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Rechtsprechung


Aktenzeichen: 3 Ss 303/03 OLG Hamm

Leitsatz: Zum Umfang der erforderlichen Feststellungen, hinsichtlich der Verwirklichung des objektiven Tatbestandes des § 92 Abs. 1 Nr. 1 AuslG. Insoweit kommt es entgegen dem Wortlaut nicht nur darauf an, ob der Ausländer tatsächlich im Besitz einer ausländerrechtlichen Duldung ist (Anschluss an BVerfG, Beschl. v. 06. 07. 2003 - 2 BvR 397/02)

Senat: 3

Gegenstand: Revision

Stichworte: Verstoß gegen AuslG; Duldung; ausländerrechtliche Duldung; Erteilung eines Duldung; Abschiebung; Abschiebungshindernis

Normen: AuslG 92, StPO 318, StGB 47

Beschluss: Strafsache
gegen H.O.
wegen Verstoßes gegen das Ausländergesetz.

Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der VIII. kleinen Strafkammer des Landgerichts Essen vom 12.11.2002 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 15. 07. 2003 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung bzw. auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft einstimmig beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird, soweit der Angeklagte wegen illegalen Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt worden ist, nebst den zu Grunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Das angefochtene Urteil wird außerdem im Rechtsfolgenausspruch hinsichtlich der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Essen zurückverwiesen.

Im übrigen wird die Revision gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat.

Gründe:
I.
Der Angeklagte wurde durch Urteil des Amtsgerichts Essen vom 07.08.2002 wegen Verstoßes gegen das Ausländergesetz in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt. Er hat gegen dieses Urteil Berufung eingelegt, die er in der Hauptverhandlung mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt hat. Das Landgericht ist von einer wirksamen Rechtsmittelbeschränkung ausgegangen und hat die Berufung des Angeklagten mit der Maß-gabe verworfen, dass der Angeklagte wegen illegalen Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland und illegaler Einreise in die Bundesrepublik Deutschland zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt bleibt.

Die Strafkammer ist von folgenden, durch das Amtsgericht getroffenen Feststellungen ausgegangen:

„Der Angeklagte tauchte am 12.10.2001 in Deutschland unter, nachdem ihm seine Abschiebung angedroht worden war. Der Angeklagte hielt sich seitdem ohne Aufenthaltsgenehmigung und ohne Duldung in der Bundesrepublik Deutschland auf, wo er am 08.02.2002 festgenommen und in Abschiebehaft genommen werden konnte. In der Folge stellte der Angeklagte aus der Sicherungshaft heraus einen Asylantrag, der als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, was dem Angeklagten auch bekanntgegeben worden war. Am 23.04.2002 wurde der Angeklagte abgeschoben.
Gleichwohl reiste der Angeklagte am 06.08.2002 ohne gültige Papiere wieder in das Bundesgebiet ein.“

In dem landgerichtlichen Urteil wird im Anschluss an die Wiedergabe dieser Feststellungen ausgeführt, der Angeklagte habe sich daher des illegalen Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland gemäß §§ 92 Abs. 2 Nr. 1 b, 8 Abs. 2 Satz 1 AuslG sowie der illegalen Einreise gemäß § 92 Abs. 2 Nr. 1 a, 8 Abs. 2 Satz 1 AuslG strafbar gemacht.

Die Strafkammer hat u. a. folgende zusätzliche Feststellungen getroffen:

„Der Angeklagte ist libanesischer Staatsangehöriger ...“

„Der Angeklagte kam im Jahre 1999 im Wege der Familienzusammenführung nach Deutschland, nachdem er eine deutsche Frau geheiratet hatte. Die Einreise erfolgte mit einem gültigen Visum. Im August 2000 teilte die Ehefrau des Angeklagten dem Ausländeramt die Trennung der Eheleute mit. Aus diesem Grund wurde die Aufenthaltserlaubnis des Angeklagten nach dem 06.07.2001 nicht mehr verlängert. Gleichzeitig mit der Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis wurde der Angeklagte zur Ausreise aufgefordert und ihm die Abschiebung angedroht. Der letztgenannte Verwaltungsakt war sofort vollziehbar. Der Angeklagte hat gegen die Verfügung Widerspruch eingelegt. Der Widerspruch ist noch nicht beschieden.

Am 02.08.2001 beantragte der Angeklagte gemäß § 80 Abs. 5 VWGO Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen den oben genannten Verwaltungsakt. Der Antrag wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom 12.10.2001 abgelehnt. Der Angeklagte sollte am 04.01.2002 abgeschoben werden. Er war jedoch bereits am 12.10.2001 untergetaucht, so dass der für ihn gebuchte Flug storniert werden musste. Am 07.01.2002 wurde der Angeklagte zur Festnahme ausgeschrieben und am 07.02.2002 festgenommen. Vom 08.02.2002 bis 23.04.2002, der Tag an dem die Abschiebung vollzogen wurde, befand sich der Angeklagte in Abschiebehaft.

Aus der Abschiebehaft stellte der Angeklagte am 13.02.2002 einen Asylantrag. Sein Asylantrag wurde durch Bescheid vom 27.02.2002 als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Gleichzeitig wurde er neuerlich zur Ausreise aufgefordert und die Abschiebung angedroht. Die letztgenannte Abschiebungsandrohung ist seit dem 12.03.2002 vollziehbar.

Nachdem der Angeklagte am 23.04.2002 abgeschoben worden war, wurde er am 06.08.2002 auf der Straße Weidkamp in Essen-Borbeck angehalten und kontrolliert. Der Angeklagte konnte sich durch kein Legitimationspapier ausweisen und gab seine Personalien als K.O., geboren am 15.09.1979 im Libanon an. Der Angeklagte war an diesem Tag, nach seiner nicht zu widerlegenden Einlassung, über Polen kommend nach einer 15-tägigen Reise in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Seinen Pass hatte der Angeklagte einem Türken gegeben, der ihm bei der Einreise behilflich gewesen war. Zum Zeitpunkt der Einreise hatte der Angeklagte den Pass des Türken, den er jedoch bei der Einreise nicht benutzte, da er nicht kontrolliert wurde.“

Die Strafkammer hat den Angeklagten wegen der beiden ihm zur Last gelegten Taten zu Einzelfreiheitsstrafen von drei Monaten (illegaler Aufenthalt in der Bundesrepublik) und sechs Monaten (illegale Einreise in die Bundesrepublik) verurteilt und aus diesen Strafen eine Gesamtstrafe von acht Monaten gebildet, die nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist.

Die Verhängung der Einzelfreiheitsstrafe von drei Monaten hat die Strafkammer wie folgt begründet:

„Für die vom Angeklagten verwirklichten Tatbestände des illegalen Aufenthaltes bzw. der nachfolgenden illegalen Einreise sieht das Gesetz einen Strafrahmen von drei Jahren bis zu Geldstrafe vor. Die Kammer hielt in Übereinstimmung mit dem Amtsgericht für den illegalen Aufenthalt eine Freiheitsstrafe von drei Monaten für tat- und schuldangemessen. Sie hat dabei zu Gunsten des Angeklagten dessen vollumfängliche geständige Einlassung berücksichtigt sowie den Umstand, dass der Angeklagte bisher in der Bundesrepublik Deutschland nicht vorbestraft ist. Auch war der Kammer durchaus die menschliche Motivation, die den Angeklagten zum Bleiben bewegte, nachvollziehbar. Auf der anderen Seite war zu Lasten des Angeklagten zu werten, dass dieser über einen erheblichen Zeitraum sich illegal in der Bundesrepublik Deutschland aufhielt. Die Kammer hat insoweit, in Anlehnung an die amtsgerichtliche Würdigung, für die Strafzumessung lediglich den Tatzeitraum nach dem 12.10.2001, mithin dem Abschluss des L-Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, zu Grunde gelegt.“

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der eine Verletzung materiellen Rechts gerügt wird.

II.
Die Revision ist zulässig und hat mit der erhobenen Sachrüge teilweise Erfolg.

1. Das angefochtene Urteil kann, soweit der Angeklagte dadurch wegen illegalen Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland zu einer Einzelfreiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt worden ist, keinen Bestand haben, da das Rechtsmittel der Berufung hinsichtlich dieser Verurteilung nicht wirksam auf das Strafmaß beschränkt werden konnte. Die Wirksamkeit einer Berufungsbeschränkung ist durch das Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfen (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 46. Aufl., § 352 Randziffer 3 und 4).

Eine wirksame Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch setzt nach herrschender Meinung voraus, dass das angefochtene Urteil seine Prüfung ermöglicht. Unwirksam ist daher eine Beschränkung, wenn die Schuldfeststellungen in dem angefochtenen Urteil derart knapp, unvollständig, unklar oder widersprüchlich sind, dass sie den Unrechts- und Schuldgehalt der Tat nicht erkennen lassen und daher keine geeignete Grundlage für die Prüfung der Rechtsfolgenentscheidung bilden (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 46. Aufl., § 318 Rdnr. 16 m.w.N.). Ausgeschlossen ist eine Rechtsmittelbeschränkung außerdem, wenn das amtsgerichtliche Urteil das angewendete Strafgesetz nicht genau erkennen lässt (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O.).

Aus dem zuletzt genannten Grund ist vorliegend die Rechtsmittelbeschränkung aber nicht als unwirksam anzusehen. Das Amtsgericht ist von einem Verstoß des Angeklagten gegen das Ausländergesetz in zwei Fällen gemäß §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 a und b, 8 Abs. 2 S. 1 AuslG ausgegangen. Die Vorschrift des § 92 Abs. 2 Nr. 1 AuslG umfasst nur die beiden Alternativen, dass sich der Ausländer entgegen § 8 Abs. 2 S. 1 AuslG - nach dieser Vorschrift darf ein abgeschobener oder ausgewiesener Ausländer nicht erneut in die Bundesrepublik einreisen oder sich darin aufhalten - a) entweder unerlaubt in die Bundesrepublik einreist oder b) sich unerlaubt darin aufhält. Die in dem amtsgerichtlichen Urteil zusätzlich zu den Vorschriften des § 92 Abs. 2 Nr. 1 a) und b) AuslG zitierte Vorschrift des § 92 Abs. 2 Nr. 1 AuslG ergibt daher keinen Sinn, wenn das Amtsgericht sowohl in dem Aufenthalt des Angeklagten vor seiner Abschiebung am 23.04.2002 als auch in der am 06.08.2002 erfolgten Wiedereinreise in das Bundesgebiet und dem sich anschließenden Aufenthalt jeweils Verstöße gegen die Vorschriften des § 92 Abs. 2 Nr. 1 a) und b) AuslG gesehen hätte. Gegen eine solche rechtliche Würdigung des Amtsrichters spricht aber, dass in dem amtsgerichtlichen Urteil hinsichtlich der ersten dem Angeklagten vorgeworfenen Tat ausgeführt wird, der Angeklagte habe sich seit dem 12.10.2001 ohne Aufenthaltsgenehmigung und ohne Duldung in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten, also das Vorliegen der Voraussetzungen des § 92 Abs. 1 Nr. 1 AuslG festgestellt wird. Dieser erste Aufenthalt des Angeklagten endete nach den Urteilsfeststellungen mit seiner Abschiebung am 23.04.2002. Dass auch diesem Aufenthalt bereits eine Abschiebung oder Ausweisung des Angeklagten vorausgegangen war, wie es für die Erfüllung des Tatbestandes des § 92 Abs. 2 Nr. 1 AuslG erforderlich ist, ergibt sich dagegen aus den Urteilsfeststellungen nicht. Es ist daher davon auszugehen, dass das Amtsgericht bezüglich der ersten dem Angeklagten zur Last gelegten Tat - entsprechend dem diesem Verfahren zugrunde liegenden Antrag der Staatsanwaltschaft Essen auf Entscheidung im beschleunigten Verfahren vom 07.08.2002 - von einem Verstoß gegen § 92 Abs. 1 Nr. 1 AuslG ausgegangen ist und lediglich versehentlich anstelle dieser Vorschrift ein weiteres Mal die Vorschrift des § 92 Abs. 2 Nr. 1 AuslG aufgeführt hat.

Die Beschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch in Bezug auf die Verurteilung des Angeklagten wegen illegalen Aufenthaltes in der Bundesrepublik Deutschland vor seiner Abschiebung konnte aber deshalb nicht wirksam erfolgen, da nach den amtsgerichtlichen Feststellungen die Dauer des illegalen Aufenthaltes des Angeklagten und damit letztlich der Schuldumfang hinsichtlich des ihm zur Last gelegten Verstoßes gegen § 92 Abs. 1 Nr. 1 StGB unklar bleiben.

Die Vorschrift des § 92 Abs. 1 Nr. 1 AuslG setzt voraus, dass sich der Ausländer entgegen § 3 Abs. 1 S. 1 AuslG ohne Aufenthaltsgenehmigung im Bundesgebiet aufhält und auch keine Duldung nach § 55 Abs. 1 AuslG besitzt.

Für die Verwirklichung des objektiven Tatbestandes des § 92 Abs. 1 Nr. 1 AuslG kommt es entgegen seinem Wortlaut nicht nur darauf an, ob der Ausländer tatsächlich im Besitz einer ausländerrechtlichen Duldung ist. Die - bisher im Schrifttum und zum Teil auch in der Rechtssprechung vertretene - Auffassung, tatbestandliches Unrecht nach § 92 Abs. 1 Nr. 1 AuslG sei auch dann gegeben, wenn eine förmliche Duldung zwar nicht vorlag, aber hätte erteilt werden müssen, ist, wie das Bundesverfassungsgericht in seinen Beschluss vom 06.07.2003 - 2 BvR 397/02 - (BVerfG lexetius.com/2003/3/294) ausgeführt hat, „von Verfassungs wegen nicht mehr hinnehmbar und deshalb willkürlich“. Anderenfalls so das Bundesverfassungsgericht - würde es nämlich dem freien Ermessen der Behörde überlassen, ob und in welchem Umfang ein Ausländer sich strafbar mache. Es entspreche der gesetzgeberischen Konzeption des Ausländergesetzes, einen vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen entweder unverzüglich abzuschieben oder ihn nach § 55 Abs. 2 AuslG zu dulden. Dabei habe die Ausländerbehörde zu prüfen, ob und ggf. wann eine Abschiebung des Ausländers durchgeführt und zu welchem Zeitpunkt ein eventuelles Abschiebungshindernis behoben werden könne. Schon dann, wenn sich herausstelle, dass die Abschiebung nicht ohne Verzögerungen durchgeführt werden könne oder der Zeitpunkt der Abschiebung ungewiss bleibe, sei - unabhängig von einem Antrag des Ausländers - als „gesetzlich vorgeschriebene förmliche Reaktion auf ein Vollstreckungshindernis“ eine Duldung zu erteilen (vgl. BVerfGE 105, 232 (235 ff., 238)).

Da ein Ausländer auch zu dulden sei, wenn er die Entstehung des Hindernisses (z.B. durch Mitführen gefälschter Papiere bei der Einreise) oder durch dessen nicht rechtzeitige Beseitigung (etwa durch unterlassene Mitwirkung bei der Beschaffung notwendiger Identitätspapiere) zu vertreten habe (vgl. BVerfGE 111, 62 (64 ff.)), sei keine Konstellation vorstellbar, in der der Ausländer nicht einen Anspruch auf Erteilung einer Duldung hätte. Sei als Folge des tatsächlichen bzw. rechtlichen Hindernisses die Duldung aber erteilt, scheide eine Strafbarkeit nach § 92 Abs. 2 Nr. 1 AuslG (gemeint ist ersichtlich § 92 Abs. 1 Nr. 1 AuslG) mangels einer der gesetzlichen Voraussetzungen aus. Zugleich stehe mit der Erteilung einer Duldung auch wenn sie förmlich nicht rückwirkend gewährt werde regelmäßig fest, dass der Abschiebung des Ausländers von Anfang seiner Ausreisepflicht an ein tatsächliches oder rechtliches Hindernis entgegengestanden habe.

Komme die Behörde ihrer nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bestehenden Verpflichtung zur Erteilung der Duldung nicht oder zu spät nach, so wäre womöglich eine Strafbarkeit aus § 92 Abs. 1 Nr. 1 AuslG anzunehmen. Legten die Strafgerichte dieses Verwaltungshandeln ihrer Entscheidung ungeprüft so zugrunde, bedeute dies nicht nur die Hinnahme einer gesetzeswidrigen Praxis der Ausländerbehörden, sondern führe zusätzlich dazu, über die mögliche Strafbarkeit des Ausländers und deren Umfang entgegen den Grundsätzen des im Strafrecht geltenden Schuldprinzip letztlich die jeweilige Ausländerbehörde entscheiden zu lassen. Die Strafgerichte dürften sich deshalb nicht mit der Feststellung begnügen, der Ausländer sei nicht im Besitz einer Duldung nach § 55 Abs. 2 AuslG. Die Duldung sei eine gesetzlich zwingende Reaktion auf ein vom Verschulden des Ausländers unabhängiges Abschiebehindernis. Insofern diene § 92 Abs. 1 Nr. 1 AuslG nicht der Strafbewehrung eines Verwaltungsakts und binde den Strafrichter nicht an die unterlassene oder verspätet getroffene Entscheidung einer Verwaltungsbehörde (vgl. BVerfGE 80, 244 (256)).

Die Strafgerichte seien vielmehr von Verfassungs wegen gehalten, selbständig zu prüfen, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die Erteilung einer ausländerrechtlichen Duldung im Tatzeitraum gegeben waren. Kämen sie zu der Überzeugung, die Voraussetzungen hätten vorgelegen, scheide eine Strafbarkeit des Ausländers nach § 92 Abs. 1 Nr. 1 AuslG aus (BVerfG, a.a.O.).

Auf der Grundlage der nur sehr knappen amtsgerichtlichen Feststellungen ist eine ausreichende Überprüfung, während welcher Zeiträume sich der Angeklagte illegal im Sinne des § 92 Abs. 1 Nr. 1 AuslG. in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten sowie ob ihm möglicherweise zeitweise ein Anspruch auf eine Duldung nach § 55 Abs. 2 AuslG zugestanden hat, nicht möglich.

Ein Anspruch des Angeklagten auf Erteilung einer ausländerrechtlichen Duldung nach § 55 Abs. 2 AuslG, kommt allerdings nicht für den Zeitraum in Betracht, in dem er, um sich seiner Abschiebung zu entziehen, untergetaucht war (12.10.2001 bis 07./08.02.2002). Eine Duldung gemäß § 55 AuslG setzt voraus, dass sich der Ausländer in der Bundesrepublik aufhält. Nach § 56 Abs. 4 AuslG erlischt die Duldung mit einer auch nur vorübergehenden (vgl. Funke-Kaiser in GK-Ausländerrecht, Bd. 2, Stand: April 2001, § 56 AuslG, Rdz. 23) Ausreise des Ausländers. Ist ein Ausländer untergetaucht, ist unbekannt ob er sich noch in der Bundesrepublik Deutschland aufhält. Schon aus diesem Grund kann keine den Aufenthalt des Ausländers im Bundesgebiet duldende Anordnung ergehen. Es besteht bei einer solchen Fallgestaltung auch kein Regelungsbedarf, da ein ansonsten ungeregelter Aufenthaltsstatus, der durch die Duldung verhindert werden soll, gerade nicht feststeht. Zu berücksichtigen ist außerdem, dass die Duldung für den Ausländer einen begünstigenden Verwaltungsakt mit dem Regelungsgehalt darstellt, dass der Betroffene während der Dauer der Duldung nicht abgeschoben werden darf (vgl. Funke-Kaiser in GK-AuslR, a.a.O., § 56 AuslG, Rdz. 1). Die Gewährung eines solchen Abschiebungsschutzes lässt sich aber mit der Bewertung, die ein Untertauchen des Ausländers im Ausländergesetz erfahren hat, nicht in Einklang bringen. Nach § 57 Abs. 2 Nr. 2 AuslG stellt ein Untertauchen des Ausländers nach abgelaufener Ausreisefrist, um sich der Abschiebung zu entziehen, einen zwingenden (vgl. BGH NJW 1993, 3069) Haftgrund für die Anordnung von Sicherungshaft dar .Hierbei handelt es sich um eine ausländerrechtliche Sondermaßnahme zur Absicherung der Abschiebung (Senge in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, § 57 AuslG, Rdz. 1). Der Gesetzgeber geht demgemäß davon aus, dass das Untertauchen des Ausländers nicht die Unmöglichkeit der Abschiebung als solche zur Folge hat, sondern diese unverzüglich fortgesetzt bzw. in die Wege geleitet werden kann, wenn der Aufenthalt des Ausländers ermittelt oder dieser festgenommen worden ist. Die Frage einer möglichen Duldung stellt sich daher erst dann, wenn der Ausländer zwar wieder präsent ist, die Abschiebung durch die Behörde aber aus sonstigen Gründen in absehbarer Zeit nicht oder nicht ohne Verzögerung durchgeführt werden kann.

Ob vorliegend unter diesem Gesichtspunkt dem Angeklagten nach seiner Festnahme am 07. oder 08.02 2002 möglicherweise zeitweise eine Duldung hätte gewährt werden müssen lässt sich auf der Grundlage der amtsgerichtlichen Feststellungen nicht nachprüfen. Auch die durch die Strafkammer getroffenen weiteren Feststellungen reichen nicht aus, da sich auch aus ihnen nicht ergibt, ob die Abschiebung des Angeklagten innerhalb des üblichen Zeitrahmens - sie erfolgte erst ca. 6 Wochen nach Abschluss des Asylverfahrens durchgeführt worden ist oder sich möglicherweise verzögert hat.

Aus den amtsgerichtlichen Feststellungen lässt sich außerdem nicht entnehmen, wann konkret der Asylantrag des Angeklagten gestellt worden ist und das Asylverfahren abgeschlossen war. Diese Angaben wären aber erforderlich gewesen, um die Dauer eines vorläufigen Bleiberechts des Angeklagten gemäß § 55 AsylVfG, das während seiner Geltungsdauer eine Strafbarkeit des Ausländers wegen illegalen Aufenthaltes ausschließt, feststellen zu können. Das Landgericht hat allerdings insoweit ergänzende Feststellungen getroffen. Danach erwarb der Angeklagte eine Aufenthaltsgestattung gemäß § 55 AsylVfG spätestens mit seinem Asylantrag am 13.02.2002 und erlosch diese gemäß § 67 Abs. 1 Nr. 4 AsylVerfG 12.03.2002. Jedenfalls während dieses Zeitraumes entfällt daher eine Strafbarkeit des Angeklagten gemäß § 92 Abs. 1 Nr. 1 AuslG.

Der Schuldausspruch wegen illegalen Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland konnte daher keinen Bestand haben.

2. Auch die Verurteilung des Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe von 3 Monaten hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Soweit sich der Angeklagte vor seiner nach den Feststellungen sowohl des Amts- als auch des Landgerichts erstmaligen Abschiebung illegal in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten hat, hat er den Tatbestand des § 92 Abs. 1 Nr. 1 AuslG erfüllt. Für eine solche Tat droht § 92 Abs. 1 AuslG die Verhängung von Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe an.Die Strafkammer ist jedoch rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass sich der Angeklagte bei dem festgestellten illegalen Aufenthalt in der Bundesrepublik vor der späteren illegalen Einreise gemäß § 92 Abs. 2 Nr. 1 b, 8 Abs. 2 Satz 1 AuslG strafbar gemacht hat und hat bei der Strafzumessung den Strafrahmen dieser Vorschrift, der eine Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren oder Geldstrafe vorsieht, zugrundegelegt.

Die Strafkammer hat außerdem die Vorraussetzungen des § 47 Abs. 1 StGB nicht ausreichend dargelegt.

Nach der gesetzgeberischen Grundentscheidung des § 47 StGB soll die Verhängung kurzzeitiger Freiheitsstrafen weitestgehend zurückgedrängt werden und nur noch ausnahmsweise unter ganz besonderen Umständen in Betracht kommen. Die Verhängung einer Freiheitsstrafe unter sechs Monaten kann danach regelmäßig nur dann Bestand haben, wenn sie sich aufgrund einer Gesamtwürdigung aller die Tat und den Täter kennzeichnenden Umstände als unverzichtbar erweist (OLG Hamm, VRS 99, 410, 411; VRS 96, 191; BGHR StGB § 47 Abs. 1 Umstände 7 = NStZ 1996, 429; BGH StV 1994, 370 jeweils m.w.N.). Bei einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe unter sechs Monaten muss sich daher aus den Urteilsgründen entnehmen lassen, dass der Tatrichter die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe gemäß § 47 Abs. 1 StGB aus spezialpräventiven Gründen als unerlässlich ansieht.

Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil aber nicht gerecht. Es enthält nämlich keinerlei Ausführungen dazu, warum die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe vorliegend als einziges Reaktionsmittel für das dem Angeklagten vorgeworfene Fehlverhalten in Betracht kommt.

3.
Die teilweise Aufhebung des angefochtenen Urteils hinsichtlich der Verurteilung wegen illegalen Aufenthaltes zu einer Freiheitsstrafe von 3 Monaten hat zur Folge, dass auch der Gesamtstrafenausspruch, der unter Einbeziehung der vorgenannten Einzelstrafe erfolgt ist, aufzuheben ist.

4. Im übrigen war die Revision gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen, da die auf die erhobene Sachrüge hin gebotene Überprüfung des angefochtenen Urteils in materieller Hinsicht weitere Rechtsfehler zu Lasten des Angeklagten nicht ergeben hat.


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