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Rechtsprechung


Aktenzeichen: 3 Ss OWi 426/03 OLG Hamm

Leitsatz: Zum verneinten Absehen vom Fahrverbot bei einem Handelsvertreter und zum Umfang der erforderlichen Feststellungen

Senat: 3

Gegenstand: Rechtsbeschwerde

Stichworte: Fahrverbot; Absehen; berufliche Umstände; außergewöhnliche Härte

Normen: BKatV 4

Beschluss: Bußgeldsache
gegen H.F.
wegen Verkehrsordnungswidrigkeit.

Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Bielefeld vom 20.3.2003 gegen das Urteil des Amtsgerichts Bielefeld vom 12.3.2003 hat der 3. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 07. 08. 2003 durch den Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Amtsgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch nebst den diesen zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde an das Amtsgericht Bielefeld zurückverwiesen.

Gründe:
I.
Das Amtsgericht Bielefeld hat mit Urteil vom 12.3.2003 den Betroffenen wegen Unterschreitung des erforderlichen Sicherheitsabstandes bei einer gefahrenen Geschwindigkeit über 130 km/h in Höhe von weniger als 2/10 des halben Tachowertes zu einer Geldbuße von 250,00 Euro verurteilt.

Zur Person des Betroffenen hat das Amtsgericht folgende Feststellungen getroffen:

„Der im Zeitpunkt der Hauptverhandlung 29 Jahre alte Betroffene ist ledig und hat keine Kinder.
Von Beruf ist der Betroffene Versicherungsvertreter. Bis zum 31.12.02 war er in dieser Eigenschaft bei der Frankfurter-Versicherungs-Aktiengesellschaft Allianz in Essen angestellt. Mit Wirkung zum 1.01.03 hat er eine neue Tätigkeit als hauptberuflicher Ausschließlichkeitsvertreter für die Filialdirektion der obigen Gesellschaft aufgenommen.

Straßenverkehrsrechtlich ist der Betroffene bislang nicht in Erscheinung getreten.“

In den Urteilsgründen wird außerdem ausgeführt:

„Der Betroffene hat eingeräumt, im Tatzeitpunkt das Fahrzeug gefahren zu haben. Er hat weiter eingeräumt, den erforderlichen Sicherheitsabstand um weniger als 2/10 unterschritten zu haben. Einwendungen gegen die Richtigkeit des Messergebnisses hat er nicht erhoben.

Er hat beantragt, von der Verhängung eines Fahrverbotes abzusehen. Hierzu hat er sich dahingehend eingelassen, dass er aufgrund seiner ab dem 1.01.03 bestehenden Selbstständigkeit als Ausschließlichkeitsvertreter für die Allianz ein eigenes Büro in Bochum aufgebaut habe. Der Vertreter, der dieses Büro zuvor geführt habe, habe zu einer anderen Gesellschaft gewechselt. Der von diesem übernommene Kundenstamm erstrecke sich über den Bezirk Bochum hinaus auch auf den Bereich Herne, Dortmund, Witten sowie Duisburg. Außerhalb stattfindene Besuchstermine würden ca. 15 bis 20 Mal in der Woche erfolgen, d.h. durchschnittlich 3 bis 4 Termine am Tag, wobei diese zumeinst nach 16.00 Uhr stattfinden würden, da die Kunden zumeist erst nach Beendigung ihrer eigenen beruflichen Tätigkeit Zeit hätten.
Da die Zugverbindungen auf dieser Achse des Ruhrgebietes nicht besonders gut seien, könne er im Fall eines Fahrverbotes nur noch einen Termin pro Tag schaffen. Dies hätte für ihn aber erhebliche Konsequenzen. Er sei gerade dabei, sich bei den Kunden vorzustellen und müsse entsprechend flexibel auf deren Wünsche eingehen. Ferner würde sein Vorgänger versuchen, seinen alten Kundenstamm abzuwerben, so dass der Betroffene gerade jetzt sehr präsent sein müsse. Ein einmonatiges Fahrverbot würde seine Tätigkeit daher nachhaltig gefährden. Insbesondere könne er auch in der jetzigen Situation keinen Urlaub von 4 Wochen machen. Außerdem würden sämtliche Fixkosten weiterlaufen. So habe er einen Kredit für das Büro aufgenommen und müsse allein hierfür 800,- EUR monatlich an Miete bezahlen.“

Das Amtsgericht hat von der Verhängung des Regelfahrverbotes abgesehen und dies wie folgt begründet:

Die von dem Betroffenen begangene Ordnungswidrigkeit stellt einen Tatbestand dar, für den § 4 Abs. 1 BKatV in Verbindung mit der Tabelle 2 die Verhängung eines Fahrverbotes vorsieht, so dass in objektiver und subjektiver Hinsicht eine besonders gravierende und gefahrenträchtige Verhaltensweise des Betroffenen indiziert ist. Besondere Umstände, die diese Indizwirkung hätten entkräften können, waren nicht ersichtlich und vom Betroffenen auch nicht eingewendet worden.

Jedoch hat das Gericht von der durch § 4 Abs. 4 BKatV eröffneten Möglichkeit - unter Wegfall des Fahrverbotes die Geldbuße angemessen zu erhöhen, Gebrauch gemacht.
Nach ständiger Rechtsprechung kann im Einzelfall von der Verhängung des Fahrverbotes als Besinnungs- und Denkzettelmaßnahme dann abgesehen werden, wenn erhebliche Härten oder zumindest eine Vielzahl für sich genommener Umstände vorliegen, mit denen das Absehen von dem an sich zu verhängenden Regelfahrverbot begründet werden kann.

Der Betroffene hat nach Auffassung des Gerichts außergewöhnliche berufliche Umstände geltend gemacht, die es rechtfertigen vom Fahrverbot Abstand zu nehmen.
Selbst die Verhängung des nur einmonatigen Fahrverbotes kann zu einer Gefährdung der beruflichen Tätigkeit des Betroffenen führen. Erst Anfang des Jahres hat er sich als Ausschließlichkeitsvertreter für die Allianz-Versicherung selbstständig gemacht und hierbei den Kundenstamm des vorherigen Vertreters übernommen. Es ist naturgemäß sehr wichtig, dass der Betroffene diese Kunden derart betreuen kann, dass er ihren Wünschen flexibel entsprechen kann. Dieses bedeutet auch die Durchführung von regelmäßigen Hausbesuchen. Dass diese, wie vom Betroffenen dargestellt, vielfach am späten Nachmittag aufgrund der eigenen Arbeitszeiten der Kunden stattfinden müssen, ist ebenfalls nachvollziehbar.
Das Gericht ist zudem davon überzeugt, dass der Betroffene aufgrund dieser Zeiten am Tag lediglich nur noch einen, höchstens zwei Termine wahrnehmen könnte, wenn er auf die Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln angewiesen wäre, was sich allein aus dem zu betreuenden Bezirk des Betroffenen ergibt.
Hinzu kommt noch die glaubhafte Darstellung des Betroffenen hinsichtlich seines Vorgängers, der versucht, seine früheren Kunden abzuwerben, was auch nicht außergewöhnlich ist. Daher ist der Betroffene um so mehr darauf angewiesen, die Kunden richtig betreuen zu können.
Ansonsten besteht die nachvollziehbare Gefahr, dass er den Kundenstamm nicht halten und mit erheblichen Einbußen zu rechnen hat, die sich bei ihm als einen jungen Selbstunternehmer durchaus existenzgefährdend auswirken können. So stehen den drohenden Verlusten monatliche Fixkosten für das übernommene Darlehen, das Fahrzeug, etc. gegenüber.

Das Gericht verkennt nicht, dass jeder Autofahrer, welcher ein Fahrverbot zu verbüßen hat, zum Teil empfindliche Unannehmlichkeiten hinnehmen muss.
Nach Auffassung des Gerichts würden die hier zu verzeichnenden Nachteile jedoch die Durchschnittsschwierigkeiten erheblich überwiegen.
Diese dargestellten Nachteile könnten auch nicht durch andere verhältnismäßige Maßnahmen verhindert werden. Der Betroffene kann weder zum jetzigen Zeitpunkt noch gemäß der § 25 Abs. 2a StVG vorgesehenen Möglichkeit der Wirksamkeit des Fahrverbotes erst nach Ablauf von 4 Monaten seinen Jahresurlaub nehmen, da er wie bereits ausgeführt, gerade am Anfang seiner Selbstständigkeit für die Kunden präsent sein muss.

Zugunsten des Betroffenen war zudem zu berücksichtigen, dass dieser trotz seiner Tätigkeit als Handelsvertreter bislang straßenverkehrsrechtlich nicht ein einziges Mal in Erscheinung getreten ist.

Das Gericht hielt daher die Erhöhung der Regelbuße auf 250,- EUR als Ahndung und Denkzettelfunktion für angemessen, aber auch ausreichend.“

Gegen dieses Urteil richtet sich die wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Bielefeld, mit der eine Verletzung materiellen Rechts gerügt wird und die sich insbesondere gegen das Absehen von der Verhängung des Regelfahrverbotes richtet.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat sich der Rechtsbeschwerde angeschlossen.

II.
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und hat in der Sache zumindest vorläufig Erfolg.

Der Rechtsfolgenausspruch des angefochtenen Urteils hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme vom 11.6.2003 u. a. Folgendes ausgeführt:

„Die Erwägungen, mit denen das Amtsgericht von der Verhängung eines einmonatigen Fahrverbotes abgesehen hat, vermögen nicht zu überzeugen. Nach ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung rechtfertigen nur berufliche Härten ganz außergewöhnlicher Art, wie z.B. drohender Verlust des Arbeitsplatzes oder der Verlust einer sonstigen wirtschaftlichen Existenzgrundlage das Absehen von einem Fahrverbot. Das Abweichen vom Regelfahrverbot bedarf in jedem Fall einer eingehenden, auf Tatsachen gestützten Begründung (zu vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 10.01.1995 2 Ss OWi 623/95 m.w.N.). Eine Gefährdung der beruflichen Existenz des Betroffenen lässt sich den Urteilsfeststellungen nicht hinreichend entnehmen.
Die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen zu den beruflichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen sind lückenhaft. Das Amtsgericht hat seine Feststellungen lediglich auf die Angaben des Betroffenen gestützt, ohne sie einer kritischen Bewertung zu unterziehen. Abgesehen davon, dass die tatrichterliche Überzeugung nicht ausschließlich aus der nicht näher belegten Einlassung des Betroffenen abgeleitet werden darf (zu vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 04.12.2001 1 Ss OWi 976/01 m.w.N.), reichen diese Angaben zur Annahme einer konkret drohenden Gefährdung der beruflichen Existenz des Betroffenen für den Fall des Vollzugs eines Fahrverbots nicht aus.
Das Amtsgericht hat bereits keine Feststellungen zum Einkommen des Betroffenen, zur Höhe der Provisionen, und zur Höhe der monatlichen Fixkosten getroffen. Dieser Feststellungen hätte es aber bedurft, da das Gericht eine Existenzgefährdung u.a. damit begründet hat, den drohenden Verlusten stünden monatliche Fixkosten für das aufgenommene Darlehen, das Fahrzeug, etc. gegenüber (UA S. 7).
Auch hat das Gericht die Einlassung des Betroffenen, wonach dieser bei Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel nur noch einen Termin pro Tag schaffen könne, zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht, ohne eigene Feststellungen über die Fahrzeiten und Verbindungen öffentlicher Verkehrsmittel in dem von dem Betroffenen geschilderten Einzugsgebiet zu treffen.

Ein Rechtsfehler des angefochtenen Urteils ist auch darin zu sehen, dass im Falle der Gefährdung der beruflichen Existenz infolge eines Fahrverbots auch jegliche Erwägungen zu der Frage fehlen, ob es dem Betroffenen bei Berücksichtigung seiner Einkommensverhältnisse, die das Amtsgericht bislang noch nicht festgestellt hat, etwa zuzumuten wäre, für die Dauer des Fahrverbots einen Fahrer einzustellen (zu vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 8.6.1995 2 Ss Owi 623/95 -) oder ein Taxi zu benutzen.

Dem Senat dürfte eine eigene Entscheidung in der Sache gemäß § 79 Abs. 6 OWiG verwehrt sein, da wie dargelegt weitere tatsächliche Feststellungen erforderlich erscheinen.“

Diesen Ausführungen schließt sich der Senat an und macht sie zum Gegenstand seiner Entscheidung.

Wegen der Wechselwirkung zwischen Geldbuße und Fahrverbot war der gesamte Rechtsfolgenausspruch aufzuheben.


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