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Rechtsprechung


Aktenzeichen: 2 Ss 1011/99 OLG Hamm

Leitsatz:
  • Das tatrichterliche Urteil, mit dem die Berufung des Angeklagten gemäß § 329 Abs. 1 StPO verworfen wird, muss sich, wenn ausweislich des Protokolls in der Hauptverhandlung ärztliche Bescheinigungen verlesen worden sind, mit diesen inhaltlich auseinandersetzen. Liegen aufgrund ärztlicher Bescheinigungen konkrete Anhaltspunkte für verhandlungs- oder Reiseunfähigkeit des Angeklagten vor, muss das Tatgericht diesen nachgehen.
  • Auf die beim Senat am 30.09.1999 eingegangene Revision der Angeklagten
    vom 17.02.1998 gegen das Urteil der 4. kleinen Strafkammer des Landgerichts Bochum vom 05.02.1998 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 07.10.1999 nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
  • Das angefochtene Urteil wird mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.
    Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des
    Revisionsverfahrens - an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Bochum
    zurückverwiesen.

Senat: 2

Gegenstand: Revision

Stichworte: Aufhebung, Verwerfung wegen Ausbleiben in der Berufungshauptverhandlung, Nichterscheinen, Attest im Urteil nicht erwähnt, aber zu berücksichtigen, Verfahrensrüge, Anforderungen an Verfahrensrüge, Entschuldigung, keine Nachforschungen, Überprüfung
Normen: StPO 329 Abs. 1, StPO 344 Abs. 2 Satz 2

Beschluss: Strafsache gegen S.K.,
wegen Betruges.

Fundstelle: DAR 2000, 56[ Ls.]; NStZ-RR 2000, 84

Gründe: I. Mit Strafbefehl des Amtsgerichts Herne vom 25.06.1997 ist die Angeklagte wegen Betruges zu einer Geldstrafe in Höhe von 90 Tagessätzen zu je 20,- DM verurteilt worden. Nach rechtzeitig eingelegtem Einspruch hat das Amtsgericht Herne diesen wegen Nichterscheinens der Angeklagten gemäß § 412 StPO verworfen. Gegen das am 18.12.1997 in Abwesenheit verkündete Verwerfungsurteil hat die Angeklagte rechtzeitig Berufung eingelegt. Im Berufungshauptverhandlungstermin vom 05.02.1998 sind weder die Angeklagte noch der Verteidiger erschienen. Daraufhin hat die 4. kleine Strafkammer des Landgerichts Bochum die Berufung der Angeklagten - formularmäßig - verworfen. In den Urteilsgründen heißt es im einzelnen:
"Die Angeklagte hat gegen das Urteil vom 18.12.1997 zwar rechtzeitig Berufung eingelegt, ist aber in dem heutigen Termin zur Hauptverhandlung, ungeachtet der nachgewiesenen Ladung, ohne genügende Entschuldigung ausgeblieben und auch nicht in zulässiger Weise vertreten worden.
Die eingelegte Berufung war daher nach § 329 der Strafprozeßordnung zu verwerfen.
Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens beruht auf § 473 der Strafprozeßordnung."
Hiergegen wendet sich die Angeklagte mit der Revision, mit der sie die Verletzung formellen Rechts rügt. Dazu trägt sie im wesentlichen vor, die Hauptverhandlung habe nicht in ihrer Abwesenheit durchgeführt werden dürfen, weil sie durch Einreichung von Attesten, die ihr Ehemann am Terminstag dem Gericht vorgelegt habe, krankheitsbedingt entschuldigt gewesen sei.
II. Die Revision ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.
1. Die Revision ist rechtzeitig eingelegt und fristgerecht in noch zulässiger Weise begründet worden.
Wird mit der Revision gegen ein gemäß § 329 Abs. 1 StPO ergangenes Verwerfungsurteil geltend gemacht, dieses gehe zu Unrecht davon aus, dass der Angeklagte nicht genügend entschuldigt gewesen sei, setzt die Überprüfung der vom Landgericht vorgenommenen Wertung die Erhebung einer der Vorschrift des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügenden Verfahrensrüge voraus (vgl. dazu Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Aufl., § 329 Rdnr. 48; OLG Köln StV 89, 53 m.w.N.). An die Zulässigkeit dieser Verfahrensrügen werden keine strengen Anforderungen gestellt (OLG Köln, a.a.O.), zumal das Revisionsgericht an die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils, die in der Revisionsbegründung nicht wiederholt zu werden brauchen (vgl. OLG Brandenburg NStZ 1996, 249; OLG Düsseldorf StV 84, 148), gebunden ist.
Diesen Anforderungen wird die Revisionsbegründung gerecht. Zwar fehlen Revisionsanträge in der vorbezeichnet vorgeschriebenen Form, dies ist aber unschädlich, da das Ziel des Rechtsmittels, die Aufhebung des angefochtenen Urteils, zweifelsfrei erkennbar ist.
2. Die somit zulässig mit der Verfahrensrüge begründete Revision hat auch in der Sache Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.
a) Die Revision der Angeklagten hat zunächst schon deshalb Erfolg, weil die - formularmäßige - Begründung des angefochtenen Urteils aus Rechtsgründen zu beanstanden ist. Sie genügt nämlich nicht den von der Rechtsprechung an den notwendigen Inhalt eines gemäß § 329 Abs. 1 StPO ergangenen Verwerfungsurteils zu stellenden Anforderungen (vgl. dazu u.a. Senatsbeschluss vom 08.04.1998 in 2 Ss 394/98 = StrafFO 1998, 223; Senatsbeschluss vom 26.02.1999 in 2 Ss 121/99; siehe auch schon u.a. OLG Hamm NJW 1963, 65; KG StV 1987, 11 und Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O., Rdnr. 33). Nach ständiger Rechtsprechung der Obergerichte, die derjenigen des erkennenden Senats entspricht, muss das nach § 329 Abs. 1 StPO ergangene Urteil so begründet sein, dass das Revisionsgericht die maßgebenden Erwägungen des Berufungsgerichts nachprüfen kann. Namentlich müssen vorgebrachte Entschuldigungsgründe und als Entschuldigung in Betracht kommende Tatsachen wiedergegeben und gewürdigt werden. Dies folgt schon daraus, dass das Revisionsgericht bei der Prüfung der Frage, ob das Berufungsgericht die in § 329 StPO enthaltenen Rechtsbegriffe verkannt hat, an die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils gebunden ist. Es darf sie weder in Frage stellen noch im Freibeweisverfahren ergänzen (vgl. BGHSt 28, 384).
Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Obwohl der kleinen Strafkammer ausweislich des Sitzungsprotokolls ärztliche Bescheinigungen - die verlesen wurden - über den Gesundheitszustand der Angeklagten vorgelegen haben, hat sie sich mit diesen inhaltlich im Urteil nicht auseinandergesetzt. Dies wäre aber nach dem zuvor Gesagten zwingend erforderlich gewesen, um dem Revisionsgericht die Grundlage der Überprüfung auf Rechtsfehler zu eröffnen.
b) Das angefochtene Urteil leidet ferner noch an einem weiteren Rechtsmangel, der ebenfalls zur Aufhebung führt. Nach § 329 Abs. 1 S. 1 StPO ist, wenn der Angeklagte ungeachtet ordnungsgemäßer Ladung und Belehrung über die Folgen seines Ausbleibens in der Berufungshauptverhandlung ausbleibt, die Verwerfung seiner Berufung nur zulässig, wenn das Ausbleiben nicht genügend entschuldigt ist. Dabei ist nach übereinstimmender obergerichtlicher Rechtsprechung (vgl. dazu Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O., § 329 StPO Rdnr. 18 m.w.N.; siehe auch OLG Hamm in VRS 93, 122 sowie in MDR 1997, 686 und OLG Hamm in 2 Ss 394/98) nicht entscheidend, ob der Angeklagte sich genügend entschuldigt hat, sondern ob er genügend entschuldigt ist. Das Landgericht muss, wenn ein konkreter Hinweis auf einen Entschuldigungsgrund vorliegt, dem im Rahmen seiner Aufklärungspflicht nachgehen (vgl. u.a. OLG Hamm NJW 1965, 410; Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O., § 329 StPO Rn 19 m.w.N.). Dies entspricht auch der ständigen Rechtsprechung des Senats.
Diesen Anforderungen ist die kleine Strafkammer ebenfalls nicht gerecht geworden. Unabhängig davon, dass eine ordnungsgemäße Ladung der Angeklagten nicht nachgewiesen war (dies ist offenbar der kleinen Strafkammer auch nicht verborgen geblieben, weil in der Urschrift des Formularurteils die vorgedruckten Worte "... durch die Urkunde vom ..." gestrichen worden sind), hat sie die verlesenen Atteste über den Gesundheitszustand der Angeklagten nicht als ausreichende Entschuldigung gewertet. Da aber durch diese ärztlichen Bescheinigungen zumindest konkrete Anhaltspunkte für Verhandlungs- oder Reiseunfähigkeit vorgelegen haben, hätte die kleine Strafkammer diesem Umstand in ausreichendem Umfang, etwa durch telefonische Nachfrage bei der Angeklagten oder dem Verteidiger oder durch Befragen des offenbar vor Ort befindlichen Ehemanns der Angeklagten, nachgehen müssen, bevor sie ungeprüft die ärztlichen Bescheinigungen als bedeutungslos tatsächlich nicht zur Kenntnis nahm. Jedenfalls durfte das Landgericht nicht einfach die Berufung der Angeklagten gegen die amtsrichterliche Entscheidung verwerfen und die Angeklagte so auf das Revisionsverfahren verweisen.


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