Aktenzeichen: 1 Ss 464/03 OLG Hamm
Leitsatz: Zum erforderlichen Umfang der tatsächlichen Feststellungen bei einer Unterhaltspflichtverletzung
Senat: 1
Gegenstand: Revision
Stichworte: Unterhaltspflichtverletzung; tatsächliche Feststellungen, Leistungsfähigkeit; Berufungsbeschränkung; Wirksamkeit
Normen: StGB 170, StPO 267; StPO 318
Beschluss: Strafsache
gegen V.H.
wegen Verletzung der Unterhaltspflicht
Auf die Revision des Angeklagten vom 09. Mai 2003 gegen das Urteil der II. kleinen Strafkammer des Landgerichts Siegen vom 02. Mai 2003 hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 05. 08. 2003 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und des Angeklagten bzw. seines Verteidigers beschlossen:
Das angefochtene Urteil wird mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten der Revision an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Siegen zurückverwiesen.
Gründe:
Das Amtsgericht Siegen hat den Angeklagten am 19. September 2002 wegen Verletzung der Unterhaltspflicht zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Zur Begründung hat das Amtsgericht u. a. Folgendes ausgeführt:
Der Angeklagte ist der Vater der Kinder M.H., geboren am 28.04.1994 und D.H., geboren am 28.09.1995 und diesen gegenüber zur Zahlung eines monatlichen Unterhalts in Höhe von 227,00 für jedes Kind verpflichtet. Dieser Verpflichtung ist er seit Oktober 1999 in keiner Weise nachgekommen. Der Angeklagte ist 32 Jahre alt, gesund und arbeitsfähig. Gleichwohl geht er seit mehreren Jahren keiner regelmäßigen Tätigkeit nach und lebt von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe. Bei ordnungsgemäßer Ausnutzung seiner Arbeitskraft wäre er durchaus in der Lage, ausreichendes Einkommen zu erzielen und seinen Unterhaltsverpflichtungen nachzukommen. So müssen seine Kinder aus öffentlichen Mitteln unterhalten werden.
Der Angeklagte hat gegen dieses Urteil Berufung eingelegt und zugleich erklärt, dass er das Rechtsmittel auf das Strafmaß beschränke.
Das Landgericht Siegen hat daraufhin in der Sitzung vom 02. Mai 2002 die Berufung des Angeklagten mit der Maßgabe verworfen, dass die verhängte Freiheitsstrafe auf vier Monate festgesetzt wird.
Zum Tatvorwurf hat das Landgericht Folgendes ausgeführt:
Aufgrund der wirksamen Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch sind die Feststellungen des Amtsgerichts zu der Tat für die Kammer bindend geworden. Insoweit wird auf die Ausführungen unter II. UA S. 3 Bezug genommen.
Zusätzlich hat die Kammer festgestellt, dass der Angeklagte über seine Schulden, die er auf ca. 15.000,00 DM beziffert, keinen genauen Überblick hat.
Er hat sich lediglich im Raum Wilhelmshaven, wo die Arbeitslosigkeit vergleichsweise hoch ist, um eine Arbeitsstelle bzw. einen Umschulungsplatz bemüht, da er bei seiner zukünftigen Ehefrau sein möchte. Darüber hinaus hat er seiner ehemaligen Ehefrau in den vergangen Jahren hin und wieder bestimmte Beträge zukommen lassen, wenn besondere Anschaffungen für die Kinder anstanden.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die rechtzeitig eingelegte form- und fristgerecht mit einer Begründung versehene Revision. Das Rechtsmittel hat auch einen zumindest vorläufigen Erfolg und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung sowie zur Zurückverweisung an das Landgericht. Die getroffenen Feststellungen tragen bislang den Vorwurf einer strafbaren Verletzung der Unterhaltspflicht nicht.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat zu dem Rechtsmittel des Angeklagten u. a. wie folgt Stellung genommen:
Die Strafkammer hat zu Unrecht eine wirksame Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch angenommen.
Im Fall einer zulässig erhobenen Rüge (§ 344 Abs. 2 StPO) hat das Revisionsgericht unabhängig von den Rügen des Revisionsführers und ohne Bindung an die rechtliche Beurteilung der Berufungsbeschränkung durch die Strafkammer von Amts wegen zu untersuchen, ob das Berufungsgericht über alle Bestandteile des erstinstanzlichen Urteils selbst entschieden hat. Hierzu gehört auch die Prüfung, ob die Berufung in wirksamer Weise beschränkt werden konnte oder ob eine Beschränkung des Rechtsmittels auf den Rechtsfolgenausspruch nicht zulässig und demgemäß das gesamte erstinstanzliche Urteil vom Berufungsgericht nachzuprüfen war (Kleinknecht/Meyer-Goßner, 46. Aufl., § 352 Rdnm. 3 u. 4 m. w. N.).
Die Beschränkung eines Rechtsmittels auf bestimmte Beschwerdepunkte gem. § 318 S. 1 StPO ist nur zulässig und wirksam, wenn sie dem Rechtsmittelgericht die Möglichkeit lässt, den angefochtenen Teil des Urteils, losgelöst vom übrigen Urteilsinhalt, selbständig zu prüfen und rechtlich zu beurteilen (BGHSt 27, 70, 72). Demgegenüber ist sie unwirksam, wenn die vorangegangenen tatrichterlichen Feststellungen entweder unklar, lückenhaft, widersprüchlich oder so dürftig sind, dass sie den Unrechts- und Schuldgehalt der Tat nicht erkennen lassen und daher keine geeignete Grundlage für die Beurteilung der Rechtsfolgenentscheidung sind. Dies gilt sowohl für die Merkmale der äußeren als auch der inneren Tatseite. Auch letztere müssen, sofern sie sich nicht von selbst aus der Sachverhaltsschilderung ergeben, durch die tatsächlichen Feststellungen belegt werden (vgl. KK-Roß, StPO, 2. Aufl.,
§ 318 Rdnr. 7 m. w. N.).
Die Feststellungen des Amtsgerichts sind jedoch materiell-rechtlich unvollständig und tragen den Schuldspruch wegen Verletzung der Unterhaltspflicht gem. § 170 StGB nicht. Sie ermöglichen insbesondere nicht die Prüfung, ob das Amtsgericht rechtsfehlerfrei von einer Leistungsfähigkeit des Angeklagten ausgehen konnte.
Das Amtsgericht hat, beruhend auf einem Geständnis des Angeklagten, festgestellt, dass der von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe lebende Angeklagte seit Oktober 1997 seinen Unterhaltsverpflichtungen gegenüber seinen Kindern M. und D.H. in Höhe von 227,00 für jedes Kind nicht nachgekommen sei, obwohl er gesund und arbeitsfähig sei und daher bei zumutbarer Ausnutzung seiner Arbeitskraft durchaus in der Lage gewesen wäre, ausreichendes Einkommen zu erzielen, um seinen Unterhaltspflichten nachzukommen.
Zwar darf die Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen nicht immer nur nach seinem tatsächlichen Einkommen beurteilt werden. Vielmehr kann sich auch derjenige der Unterhaltspflicht im Sinne des § 170 StGB entziehen, der seine Arbeitskraft nicht voll einsetzt. Daher ist ein Unterhaltspflichtiger, der mangels ausreichender Einkünfte den Unterhalt nicht oder nicht in vollem Umfang leisten kann, grundsätzlich verpflichtet, sich solche Einkünfte durch entsprechende Ausnutzung seiner Arbeitskraft zu beschaffen (BGHSt 14, 105).
Jedoch lässt sich die Leistungsfähigkeit nicht mit der allgemeinen Behauptung, der Angeklagte sei 32 Jahre alt, gesund und arbeitsfähig unterstellen.
Die Nichtannahme einer bezahlten Arbeit kann dem Angeklagten strafrechtlich nur dann zum Vorwurf gemacht werden, wenn sicher ist, dass Bemühungen des Angeklagten in dieser Richtung Erfolg gehabt hätten und er zur Leistung des Unterhalts in der Lage gewesen wäre. Dabei sind die Beurteilungsgrundlagen (tatsächliches oder mögliches Einkommen, Eigenbedarf, zu berücksichtigende Lasten) im Urteil so genau darzulegen, dass eine Überprüfung der vom Tatrichter angenommenen Leistungsfähigkeit möglich ist. Wird wie im vorliegenden Fall die Leistungsfähigkeit mit erzielbarem Einkommen begründet, sind die beruflichen Fähigkeiten und die daraus resultierenden beruflichen Möglichkeiten unter Berücksichtigung der Lage am Arbeitsmarkt im betreffenden Zeitraum festzustellen. Das erzielbare Einkommen ist unter Zugrundelegung der allgemeinen Erfahrung über Arbeitsmöglichkeiten und durchschnittliche Einkommenssätze zu ermitteln, so dass feststeht, welche Beträge der Angeklagte in etwa durch eine zumutbare Arbeit monatlich hätte verdienen können (OLG Köln, SV 1983, 419; BayObLG NJW 1990,3284).
Angesichts dessen hätte das Landgericht nicht von einer wirksamen Berufungsbeschränkung ausgehen dürfen, sondern hätte das angefochtene Urteil insgesamt überprüfen und eigene tatsächliche Feststellungen zu der dem Angeklagten vorgeworfenen Straftat treffen müssen.
Diese Ausführungen macht sich der Senat zu eigen und legt sie seiner eigenen Entscheidung zugrunde. Das angefochtene Urteil war daher mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben und zur erneuten Entscheidung auch über die Kosten der Revision an das Landgericht Siegen zurückzuverweisen.
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