fehlenden Eignung in § 69 Abs. 2 StGB gilt; sie er-
streckt sich auch auf Taten der sogenannten allgemeinen Kriminalität, die Indizwirkung für die fehlende Eignung entfalten können (BGH, Beschluss vom 14. Mai 2003, 1 StR 113/03).

Der Begriff der Eignung umfasst nicht nur die persönliche Gewähr für die regelgerechte Ausübung der Erlaubnis, d.h. die Beachtung der Vorschriften des Straßenverkehrs. Wer eine Fahrerlaubnis innehat, der muss auch die Gewähr für eine im umfassenden Sinne verstandene Zuverlässigkeit dahin bieten, dass er die Erlaubnis auch sonst nicht zur Begehung rechtswidriger Taten ausnutzen werde.

In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist dementsprechend zur Entziehung der Fahrerlaubnis seit jeher anerkannt, dass die sich aus der Tat ergebende mangelnde Eignung auch in fehlender charakterlicher Zuverlässigkeit gründen kann. Wem die staatliche Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen erteilt wird, der wird auch charakterlich für hinreichend zuverlässig dahin erachtet, dass er nicht nur die Regeln des Straßenverkehrs beachtet, sondern sein Kraftfahrzeug und seine Fahrerlaubnis auch nicht gezielt zu sonst rechtswidrigen Zwecken verwendet. Auch derjenige, der seine Fahrerlaubnis und sein Kraftfahrzeug zwar zu regelrechter Teilnahme am Verkehr, aber bewusst zur Begehung gewichtiger rechtswidriger Taten einsetzt, kann mithin zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet sein (BGH, Beschluss vom 14. Mai 2003, 1 StR 113/03).

Darüber hinaus kann der Missbrauch der Fahrerlaubnis zur Begehung von Delikten allgemeiner Art durchaus auch einen Bezug zur Verkehrssicherheit haben. Bei dem Einsatz eines Kraftfahrzeuges als Mittel zum Transport von Rauschgift können für den Täter durchaus Situationen eintreten, in denen er der Versuchung erliegt, sich um der Durchsetzung seines kriminellen Handelns willen spontan und nachhaltig über Verkehrssicherheitsbelange hinwegzusetzen.

Zur tatrichterlichen Begründungspflicht gilt, dass der erforderliche Würdigungsumfang von den Umständen des Einzelfalls abhängt. Die Tat selbst kann, je gewichtiger sie ist, andere Umstände in den Hintergrund treten lassen. In schwerwiegenden Fällen und auch bei wiederholten Taten ist eine eingehende Begründung in der Regel nicht zwingend geboten (BGHR StGB § 69 Abs. 1 Entziehung 3; BGHR StGB § 69 Abs. 1 Entziehung 5; BGH NStZ 1992, 586; BGH Beschluss vom 14. Mai 2003, 1 StR 113/03). Einer solchen indiziellen Wirkung steht nicht der Einwand entgegen, sie werde auf diese Weise der gesetzlichen Regelvermutung bei Verkehrsstraftaten (§ 69 Abs. 2 StGB) angenähert. Jene Regelvermutung gründet darin, dass bei Begehung der dort angeführten Verkehrsstraftaten in aller Regel ein Fahrzeug benutzt wird, jedenfalls aber ein unmittelbarer Bezug zur Verkehrssicherheit besteht. Bei Taten der sogenannten allgemeinen Kriminalität bestimmt der Bezug zwischen Tat und fehlender Eignung, wenn er funktional im konkreten Fall gegeben ist, durch das Gewicht der Tat und der Täterpersönlichkeit den Begründungsaufwand des Tatrichters (BGH, Beschluss vom 14. Mai 2003 - 1 StR 113/03 -).

Im vorliegenden Fall ergibt der Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe, dass der Angeklagte die Tat nicht nur bei Gelegenheit der Nutzung seines Kraftfahrzeuges begangen hat und dass auch nicht nur ein äußerer - örtlicher oder zeitlicher - Zusammenhang damit besteht. Vielmehr hat er sein Fahrzeug gezielt zur Durchführung der Straftat und damit unmittelbar tatbezogen eingesetzt. Er ist mit seinem Fahrzeug gezielt zum Einkauf von Drogen nach Holland gefahren und hat nach dem Erwerb von 500 g Kokain, wobei die Bezahlung mit Falschgeld erfolgte, dieses über eine lange Strecke in die Bundesrepublik Deutschland transportiert. Im Blick auf das Gewicht der Tat, die Bedeutung des Einsatzes des Kraftfahrzeuges bei Begehung der Tat und bei zugleich fehlenden Hinweisen auf eine dennoch im Hauptverhandlungszeitpunkt etwa wiederhergestellte Eignung des Angeklagten war die indizielle Bedeutung der Tat hier solchermaßen ausgeprägt, dass allein darauf und ohne weitergehende Begründung die Entziehung der Fahrerlaubnis gestützt werden konnte.

Der Senat sah sich auch nicht durch die Entscheidungen des 4. Strafsenats des BGH von Ende vorigen Jahres gehindert, wie geschehen zu entscheiden. Der Revision ist zwar zuzugeben, dass in diesen Entscheidungen eine engere und den Anwendungsbereich des § 69 Abs. 1 StGB beschneidende Auffassung deutlich wird. Diese vom Senat nicht geteilte Auffassung war aber für die fallbezogenen Entscheidungen des 4. Strafsenats nicht tragende Grundlage, sondern eher obiter dictum. Deshalb bedarf es auch seitens des erkennenden Senats keiner Vorlage an den Bundesgerichtshof, was auch schon daraus deutlich wird, dass auch der 4. Strafsenat seinerseits keinen Anlass gesehen hat, die Sache dem Großen Senat des BGH vorzulegen oder in das Anfrageverfahren einzutreten.

Nach allem war die Revision mit der Kostenfolge aus § 473 Abs. 1 StPO zu verwerfen.


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