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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 3 Ws 496/96

Leitsatz: 1. Die Versagung der Entschädigung gem. § 6 I Nr. 2 StrEG kommt ebenso wie der fakultative Ausschluß der Auslagenerstattung gem. § 467 III 2 Nr. 2 StPO im Falle der Einstellung bzw. Nichteröffnung wegen eines Verfahrenshindernisses nur dann in Betracht, wenn allein dieses Verfahrenshindernis die Verurteilung hindert, mithin auf dem Wege bis zur Feststellung des Verfahrenshindernisses bereits die strafrechtliche Schuld bis zur Schuldspruchreife gerichtlich geklärt worden ist.
2. Wird die Eröffnung des Hauptverfahrens wegen dauerhafter Verhandlungsunfähigkeit des Angeschuldigten abgelehnt und hat der Angeschuldigte zuvor auch kein verwertbares und glaubhaftes Geständnis abgelegt, kann die Versagung einer Entschädigung nach dem Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen nicht mit Verdachtserwägungen gerechtfertigt werden.

Senat: 3

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: Entschädigung, StrEG, Einstellung des Verfahrens, Verfahrenshindernis, Nichteröffnung, Versagung, Strafverfolgungsmaßnahmen

Normen: StrEG 6 Abs. 1 Nr. 2; StPO 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2

Fundstelle: NStZ-RR 1997, 127

Beschluss: OLG Hamm, Beschl. v. 02.10.1996 - 3 Ws 496/96

Zum Sachverhalt: Der Bf. befand sich in vorliegender Sache nach seiner vorläufigen Festnahme am 09.07.1992 aufgrund Haftbefehls des AG Herford vom 10.07.1992 in der Zeit vom 10.07.1992 bis zum 08.04.1993 in Untersuchungshaft. Anschließend wurde er im Rahmen der Außervollzugsetzung des gegen ihn ergangenen Haftbefehls unter den im Tenor genannten Auflagen zunächst in das Landeskrankenhaus Gütersloh und ab dem 16.06.1993 in die Lippische Nervenklinik Bad Salzuflen verlegt, von wo aus er am 26.01.1994 in ambulante psychiatrische Behandlung entlassen wurde. Nach Aufhebung des Haftbefehls am 29.06.1994 ist durch weiteren Beschluß der StrK des LG Bielefeld vom 28.12.1995 die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen den Angeschuldigten abgelehnt worden, da der Durchführung der Hauptverhandlung das Verfahrenshindernis der dauerhaften Verhandlungsfähigkeit des Angeschuldigten entgegenstehe. Zur Begründung hatte die StrK gestützt auf ein Sachverständigengutachten ausgeführt, daß der Angeschuldigte seit mehr als zwei Jahren an einer chronifizierten Depression von psychotischem Ausmaß leide und eine Besserung dieses Krankheitsbildes bis zu einem Zustand, in dem der Angeschuldigte sich in einer Hauptverhandlung angemessen und sachgerecht verteidigen könne, sehr unwahrscheinlich sei. Deshalb sei eine endgültige Verhandlungsunfähigkeit des Angeschuldigten anzunehmen. Da allerdings hinreichender Tatverdacht fortbestehen hat die StrK gem. § 467 111 2 Nr. 2 StPO davon abgesehen, auch die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen. Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 07.05.1996 hat der Angeschuldigte sodann beantragt, festzustel-
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len, daß er wegen der erlittenen Untersuchungshaft aus der Staatskasse zu entschädigen sei.
Diesen Antrag hat die StrK mit dem angefochtenen Beschluß zurückgewiesen. Die sofortige Beschwerde des Angeschuldigten hatte Erfolg.

Aus den Gründen: II. Das LG hat mit dem angefochtenen Beschluß die Gewährung einer Entschädigung für die im Tenor bezeichneten Strafverfolgungsmaßnahmen zu Unrecht versagt. Vielmehr kann der ehemalige Angeschuldigte für diese Maßnahmen gem. § 2 I, Il Nrn. 2, 3 StrEG eine Entschädigung verlangen, was deshalb auf seine sofortige Beschwerde hin unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses - wie geschehen - festzustellen war. Dabei ist unschädlich, daß der Angeschuldigte ausdrücklich nur eine Entschädigung für die erlittene Untersuchungshaft begehrt hatte, da über die Entschädigungspflicht gem. § 8 I 1 StrEG von Amts wegen hinsichtlich aller in Betracht kommenden Strafverfolgungsmaßnahmen zu entscheiden ist. Das LG hat zunächst zutreffend erkannt, daß im vorliegenden Fall die Versagung der beantragten Entschädigung allein auf § 6 I Nr. 2 StrEG gestützt werden kann, insbesondere also ein Ausschlußtatbestand gem. § 5 StrEG nicht vorliegt. Insoweit kann auf die zutreffenden Ausführungen des angefochtenen Beschlusses Bezug genommen werden.
Allerdings hat die StrK die Voraussetzungen des von ihr zugrundegelegten Versagungstatbestandes des § 6 I Nr. 2 StrEG zu Unrecht angenommen. Insoweit kommt es entgegen der Ansicht der GenStA auch nicht auf die Frage der Fehlerhaftigkeit der Ermessensausübung durch die StrK an, da diese bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen der Ausnahmenorm verkannt hat, an die die Ermessensausübung erst anknüpft (vgl. OLG Zweibrücken, NStE Nr. 1 zu § 467 StPO). Ein fakultativer Ausschluß der Entschädigung gem. § 6 I Nr. 2 StrEG kommt nämlich, ebenso wie die Versagung der Auslagenerstattung gem. § 467 III 2 Nr. 2 StPO, ausschließlich dann in Betracht, wenn im Falle der Einstellung bzw. Nichteröffnung des Hauptverfahrens wegen eines Verfahrenshindernisses allein dieses Verfahrenshindernis die Verurteilung hindert, mithin auf dem Wege bis zur Feststellung des Verfahrenshindernisses bereits die strafrechtliche Schuld bis zur Schuldspruchreife gerichtlich geklärt worden ist (OLG Hamm, NJW 1986, 734 f.; OLG Zweibrücken, NStE Nr. 1 zu § 467 StPO; OLG Köln, NStE Nr. 7 zu § 467 StPO: erforderlich sei regelmäßig ein unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten in unbedenklicher Weise zustandegekommenes Geständnis; KG, NJW 1994, 600 = NStE Nr. 11 zu § 467 StPO; LG Berlin, NJW 1993, 2545; Meyer, Strafrechtsentschädigung und Auslagenerstattung, 3. Aufl., § 6 StrEG Rdnr. 30 a; Schimansky, in: KK-STPO, 3. Aufl., § 467 Rdnr. 10 a).
Soweit dagegen die Bestimmungen des § 6 I Nr. 2 StrEG bzw. § 467 Ill 2 Nr. 2 StPO in Rechtsprechung und Schrifttum vereinzelt dahin ausgelegt worden sind, daß es für ihre Anwendbarkeit genüge, wenn bei Wegdenken des Verfahrenshindernisses die Verurteilung annähernd sicher zu erwarten sei, entspricht zwar auch diese Auslegung der gesetzlichen Unschuldsvermutung bzw. der Bestimmung des Art. 6 II MRK (EGMR, NJW 1988, 3257f.; BVerfG, NJW 1992,1612 = NStE Nr. 9 zu § 467 StPO m. Nachw. zum Meinungsstand). Sie steht aber im Widerspruch sowohl zum Wortlaut des § 6 I Nr. 2 StrEG als auch zu Sinn und Zweck der Regelung. Die Verwendung des Wortes "nur" im Tatbestand des § 6 I Nr. 2 StrEG legt im Rahmen der grammatikalischen Auslegung die Bewertung nahe, daß das Bestehen des Verfahrenshindernisses alleiniger Grund für die Nichtverurteilung gewesen sein muß (LG Berlin, NJW 1993, 2545). Diese Voraussetzung ist aber nur dann gegeben, wenn die Schuld des Angeschuldigten bereits gerichtlich festgestellt ist (OLG Hamm, NJW 1986, 734 f.), zumindest aber ein prozessual ordnungsgemäß zustandegekommenes, glaubhaftes Geständnis vorliegt (OLG Köln, NStE Nr. 7 zu § 467 StPO), da anderenfalls auch die mangelnde Schuldfeststellung einer Verurteilung entgegenstellen könnte (OLG Hamm, NJW 1986, 734). Vor allem aber sprechen Sinn und Zweck der - soweit hier erheblich - im Wortlaut übereinstimmenden Bestimmungen des § 6 I Nr. 2 StrEG und des § 467 III 2 Nr. 2 StPO, die sich insbesondere aus der Entstehungsgeschichte der letztgenannten Vorschrift ergeben, für die hier vertretene Auslegung. Mit der Reform des § 467 StPO durch Art. 2 Nr. 25 des Einführungsgesetzes zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (BGBl 1968 I, 503) hat der Gesetzgeber wegen der in dem Rechtsstaatsprinzip wurzelnden Unschuldsvermutung das Gesetz dahingehend geändert, daß nicht mehr nur bei erwiesener Unschuld, sondern auch bei einem Freispruch mangels Beweisen ("Freispruch zweiter Klasse") trotz weiterbestehenden Tatverdachtes nunmehr grundsätzlich die Staatskasse die notwendigen Auslangen des Angekl. nach § 467 I StPO zu tragen hat.
Das sollte auch für die Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens oder die Einstellung des Hauptverfahrens oder die Einstellung des Verfahrens wegen eines Verfahrenshindernisses gelten (§ 467 I StPO), während bei der Einstellung des Verfahrens nach einer Vorschrift, die dies nach dem Ermessen des Gerichts zuläßt, dieses nach seinem Ermessen davon absehen kann, die notwendigen Auslagen des Angekl. der Staatskasse aufzuerlegen (§ 467 IV StPO). Die früher mit unterschiedlicher Auslagenfolge gemachte Unterscheidung, ob ein Verfahrenshindernis vor oder nach der Anklageerhebung eingetreten war, sollte aufgegeben werden. Nur noch bei den eng begrenzten Ausnahmefällen des § 467 Ill StPO sollte von der Überbürdung der notwendigen Auslagen des Angekl. auf die Staatskasse abgesehen werden können. Die Ausnahmeregelung des § 467 111 2 StPO wurde auf Vorschlag des Vermittlungsausschusses eingeführt (BT-DR V/2898). Dabei wurde insbesondere an Fälle gedacht, in denen bei der Verfolgung von Gewaltverbrechen der Mordvorwurf in der Hauptverhandlung nicht zu beweisen, der erwiesene Totschlag jedoch verjährt war (vgl. zur Entstehungsgeschichte BT-DR V/2600; V/2601, S. 19 (21); KG, NJW 1994, 600 = NStE Nr. 11 zu § 467 StPO; OLG Hamm, NJW 1986, 734; BVerfG, NStZ 1993, 195 (196)). Aus dieser Entstehungsgeschichte hat das KG (NJW 1994, 600 = NStE Nr. 11 zu § 467 StPO) für den Tatbestand des § 467 III 2 Nr. 2 StPO gefolgert, daß der darin zum Ausdruck kommende Grundgedanke der Reform unterlaufen würde, wenn - wie es die Mindermeinung für richtig hält - im Falle der obligatorischen Einstellung wegen eines Verfahrenshindernisses bei fortbestehendem Tatverdacht von der Überbürdung der notwendigen Auslagen auf die Staatskasse nach Billigkeitsgesichtspunkten abgesehen werden könnte. Für die im Wortlaut gleichlautende und auch inhaltlich mit der Bestimmung des § 467 III 2 Nr. 2 StPO zusammenhängende Bestimmung des § 6 I Nr. 2 StrEG kann insoweit aber nichts anderes gelten. § 6 I StrEG ist weitgehend der Bestimmung des § 467 III StPO nachgebildet und dieser angeglichen (Meyer, § 6 StrEG Rdnr. 3; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 42. Aufl., § 6 StrEG Rdnr. 7). Der Angeschuldigte, gegen den das Verfahren wegen Bestehens eines dauernden Verfahrenshindernisses eingestellt bzw. die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt worden ist, soll unter denselben Voraussetzungen von den ihm entstandenen notwendigen Auslagen freigestellt werden und gleichzeitig in den Genuß einer Entschädigung für die erlittenen Strafverfolgungsmaßnahmen kommen, so daß für eine unterschiedliche Auslegung der beiden Bestimmungen kein Raum bleibt.
Damit steht fest, daß dem Angeschuldigten die begehrte Entschädigung für die von ihm erlittenen Strafverfolgungsmaßnahmen nur dann versagt werden könnte, wenn bei Hinwegdenken des Verfahrenshindernisses eine Verurteilung aufgrund der bereits bis zur Schuldspruchreife durchgeführten Hauptverhandlung oder u.U. aufgrund eines glaubhaften Geständnisses mit Sicherheit zu erwarten gewesen wäre. So lag der Fall hier aber nicht. Zur Durchführung einer Hauptverhandlung gegen den Angeschuldigten ist es nicht gekommen, ein Geständnis liegt nicht vor. Soweit das LG allein sonstige Verdachtserwägungen ausreichen läßt, um dem Angeschuldigten die begehrte Entschädigung zu versagen, verstößt dies auf dem Boden der hier vertretenen Auslegung des § 6 I Nr. 2 StrEG gegen die Unschuldsvermutung des Art. 6 II MRK, da das LG die danach grundsätzlich erforderliche Schuldfeststellung durch bloße Verdachtserwägungen ersetzt hat (BVerfG, NJW 1992, 1612 (1613); BVerfG, NStE Nr. 13 zu § 467 StPO).
Der angefochtene Beschluß war daher aufzuheben. Da angesichts der dauerhaften Verhandlungsunfähigkeit des Angeschuldigten auch nicht zu erwarten ist, daß gegen diesen eine Hauptverhandlung bis zur Schuldspruchreife durchgeführt werden könnte, war gem. § 2 I, II Nrn. 2, 3 StrEG festzustellen, daß der Angeschuldigte für die im vorliegenden Verfahren erlittenen Strafverfolgungsmaßnahmen zu entschädigen ist.

Anm. d. Schriftltg.: Vgl. zur Versagung der Entschädigung auch OLG Frankfurt a.M., NStZ-RR 1996, 286.


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