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Rechtsprechung


Aktenzeichen: 1 Vollz (Ws) 152/03 OLG Hamm

Leitsatz: Zur Abgrenzung des „Ausgangs“ von der „Ausführung“ im Sinne des StVollzG

Senat: 1

Gegenstand: Maßregelvollzugssache

Stichworte: Ausgang; Ausführung; Strafvollzug; Begleitperson, Ermessen

Normen: StVollzG 11

Beschluss: Maßregelvollzugssache
betreffend den Sicherungsverwahrten K.J.
wegen Rechtmäßigkeit von Maßnahmen der Vollzugsbehörden, (hier: Gewährung von Lockerungsmaßnahmen).

Auf die Rechtsbeschwerde des Leiters der Justizvollzugsanstalt Aachen vom 10. Juli 2003 gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Aachen vom 3. Juni 2003 hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 20. 11. 2003 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht und die Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung des Präsidenten des Landesjustizvollzugsamtes Nordrhein-Westfalen und des Betroffenen beschlossen:

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Der angefochtene Beschluss wird mit Ausnahme der Festsetzung des Ge-
schäftswertes aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Aachen zurückverwiesen.

Gründe:
Der Betroffene ist durch Urteil des Landgerichts Duisburg vom 10. Oktober 1991 wegen Vergewaltigung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und zur Unterbringung in der Sicherungsverwahrung verurteilt worden. Nach vollständiger Verbüßung der Freiheitsstrafe wird die Sicherungsverwahrung seit April 1999 in der Justizvollzugsanstalt Aachen vollzogen. Der Betroffene hat bei dem Leiter der Justizvollzugsanstalt Aachen einen Antrag auf Gewährung einer Fachdienstausführung in Begleitung der Anstaltspsychologin Frau K. gestellt, der abschlägig beschieden worden ist. Seinen hiergegen gerichteten Widerspruch hat der Präsident des Landesjustizvollzugsamtes Nordrhein-Westfalen mit Bescheid vom 6. Dezember 2002 zurückgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, bei der beantragten Lockerungsmaßnahme handele es sich der Sache nach nicht um eine Ausführung, sondern um einen Ausgang in Begleitung eines Bediensteten. Bei dieser Lockerungsform (nämlich Ausgang) erfolge - anders als bei einer Ausführung - eine ständige und unmittelbare Beaufsichtigung durch die Begleitperson nicht. Hierfür sei der Betroffene jedoch (noch) nicht geeignet, da bei ihm der Missbrauch der Lockerungsmaßnahme zur Flucht oder zur Begehung weiterer Straftaten nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden könne. Wegen der weiteren Einzelheiten hinsichtlich der Begründung des Widerspruchsbescheides wird auf dessen in dem angefochtenen Beschluss wie-
dergegebenen Inhalt Bezug genommen.

Auf den hiergegen gerichteten Antrag des Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung hat die Strafvollstreckungskammer mit dem angefochtenen Beschluss den Bescheid des Leiters der Justizvollzugsanstalt Aachen und den Widerspruchsbescheid des Präsidenten des Landesjustizvollzugsamtes Nordrhein-Westfalen aufgehoben und die Vollzugsbehörde verpflichtet, den Betroffenen unter Beachtung ihrer Rechtsauffassung neu zu bescheiden. Die tragende Begründung hierfür lautet:

„Der angefochtene Bescheid und der Widerspruchsbescheid des Präsidenten des Landesjustizvollzugsamtes Nordrhein-Westfalen gehen schon insofern von unzutreffenden rechtlichen Voraussetzungen aus, als sie die begehrte Lockerung als „Begleitausgang“ bezeichnen. Tatsächlich steht vorliegend jedoch kein Ausgang in Rede. § 11 Abs. 1 Ziffer 2 StVollzG definiert Ausgang als das Verlassen der Anstalt durch einen Gefangenen (bzw. Sicherungsverwahrten) ohne Aufsicht eines Vollzugsbediensteten. Das Verlassen der Anstalt unter Aufsicht wird hingegen als Ausführung definiert. Diese gesetzliche Definition geht dabei nur davon aus, dass der Gefangene durch einen „Vollzugsbediensteten“ beaufsichtigt wird. Hierbei wird es sich zwar in der Regel um einen Angehörigen des allgemeinen Vollzugsdienstes handeln (Kühling/Ullenbruch in Schmidt/Böhm/Strafvollzugsgesetz, § 11 Rdnr. 6), zwingend ist dies jedoch nicht. Vielmehr wird es gerade auch als sinnvoll erachtet, dass Gefangene von einem Bediensteten ausgeführt werden, zu dem ein besonderes Vertrauensverhältnis besteht. Die Erwägung, Fachdienste könnten die vorgeschriebene ständige und unmittelbare Beaufsichtigung nicht leisten, insbesondere soweit es sich um Sicherungsverwahrte handelt, mögen im Rahmen der anzustellenden Ermessensausübung von Bedeutung sein. Sie führen aber nicht dazu, eine Fachdienstausführung (wie sie früher plastisch bezeichnet wurde) als Ausgang anzusehen.“

Gegen diese Entscheidung richtet sich die in zulässiger Weise erhobene und näher begründete Rechtsbeschwerde des Leiters der Justizvollzugsanstalt Aachen.

Das Rechtsmittel, dessen Zulassung zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten ist, hat einen zumindest vorläufigen Erfolg und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, denn bei der von dem Betroffenen beantragten Lockerungsmaßnahme („Fachdienstausführung“) handelt es sich ihrer Rechtsnatur nach entgegen der Annahme der Strafvollstreckungskammer nicht um eine Ausführung, sondern - wie mit der Rechtsbeschwerde zutreffend geltend gemacht - um einen Ausgang i.S.v. § 11 Abs. 1 Nr. 2 StVollzG. Der Einordnung der von dem Betroffenen beantragten und der Vollzugsbehörde abgelehnten Lockerungsmaßnahme als Ausgang steht auch nicht entgegen, dass das von dem Betroffenen angestrebte Verlassen der Justizvollzugsanstalt „in Begleitung der Anstaltspsychologin Frau K.“ erfolgen soll. Denn auch bei einem solchen Verlassen der Anstalt durch den Betroffenen handelt es sich nicht um eine Ausführung, sondern um einen sogenannten „Begleitgang“, der der Sache nach aber einen Ausgang darstellt. Ausführung (i.S.v. § 11 Abs. 1 Nr. 2 StVollzG) bedeutet demgegenüber, dass der Gefangene die Vollzugsanstalt (nur) unter Aufsicht eines oder mehrerer Vollzugsbediensteter verlassen darf, wobei diese Aufsicht sicherstellen soll, dass der Betroffene das Verlassen der Anstalt nicht zur Flucht, zur Begehung von Straftaten oder zu einem anderen Missbrauch der Lockerungsmaßnahme nutzt. Eine diesen Anforderungen genügende Beaufsichtigung ist bei der Begleitung eines männlichen Gefangenen durch eine Anstaltspsychologin aus den von der Rechtsbeschwerde angeführten Gründen (z.B. Ausschluss der Begleitung eines Toilettenganges) nicht gewährleistet. Die von dem Betroffenen konkret beantragte Maßnahme stellt deswegen trotz ihrer Bezeichnung als „Ausführung“ eine solche gerade nicht dar, sondern - da das Verlassen der Justizvollzugsanstalt nicht unter der Aufsicht eines Vollzugsbediensteten im Sinne der obigen Ausführungen sondern lediglich in „Begleitung“, d.h. in Anwesenheit der Anstaltspsychologin erfolgen soll - einen Ausgang in Form eines sogenannten Begleitganges dar. Die Strafvollstreckungskammer hat demzufolge ihren Erwägungen, ob der Betroffene für die von ihm beantragte Lockerungsmaßnahme geeignet ist, den hier nicht zutreffenden Begriff der Ausführung zugrunde gelegt und dementsprechend bei ihrer Überprüfung des durch die Vollzugsbehörde ausgeübten Ermessens hinsichtlich der Anforderungen an die Person des Betroffenen einen unrichtigen Maßstab angelegt. Dies führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an die Strafvollstreckungskammer zur Prüfung, ob die Ablehnung des beantragten Ausganges i.S.v. § 11 Abs. 1 Nr. 2 StVollzG durch die Vollzugsbehörde ermessensgerecht war.


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