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Rechtsprechung


Aktenzeichen: 2 Ss 643/03 OLG Hamm

Leitsatz: Bei einem Angeklagten, der in einem Zeitraum von rund 10 Jahren zehnmal strafrechtlich in Erscheinung getreten ist, verstößt die Verhängung einer kurzfristigen Freiheitsstrafe nicht gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.
Zum erforderlichen Umfang der tatsächlichen Feststellungen, wenn die Bildung einer Gesamtstrafe in Betracht kommt.

Senat: 2

Gegenstand: Revision

Stichworte: kurzfristige Freiheitsstrafe; Verhältnismäßigkeitsgrundsatz; Bagatelldelikt; Gesamtstrafenbildung; Feststellungen

Normen: StGB 47; StGB 46, StGB 55; GG Art. 19

Beschluss: Strafsache
gegen A.P.
wegen Diebstahls.

Auf die Revision des Angeklagten vom 27. August 2003 gegen das Urteil der 14. kleinen Strafkammer des Landgerichts Bochum vom 26. August 2003 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 01. 12. 2003 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft einstimmig gem. § 349 Abs. 2. 4 StPO beschlossen:

Das Urteil des Landgerichts Bochum vom 26. August 2003 wird im Rechtsfolgenausspruch hinsichtlich der gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Bochum zurückverwiesen.
Im Übrigen wird die Revision verworfen.

Gründe:
I.
Das Amtsgericht - Strafrichter - Herne-Wanne hat den Angeklagten wegen Diebstahls einer geringwertigen Sache und wegen vorsätzlicher Körperverletzung verurteilt. Auf die dagegen gerichtete Strafmaßberufung des Angeklagten hat das Landgericht gegen den Angeklagten eine Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Monaten festgesetzt. Es hat für den Diebstahl einer geringwertigen Sache eine Einzelstrafe von zwei Monaten und für die gefährliche Körperverletzung eine Einsatzstrafe von vier Monaten zugrunde gelegt. Dagegen wendet sich der Angeklagte nun noch mit der form- und fristgerecht eingelegten Revision. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben.

II.
Nach den getroffenen Feststellungen hat der Angeklagte am 05. September 2001 bei der Firma A. in Herne-Wanne eine Pendel-Hub-Stichsäge zum Verkaufspreis von 29,98 DM entwendet und sich anschließend gegen das Festhalten durch Mitarbeiter der Firma Aldi mit Schlägen gewehrt.

Zu den persönlichen Verhältnissen des geständigen, 30 Jahre alten Angeklagten hat das Landgericht festgestellt, dass dieser betäubungsmittelabhängig ist und bei den Taten die Voraussetzungen des § 21 StGB vorgelegen haben. Das Landgericht hat außerdem festgestellt, dass der Angeklagte in dem Zeitraum von 1990 bis 2001 insgesamt zehn Mal wegen Diebstahls oder wegen Verstoßes gegen das BtM-Gesetz mit jugendrechtlichen Maßnahmen belegt worden bzw. auch schon zu Freiheitsstrafen verurteilt worden. ist. Zuletzt hat das Amtsgericht Hagen ihn 1998 u.a. wegen räuberischen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist, verurteilt.

Die Strafzumessung hat das Landgericht u.a. wie folgt begründet:

„Die Kammer hat sowohl für den Diebstahl geringwertiger Sachen als auch für die einfache Körperverletzung die Verhängung einer kurzfristigen Freiheitsstrafe unter 6 Monaten für erforderlich erachtet gemäß § 47 Abs. 1 StGB. Die Kammer hat hier besondere Umstände in der Persönlichkeit des Täters gesehen, die es erforderlich machen, hier eine kurzfristige Freiheitsstrafe zu verhängen. Der Angeklagte war zum Zeitpunkt der Taten Bewährungsversager. Er war oft und nicht unerheblich vorbestraft und hatte sich insbesondere die Verurteilung durch zwei Geldstrafen nicht zur Warnung dienen lassen, sondern völlig unbeeindruckt davon neue Straftaten begangen....“
III.
Die zulässige Strafmaßrevision hat - zumindest vorläufig - Erfolg. Das Landgericht hat übersehen, dass die Verurteilung durch Strafbefehl des Amtsgerichts Paderborn vom 14. 2. 2003 gesamtstrafenfähig ist.

1. Entgegen der Ansicht der Revision ist nicht zu beanstanden, dass das Landgericht wegen des Diebstahls einer geringwertigen Sache überhaupt eine kurzfristige Freiheitsstrafe festgesetzt hat. Dies verstößt nicht gegen das Übermaßverbot.

Zutreffend geht die Revision zwar davon aus, dass die obergerichtliche Rechtsprechung mehr und mehr dazu übergeht, bei der Verurteilung wegen eines Bagatelldelikts die Verhängung einer kurzfristigen Freiheitsstrafe als unangemessen anzusehen (vgl. OLG Stuttgart NJW 2002, 3188; OLG Braunschweig NStZ-RR 2002, 78, Senat in StraFo 2003, 99 und 177; Beschluss des 3. Strafsenat v. 20. 3. 2003, 3 Ss 78/03, http://www.burhoff.de), womit sich das Landgericht nicht auseinandergesetzt hat. Dies ist vorliegend jedoch im Ergebnis nicht zu beanstanden. Denn der Senat hat bereits in seinem Beschluss vom 7. Februar 2003 (2 Ss 3/03, StraFo 2003, 177) darauf hingewiesen, dass das Übermaßverbot nicht zu einem generellen Ausschluss der Verhängung einer kurzfristigen Freiheitsstrafe führt. Vielmehr kann, wenn bei einem Angeklagten eine Häufung von Taten mit geringer Schuld festzustellen ist, aufgrund der Häufung ein hartnäckiges rechtsmissbräuchliches und gemeinschädliches Verhalten angenommen werden, das die Verhängung einer auch kurzfristigen Freiheitsstrafe rechtfertigt (so im Übrigen auch schon Senat in StraFo 2003, 99 und auch OLG Stuttgart NJW 2002, 3188). Das Übermaßverbot führt nur dann zu einem Ausschluss der Verhängung einer kurzfristigen Freiheitsstrafe, wenn die verhängte Strafe in einem groben Missverhältnis zum Tatunrecht und der Tatschuld steht und gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstößt. Davon kann aber bei einem Angeklagten, der wie vorliegend der Angeklagte zwischen 1990 und 2001 zehnmal strafrechtlich wegen Diebstahls bzw. sonstiger Eigentumsdelikte und wegen Verstoßes gegen das BtM-Gesetz in Erscheinung getreten ist, nicht die Rede sein. Das Verhalten des Angeklagten zeigt vielmehr, dass er - wenn überhaupt - dann nur (noch) mit einer Freiheitsstrafe zu beeindrucken ist.

2. Demgemäss ist auch die übrige Begründung der kurzfristigen Freiheitsstrafen nicht zu beanstanden. Diese wird den Anforderungen (noch) gerecht. Gemäß § 47 Abs. 1 1. Alternative StGB verhängt das Gericht eine kurze Freiheitsstrafe unter sechs Monaten nur, wenn es deren Verhängung aufgrund besonderer Umstände in der Tat oder in der Persönlichkeit des Täters für unerlässlich erachtet, wenn also unter dem Gesichtspunkt der Spezialprävention der Strafzweck "zur Einwirkung auf den Täter" durch eine Geldstrafe nicht oder kaum zu erreichen ist und aus diesem Grunde eine Freiheitsstrafe unverzichtbar erscheint, um den Täter dazu zu bringen, in Zukunft nicht mehr straffällig zu werden (vgl. BGHSt 24, 165). Nach der gesetzgeberischen Grundentscheidung des
§ 47 StGB soll die Verhängung kurzfristiger Freiheitsstrafen weitestgehend zurückgedrängt werden und nur noch ausnahmsweise unter ganz besonderen Umständen in Betracht kommen. Die Verhängung einer Freiheitsstrafe unter sechs Monaten kann danach regelmäßig nur dann Bestand haben, wenn sie sich aufgrund einer Gesamtwürdigung aller die Tat und den Täter kennzeichnenden Umstände als unverzichtbar erweist (vgl. Urteil des Senats vom 28. Oktober 1998 in 2 Ss 1006/98 = VRS 96, 191; BGHR, StGB, § 47 Abs. 1, Umstände 7 = NStZ 1996, 429; BGH StV 1994, 370 jeweils mit weiteren Nachweisen).

Im Rahmen der Urteilsgründe muss sich der Tatrichter mit den von der Rechtsprechung zur Verhängung einer kurzfristigen Freiheitsstrafe aufgestellten Anforderungen auseinandersetzen. Im Rahmen der Strafzumessung müssen jedoch nicht sämtliche Gesichtspunkte, sondern nur die wesentlichen dargestellt werden, um den in § 46 StGB insoweit festgelegten Anforderungen gerecht zu werden. Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil - entgegen der Ansicht der Revision - noch gerecht. Das Amtsgericht hält die Verhängung einer kurzfristigen Freiheitsstrafe zwar nicht ausdrücklich für "unerlässlich", sondern nur für „erforderlich“. Das ist vorliegend jedoch im Ergebnis deshalb nicht zu beanstanden, weil der Angeklagte in der Vergangenheit - wie dargelegt - bereits in einem solchen Umfang strafrechtlich in Erscheinung getreten ist, dass er - was ebenfalls bereits dargelegt ist - wenn überhaupt, nur noch durch eine Freiheitsstrafe beeindruckt werden kann (vgl. auch Senat in VRS 7, 410).

3. Als rechtsfehlerhaft zu beanstanden ist jedoch, dass das Landgericht nicht geprüft hat, ob mit der dem Strafbefehl des Amtsgerichts Paderborn vom 14. 2. 2003 zugrundeliegenden Tat eine Gesamtstrafe hätte gebildet werden können. Die Generalstaatsanwaltschaft hat ihren Aufhebungsantrag insoweit wie folgt begründet:

„Die form- und fristgerecht eingelegte und begründete Revision des Angeklagten ist zulässig und hat mit der allein erhobenen Sachrüge, die sich nach wirksamer Beschränkung in der Berufung nur noch gegen den Rechtsfolgenausspruch richtet, auch in der Sache Erfolg.

Das Landgericht hat die gem. § 55 StGB erforderliche Prüfung einer Gesamtstrafenbildung mit der Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten aus der Entscheidung des Amtsgerichts Paderborn vom 14.02.2002 - 21 B Cs 36/01 422 Js 13/00 - unterlassen. Da der Angeklagte die den Gegenstand des vorliegenden Verfahrens bildenden Straftaten am 05.09.2001 begangen hat, lagen die Voraussetzungen für die Bildung einer Gesamtstrafe nach § 55 Abs. 1 StGB vor, falls die Freiheitsstrafe zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Urteils noch nicht vollstreckt, verjährt oder erlassen war. Ob dies der Fall war, lässt sich dem angefochtenen Urteil, das lediglich ausführt, die durch das Amtsgericht Paderborn gewährte Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung sei mittlerweile widerrufen worden, nicht hinreichend sicher entnehmen. Die Bestimmung des § 55 StGB ist auch im Berufungsverfahren zu beachten. Die nachträgliche Bildung einer Gesamtstrafe ist zwingend geboten und darf nur dann dem nachträglichen Beschlussverfahren nach § 460 StPO überlassen werden, wenn das Tatgericht aufgrund der ihm vorliegenden Unterlagen keine sichere Entscheidung fällen kann, ohne hierzu noch weitere, mit erheblichem Zeitaufwand verbundene Ermittlungen vornehmen zu müssen, und das Fehlen ausreichender Unterlagen nicht auf ungenügender Vorbereitung der Hauptverhandlung beruht (zu vgl. BGHSt 12, 1, 10; OLG Köln, MDR 1983, 423 m. w. N.). Dass diese Voraussetzungen hier gegeben sind, ist dem angefochtenen Urteil nicht zu entnehmen, das sich darauf beschränkt, die Verurteilung durch das Amtsgericht Paderborn im Rahmen der Vorbelastungen des Angeklagten zu nennen und im Übrigen ausführt, die Gesamtstrafenbildung sei bei der Urteilsverkündung versehentlich unterblieben. Es bleibt insbesondere offen, wann die Strafkammer von der Vorstrafe des Angeklagten Kenntnis erlangt hat, und ob es ihr möglich gewesen wäre, die Strafakte zu beschaffen.

Da sich dem angefochtenen Urteil der Vollstreckungsstand der durch das Amtsgericht Paderborn ausgesprochenen Strafe nicht entnehmen lässt, kann auch nicht festgestellt werden, ob eine Gesamtstrafenbildung dem Grunde nach noch in Betracht kommt. Falls dies nicht mehr möglich sein sollte, weil die einzubeziehende Strafe bereits vollstreckt ist, müsste die Strafkammer - um dem Rechtsgedanken des § 55 Abs. 1 StGB Rechnung zu tragen - einen Härteausgleich vornehmen (zu vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 51. Auflage, Rdnr. 21 ff. zu § 55 StGB m. w. N.). Das Unterlassen eines gebotenen Härteausgleichs führt zur Aufhebung des gesamten Rechtsfolgenausspruchs und nicht etwa nur der Gesamtstrafe. Zwar kann der Tatrichter den Härteausgleich nicht nur bei der Zumessung der Einzelstrafen vornehmen, sondern gegebenenfalls auch im Rahmen einer ohnehin erforderlichen Gesamtstrafenbildung berücksichtigen. Welchen Weg des Härteausgleichs er wählt, liegt jedoch allein in seinem Ermessen. Dieses tatrichterliche Ermessen würde eingeschränkt, wenn das Landgericht durch die Aufhebung nur des Gesamtstrafenausspruchs darauf festgelegt würde, einen etwa erforderlichen Härteausgleich bei der Gesamtstrafenbildung vorzunehmen (zu vgl. Senatsbeschluss vom 21.03.2002 - 2 Ss 149/02 -).“

Diesen Ausführungen tritt der Senat nach eigener Prüfung bei und macht sie zur Grundlage seiner Entscheidung. Demgemäss war das angefochtene Urteil aufzuheben. Der Senat hat es allerdings nur im Umfang der Gesamtstrafenbildung aufgehoben; die Festsetzung der Einzelstrafen konnte - wie dargelegt - Bestand haben. Insoweit ist die Revision verworfen worden.


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