Aktenzeichen: 2 Ss 354/99 OLG Hamm
Senat: 2
Gegenstand: Revision
Stichworte: Betrug, Sozialhilfebetrug, Tatsachengrundlage für Feststellungen fehlt, Nachprüfbarkeit der Feststellungen, falsche Identität, Asylbewerber, Ausländer
Normen: StPO 267
Beschluss: Strafsache gegen 1. M.O.,
2. B.O.,
wegen gemeinschaftlichen Betruges.
Auf die Revisionen der Angeklagten vom 12.01.1999 gegen das Urteil der auswärtigen Strafkammer Recklinghausen des Landgerichts Bochum vom 11.01.1999 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 09.09.1999 durch die Richter am Oberlandesgericht Mosler, Burhoff und Eichel nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
Das angefochtene Urteil wird mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Bochum zurückverwiesen.
Gründe: I. Das Landgericht hat die Angeklagten wegen gemeinschaftlichen Betruges zu einer Freiheitsstrafe von jeweils einem Jahr und neun Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt und folgende Feststellungen getroffen:
"Die Angeklagten sind türkische Staatsangehörige. Am 15.12.1989 reisten sie illegal zusammen mit ihrem am 03.08.1989 geborenen Sohn Cemil mit einem Bus über Österreich nach Deutschland. In der Türkei hatten sie sich einer Schlepperorganisation anvertraut, deren Mitarbeiter sie für die Zahlung von 5.000 Dollar bis nach Oer-Erkenschwick brachten. Angeblich auf Anraten der Schleuser behaupteten sie gegenüber den deutschen Behörden, insbesondere auch gegenüber den Mitarbeitern des Sozialamtes bei der Stellung des Sozialhilfeantrages, sie seien in Beirut im Libanon geboren und jetzt direkt aus dem Libanon nach Deutschland eingereist. Legitimationspapiere bzw. Pässe besäßen sie nicht. Der Angeklagte nannte sich Mahmoud Belal, die Angeklagte nannte sich Baschira Belal, ihrem Sohn gaben sie den Namen Jamil Belal. Die falsche Identität legten sich die Angeklagten deshalb zu, weil sie sich davon versprachen, aufgrund der Kriegswirren im Libanon langfristig in Deutschland bleiben zu können und somit auf Dauer staatliche Leistungen, insbesondere Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz beziehen zu können. Ihnen war klar, dass sie bei Preisgabe ihrer wahren Identität mit der schnellen Abschiebung in die Türkei rechnen mussten, da sie keine Chance hatten, als asylberechtigt anerkannt zu werden.
Der Asylantrag der Angeklagten ist am 30.11.1990 rechtskräftig abgelehnt worden. Eine Abschiebung erfolgte nicht, da sie keine Ausweispapiere vorlegen konnten und seinerzeit wegen der Bürgerkriegszustände Abschiebungen in den Libanon nicht erfolgten.
Während ihres Aufenthaltes in Deutschland wurden drei weitere Kinder geboren, ein Sohn und zwei Töchter. Sie nannten sie Z.B. (geboren 15.11.1990), M.B. (geboren 27.12.1992) und J. B. (geboren 06.01.1996).
Am 09.02.1995 fand bei dem Onkel des Angeklagten, dem R.O., eine Hausdurchsuchung in Bad Endbach statt. Im Wohnzimmerschrank unter der Wäsche fanden die eingesetzten Beamten die Originalpässe der Angeklagten, so dass ihre Identität aufgedeckt wurde.
Seit ihrer Einreise in die Bundesrepublik beziehen die Angeklagten Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz. Von 1993 bis einschließlich 1997 erhielten sie Leistungen in Höhe von 221.584,63 DM. Zur Zeit beziehen sie Sozialhilfe in Höhe von 2.020,- DM zuzüglich Miete und Wohngeld.
Die Angeklagten beabsichtigen, in Deutschland zu bleiben. Sie wollen die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben. Am 25.11.1998 haben sie einen weiteren Asylantrag gestellt. In der Hauptverhandlung konnte nicht geklärt werden, wie die Pässe der Angeklagten in die Wohnung des R. O. gelangt sind."
Diese Feststellungen beruhen, so das Landgericht, auf den umfassenden und glaubhaften Geständnissen der Angeklagten. Diese hätten freimütig eingeräumt, dass sie sich eine falsche Identität zugelegt hätten, weil sie nur so die Chance gesehen hätten, Asyl zu bekommen und damit längerfristig in Deutschland bleiben zu können. Sie seien nach Deutschland gekommen, weil hier die Menschenrechte beachtet würden. In der Türkei seien sie von den Sicherheitskräften geschlagen und bedroht worden. Ihre Pässe hätten sie den Schleppern ausgehändigt. Diese hätten sie behalten.
Ergänzend zu den oben angeführten tatsächlichen Feststellungen hat das Landgericht im Rahmen der rechtlichen Würdigung ausgeführt, die Angeklagten wären bei Offenbarung ihrer türkischen Nationalität und Ablehnung ihrer Asylanträge spätestens Ende 1992 in ihre Heimat abgeschoben worden, so dass ab 1993 bei Kenntnis des richtigen Sachverhaltes keine Sozialhilfe mehr gezahlt worden wäre.
Die Angeklagten rügen mit ihren Revisionen mit näherer Begründung die Verletzung materiellen Rechts.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revisionen der Angeklagten gemäß § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen.
II. Die Revisionen sind zulässig und haben auch in der Sache einen - zumindest vorläufigen - Erfolg.
Zwar begegnet die Verurteilung wegen Betruges in Fällen der vorliegenden Art grundsätzlich keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die wahrheitswidrigen Angaben der Angeklagten zu ihrer Identität gegenüber den staatlichen Stellen hat, ausgehend von den landgerichtlichen Feststellungen, letztlich zu einer deutlich längeren Zahlung von Sozialhilfe geführt als es im Falle wahrheitsgemäßer Angaben geschehen wäre. Das Verfahrenshindernis der Strafverfolgungsverjährung liegt, entgegen der Auffassung der Revisionsführer, ebenfalls nicht vor, da die Verjährung, worauf die Generalstaatsanwaltschaft zu Recht hinweist, durch die Anordnung der verantwortlichen Vernehmung der Angeklagten am 23.12.1997 gemäß § 78 c Abs. 1 Nr. 1 StGB unterbrochen worden ist.
Gleichwohl unterliegt das Urteil der Aufhebung. Die Urteilsgründe sind lückenhaft. Es ist nicht ersichtlich, aufgrund welcher Beweismittel das Landgericht die für den Betrugsschaden entscheidungserhebliche Feststellung, die Angeklagten wären bei Angabe ihrer wahren Identität spätestens Ende 1992 abgeschoben worden, zu treffen in der Lage war.
Zwar müssen die Urteilsgründe nicht alle erhobenen Beweise im einzelnen anführen (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Auflage, § 267 Rn. 12 m.w.N.). Sie müssen aber erkennen lassen, um die sachlich-rechtliche Nachprüfung durch das Revisionsgericht zu ermöglichen, dass die Beweisführung bzw. -würdigung auf einer nachvollziehbaren Tatsachengrundlage beruht. Die Regeln der Logik verlangen eine klare, folgerichtige und von Lücken und Widersprüchen freie Beweisführung (vgl. Engelhardt in KK, StPO, 4. Aufl., § 261 Rdnr. 45 und 47, jeweils m.w.N.).
Ausweislich der Gründe des angefochtenen Urteils beruhen die getroffenen Feststellungen auf den geständigen Angaben der Angeklagten. Darauf lässt sich die Annahme des spätestmöglichen Abschiebezeitpunktes indes nicht stützen. Nach dem vom Landgericht mitgeteilten Inhalt der Einlassungen der Angeklagten haben diese dazu nichts ausgesagt; im übrigen dürfte es auszuschließen sein, dass die Angeklagten überhaupt in der Lage sind oder waren, insoweit verlässliche und fundierte Angaben zu machen. Auszuschließen ist auch, dass die fragliche Tatsache des Abschiebezeitpunktes gerichtsbekannt gewesen sein könnte.
Das Landgericht hätte daher, um entsprechende Feststellungen treffen zu können, geeignete Beweise, etwa durch die Vernehmung von Mitarbeitern der Ausländerbehörde, erheben müssen.
Der aufgezeigte Rechtsfehler, auf dem das Urteil beruht, zwingt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Bochum, die auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben wird.
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