Aktenzeichen: 3 Ws 443/03 OLG Hamm
Leitsatz: Zur Ungebühr im Sinne von § 176 GVG
Senat: 3
Gegenstand: Beschwerde
Stichworte: Ungebühr; Missachtung des Gerichts;
Missachtung des Gerichts
Normen: GVG 178, GVG 181, StPO
146 a
Beschluss: Strafsache
gegen T.K.
wegen Körperverletzung Körperverletzung,
(hier: sofortige Beschwerde der Zeugin C.K. gegen den Ordnungsgeldbeschluss des
Amtsgerichts Gelsenkirchen-Buer vom 30.09.2002).
Auf die sofortige Beschwerde der Zeugin C. K. vom 04.10.2002 gegen den Ordnungsgeldbeschluss des Amtsgerichts Gelsenkirchen-Buer vom 30.09.2002 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 16. 10. 2003 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Amtsgericht nach Anhörung und auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:
Der Ordnungsgeldbeschluss des Amtsgerichts Gelsenkirchen-Buer vom
30.09.2003 wird aufgehoben.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens
einschließlich der notwendigen Auslagen der Beschwerdeführerin
trägt die Staatskasse.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht Gelsenkirchen-Buer hat in
der Hauptverhandlung vom 30.09.2002 gegen die Beschwerdeführerin nach
Gewährung rechtlichen Gehörs ein Ordnungsgeld in Höhe von 200,-
, ersatzweise vier Tage Ordnungshaft, verhängt. Nach dem
Sitzungsprotokoll des Amtsgerichts vom selben Tage hatte die
Beschwerdeführerin, als dem Gericht seitens des Verteidigers Fotos
vorgelegt wurden, zu dem Angeklagten geäußert: Du alte
Drecksau. Nachdem der Amtsrichter der Zeugin eröffnet hatte, dass
beabsichtigt sei, eine Ordnungsmaßnahme gegen sie festzusetzen und sie
Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten hatte, erklärte die Zeugin:
Es ist mir so rausgerutscht.
Bei den fraglichen Fotos handelte
es sich um persönliche Fotos der Nebenklä-
gerin, der Schwester
der Beschwerdeführerin, die der Angeklagte aus deren Wohnung entwendet
hatte. Die Angeklagte ist durch Urteil des Amtsgerichts Gelsenkirchen-Buer vom
02.10.2002 wegen Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr
und vier Monaten ohne Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt worden. In
den Gründen dieses Urteils heißt es zu dem hier in Frage stehenden
Vorfall:
Auch das Verhalten des Angeklagten in der Hauptverhandlung musste strafschärfend herangezogen werden. So hat der Angeklagte die Zeugin (gemeint war die Schwester der Beschwerdeführerin) dreist mit Fotos konfrontiert, von denen das Gericht entsprechend der auch insoweit glaubhaften Aussage der Zeugin K. (der Nebenklägerin) ausgeht, dass der Angeklagte diese der Zeugin entwendet hat.
Das Urteil des Amtsgerichts Gelsenkirchen-Buer ist durch seit dem 16.04.2003 rechtskräftiges Berufungsurteil des Landgerichts Essen vom 08.04.2003 dahin abgeändert worden, dass die erkannte Freiheitsstrafe auf ein Jahr ermäßigt und die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Gegen den noch in der Sitzung vom 30.09.2002 ergangenen Ordnungsgeldbeschluss hat die Beschwerdeführerin mit am 04.10.2002 bei dem Amtsgericht eingegangenem Schreiben ihrer Bevollmächtigten sofortige Beschwerde eingelegt.
II.
Die gemäß §§ 178, 181 GVG statthafte
und gemäß § 181 Abs. 1 GVG fristgerecht eingelegte sofortige
Beschwerde ist zulässig. Dabei kann offenbleiben, ob die von der
Beschwerdeführerin bevollmächtigte Rechtsanwältin Sossin, die
gleichzeitig die Schwester der Beschwerdeführerin in demselben Verfahren
als Nebenklägerin vertrat, analog § 146 StPO an der Vertretung der
Beschwerdeführerin gehindert war, wie die Generalstaatsanwaltschaft meint.
Dagegen könnte nämlich sprechen, dass die Beschwerdeführerin
allein durch die Verhängung des Ordnungsmittels noch nicht zu einer
Verfahrensbeteiligten i.S.v. § 146 StPO wird. Dies kann aber deshalb
dahinstehen, weil in entsprechender Anwendung des § 146 a Abs. 2 StPO die
Einlegung der Beschwerde durch die Bevollmächtigte der
Beschwerdeführerin auch im Falle eines Verstoßes gegen § 146
StPO wirksam bleiben würde.
Die zulässige sofortige Beschwerde ist auch begründet.
Die Beschwerdeführerin hat sich keiner Ungebühr i.S.d.
§ 178 Abs. 1 S. 1 GVG schuldig gemacht. Ungebühr im Sinne dieser
Bestimmung ist ein erheblicher Angriff auf die Ordnung in der Sitzung, auf
deren justizförmigen Ablauf, auf den Gerichtsfrieden und damit auf die
Würde des Gerichts (OLG Düsseldorf, NStZ-RR 1997, 370; OLG Hamm, DAR
2001, 134, je m.w.N.). Zu einem geordneten Ablauf der Sitzung gehört auch
die Beachtung eines Mindestmaßes an äußeren Formen und eine
von Emotionen möglichst freie Verhandlungsatmosphäre. Dabei
können die Ordnungsmittel des § 178 GVG insbesondere als Antwort auf
grobe Achtungsverletzungen und bewusste Provokationen eingesetzt werden (OLG
Düsseldorf, a.a.O., m.w.N.). Nicht jede Störung der Sitzungsordnung
muss jedoch zugleich einen erheblichen Angriff auf die Würde und das
Ansehen des Gerichts enthalten. Eine Ahndung mit einem Ordnungsmittel nach
§ 178 GVG kann entbehrlich sein, wenn eine augenblickliche, aus einer
gereizten Verhandlungsatmosphäre geborene Entgleisung vorliegt (ebda.).
So liegt der Fall hier. Die Beschwerdeführerin war als Schwester der
Geschädigten und Nebenklägerin emotional stark an dem Verfahren
beteiligt. Die Umstände, unter denen der Nebenklägerin die fraglichen
Fotos präsentiert wurden, waren für sie derart belastend, dass das
Amtsgericht diese Umstände im besonderen Maße als
strafschärfend gegen den Angeklagten bewertet hat. Vor diesem Hintergrund
erscheint die Äußerung der Beschwerdeführerin durchaus
nachvollziehbar. Auch hat sich die Beschwerdeführerin sogleich - noch vor
der Verhängung des Ordnungsgeldes - vor dem Gericht für ihre
Äußerung entschuldigt. Anhaltspunkte dafür, dass angesichts
dieser Umstände die Verhängung des Ordnungsmittels zur Wahrung der
Autorität des Gerichts trotz der vorangegangenen Entschuldigung der
Beschwerdeführerin noch erforderlich war, sind weder in dem
Ordnungsmittelbeschluss noch an anderer Stelle in der Sitzungsniederschrift
mitgeteilt worden und auch nicht ersichtlich. Der angefochtene Beschluss war
daher mit der Kostenfolge aus § 467 StPO analog aufzuheben.
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