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Rechtsprechung


Aktenzeichen: 3 Ws 181/03 OLG Hamm

Leitsatz: Zur Gebührenbestimmung durch den Wahlverteidiger

Senat: 3

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: Kostenerinnerung; Mittelgebühr, unbillig hohe Gebühr;

Normen: BRAGO 83, BRAGO 84

Beschluss: Strafsache
gegen M.A.
wegen schwerer räuberischer Erpressung

Auf die sofortige Beschwerde des ehemaligen Angeklagten vom 14. März 2003 gegen den Beschluss der Rechtspflegerin des Landgerichts Essen vom 06. März 2003 sowie auf die (unselbständige) Anschlussbeschwerde des Leiters des Dezernats 10 der Verwaltungsabteilung des Oberlandesgerichts Hamm vom 02. Mai 2003 gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss der Rechtspflegerin des Landgerichts Essen vom 06. März 2003 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 15. 07. 2003 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung des ehemaligen Angeklagten bzw. seines Verteidigers und des Leiters des Dezernats 10 der Verwaltungsabteilung des Oberlandesgerichts Hamm beschlossen:

Der angefochtene Kostenfestsetzungsbeschluss wird dahin abgeändert, dass die dem ehemaligen Angeklagten aus der Staatskasse zu erstattenden notwendigen Auslagen auf 1.399,18 € nebst 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 05. November 2002 festgesetzt werden.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der ehemalige Angeklagte.
Der Beschwerdewert wird auf 797,34 € festgesetzt.
Die unselbständige Anschlussbeschwerde wird als unbegründet verworfen.
Die Kosten der Anschlussbeschwerde fallen der Staatskasse zur Last, die auch die von dem früheren Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten hat.
Der Beschwerdewert für die Anschlussbeschwerde wird auf 109,91 € festgesetzt.

Gründe:
I.
Der frühere Angeklagte ist durch Urteil des Landgerichts Essen vom 08. Mai 2002 von dem Vorwurf der schweren räuberischen Erpressung auf Kosten der Landeskasse freigesprochen worden. Die in diesem Verfahren entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten wurden durch Beschluss des Landgerichts Essen vom 05. November 2002 ebenfalls der Landeskasse auferlegt.

Mit Kostenfestsetzungsantrag vom 15. Mai 2002 hat der Verteidiger des ehemaligen Angeklagten für diesen die Festsetzung von notwendigen Auslagen in Höhe von 2.146,52 € beantragt. Mit Beschluss vom 06. März 2003 hat die Rechtspflegerin des Landgerichts Essen die dem ehemaligen Angeklagten gem. §§ 467 StPO, 467 a StPO aus der Staatskasse zu erstattenden notwendigen Auslagen auf 1.349,18 € nebst 5 % Zinsen seit dem 05. November 2002 festgesetzt. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Angeklagten vom 14. März 2003, mit der er unter Aufrechterhaltung des im seinen Kostenfestsetzungsantrag angenommenen Standpunktes beantragt, zumindest die von dem Bezirksrevisor beim Landgericht Essen in dessen Stellungnahme vom 28. Januar 2003, die dem Verteidiger des ehemaligen Angeklagten mit gerichtlichem Schreiben vom 31. Januar 2003 zur Stellungnahme übersandt worden ist, als angemessen angesehenen Gebühren festzusetzen.

Der Leiter des Dezernats 10 der Verwaltungsabteilung des Oberlandesgerichts Hamm hat unter dem 02. Mai 2003 zu der Beschwerde des ehemaligen Angeklagten Stellung genommen und gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 06. März 2003 (unselbständige) Anschlussbeschwerde eingelegt, mit der er beantragt, die notwendigen Auslagen des ehemaligen Angeklagten auf 1.239,27 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 05. November 2002 festzusetzen.

Zur Vermeidung von Wiederholungen wird hinsichtlich der Einzelheiten des Kostenfestsetzungsantrags vom 15. Mai 2002 auf Bl. 290 d. A., hinsichtlich der Stellungnahme des Bezirksrevisors beim Landgericht Essen vom 28. Januar 2003 auf Bl. 336 d. A., hinsichtlich des angefochtenen Beschlusses vom 06. März 2003 auf Bl. 342 f. d. A. sowie hinsichtlich der Stellungnahme des Leiters des Dezernats 10 der Verwaltungsabteilung des Oberlandesgerichts Hamm vom 02. Mai 2003 auf Bl. 359 f.
d. A. verwiesen.

II.
Die gem. §§ 464 b Satz 3 StPO, 104 Abs. 3 Satz 1 ZPO, 11 Abs. 2 RPflG zulässige sofortige Beschwerde des ehemaligen Angeklagten ist zulässig, hat in der Sache aber nur in einem geringen Umfang Erfolg.

Die in dem Kostenfestsetzungsantrag vom 15. Mai 2002 in Ansatz gebrachten Gebühren gem. §§ 84 Abs. 1, 83 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Nr. 2 BRAGO sind im Ergebnis als unbillig hoch und deshalb für das Kostenfestsetzungsverfahren als nicht verbindlich anzusehen.

Die Höhe der erstattungsfähigen Gebühren gem. den §§ 83 f. BRAGO bestimmt sich nach den Grundsätzen des § 12 BRAGO. Wie der Leiter des Dezernats 10 der Verwaltungsabteilung des Oberlandesgerichts Hamm in seiner Stellungnahme vom 02. Mai 2003 zutreffend ausgeführt hat, ist eine Gebührenbestimmung des Rechtsanwalts ab einer Abweichung von mehr als 20 % von der angemessenen Gebühr als unbillig und deshalb gem. § 12 Abs. 1 Satz 2 BRAGO für die erstattungspflichtige Staatskasse als nicht mehr verbindlich anzusehen.

Hinsichtlich der von dem ehemaligen Angeklagten in Ansatz gebrachten Vorverfahrensgebühr gem. §§ 84 Abs. 1, 83 Abs. 1 Nr. 2 BRAGO teilt der Senat die Auffassung des Leiters des Dezernats 10, das unter Berücksichtigung der in § 12 Abs. 1 BRAGO genannten Kriterien die Bedeutung der Angelegenheit noch als durchschnittlich allerdings eher im oberen Bereich und die Vermögens- und Einkommensverhältnisse des ehemaligen Angeklagten, der Empfänger von Arbeitslosenhilfe ist, als deutlich unterdurchschnittlich zu bewerten sind.

Auch der Umfang und die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sind nach Auffassung des Senates noch als durchschnittlich einzustufen. Zwar hat der Verteidiger bis zur Anklageerhebung vor dem Landgericht Essen (20.12.2001) ausweislich der Akten lediglich zwei gleichlautende und kurze Schreiben vom 17. Dezember 2001 verfasst, mit denen um eine Besuchserlaubnis betreffend des damals in U-Haft befindlichen ehemaligen Angeklagten, um Akteneinsicht sowie um eine Übersendung des ergangenen Haftbefehls gebeten worden war. Wie der Verteidiger mit Schriftsatz vom 13. Mai 2003 ausgeführt hat, begann dessen Tätigkeit im Vorverfahren aber mit einem umfangreichen Gespräch mit der Familie des früheren Angeklagten, in der diese den Verteidiger über dessen Lebensverhältnisse informiert hat. Angesichts dessen hält der Senat eine Vorverfahrensgebühr in Höhe der Mittelgebühr und damit in Höhe von 410,00 DM noch für angemessen. Die von dem Verteidiger des ehemaligen Angeklagten in Ansatz gebrachte Vorverfahrensgebühr gem. § 84 Abs. 1 BRAGO in Höhe von 450,00 € (880,12 DM) übersteigt die Mittelgebühr um 115 % und ist daher gem. § 12 Abs. 1 Satz 2 BRAGO für die Staatskasse nicht verbindlich.

Hinsichtlich der Höhe der von dem Verteidiger des ehemaligen Angeklagten in Ansatz gebrachten Gebühr gem. § 83 Abs. 1 Nr. 2 BRAGO folgt der Senat den zutreffenden Ausführungen des Leiters des Dezernats 10 der Verwaltungsabteilung des Oberlandesgerichts Hamm, wonach eine deutlich über der Mittelgebühr von 820,00 DM liegende Gebühr von 1.251,73 DM (640,00 €) als angemessen, aber auch ausreichend anzusehen ist, und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen darauf Bezug.

Die von dem Verteidiger, Rechtsanwalt L., angemeldete Gebühr von 950,00 € (1.858,04 DM) ist für die Landeskasse nicht verbindlich, weil sie die als angemessen anzusehende Gebühr von 1.251,73 DM um fast 50 % überschreitet.

Hinsichtlich der Höhe der von dem Verteidiger des ehemaligen Angeklagten in Ansatz gebrachten Gebühr gem. § 83 Abs. 2 Nr. 2 BRAGO hält der Senat entgegen sowohl der Festsetzung in dem angefochtenen Beschluss als auch der Ansicht des Leiters des Dezernats 10 nicht nur den Ansatz der Mittelgebühr (440,- DM = 225 €), sondern eine darüber hinausgehende Gebühr in Höhe von 500,00 DM entsprechend den Ausführungen des Bezirksrevisors beim Landgericht Essen in seiner Stellungnahme vom 28. Januar 2003 für angemessen.

Die Dauer des Fortsetzungstermins am 08. Mai 2002 war zwar mit gut 2 ½ Stunden deutlich unterdurchschnittlich. Darüber hinaus fand auch in diesem Termin keine Beweisaufnahme mehr statt, sondern es wurden die Plädoyers gehalten und anschließend das Urteil verkündet. Darüber hinaus erfolgte in diesem Termin der Hinweis, dass gegen den ehemaligen Angeklagten auch die Verhängung einer Maßregel möglich sei. Soweit sowohl in dem angefochtenen Beschluss als auch in der Stellungnahme des Leiters des Dezernats 10 der Verwaltungsabteilung des Oberlandesgerichts Hamm darauf hingewiesen wird, dass sich die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit in diesem Termin dadurch verringert habe, dass die Staatsanwaltschaft in diesem Termin auf Freispruch plädiert habe, ist allerdings anzumerken, dass die Staatsanwaltschaft neben dem Freispruch die Unterbringung des ehemaligen Angeklagten in ein psychiatrisches Krankenhaus gem. § 63 StGB beantragt hatte. Die Staatsanwaltschaft ging demgemäss davon aus, dass der ehemalige Angeklagte die ihm im vorliegenden Verfahren vorgeworfene schwere räuberische Erpressung begangen hat, er aber zum Zeitpunkt der Tatbegehung schuldunfähig gem. § 20 StGB gewesen ist mit der Folge, dass keine Bestrafung, sondern nur die Verhängung einer Maßregel in Betracht kam. Der Verteidiger musste sich daher in seinem Plädoyer trotz des Freisprechungsantrages der Staatsanwaltschaft auch mit der Frage befassen, ob der ehemalige Angeklagte aufgrund des Ergebnisses der Hauptverhandlung als der ihm vorgeworfenen Tat überführt anzusehen ist. Darüber hinaus hatte er zusätzlich zu der Frage einer etwaigen Unterbringung des ehemaligen Angeklagten gem. § 63 StGB Stellung zu nehmen. Der Umfang der rechtlichen Probleme, zu denen der Verteidiger in seinem Plädoyer Stellung zu nehmen hatte, hatte sich daher durch den Freisprechungsantrag der Staatsanwaltschaft nicht verringert. Im Ergebnis ist daher von einer leicht überdurchschnittlichen Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit in dem Fortsetzungstermin am 08. Mai 2002 auszugehen, der die Gebühr in Höhe von 500,- DM rechtfertigt.

Die von dem Verteidiger des ehemaligen Angeklagten mit dem Kostenfestsetzungsantrag in Ansatz gebrachte Gebühr gem. § 83 Abs. 2 Nr. 2 BRAGO in Höhe von 350,00 € (684,54 DM) übersteigt die als angemessen anzusehende Gebühr von
500,00 DM um 37 %. Sie ist daher als unbillig hoch anzusehen und infolge dessen für die Landeskasse nicht verbindlich.

Unter Berücksichtigung der obigen Ausführungen ergibt sich folgender Auslagenerstattungsanspruch des Angeklagten:

Vorverfahrensgebühr gem. §§ 84 Abs. 1,
83 Abs. 1 Nr. 2 BRAGO410,00 DM
Gebühr gem. § 83 Abs. 1 Nr. 2 BRAGO 1.251,73 DM
Gebühr gem. § 83 Abs. 2 Nr. 2 BRAGO500,00 DM
Auslagenpauschale gem. § 27 BRAGO 30,00 DM
Schreibauslagen gem. § 27 BRAGO (Fotokopiekosten) 54,50 DM
Reiseauslagen gem. § 28 BRAGO113,20 DM

  1. 2.359,43 DM

16 % Umsatzsteuer377,51 DM
  1. 2.736,94 DM =
  1. 1.399,18 €.

Die zugesprochenen Zinsen beruhen auf § 464 b Satz 2 und 3 StPO i. V. m. § 104 Abs. 1 Satz 2 ZPO.

Die unselbständige Anschlussbeschwerde ist zwar zulässig, hat aber, wie sich aus den vorangegangenen Ausführungen ergibt, in der Sache keinen Erfolg. Sie war daher als unbegründet zu verwerfen.

Die Kostenentscheidungen folgen aus § 473 Abs. 1 StPO. Da der ehemalige Angeklagte mit seinem Rechtsmittel nur einen geringfügigen Teilerfolg erzielt hat, besteht aus Gründen der Billigkeit kein Anlass, die Rechtsmittelgebühr zu ermäßigen und die notwendigen Auslagen des ehemaligen Angeklagten teilweise der Staatskasse gemäß § 473 Abs. 4 StPO aufzuerlegen.


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