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Rechtsprechung


Aktenzeichen: 4 Ws 576 - 578/03 OLG Hamm

Leitsatz: Zur Zulässigkeit eines Rechtsmittels gegen eine nach § 153 StPO ergangene Einstellungsentscheidung und zur Verwirkung des Rechtsmittels der Beschwerde, wenn die Justizbehörden mehr als ein Jahr untägig geblieben sind.

Senat: 1

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: Einstellung wegen Geringfügigkeit; Beschwerde; Anfechtung; Zustimmung der Staatsanwaltschaft; Verwirkung; Zeitablauf

Normen: StPO 153

Beschluss: Strafsache
gegen G.T. u.a.,
wegen Körperverletzung (hier: Beschwerden der Staatsanwaltschaft Paderborn gegen die Einstellung des Verfahrens).

Auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Paderborn vom 29. Juli 2003 gegen die Beschlüsse der 5. großen Jugendkammer des Landgerichts Paderborn vom 20. Juni 2002 hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 13. 11. 2003 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und der früheren Angeklagten bzw. deren Verteidiger beschlossen:

Die Beschwerde wird auf Kosten der Landeskasse, die auch die den früheren Angeklagten insoweit erwachsenen notwendigen Auslagen zu erstatten hat, als unzulässig verworfen.

Gründe:
Den ehemaligen Angeklagten war mit Anklageschriften der Staatsanwaltschaft Paderborn vom 10. Dezember 2001 (betreffend T. und M.) und vom 15. Januar 2002 (betreffend A.) zur Last gelegt worden, am 30. Oktober 2001 gemeinschaftlich handelnd eine versuchte schwere räuberische Erpressung in Tateinheit mit einer gefährlichen Körperverletzung begangen zu haben. Am Tattage sollen sie gemeinsam mit weiteren Mittätern von dem Zeugen die Zahlung von 1.000,- $ für „den Ausstieg“ aus der gemeinsamen Diebesbande verlangt haben. Als der Zeuge sich weigerte, soll der ehemalige Angeklagte T. ihm mit einem Schraubendreher fünf Mal in den Rücken gestochen haben. Der ehemalige Angeklagte M. soll ihn mit einem Messer bedroht und mit Fäusten ins Gesicht geschlagen haben. Trotz dieser massiven Gewaltanwendungen zahlte das Opfer nicht. Es gelang ihm wegzulaufen.

Durch Beschlüsse vom 04.03.2003 wurden die Anklagen zugelassen, beide Verfahren verbunden und das Hauptverfahren vor dem Jugendschöffengericht in Höxter eröffnet.

In der Hauptverhandlung vom 26. März 2002 - der Geschädigte war als Zeuge nicht erschienen - hat das Jugendschöffengericht ohne Durchführung der Beweisaufnahme „nach ausführlicher Erörterung der Sach- und Rechtslage und Anhörung der Beteiligten nach Beratung“ das Verfahren „gemäß § 269 StPO" (gemeint war offensichtlich § 270 StPO, dessen Voraussetzungen erkennbar nicht vorlagen) an das Landgericht Paderborn - Jugendkammer - verwiesen. Dies wurde damit begründet, dass im Falle einer möglichen Verurteilung und der möglichen Anwendung von Erwachsenenstrafrecht bei den heranwachsenden Angeklagten eine Mindest-Freiheitsstrafe von fünf Jahren zu verhängen sei und damit die Strafgewalt des Amtsgerichts überschritten wäre.

Die Jugendkammer, die sich offensichtlich durch diese Verweisung - zu Unrecht - gebunden fühlte, hat daraufhin Termin zur Hauptverhandlung auf den 20. Juni 2002 anberaumt. Zu diesem Termin erschien der Geschädigte erneut als Zeuge nicht. Die Angeklagten erklärten sich zu einer Äußerung zur Sache nicht bereit. Daraufhin wurden sie um Erklärungen zu einem etwaigen Entschädigungsanspruch gebeten (die ehemaligen Angeklagten T. und A. hatten sich bis zur Verhandlung vor dem Jugendschöffengericht in Untersuchungshaft befunden). Während der Angeklagte M. auf Entschädigung verzichtete, gab T. keine Erklärung ab, A. beantragte ausdrücklich eine solche.

Im Anschluss daran wurde auf Antrag der Staatsanwaltschaft das Verfahren hinsichtlich des Angeklagten T. gemäß § 154 a Abs. 2 StPO auf den Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung beschränkt und anschließend mit Zustimmung aller Beteiligten gemäß § 153 Abs. 2 StPO eingestellt. Sodann vernahm die Kammer den Polizeibeamten K., welcher im Ermittlungsverfahren den anderweitig verfolgten M. vernommen hatte. Im Anschluss an diese Vernehmung wurden die Verfahren gegen die verbliebenen Angeklagten in gleicher Weise wie bei T. eingestellt. Ferner wurde festgestellt, dass die Landeskasse verpflichtet sei, die Angeklagten M. und A. für die Verfolgungsmaßnahmen zu entschädigen. Dabei wurde offensichtlich übersehen, dass M. zuvor auf eine Entschädigung verzichtet hatte. Bezüglich des Angeklagten T. wurde eine Entschädigungspflicht abgelehnt, weil dies nicht der Billigkeit entspreche.

Mit Schreiben vom 14. August 2002 wurden die Angeklagten A. und M. aufgefordert, ihre Entschädigungsansprüche geltend zu machen. In diesem Schreiben wurden sie ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Entscheidung des Gerichts über die Entschädigung seit 28. Juni 2002 rechtskräftig sei. Daraufhin meldete der frühere Angeklagte A. mit Schreiben vom 17. Februar 2003 eine Entschädigung in Höhe von 998,04 € an. Ohne dass der Akte eine weitere Bearbeitung nach dem 17. Februar 2003 zu entnehmen ist, legte die Staatsanwaltschaft Paderborn unter dem 29. Juli 2003, beim Landgericht Paderborn eingegangen am 1. August 2003, Beschwerde gegen die Beschlüsse vom 20.06.2002, durch die die Verfahren gegen die Angeklagten gemäß § 154 a Abs. 2 StPO beschränkt und wegen des Vorwurfs der gefährlichen Körperverletzung gemäß § 153 Abs. 2 StPO eingestellt worden sind, ein und beantragte gemäß § 154 a Abs. 3 S. 2 StPO die Wiedereinbeziehung des ausgeschiedenen Vorwurfs der versuchten schweren räuberischen Erpressung. Die Jugendkammer hat durch Beschluss vom 12. September 2003 der Beschwerde nicht abgeholfen.

Die Generalstaatsanwaltschaft ist dem Rechtsmittel der örtlichen Staatsanwaltschaft beigetreten.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Sie ist als unzulässig zu verwerfen.

Dies ergibt sich allerdings nicht aus § 153 Abs. 2 S. 4 StPO. Nach dieser Bestimmung ist der Beschluss, mit dem das Gericht das Verfahren gemäß § 153 Abs. 2 StPO wegen Geringfügigkeit einstellt, zwar grundsätzlich nicht anfechtbar. Die Bestimmung ist aber seit jeher dahin einschränkend ausgelegt worden, dass die Unanfechtbarkeit sich lediglich auf die Ermessensentscheidung über die Einstellung bezieht, die Beschwerde dann jedoch gegeben ist, wenn eine prozessuale Voraussetzung für die Einstellung fehlt, etwa dann, wenn das Verfahren ein Verbrechen zum Gegenstand hat oder wenn eine erforderliche Zustimmung nicht oder nicht wirksam erklärt worden ist (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 46. Aufl., § 153 Rn. 34; LR-Beulke, StPO, 25. Aufl., § 153 Rn. 82; OLG Hamm, Beschluss vom 9. Januar 2003 in 3 Ws 462/02; Beschluss vom 31. März 1998 in 1 Ws 84/98). Die Beschwerde war daher, gestützt auf die Behauptung, Gegenstand des Verfahrens sei ein Verbrechen (versuchte schwere räuberische Erpressung) gewesen, die gesetzlichen Voraussetzungen des § 153 Abs. 2 StPO hätten damit nicht vorgelegen, zulässig. Ihr kann auch nicht entgegengehalten werden, dass das Verbrechen zuvor gemäß § 154 a Abs. 2 StPO ausgeschieden worden sei. Denn auch diesem Beschluss fehlte die gesetzliche Grundlage und konnte von der Staatsanwaltschaft deshalb angefochten werden. Die Beschränkung diente nach dem oben aufgezeigten Verfahrensablauf allein dem Zweck, von dem angeklagten und zugelassenen Vorwurf des Verbrechens der versuchten schweren räuberischen Erpressung Abstand zu nehmen, um eine Einstellung des gesamten Verfahrens nach § 153 Abs. 2 S. 1 StPO zu ermöglichen. Dies erfolgte ohne nachvollziehbare Sachaufklärung. Die Entscheidung erging damit objektiv willkürlich.

Zudem hätte die Kammer vor endgültiger abschließender Verfahrenseinstellung den ausgeschiedenen Teil wieder einbeziehen müssen. Dann hätte das Verfahren auch formal wieder den Vorwurf eines Verbrechens zum Gegenstand gehabt.

Der Zulässigkeit der Beschwerde steht auch nicht entgegen, dass die Staatsanwaltschaft der vorläufigen Einstellung in der Hauptverhandlung zugestimmt hat. Denn hinsichtlich ihrer Beschwer gelten für Rechtsmittel der Staatanwaltschaft, sofern sie sie nicht ausschließlich zugunsten des Angeklagten eingelegt hat, andere Grundsätze als für den Angeklagten, weil die Staatsanwaltschaft als ein dem Gericht gleichgeordnetes Organ der Strafrechtspflege neben dem Gericht die Verantwortung für die Rechtmäßigkeit und Ordnungsgemäßheit des Verfahrens trägt (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 28. März 1996 - 3 Ws 89/96 -; Beschluss vom 31. März 1998 - 1 Ws 84/98 -; OLG Celle NJW 1966, 1330; LG Krefeld, NJW 1976, 815; Meyer-Goßner a.a.O. vor § 296 Rn. 16 m.w.N.).

Gleichwohl ist das Rechtsmittel unzulässig. Es ist verwirkt. Ausnahmsweise kann auch ein unbefristeter Rechtsbehelf infolge Verwirkung unzulässig werden. Dies gilt dann, wenn der Anfechtungsberechtigte längere Zeit hindurch untätig bleibt, obwohl er die Rechtslage kannte oder in zumutbarer Weise hätte erkennen können (vgl. BVerfGE 32, 305; Meyer-Goßner, a.a.O. vor § 296 Rdnr. 6 m.w.N.). Zwar führt die Tatsache, dass der Berechtigte sich verspätet auf sein Recht beruft, der Zeitablauf allein also, noch nicht zur Verwirkung. Hinzu kommen muss vielmehr, dass er unter Verhältnissen untätig bleibt, unter denen vernünftigterweise etwas zur Wahrung des Rechts unternommen wird (vgl. BVerfG NJW 72, 675, 676).

Bei Verwirkung prozessualer Befugnisse im öffentlichen Recht, wozu das Strafprozessrecht zählt, ist jedoch ferner zu berücksichtigen, dass neben dem schutzwürdigen Vertrauen der Gegenpartei auf das Untätigbleiben des Berechtigten vor allem auch das öffentliche Interesse an der Erhaltung des Rechtsfriedens es rechtfertigen können, die Anrufung eines Gerichts nach langer Zeit als unzulässig anzusehen (vgl. BVerfG a.a.O.). Dieser Aspekt ist gerade auch im Strafprozessrecht zu beachten. Denn der Gesetzgeber hat aus gutem Grund dort kaum die Möglichkeit unbefristeter Rechtsmittel geschaffen. Dies gilt vor allem dann, wenn es um Entscheidungen geht, die den Abschluss des Verfahrens betreffen. Im vorliegenden Fall kommt man nur deshalb zur Annahme eines unbefristeten Rechtsmittels, da der Gesetzgeber offensichtlich die Möglichkeit einer - eklatant - rechtswidrigen Einstellung gemäß § 153 Abs. 2 StPO nicht bedacht und daher eine Anfechtungsmöglichkeit insoweit nicht getroffen hat. Wäre eine Beschwerdemöglichkeit geschaffen worden, hätte es nach der Gesetzessystematik nahegelegen, dass befristete Rechtsmittel des § 311 StPO zu wählen, wie beispielshaft im §§ 206 a Abs. 2, 206 b S. 2, 210 Abs. 2 StPO.

Ausgehend von diesen Überlegungen ist das Rechtsmittel im vorliegenden Fall verwirkt. Schon der Zeitablauf - unter Berücksichtigung des Aspekts der Wahrung des Rechtsfriedens - führt zu dieser Annahme. Die Beschwerde ist erst am 1. August 2003 beim Landgericht eingegangen, mithin mit einer Zeitverzögerung von über einem Jahr. Hinzu kommen Umstände, die bei den ehemaligen Angeklagten das Vertrauen in die Bestandskraft der Entscheidung geweckt haben. So hat die Staatsanwaltschaft bei der Aufforderung zur Anmeldung der Entschädigungsansprüche ausdrücklich auf die Rechtskraft der Entschädigungsentscheidung hingewiesen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war für die Angeklagten offenkundig, dass die dieser Entscheidung zugrunde liegende Einstellungsentscheidung nicht angefochten werden sollte. In diesem Zusammenhang kann auch nicht vollständig unberücksichtigt bleiben, dass die Entscheidungen gerade auf Antrag und Anregung der Staatsanwaltschaft ergangen sind, auch wenn dies für sich allein gesehen nicht zur Unzulässigkeit der Beschwerde führt. Der Umstand kann jedoch bei der Gesamtabwägung mit herangezogen werden.

Eine andere Beurteilung der Schutzwürdigkeit des Vertrauens der ehemaligen Angeklagten in die Bestandskraft der Entscheidung ergäbe sich nur dann, wenn sie selbst erkannt hätten oder hätten erkennen können, dass die Verfahrensweise des Gerichts, der Staatsanwaltschaft und ihrer Verteidiger gegen grundlegende Regeln der Strafprozessordnung verstieß. Dies ist jedoch ausgehend vom Alter und Bildungsstand der Angeklagten nicht ersichtlich. Ferner kann nicht angenommen werden, dass sie etwa dahingehend von ihren Verteidigern belehrt worden sind.

Der Antrag der Staatsanwaltschaft auf Wiedereinbeziehung der gemäß § 154 a Abs. 2 StPO ausgeschiedenen Tatvorwürfe geht ins Leere. Eine solche Einbeziehung kommt nur im laufenden Verfahren in Betracht. Das vorliegende Verfahren ist durch die - aufgrund der Verwirkung des Rechtsmittels - unanfechtbar gewordene Einstellung gemäß § 153 Abs. 2 StPO beendet. Der Senat hat im vorliegenden Verfahren nicht darüber zu entscheiden, ob der Verbrechensvorwurf zum Gegenstand einer neuen Anklage gemacht werden kann (vgl. zur Frage der erneuten Strafverfolgung KK-Schoreit, StPO, 5. Aufl., § 153 Rn. 63 u. 64).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 StPO.


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