Aktenzeichen: 2 Ws 197/03 OLG Hamm
Leitsatz: Zur Fluchgefahr, wenn der Angeklagte nur noch eine Reststrafe von 21 Monaten zu verbüßen hat, er aber bereits im Ermittlungsverfahren bereits einmal geflohen ist.
Senat: 2
Gegenstand: Beschwerde
Stichworte: Fluchtgefahr; Straferwartung
Normen: StPO 112
Beschluss: Strafsache
gegen A.A:
wegen Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (hier: Haftbeschwerde)
Auf die (Haft-)Beschwerde des Angeklagten vom 24. Juli 2003 gegen den Beschluss der 13. großen Strafkammer des Landgerichts Bochum vom 23. Juli 2003 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 25. 08. 2003 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Amtsgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen.
Die Beschwerde wird auf Kosten des Beschwerdeführers verworfen.
Gründe:
I.
Der am 8. April 2003 aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Herne vom 4. März 2003 11 Gs 122/03 - festgenommene Angeklagte befindet sich seit Verkündung des Haftbefehls am 9. April 2003 ununterbrochen in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt Bochum.
Mit Urteil vom 23. Juli 2003 hat die 13. große Strafkammer des Landgerichts Bochum den Angeklagten wegen Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Mit Beschluss vom selben Tage hat die Strafkammer den Haftbefehl des Amtsgerichts Herne nach Maßgabe des ergangenen Urteils aufrechterhalten. Gegen das Urteil hat der Angeklagte mit Schriftsatz vom 24. Juli 2003, eingegangen beim Landgericht am 30. Juli 2003, Revision eingelegt. Zugleich hat der Angeklagte mit Schriftsatz vom selben Tage, ebenfalls beim Landgericht am 30. Juli 2003 eingegangen, Beschwerde gegen den Haftbefehl eingelegt. Dieser Beschwerde hat die 13. große Strafkammer des Landgerichts Bochum nicht abgeholfen.
II.
Die nach § 304 Abs. 1 StPO zulässige Beschwerde ist nicht begründet.
Aufgrund des Urteils des Landgerichts Bochum vom 23. Juli 2003 ist der Angeklagte dringend verdächtig, sich am 3. März 2003 eines Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig gemacht zu haben. Der sich bereits aus der Verurteilung durch das Landgericht ergebende dringende Tatverdacht wird zudem bestätigt durch die vom Verteidiger in der Hauptverhandlung verlesene Erklärung des Angeklagten, in der er den Tatvorwurf teilweise einräumt, sowie dessen Schlusswort, in dem er um eine milde Bestrafung bittet. Sowohl seine Erklärung als auch sein letztes Wort sprechen dafür, dass der Angeklagte hinsichtlich des ihm gegenüber erhobenen Tatvorwurfs weitgehend geständig ist.
Es besteht auch der Haftgrund der Fluchtgefahr i.S.d. § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO fort.
Fluchtgefahr i.S.d. § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO liegt nach allgemeiner Meinung vor, wenn bei Würdigung aller Umstände des Einzelfalls, die sich aus bestimmten Tatsachen ergeben müssen, eine höhere Wahrscheinlichkeit für die Annahme spricht, der Beschuldigte werde sich dem Strafverfahren entziehen, als für die Erwartung, er werde sich ihm zur Verfügung halten (Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO, 45. Auflage 2001, § 112 Rn. 22). Indiz für das Bestehen von Fluchtgefahr ist eine hohe Straferwartung, die jedoch allein zur Begründung nicht ausreicht. Die Straferwartung ist in der Regel nur Ausgangspunkt für die Erwägung, ob der in ihr liegende Anreiz zur Flucht unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände so erheblich ist, dass er die Annahme rechtfertigt, der Beschuldigte werde ihm wahrscheinlich nachgeben und flüchten (Kleinknecht/Meyer-Goßner a.a.O., § 112 Rn. 24).
Vorliegend ist gegen den Angeklagten eine nicht unerhebliche Freiheitsstrafe von drei Jahren wegen des ihm zur Last gelegten Raubüberfalls verhängt worden. Der in dieser Straferwartung liegende Fluchtanreiz wird durch andere Umstände nicht derart gemildert, dass die Annahme, der Angeklagte werde diesem Anreiz nachgehen, nicht mehr gerechtfertigt wäre. Zwar verfügt der Angeklagte in Deutschland über familiäre Bindungen. Er ist verheiratet, hat mit seiner Ehefrau ein sechs Monate altes Kind und lebt mit seiner Familie bei seinen Eltern. Dieser Umstand hat den Angeklagten jedoch nicht daran gehindert, nach Begehung der Tat zu flüchten und sich dem Ermittlungsverfahren zu entziehen, obwohl ihm bewusst war, dass nach ihm gefahndet wurde.
Zudem ist der Angeklagte türkischer Staatsbürger, der, selbst wenn er in Deutschland geboren ist und möglicherweise über keinen starken Bezug zu seinem Heimatland verfügt, sich dennoch jederzeit dorthin absetzen kann.
Des Weiteren ist der Angeklagte bereits seit letztem Jahr arbeitslos und übte auch zuvor lediglich Gelegenheitstätigkeiten aus. Da dem Angeklagten feste berufliche Bindungen seit langer Zeit unbekannt sind, kommt auch dem Umstand, dass er für den Fall seiner Entlassung aus der Haft ab dem 1. August 2003 eine Tätigkeit bei einer Reinigungsfirma aufnehmen könnte, keine besondere Bedeutung für die Milderung des Fluchtanreizes zu.
Der für den Angeklagten bestehende Anreiz zur Flucht wird auch nicht beseitigt oder herabgesetzt durch den Umstand, dass der nicht vorbestrafte Angeklagte, der erstmals zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde, diese sofern sie rechtskräftig wird voraussichtlich nicht vollständig wird verbüßen müssen. So kann damit gerechnet werden, dass der Angeklagte nach Verbüßung von zwei Dritteln der gegen ihn verhängten Freiheitsstrafe gemäß § 57 Abs. 1 StGB vorzeitig aus der Strafhaft entlassen werden wird, sofern er sich im Vollzug beanstandungsfrei führt. Zudem ist auf die vom Angeklagten zu verbüßende Freiheitsstrafe die von ihm bereits erlittene Untersuchungshaft von derzeit gut vier Monaten nach § 51 Abs. 1 S. 1 StGB anzurechnen, so dass noch ein Strafrest von ca. 21 Monaten verbleibt. Zwar ist nach der ständigen Rechtsprechung des Senats bei einer noch zu verbüßenden Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren ein ausreichender Fluchtanreiz grundsätzlich nicht gegeben (vgl. Beschlüsse des Senats vom 13. März 2002 in Ws 60/02 und vom 27. Dezember 2002 in Ws 475/02). Diese Rechtsprechung ist auf den vorliegenden Fall jedoch nicht übertragbar. Hier hat der Angeklagte durch sein Verhalten im Ermittlungsverfahren, dem er sich durch Flucht entzog, bereits gezeigt, dass er unabhängig von der Höhe der zu erwartenden Strafe und trotz der oberhalb dargelegten familiären Bindungen nicht bereit ist, sich dem Strafverfahren zu stellen.
Bei Betrachtung aller Umstände erachtet der Senat es daher für wahrscheinlicher, dass der Angeklagte dem in der zu verbüßenden Freiheitsstrafe liegenden Fluchtanreiz nachgeben wird, als sich für das Strafverfahren zur Verfügung zu halten.
Der Fluchtgefahr kann auch nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen als dem Vollzug der Untersuchungshaft begegnet werden.
Die weitere Untersuchungshaft ist angesichts ihrer bisherigen Gesamtdauer von gut vier Monaten im Hinblick auf die zu erwartende Freiheitsstrafe auch nicht unverhältnismäßig.
III.
Die Beschwerde war daher mit der sich aus § 473 Abs. 1 StPO ergebenden Kostenfolge als unbegründet zu verwerfen.
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