Aktenzeichen: 2 Ss 289/99 OLG Hamm
Senat: 2
Gegenstand: Revision
Stichworte: Sprungrevision, Aufhebung, gefährliche Körperverletzung, fehlende Ausführungen zum Vorsatz, unvollständige Beweiswürdigung, mögliche Notwehr, minder schwerer Fall, Milderung, gesteigerte Intensität der Einwirkung auf Geschädigten beruht möglicherweise auf herabgesetztem Hemmungsvermögen, Strafmilderungsgrund strafschärfend berücksichtigt
Normen: StGB 21; StGB 224 Abs. 1
Beschluss: Strafsache gegen M. B.,
wegen gefährlicher Körperverletzung.
Auf die (Sprung-)Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Herne vom 01.12.1998 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 08.04.1999 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Regul, den Richter am Oberlandesgericht Mosler und die Richterin am Amtsgericht Jürgensen nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
Das angefochtene Urteil wird mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Herne zurückverwiesen.
Gründe: Das Amtsgericht hat den Angeklagten durch das angefochtene Urteil wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist, verurteilt.
Nach den durch den Tatrichter getroffenen Feststellungen kam es zwischen dem Angeklagten und seiner Ehefrau in den Morgenstunden des 15.06.1998 gegen 8.00 Uhr in der damaligen gemeinsamen ehelichen Wohnung zu Streitigkeiten, die, offensichtlich weil der Angeklagte stark angetrunken war - die um 8.45 Uhr entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 2,28 o/oo -, zu Tätlichkeiten eskalierten. Als der Angeklagte nach seiner Ehefrau treten wollte und diese in das lediglich durch einen vor der Tür hängenden Vorhang abgetrennte Nachbarzimmer flüchten wollte, löste sich bei dem Versuch, den Vorhang zuzuziehen, dieser zusammen mit der Gardinenstange. Diese Gardinenstange ergriff der Angeklagte und schlug mit ihr mehrfach auf seine Ehefrau ein. Diese erlitt eine beiderseitige Thoraxprellung, eine Platzwunde an der Nase, eine Nasenprellung sowie eine Prellung der Halswirbelsäule.
Die Einlassung des Angeklagten, der bei seiner polizeilichen Vernehmung noch angegeben hatte, sich an den Vorfall aufgrund seiner starken Alkoholisierung nicht mehr entsinnen zu können, seine Ehefrau allenfalls mit der bloßen Hand geschlagen zu haben, seine Ehefrau habe ihn schlagen wollen und er habe sich lediglich zur Wehr gesetzt, hat das Amtsgericht im Hinblick auf die glaubhaften Angaben der Ehefrau, die bei der Polizei, bei ihrer richterlichen Vernehmung und in der Hauptverhandlung ein konstantes Aussageverhalten gezeigt habe, als Schutzbehauptung gewertet.
Die gegen dieses Urteil form- und fristgerecht eingelegte Sprungrevision hat mit der Sachrüge - jedenfalls vorläufig - Erfolg.
Zwar kann trotz der insoweit nur knappen Urteilsgründe noch hinreichend aus den objektiven Feststellungen, daß der Angeklagte mehrere Schläge mit einer Gardinenstange gegen seine Ehefrau geführt und diese dadurch nicht unerhebliche Verletzungen erlitten hat, zur nicht ausdrücklich angesprochenen subjektiven Tatseite entnommen werden, daß der Angeklagte vorsätzlich gehandelt hat. Dies muß angesichts der Art der Verletzungen auch im Hinblick auf die i.S.d. § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB n.F. als gefährliches Werkzeug eingesetzte Gardinenstange gelten, auch wenn deren genauere Beschaffenheit wie Größe und Material nicht mitgeteilt worden ist (vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 49. Aufl., § 224 Randnummern 9 und 13).
Allerdings erweisen sich die ebenfalls nur knappen Ausführungen zur Beweiswürdigung als lückenhaft. Da nach den getroffenen Feststellungen die ehelichen Streitigkeiten zu Tätlichkeiten eskalierten, wobei trotz der insoweit als Grund hierfür angegebenen starken Alkoholisierung des Angeklagten offenbleibt, ob es auch seitens der Ehefrau zu Tätlichkeiten gekommen ist, kann der Senat nicht mit letzter Sicherheit ausschließen, daß der Angeklagte - worauf seine Einlassung hindeutet - in Notwehr (§ 32 StGB) gehandelt haben könnte, obwohl dies nicht unbedingt naheliegen muß. Auch wenn der Tatrichter diese Einlassung des Angeklagten aufgrund der Angaben der Ehefrau, die er im übrigen nicht mitteilt, die aber wohl den getroffenen Feststellungen entsprechen dürften, für widerlegt angesehen hat, bleiben die Feststellungen und damit die Beweiswürdigung zum Beginn und zum Anlaß der - möglicherweise beiderseitigen - Tätlichkeiten lückenhaft, so daß der Schuldspruch keinen Bestand haben kann.
Das angefochtene Urteil war daher bereits aufgrund dieses Rechtsfehlers mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache gemäß § 354 Abs. 2 StPO zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Herne zurückzuverweisen.
Darüber hinaus gibt der Senat im Hinblick auf die erneute Hauptverhandlung folgenden Hinweis:
Auch die Strafzumessungserwägungen im angefochtenen Urteil sind zu beanstanden. Das Amtsgericht hat - im Ergebnis zu Recht - das Vorliegen der Voraussetzungen des § 21 StGB angesichts der hohen Alkoholisierung des Angeklagten nicht ausschließen können. Gleichwohl ist der Tatrichter von dem Mindeststrafrahmen des § 224 Abs. 1 StGB n.F. von sechs Monaten Freiheitsstrafe ausgegangen und hat dabei offensichtlich übersehen, daß diese Vorschrift - anders als § 223 a StGB a.F. - nunmehr für minder schwere Fälle einen Strafrahmen von drei Monaten bis zu fünf Jahren vorsieht. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muß der Tatrichter aber in Fällen, in denen das Gesetz einen minder schweren Fall vorsieht, zunächst prüfen, ob ein solcher Fall gegeben ist. Dies gilt insbesondere dann, wenn ein sogenannter vertypter Milderungsgrund (hier die Voraussetzungen des § 21 StGB) bejaht wird (vgl. BGH bei Detter, NStZ 1995, 486 und 1993, 176; Meyer-Goßner, NStZ 1988, 529 (535)).
Eine Ausnahme von diesem Grundsatz würde nur dann vorliegen, wenn alle Umstände, die für die Wertung der Tat und des Täters bedeutsam sein können, einschließlich der erheblich verminderten Schuldfähigkeit, von vornherein die Annahme eines minder schweren Falles als so fernliegend oder gar abwegig erscheinen lassen, daß die Verneinung des minder schweren Falles auf der Hand liegen kann (vgl. BGH GA 87, 226).
Letztere Voraussetzungen dürften im vorliegenden Fall jedoch nicht gegeben sein, zumal es sich bei dem Angeklagten um einen bislang unbestraften Mann handelt, der die Tat anläßlich eines Ehestreites aus der Situation heraus begangen haben dürfte, und das verwendete gefährliche Werkzeug seiner objektiven Beschaffenheit nach nicht geeignet war, erhebliche Körperverletzungen herbeizuführen.
Darüber hinaus genügt es nicht, in dem Urteil nur auszuführen, daß die verminderte Schuldfähigkeit strafmildernd berücksichtigt worden ist. Hierbei ist es erforderlich, die Möglichkeit der Anwendung des gemilderten Strafrahmens nach § 49 Abs. 1 StGB - allerdings unter Berücksichtigung von § 50 StGB - zu erörtern (vgl. BGH GA 80, 469).
Schließlich hat das Amtsgericht strafschärfend gewertet, daß der Angeklagte mit ganz erheblicher Wucht zugeschlagen hat. Hierbei hat der Tatrichter nicht berücksichtigt, daß bei dem Vorliegen der Voraussetzungen des § 21 StGB zu prüfen ist, ob diese gesteigerte Intensität der Tatausführung nicht gerade auf die Umstände zurückzuführen ist, die zur erheblichen Herabsetzung des Hemmungsvermögens geführt haben. Daraus folgt, daß trotz Handlungsintensität nicht immer und ohne weiteres auf eine gesteigerte kriminelle Energie geschlossen werden kann. Zwar bedeutet dies nicht, daß jegliche Mitberücksichtigung der Handlungsintensität unzulässig wäre. Da die Schuldfähigkeit nur vermindert, nicht aber ausgeschlossen ist, bliebe Raum für die straferschwerende Berücksichtigung der Handlungsintensität. Der Tatrichter muß aber im Urteil kenntlich machen, daß ihm diese Problematik bewußt war und ihr Rechnung getragen wurde (vgl. BGH bei Detter, NStZ 1995, 171).
Das nunmehr mit der Sache befaßte Gericht wird diese Gesichtspunkte zu beachten haben.
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