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Rechtsprechung


Aktenzeichen: 1 Vollz (Ws) 194/03 OLG Hamm

Leitsatz: Der Besitz von Gegenstände zur Freizeitbeschäftigung darf wegen Gefährdung von Sicherheit und Ordnung der Anstalt nur versagt werden, wenn eine konkrete Gefahr vorliegt, was von der Strafvollstreckungskammer in nachprüfbarer Weise festgestellt werden muss.

Senat: 1

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: Besitz von Freizeitgegenständen; Strafvollzug; nachprüfbare Entscheidung

Normen: StVollzG 70

Beschluss: Strafvollzugssache

betreffend den Strafgefangenen A.M.
wegen Rechtmäßigkeit von Maßnahmen der Justizvollzugsbehörden,
(hier: Genehmigung einer Sony-Playstation 2).

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen vom 23. September 2003 gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bochum vom 22. August 2003 hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 11. 11. 2003 durch den Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung des Präsidenten des Landesjustizvollzugsamtes Nordrhein-Westfalen beschlossen:

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Der angefochtene Beschluss wird mit Ausnahme der Festsetzung des Geschäftswertes aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Behandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bochum zurückverwiesen.

Gründe:
Mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 28. Juli 2003 hat der Betroffene die Aufhebung der Entscheidung der Justizvollzugsanstalt Bochum vom 25. Juli 2003 begehrt, mit der die Aushändigung einer Spielekonsole der Marke „Sony-Playstation 2“ abgelehnt worden ist. Der Leiter der Justizvollzugsanstalt Bochum hat sich zur Begründung seiner Entscheidung auf den Erlass des Justizministers des Landes Nordrhein-Westfalen vom 2. April 2002 berufen. Den gegen diese Entscheidung eingelegten Widerspruch des Verurteilten hat der Präsident des Landesjustizvollzugsamtes Nordrhein-Westfalen mit Bescheid vom 5. August 2003 zurückgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt worden:

„Die Ablehnung ist gemäß § 70 Abs. 2 Nr. 2 StVollzG gerechtfertigt, da der Besitz der beantragten Playstation eine konkrete Gefahr für die Sicherheit und Ordnung der Anstalt darstellt.
Das Gerät ist mit der Option einer mehrseitigen Textspeicherung ausgestattet. Dadurch würden Sie oder Mitgefangene in die Lage versetzt, Daten verschlüsselt oder unverschlüsselt derart zu speichern, dass Sie dem Zugriff und der Überprüfung des Vollzugspersonals entzogen sind. In versteckt angelegten Dateien können Fluchtpläne oder Informationen über Sicherheitsvorkehrungen der Anstalt gespeichert werden, die in einer geschlossenen Anstalt mit der Vollstreckungszuständigkeit der JVA Bochum für langstrafige Gefangene eine konkrete Gefahr für die Sicherheit und Ordnung bedeuten. Darüber hinaus stellt der Besitz des Geräts auch insofern eine konkrete Gefahr für die Sicherheit und Ordnung der Anstalt dar, als es bauartbedingt Hohlräume aufweist und damit Versteckmöglichkeiten für Gegenstände wie Rauschgift, Bargeld oder Kassiber bietet. Da das Gerät ohne Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit nicht versiegelt werden kann, würde es einen unvertretbar hohen Personal- und Zeitaufwand erfordern, um das Gerät auf versteckte Gegenstände hin zu überprüfen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung auch anderen Inhaftierten das Gerät bewilligt werden müsste, falls Ihrem Begehren entsprochen würde.
Es ist kein die Sicherheits- und Ordnungserfordernisse der Anstalt überwiegendes berechtigtes Interesse an der Aushändigung des Geräts erkennbar.“

Mit dem angefochtenen Beschluss hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bochum den Antrag des Betroffenen als unbegründet zurückgewiesen. Die Strafvollstreckungskammer hat zur Begründung ihrer Entscheidung ausgeführt:

„Die Ablehnung des Antrags auf Zulassung einer „Play-Station II“ ist rechts- und ermessensfehlerfrei erfolgt.

Die Ablehnung ist gemäß § 70 Abs. 2 Nr. 2 StVollzG begründet. Der Besitz einer „Play-Station II“ gefährdet die Sicherheit und Ordnung der Anstalt.
Das Gerät besitzt die technische Möglichkeit einer mehrseitigen Textspeicherung. Der Antragsteller oder andere Gefangene wären somit in der Lage, verschlüsselte Daten zu speichern und so dem Zugriff und der Überprüfung durch das Vollzugspersonal zu entziehen. Zudem beinhaltet das Gerät baubedingte Hohlräume, die als Verstecke für Drogen, Kassiber und ähnliches dienen können.“

Die gegen diese Entscheidung gerichtete form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde, mit der der Betroffene eine Verletzung der Aufklärungspflicht rügt, ist
zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung vom Senat zugelassen worden.

Das Rechtsmittel hat auch einen zumindest vorläufigen Erfolg, weil der Beschluss der Strafvollstreckungskammer an einem durchgreifenden Mangel leidet. Für das Verfahren in Strafvollzugssachen gilt der Grundsatz der - von Amts wegen zu erforschenden - „materiellen Wahrheit“ (§ 120 StVollzG, § 244 Abs. 2 StPO). Dies bedeutet, dass die Strafvollstreckungskammer den Sachverhalt, von dem sie ausgehen will, selbst zu überprüfen hat und ggf., wenn die von der Anstalt getroffenen Tatsachenfeststellungen bestritten werden, selbst Beweis zu erheben hat (Senatsbeschluss vom 18. September 2001 - 1 Vollz (Ws) 183/01 -; OLG Frankfurt bei Bungert NStZ 1994, 380; Calliess/Müller-Dietz, Strafvollzugsgesetz, 9. Aufl., § 115 Rdnr. 2). Denn gemäß § 120 StVollzG i.V.m. § 244 Abs. 2 StPO ist die Strafvollstreckungskammer verpflichtet, zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind. Dieser ureigenen Verpflichtung ist die Strafvollstreckungskammer in rechtsfehlerhafter Weise nicht nachgekommen.

Gemäß § 70 Abs. 1 StVollzG darf ein Gefangener in angemessenem Umfang u.a. Gegenstände zur Freizeitbeschäftigung besitzen. Dies gilt nicht, wenn der Besitz, die Überlassung oder die Benutzung des Gegenstandes das Ziel des Vollzuges oder die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt gefährden würde (§ 70 Abs. 2 Nr. 2 StVollzG).

Der Versagungsgrund der Gefährdung von Sicherheit und Ordnung der Anstalt setzt eine konkrete Gefahr voraus, deren Vorliegen in nachprüfbarer Weise festgestellt werden muss. Dabei kann das Vorliegen einer solchen Gefährdung schon allein aufgrund der grundsätzlich gegebenen Eignung eines Gegenstandes zur sicherheits- oder ordnungsgefährdenden Verwendung bejaht werden. Allerdings ergibt sich aus dem Verhältnismäßigkeitsgebot, dass diese Eignung in Beziehung zu den der Anstalt zu Gebote stehenden und von ihr im Rahmen einer ordnungsgemäßen Aufsicht auch anzuwendenden Kontrollmittel gesetzt werden muss. Unter dem Gesichtspunkt der Erforderlichkeit kann die Versagung der Besitzerlaubnis insbesondere nur dann Bestand haben, wenn ein milderes Mittel, etwa die Verplombung oder Versiegelung eines generell-abstrakt gefährlichen Geräts durch die Justizvollzugsanstalt und die ihr mögliche regelmäßige Kontrolle der Plomben und Siegel, nicht in gleicher Weise geeignet ist, der Gefährlichkeit zu begegnen. Schließlich ist im Rahmen der Prüfung der Zumutbarkeit (Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne) zu beachten, dass Belange des Gefangenen, etwa ernsthaft und nachhaltig verfolgtes Interesse an Aus- und Weiterbildung, es ggf. verbieten können, eine nach Schadenswahrscheinlichkeit oder Schadensausmaß geringfügige Gefährdung von Sicherheit und Ordnung der Anstalt zum Anlass für die Verweigerung einer Besitzerlaubnis zu machen (vgl. BVerfG NStZ 1994, 453; BVerfG NStZ-RR 1996, 252; BVerfG NJW 2003, 2447).

Hinreichende Feststellungen und Erwägungen in dem vorbezeichneten Sinne sind dem angefochtenen Beschluss nicht zu entnehmen. Die Strafvollstreckungskammer hat im vorliegenden Fall die generell-abstrakte Gefahr der Spielekonsole „Playstation 2“ nicht hinreichend dargelegt und auch nicht detailliert beschrieben, ob dieser Gefahr durch geeignete Maßnahmen begegnet werden kann. Sie hat sich vielmehr damit begnügt, die Erwägungen des Präsidenten des Landesjustizvoll-
zugsamtes aus dem Widerspruchsbescheid in pauschalierter Form wiederzugeben.

Mangels näherer Beschreibung dieses vom Antragsteller begehrten Telespielgerätes, also insbesondere von Typ, Funktionsweise und Abmessungen des Gerätes ist die von der Strafvollstreckungskammer angenommene Gefährlichkeit des Gerätes einer Überprüfung durch den Senat nicht zugänglich. Angesichts der Tatsache, dass Gefangene in der Justizvollzugsanstalt beispielsweise über CD-Spieler, Fernsehgeräte oder andere Telespielgeräte verfügen, ist nicht ersichtlich, aus welchem Grunde einer Playstation 2 als möglichem Versteck für verbotene Gegenstände ein höherer Gefährdungsgrad zukommt. In diesem Zusammenhang ist auch nicht dargelegt worden, ob eine Verplombung oder Versiegelung des Gerätes und auch von Teilen desselben zur Beseitigung einer Gefährlichkeit möglich ist oder ob die Plomben oder Siegel - ggf. erkennbar - manipuliert werden können und wie sich eine mögliche Sicherung auf die Funktionsfähigkeit dieses Gerätes und den Kontrollaufwand der Justizvollzugsanstalt auswirken kann (vgl. OLG Rostock ZfStrVo 2003, 56). Darüber hinaus hat die Strafvollstreckungskammer ungeprüft die Behauptung der Justizvollzugsanstalt übernommen, das Gerät sei mit einer mehrseitigen Textspeicherung ausgestattet, die Gefangene in die Lage versetze, Daten verschlüsselt oder unverschlüsselt derart zu speichern, dass sie dem Zugriff und der Überprüfung des Vollzugspersonals entzogen seien. Auch hierzu hätte es näherer Erläuterungen der technischen Gegebenheiten bedurft. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, auf welche Art und Weise Texte von den Gefangenen verfasst werden können, ob dies z.B. mit dem Joy-Stick möglich ist. Ferner hat sich die Strafvollstreckungskammer nicht mit dem Gesichtspunkt auseinandergesetzt, ob sich eine mögliche potentiell größere Gefahr aus der Tatsache ergibt, dass durch die Verbindung mit weiteren Geräten ein Zugang zum Internet geschaffen werden kann und somit in vielfältiger Weise Informationen austauschbar werden.

Da im angefochtenen Beschluss die vorstehend genannten notwendigen Feststellungen fehlen, musste er auf die Sachrüge des Beschwerdeführers aufgehoben werden. Eigene Feststellungen zu treffen, war dem Senat in dem revisionsähnlich ausgestalteten Rechtsbeschwerdeverfahren verwehrt. Die Sache war daher zur erneuten Entscheidung an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bochum zurückzuverweisen. Für die neu zu treffende Entscheidung weist der Senat darauf hin, dass die Beurteilung der abstrakten Gefährlichkeit einer Sony-Playstation 2 letztendlich nur aufgrund eines Sachverständigengutachtens beurteilt werden kann. Dies gilt auch für die Frage, ob einer eventuell vorhandenen generell-abstrakten Gefahr durch geeignete Maßnahmen begegnet werden kann. Soweit dies in der Rechtsprechung bereits bejaht worden ist (OLG Karlsruhe ZfStrVo 2003, 244), vermag der Senat nicht zu entscheiden, ob die dort angesprochenen Kontrollmittel die auch nach Auffassung des OLG Karlsruhe gegebene abstrakte Gefährlichkeit hinreichend beseitigen (vgl. Anmerkung zu diesem Beschluss ZfStrVo 2003, 246; OLG Rostock ZfStrVo 2003, 56; Beschluss Brandenburgisches Oberlandesgericht vom 25. August 2003 - 1 Ws (Vollz) 14/03).

Bei der neu vorzunehmenden Prüfung, ob die Überlassung einer Sony-Playstation 2 die Sicherheit und Ordnung der Anstalt i.S.v. § 70 Abs. 2 Nr. 2 StVollzG gefährden würde, sind darüber hinaus auch die konkreten Gegebenheiten in der Justizvollzugsanstalt Bochum, insbesondere ihr Sicherheitsinteresse, gegen das Interesse des Strafgefangenen an dem Besitz des Gerätes abzuwägen (OLG Rostock, a.a.O.; OLG München BLStVkunde 2001, Nr. 4/5, 2 - 3; OLG Nürnberg NStZ-RR 2002, 191; OLG Jena NStZ-RR 2003, 221). Ferner ist die individuelle Gefährlichkeit des Antragstellers und die von ihm ausgehende Missbrauchsgefahr angemessen zu berücksichtigen.

Der Senat verkennt nicht, dass nach dem jetzigen Erkenntnisstand eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit des Ergebnisses der Strafvollstreckungskammer spricht, mit anderen Worten also der abstrakten Gefährlichkeit der Sony-Playstation nicht hinreichend begegnet werden kann, so dass der Versagungsgrund des § 70 Abs. 2 Nr. 2 StVollzG gegeben ist. Im Interesse der Rechtssicherheit bedarf es aber der näheren Aufklärung der technischen Einzelheiten und Möglichkeiten des Missbrauchs, die nur mit Hilfe eines Sachverständigengutachtens erfolgen kann.

Nach alledem war der angefochtene Beschluss aufzuheben und die Sache zur erneuten Aufklärung und Entscheidung an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bochum zurückzuverweisen.


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