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Rechtsprechung


Aktenzeichen: 2 Ws 256/2003 OLG Hamm

Leitsatz: Zur Fluchtgefahr bei Verurteilung zu einer hohen Freiheitsstrafe

Senat: 2

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: Fluchtgefahr, hohe Freiheitsstrafe; 2/3 Zeitpunkt

Normen: StPO 112

Beschluss: Strafsache

gegen W.S.
wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
(hier: Beschwerde des Angeklagten gegen den Haftfortdauerbeschluss des Landgerichts Bochum vom 01. September 2003)

Auf die (Haft)Beschwerde des Angeklagten vom 02. Oktober 2003 gegen den Haftfortdauerbeschluss der Auswärtigen Strafkammer Recklinghausen des Landgerichts Bochum vom 01. September 2003 in Verbindung mit dem Nichtabhilfebeschluss des Landgerichts Bochum vom 06. Oktober 2003 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 27. 10. 2003 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Die Beschwerde wird auf Kosten des Beschwerdeführers verworfen.

Gründe:
I.
Die Auswärtige Strafkammer Recklinghausen des Landgerichts Bochum hat gegen den Angeklagten durch Urteil vom 01. September 2003 nach 17 tägiger Hauptverhandlung eine Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in 52 Fällen sowie wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in 125 Fällen verhängt. Gegen diese Entscheidung hat der Angeklagte mit einem am 04. September 2003 beim Landgericht eingegangenen Schriftsatz seiner Verteidigerin Revision eingelegt, mit der - ohne nähere Begründung die Verletzung formellen und materiellen Rechts gerügt wird.
Das erkennende Gericht hatte im Anschluss an die Urteilsverkündung außerdem beschlossen, der Haftbefehl der Kammer vom 01. August 2003 bleibe nach Maßgabe des zuvor verkündeten Urteils aufrecht erhalten und in Vollzug.

Gegen diesen Beschluss hat der Angeklagte durch seine Verteidigerin mit Schriftsatz vom 02. Oktober 2003 Beschwerde eingelegt und beantragt, den Haftbefehl aufzuheben, hilfsweise ihn unter geeigneten Auflagen außer Vollzug zu setzen. Das Landgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 06. Oktober 2003 aus den weiterhin zutreffenden Gründen des Haftbefehls vom 01. August 2003 in Verbindung mit dem Haftfortdauerbeschluss der Kammer vom 01. September 2003 nicht abgeholfen.

II.
Die gemäß § 304 Abs. 1 StPO statthafte Haftbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Die Haftbeschwerde ist nicht begründet. Die Voraussetzungen der Untersuchungshaft gemäß § 112 StPO sind weiterhin gegen den Angeklagten gegeben.

1. Es besteht dringender Tatverdacht. Dieser ergibt sich schon daraus, dass der Angeklagte durch die Auswärtige Strafkammer Recklinghausen des Landgerichts Bochum des sexuellen Missbrauchs eines Kindes in 52 Fällen sowie des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in 125 Fällen für schuldig befunden und zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von sechs Jahren verurteilt worden ist. Dass dieses Urteil nicht rechtskräftig ist, steht der Annahme dringenden Tatverdachts nicht entgegen. Allein der Umstand, dass das Gericht nach Durchführung eines rechtsstaatlichen Regeln unterworfenen Erkenntnisverfahrens zu der Überzeugung der Täterschaft und Schuld des Angeklagten gelangt ist, spricht für eine hohe Wahrscheinlichkeit seines strafbaren Handelns in der festgestellten Weise (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 20. April 2000 in 4 Ws 150/00; ständige Rechtsprechung aller Senate des erkennenden Oberlandesgerichts).
Anhaltspunkte dafür, dass hier ausnahmsweise eine andere Beurteilung gerechtfertigt sein könnte, führt die Beschwerde nicht auf. Das schriftliche Urteil liegt zwar noch nicht vor, der Inhalt der mündlichen Urteilsbegründung ist dem Senat naturgemäß nicht bekannt. Es sind aber keine Umstände erkennbar, dass das Urteil des Landgericht Bochum vom 01. September 2003 unrichtig sein könnte.

2. Es besteht auch der Haftgrund der Fluchtgefahr im Sinne des § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO fort. Dieser ist gegeben, wenn eine höhere Wahrscheinlichkeit für die Annahme spricht, der Angeklagte werde sich dem Verfahren entziehen, als für die Erwartung, er werde sich ihm zur Verfügung halten.
Die sich aus der Schwere der dem Angeklagten zur Last gelegten Delikte ergebende hohe Straferwartung hat sich aufgrund des Urteils des Landgericht Bochum vom 01. September 2003 in einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren konkretisiert. Der Angeklagte muss damit rechnen, dass diese Strafe rechtskräftig und in absehbarer Zeit vollstreckt werden wird. Selbst wenn der Angeklagte als Erstverbüßer sein Bundeszentralregisterauszug weist lediglich eine Geldstrafe in Höhe von 30 Tagessätzen zu je 15,00 DM wegen Vergehens gegen das Urheberrechtsgesetz aus - auf eine vorzeitige bedingte Entlassung aus der Strafhaft nach Verbüßung von zwei Dritteln der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe gemäß § 57 Abs. 1 StGB hoffen kann, verbleibt unter Anrechnung der seit dem 01. August 2003 erlittenen Untersuchungshaft eine noch zu verbüßende Strafe von noch drei Jahren und neun Monaten. Eine derartige Strafe begründet erfahrungsgemäß bereits einen starken Fluchtanreiz, auch unter Beachtung des Umstandes, dass der Angeklagte sich der mehrtägigen Hauptverhandlung gestellt hat. Insoweit kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Angeklagte bis zur Erstattung des Glaubwürdigkeitsgutachtens betreffend die Nebenklägerin T.H. durch die Sachverständige Dr. A. am 01. August 2003 davon ausgehen konnte, dass das Strafverfahren aufgrund durchgreifender Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin möglicherweise mit einem Freispruch endete. Diese Hoffnung hatte sich mit dem Ergebnis des Sachverständigengutachtens jedoch zerschlagen. Dass der Angeklagte derartige Vorstellungen hatte, ergibt sich auch daraus, dass seine Verteidigerin ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls vom 01. August 2003 in ihrem Plädoyer Freispruch beantragt und der Angeklagte sich diesen Ausführungen angeschlossen hat.

Der Fluchtanreiz wird durch die vom Angeklagten angeführten persönlichen und sozialen Bindungen nicht so weit herabgesetzt, dass Auflagen und/oder Weisungen ausreichten, um den Haftzweck zu sichern. Der Angeklagte verfügt nämlich über keine tragfähigen persönlichen und sozialen Bindungen. Von seiner langjährigen Lebensgefährtin, der Mutter der Nebenklägerin, lebt er seit geraumer Zeit getrennt; er ist arbeitslos und es steht aufgrund der von dem Angeklagten vorgebrachten gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht zu erwarten, dass er sich um die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit bemühen wird. Danach kann seine Lebenssituation zumal angesichts der konkret drohenden Strafverbüßung nicht als gefestigt angesehen werden. Wenn das Tatgericht unter diesen Umständen aufgrund des persönlichen Eindrucks vom Angeklagten weniger einschneidende Maßnahmen als die Inhaftierung für nicht ausreichend erachtet hat, um den Zweck der Untersuchungshaft zu erreichen, ist dagegen nichts zu erinnern. Die Beschwerdebegründung gibt zu einer abweichenden Bewertung keinen Anlass.

Die Haftfortdauer ist angesichts der Höhe der gegen den Angeklagten verhängten Gesamtfreiheitsstrafe auch nicht unverhältnismäßig.

III.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 473 Abs. 1 StPO.


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