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Rechtsprechung


Aktenzeichen: 2 Ws 269/03 OLG Hamm

Leitsatz: Der Widerruf von Strafaussetzung zur Bewährung kann nur noch in Ausnahmefällen auf eine nicht rechtskräftige Verurteilung gestützt werden.

Senat: 2

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: Widerruf von Strafaussetzung zur Bewährung; Vorverurteilung; Rechtskraft

Normen: StGB 56 f

Beschluss: Strafsache

gegen M.H.
wegen Diebsstahls
(hier: Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung bezüglich eines Strafrestes).

Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten vom 23. September 2003 gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bochum vom
12. September 2003 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 11. 11. 2003 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

  1. Die sofortige Beschwerde wird aus den im Ergebnis zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung auf Kosten des Beschwerdeführers (§ 473 Abs. 1 StPO) verworfen.
  2. Zusatz:
  3. Der Widerruf der Strafaussetzung konnte allein auf die durch rechtskräftiges Urteil des Amtsgerichts Bochum am 30. Oktober 2001 verhängte Gesamtfreiheitsstrafe (Aktenzeichen: 77 Ds 4 Js 223/01 AK 173/01) in Höhe von einem Jahr und sechs Monaten gestützt werden, nicht jedoch - wie es die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bochum in der angefochtenen Entscheidung getan hat - auf die noch nicht rechtskräftige Verurteilung durch das Amtsgericht Bochum vom 11. August 2003 (Aktenzeichen: 77 Ds 52 Js 377/03 AK 258/03).
  4. Nach § 56 f Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB widerruft das Gericht die Strafaussetzung zur Bewährung, wenn der Verurteilte in der Bewährungszeit eine Straftat begeht und dadurch zeigt, dass die Erwartung, die der Strafaussetzung zugrunde lag, sich nicht erfüllt hat und weitere Auflagen oder Weisungen oder die Verlängerung der Bewährungszeit nicht ausreichen. Insoweit hat der erkennende Senat in der Vergangenheit in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung der übrigen Strafsenate des Oberlandesgerichts Hamm und der im Wesentlichen übereinstimmenden Auffassung der Obergerichte die Auffassung vertreten, der Widerruf einer Strafaussetzung nach § 56 f Abs. 1 Nr. 1 StGB setze eine rechtskräftige Verurteilung nicht unbedingt voraus. Es ist vielmehr als ausreichend angesehen worden, dass sich das die Strafaussetzung widerrufende Gericht aufgrund zweifelsfreier Tatsachen, insbesondere eines glaubwürdigen Geständnisses, in eigenständiger Würdigung davon überzeugt hat, der Verurteilte habe die neue (Anlass)Tat schuldhaft begangen (vgl. u.a. Beschluss des Senats vom 22. Oktober 2001 in 2 Ws 166-168/01; so auch Tröndle/Fischer, StGB, 51. Aufl., § 56 f Rdrn. 5 ff. mit weiteren Nachweisen aus der obergerichtlichen Rechtsprechung).
  5. Wie der Senat bereits in seinem Beschluss vom 17. Oktober 2003 in 2 Ws 243 u. 244/2003 (vgl. ) dargelegt hat, hält er an dieser Rechtsprechung im Hinblick auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 03. Oktober 2002 (siehe StV 2003, 82 ff) nicht mehr fest. Der EGMR hat ausgeführt, eine Verletzung der Unschuldsvermutung (Art. 6 Abs. 2 MRK) liege vor, wenn der Bewährungswiderruf auf die in einem Verfahren ohne die Förmlichkeit einer Hauptverhandlung gewonnene Überzeugung, der Verurteilte habe eine neue Straftat begangen, gestützt werde, obwohl gleichzeitig bei einem anderen Gericht das Hauptverfahren wegen dieses Geschehens noch anhängig ist (so im Anschluss an den EGMR auch OLG Jena StV 2003, 574, 575; OLG Celle StV 2003,575). Danach kann die Strafaussetzung zur Bewährung wegen einer neuen Straftat nach § 56 f Abs. 1 Nr. 1 StGB allenfalls noch in Ausnahmefällen und nur dann, wenn die Unschuldsvermutung nicht entgegensteht, widerrufen werden. Da gegen das amtsgerichtliche Urteil vom 11. August 2003 sowohl die Staatsanwaltschaft als auch der Verurteilte Berufung eingelegt haben und die tatsächlichen Feststellungen zur Anlasstat damit noch nicht rechtskräftig geworden sind, konnte diese Verurteilung derzeit nicht Grundlage für einen Widerruf der Strafaussetzung nach § 56 f Abs. 1 Nr. 1 StGB sein. Zwar hat der Verurteilte in jenem Verfahren einen Teil der ihm vorgeworfenen Straftaten eingeräumt, jedoch besteht die Möglichkeit, dass er sein Geständnis widerruft.


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