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Rechtsprechung


Aktenzeichen: 1 Ss 24/04 OLG Hamm

Leitsatz: 1. Zur Erheblichkeit einer vor einem Kind i.S.d. §§ 176 Abs. 3 Nr. 1, 184 c StGB vorgenommenen (sexuellen) Handlung.
2. Stützt sich der Tatrichter bei seiner Beweiswürdigung aber auf ein Sachverständigengutachten, so ist in den Urteilsgründen eine verständliche, in sich geschlossene Darstellung der dem Gutachten zugrunde liegenden Anknüpfungstatsachen, der wesentlichen Befundtatsachen und der das Gutachten tragenden fachlichen Begründung erforderlich.

Senat: 1

Gegenstand: Revision

Stichworte: sexuelle Handlung; Erheblichkeit; Sachverständigengutachten; Anforderungen an die Urteilsgründe

Normen: StGB 184 c; StPO 261

Beschluss: Strafsache

gegen F.K.
wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes.
Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts - Jugend-
schöffengericht - Olpe vom 25. November 2003 hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 12. 02. 2004 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht auf Antrag bzw. nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und nach Anhörung des Angeklagten bzw. seines Verteidigers gemäß § 349 Abs. 2 u. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen mit den insoweit zugrunde liegenden Feststellungen hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs aufgehoben und im Schuldspruch dahin berichtigt, dass der Angeklagte wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit exhibitionistischer Handlung (§§ 176 Abs. 3 Nr. 1, 183, 52 StGB) verurteilt ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Olpe zurückverwiesen.

Gründe:
I.
Der Angeklagte ist durch Urteil des Amtsgerichts - Jugendschöffengericht - Olpe vom 25. November 2003 wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt worden.

Das Amtsgericht hat zu dem Tatgeschehen u.a. folgende Feststellungen getroffen:

„Der Angeklagte, der in den Tagen bzw. Wochen zuvor bereits mehrfach den Kontakt zu dem am 10.01.1992 geborenen Nachbarskind Z.A. gesucht hatte, traf am 05.08.2003 gegen 20.30 Uhr wiederum mit dem Kind zusammen. ... Der Angeklagte ging zu Fuß über die Straße zu der dort auf dem Grundstück Thetener Str. 18 a befindlichen Autowaschanlage. Kurz darauf fuhr das Kind Z.A. mit dem Fahrrad über die T.Straße in dieselbe Richtung. Im Bereich des Grundstücks der Waschanlage trafen der Angeklagte und das elfjährige Kind Z.A., dessen Alter dem Angeklagten zur Tatzeit bekannt war, aufeinander, wobei beide Personen durch einen Bauzaun getrennt waren. Das Kind stand auf der Straße vor dem Bauzaun, während der Angeklagte sich dahinter auf einem Grundstück befand. Der Angeklagte trug eine Trainingshose. Er unterhielt sich mit dem Kind, zog diese Trainingshose herunter und zeigte dem Kind sein erigiertes Glied. Während der Angeklagte dem Kind Z. seinen erigierten Penis zeigte, sprach er das Kind in anzüglicher Weise an. Er sagte dem Kind, dass er es hübsch finde. Außerdem forderte er Z. auf, mit ihm, also dem Angeklagten, etwas im Bett herum zu machen. Nachdem die Zeuginnen M. und V. auf die Situation aufmerksam geworden waren und den Angeklagten sowie das Kind Z.A. angesprochen hatten, entfernte sich der Angeklagte vom Ort des Geschehens. Den Zeuginnen M. und V. sagte Z. sodann: „Der Mann macht Sachen mit mir, die ich nicht will.“

Diese Feststellungen hat das Amtsgericht ausweislich der Urteilsgründe auf die glaubhafte geständige Einlassung des Angeklagten und, was das Randgeschehen betrifft, auf die glaubhaften Bekundungen der Zeuginnen M. und V. gestützt. Das Amtsgericht hat das festgestellte Verhalten des Angeklagten als sexuellen Missbrauch eines Kindes gemäß § 176 Abs. 3 Ziffer 1 StGB gewertet. Den nach seiner Auffassung gleichzeitig verwirklichten Straftatbestand einer exhibitionistischen Handlung gemäß § 183 StGB hat das Amtsgericht auf Konkurrenzebene hinter § 176 Abs. 3 Nr. 1 StGB zurücktreten lassen.

Hinsichtlich der Strafzumessung enthält das angefochtene Urteil folgende Ausführungen:

„Bei der Strafzumessung ist vom Strafrahmen des § 176 Abs. 3 StGB, der Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe androht, auszugehen. In diesem Zusammenhang spricht für den Angeklagten, dass er sich in der Hauptverhandlung geständig gezeigt hat. Der Angeklagte hat durch dieses Geständnis dem geschädigten elfjährigen Kind eine Aussage in der Hauptver-handlung zumindest für diese Instanz erspart. Er hat sich im Übrigen sowohl in der heutigen Hauptverhandlung als auch im gesamten Strafverfahren in einer angemessenen Weise verteidigt. Der Angeklagte hat während der Zeit sei
ner Untersuchungshaft Anstrengungen unternommen, seine - wie er es ein-
schätzt - exhibitionistischen Neigungen therapieren zu lassen. Auch diese Gesichtspunkte wirken sich strafmildernd aus. Eine verminderte Schuldfähigkeit des Angeklagten im Sinne des § 21 StGB kann hingegen nicht ange-
nommen werden. Hierfür ergeben sich keine Anhaltspunkte. Im Übrigen ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass in einem früheren Ver-
fahren bezogen auf einen Tatzeitpunkt im Januar 2002 ein gerichtspsycho-
logisches Gutachten eingeholt worden ist. Dieses Gutachten ist zu dem Ergebnis gekommen, dass bei dem Angeklagten weder eine Schuldun-
fähigkeit noch verminderte Schuldfähigkeit vorlag.

Zu Lasten des Angeklagten ist zunächst die Nachhaltigkeit und Hartnäckigkeit seiner Vorgehensweise zu berücksichtigen. Er hat, wie die Zeugin M. glaub-
haft ausgeführt hat, dem Kind Z.A. bereits in den Tagen vor dem 05.08.2003 nachgestellt und Kontakt zu dem Kind aufgenommen. Ferner wirken sich insbesondere die einschlägigen Vorstrafen zu Lasten des Angeklagten aus. Er ist insgesamt sechsmal vorbestraft, wobei er seit 1986 mehrfach einschlägig strafrechtlich in Erscheinung getreten ist. So wurde er in den Jahren 1986 und 1988 jeweils vom Amtsgericht Lennestadt wegen Vor-
nahme exhibitionistischer Handlungen zu kurzen Freiheitsstrafen unter Straf-
aussetzung zur Bewährung verurteilt. Am 17.09.2001 erkannte das Amtsge-
richt Lennestadt gegen den Angeklagten wegen Vornahme exhibitionistischer Handlungen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kinder in zwei Fällen auf eine Freiheitsstrafe von fünf Monaten unter Strafaussetzung zur Be-
währung. Die Bewährungszeit wurde damals auf die Dauer von vier Jahren festgesetzt. Der Angeklagte stand also, als er die hier gegenständliche Tat beging, wegen der zuvor genannten Sache unter Bewährungsaufsicht. Außerdem wurde in den Jahren 2002 und 2003 gegen den Angeklagten ein Verfahren wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes bzw. wegen versuchten sexuellen Missbrauchs eines Kindes geführt. ... Der Angeklagte hat sich weder durch die einschlägigen Vorstrafen noch durch die Tatsache, dass er wegen einer einschlägigen Vorstrafe unter Bewährungsaufsicht steht, noch durch das zuvor geschilderte durch mehrere Instanzen geführte Strafverfahren, das ebenfalls eine einschlägige Straftat zum Gegenstand hatte, von der Begehung dieser Straftat abhalten lassen. Dies wirkt sich ganz erheblich strafschärfend aus. ...

Unter Berücksichtigung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Gesichtspunkte der Strafzumessung erscheint eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten tat- und schuldangemessen.

Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe ist nicht zur Bewährung auszusetzen. Gemäß § 56 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 StGB setzt das Gericht einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr, die zwei Jahre nicht übersteigt, zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, dass der Verurteilte sich schon die Verurteilung als solche zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine weiteren Straftaten mehr begehen wird, und wenn nach einer Gesamtwürdigung der Tat und der Persönlichkeit des Verurteilten besondere Umstände vorliegen, die dies gerechtfertigt erscheinen lassen. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Der Angeklagte hat zwar während der Untersuchungshaft Anstrengungen unternommen, seine exhibitionistischen Neigungen therapieren zu lassen. Es erscheint aber bereits zweifelhaft, ob dies ausreichend ist, zumal bei dem Angeklagten nicht nur exhibitionistische, sondern auch pädophile Neigungen vorliegen dürften. Dies ergibt sich sowohl aus der Straftat, die dieser Verurteilung zugrunde liegt, als auch aus der Straftat, die Gegenstand des im Jahre 2001 gegen den Ange-
klagten bei dem Amtsgericht Lennestadt geführten Verfahrens war. In diesem Verfahren wie auch in den weiteren Verfahren, die gegen den Angeklagten in jüngster Zeit geführt und letztlich gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt worden sind, wird mit erschreckender Deutlichkeit die Neigung des Angeklagten augenfällig, sexuelle Handlungen an bzw. vor Mädchen im Kindesalter vor-
zunehmen. Der Angeklagte ist in diesem Zusammenhang nur bedingt einsichtig. Er konstatiert für sich selbst lediglich eine Devianz im Hinblick auf exhibitionistische, nicht aber pädophile Neigungen. Der Angeklagte hat sich weder durch die Untersuchungshaft in dem Verfahren 311 Js 190/02 (StA Siegen) noch durch die bloße Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe durch das Amtsgericht Lennestadt am 19.07.2001 von der Begehung dieser Straftat abhalten lassen. Wegen der zuletzt genannten Verurteilung stand der Ange-
klagte zur Tatzeit unter Bewährungsaufsicht. Es handelt sich bei ihm um einen Bewährungsversager. Eine positive Prognose im Hinblick auf ein zukünftiges straffreies Leben kann ihm nach allem nicht gestellt werden, so dass eine Strafaussetzung zur Bewährung nicht in Betracht kommt.“

Gegen dieses Urteil hat der Verteidiger des Angeklagten für diesen form- und fristgerecht „Rechtsmittel“ eingelegt. Nachdem ihm das Urteil am 4. Dezember 2003 zugestellt worden ist, hat der Verteidiger des Angeklagten mit Schriftsatz vom 2. Januar 2004, bei dem Amtsgericht Olpe eingegangen am 3. Januar 2004, das Rechtsmittel als Revision bezeichnet und die Verletzung materiellen Rechts gerügt. Mit der erhobenen Sachrüge wird zum einen beanstandet, dass das Amtsgericht den Begriff der sexuellen Handlung i.S.d. § 184 c Nr. 1 StGB überdehnt habe. Die Erheblichkeitsschwelle sei vorliegend nicht überschritten worden. Zum anderen habe das Amtsgericht eine Strafaussetzung zur Bewährung in rechtsfehlerhafter Weise abgelehnt, da es die erweiterte Möglichkeit der Strafaussetzung zur Bewährung unter den Voraussetzungen des § 183 Abs. 3 StGB außer Acht gelassen habe.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision gemäß § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen.

II.
Die zulässige Revision des Angeklagten ist, was den Schuldspruch betrifft, offensichtlich unbegründet und ist daher vom Senat insoweit nach Maßgabe der im Beschlusstenor vorgenommenen Schuldspruchberichtigung gemäss § 349 Abs. 2 StPO verworfen worden. Hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruches in dem angefochtenen Urteil hat die Revision dagegen einen zumindest vorläufigen Erfolg.

1.
Auf der Grundlage seiner fehlerfrei getroffenen Feststellungen hat das Amtsgericht den Angeklagten zu Recht und mit zutreffender Begründung des sexuellen Missbrauchs eines Kindes gemäß § 176 Abs. 3 Nr. 1 StGB schuldig gesprochen. Indem der Angeklagte dem ihm unmittelbar gegenüberstehenden und zum Tatzeitpunkt 11 Jahre alten Mädchen Z. sein erigiertes Glied zeigte und es aufforderte, mit dem Angeklagten „etwas im Bett herum zu machen“, nahm er eine sexuelle Handlung vor einem Kind i.S.d. §§ 176 Abs. 3 Nr. 1, 184 c StGB vor, die von dem Kind wahrgenommen wurde und als erheblich einzustufen ist. Ob die Schwelle der Erheblichkeit überschritten ist, bestimmt sich nach dem Grad der Gefährlichkeit der Handlung für das jeweils betroffene Rechtsgut; lediglich unter diesem Gesichtspunkt belanglose Handlungen scheiden aus (vgl. BGH MDR 1990, 887; BGHR StGB § 184 c Nr. 1 Erheblichkeit 4 = MDR 1991, 702; BGHR StGB § 184 c Nr. 1 Erheblichkeit 6 = NStZ 1992, 432; NStZ 2001, 370). Von Bedeutung sind dabei vor allem Art, Intensität und Dauer des sexualbezogenen Vorgehens, daneben aber auch der Handlungsrahmen, in dem der unmittelbar sexualbezogene Akt begangen wurde sowie die Beziehung der Beteiligten untereinander (vgl. BGH NStZ 1983, 553; BGHR StGB § 184 c Nr. 1 Erheblichkeit 4 und 6). An das quantitative Element der Erheblichkeit sind bei Tatbeständen zum Schutz der ungestörten sexuellen Entwicklung von Kindern und Jugendlichen geringere Anforderungen zu stellen (vgl. BGH NStZ 1983, 553; Schönke/Schröder-Perron, StGB, 26. Aufl., § 184 c Rdnr. 16), wobei bei Jugendschutztatbeständen die Erheblichkeitsschwelle zudem je nach Alter und Entwicklungsstand des Kindes unterschiedlich hoch anzusetzen ist (vgl. Schönke/Schröder-Perron a.a.O.; OLG Koblenz OLGSt § 184 c StGB Nr. 1). Gemessen an diesen Maßstäben ist das Entblößen und Zeigen des erigierten Penis unmittelbar vor den Augen eines 11 Jahre alten Mädchens verbunden mit der Aufforderung an das Mädchen, mit dem Angeklagten „etwas im Bett herum zu machen“, eine sexuelle Handlung von einiger Erheblichkeit vor einem Kind, die geeignet war, die ungestörte sexuelle Entwicklung des Kindes erheblich zu beeinträchtigen.

Im Rahmen seiner rechtlichen Würdigung ist das Amtsgericht auch zutreffend davon ausgegangen, dass der Angeklagte durch das festgestellte Verhalten in objektiver
und subjektiver Hinsicht den Tatbestand einer exhibitionistischen Handlung (§ 183 StGB) verwirklicht hat. Allerdings tritt der gleichzeitige Verstoß gegen § 183 StGB nicht, wie das Amtsgericht meint, aus Gründen der Gesetzeskonkurrenz hinter den ebenfalls verwirklichten Straftatbestand des § 176 Abs. 3 Nr. 1 StGB zurück. Die Straftatbestände der §§ 176 Abs. 3 Nr. 1, 183 StGB stehen vielmehr, sofern sie
- wie hier - durch dieselbe Handlung im materiellen Sinne verwirklicht werden, im Verhältnis der Tateinheit, § 52 StGB (zu vgl. BGH NStZ-RR 1999, 298; BGH StGB
§ 176 Abs. 5 Konkurrenzen 2; Tröndle/Fischer, StGB, 51. Aufl., § 183 Rdnr. 16; Schönke/Schröder-Perron, § 183 Rdnr. 15). Insoweit sah sich der Senat zu der im Beschlusstenor ausgesprochenen Schuldspruchberichtigung veranlasst.

2. Der Rechtsfolgenausspruch in dem angefochtenen Urteil hält dagegen der revi-
sionsgerichtlichen Überprüfung nicht Stand.

Die Ausführungen, mit denen das Amtsgericht eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit des Angeklagten i.S.d. § 21 StGB verneint hat, sind lückenhaft, so dass der Senat auf der Grundlage des Urteils nicht nachprüfen kann, ob das Amtsgericht zu Recht von einer vollen Schuldfähigkeit des Angeklagten zum Tatzeitpunkt ausgegangen ist. Aus den Urteilsfeststellungen ergeben sich Anhaltspunkte für eine mögliche erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit des Angeklagten, die daher näherer Erörterung bedurfte. So ergibt sich aus den im angefochtenen Urteil aufgeführten Vorstrafen des Angeklagten, der im Dezember 1986 wegen Vornahme exhibitionistischer Handlungen in zwei Fällen zu einer Bewährungsstrafe von drei Monaten, im April 1988 wegen exhibitionistischer Handlungen zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten auf Bewährung und vom Amtsgericht Lennestadt im September 2001 wegen Vornahme exhibitionistischer Handlungen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern in zwei Fällen zu einer fünfmonatigen Bewährungsstrafe verurteilt worden war, wobei im Jahr 2002 unter den Aktenzeichen 311 Js 190/02 und 311 Js 501/02 StA Siegen zwei weitere Verfahren wegen versuchten bzw. vollendeten sexuellen Missbrauchs von Kindern gegen den Angeklagten anhängig waren, dass bei dem Angeklagten eine starke und möglicherweise krankhafte Neigung zur Begehung derartiger Straftaten vorhanden ist. Weitere Anhaltspunkte für eine mögliche erheblich verminderte Schuldfähigkeit des Angeklagten i.S.d. § 21 StGB ergeben sich daraus, dass der Angeklagte, in einem früheren Verfahren bezogen auf einen Tatzeitpunkt im Januar 2002 hinsichtlich seiner Schuldfähigkeit gerichtspsychologisch begutachtet worden ist und der Angeklagte während der Zeit der in anderer Sache erlittenen Untersuchungshaft Anstrengungen unternommen hat, seine nach eigener Einschätzung exhibitionistischen Neigungen therapieren zu lassen.

Bei seiner Feststellung, dass der Angeklagte hinsichtlich der ihm im vorliegenden Verfahren zur Last gelegten Tat voll schuldfähig ist, stützt sich das Amtsgericht auf das Ergebnis des erwähnten, in dem früheren Verfahren eingeholten gerichtspsychologischen Gutachtens. Stützt sich der Tatrichter bei seiner Beweiswürdigung aber auf ein Sachverständigengutachten, so ist in den Urteilsgründen eine verständliche, in sich geschlossene Darstellung der dem Gutachten zugrunde liegenden Anknüpfungstatsachen, der wesentlichen Befundtatsachen und der das Gutachten tragenden fachlichen Begründung erforderlich (vgl. BGHR StPO, § 267 Abs. 1 S. 1, Beweisergebnis 2; BGHR StPO, § 261 Sachverständiger 1; OLG Hamm, Beschluss vom 06.04.2000 - 5 Ss 287/2000 - sowie Beschluss vom 24. Oktober 2000 - 5 Ss 145/00 -; Meyer-Goßner, StPO, 46. Aufl., § 267 Rdnr. 13). Es müssen die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Darlegungen im Urteil so wiedergegeben werden, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist, wobei sich der Umfang der Darlegungspflicht nach der jeweiligen Beweislage und der Bedeutung, die der Beweisfrage für die Entscheidung zukommt, richtet (BGHR StPO, § 261 Sachverständiger 6; OLG Hamm, a.a.O.). Die bloße Mitteilung des Ergebnisses des Sachverständigengutachtens in den Urteilsgründen kann - je nach Lage des Einzelfalles - nur etwa dann ausreichen, wenn der Sachverständige bei der Begutachtung ein weithin standardisiertes Verfahren angewendet hat, es sich um einen renommierten Sachverständigen handelt und wenn von keiner Seite Einwendungen gegen die der Begutachtung zugrunde liegende Tatsachengrundlage und die Zuverlässigkeit der Begutachtung selbst erhoben werden (BGHR StPO, § 261 Sachverständiger 4). Auch hierzu fehlen in dem angefochtenen Urteil jedoch jegliche Ausführungen. Der Senat ist daher nicht in der Lage, allein auf der Grundlage des angefochtenen Urteils die auf das Ergebnis eines früheren, inhaltlich nicht näher erläuterten Sachverständigengutachtens getroffene Feststellung des Amtsgerichts, dass bei dem Angeklagten eine verminderte Schuldfähigkeit im Tat-
zeitpunkt nicht vorlag, auf rechtliche Fehler bei der Anwendung des § 21 StGB zu überprüfen. Bereits dieser Rechtsfehler, der sich zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt haben kann, nötigt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils im Rechts-
folgenausspruch.

Auch die Begründung, mit der das Amtsgericht eine Strafaussetzung zur Bewährung abgelehnt hat, ist nicht frei von Rechtsfehlern zum Nachteil des Angeklagten. Das Amtsgericht hat unberücksichtigt gelassen, dass § 183 Abs. 3 StGB, der die Anforderungen an die positive Prognose gegenüber § 56 Abs. 1 StGB verringert, unter den dort genannten Voraussetzungen eine Strafaussetzung zur Bewährung erleichtert. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Amtsgericht, wenn es seine Überlegungen zur Strafaussetzung zur Bewährung nicht ausschließlich an § 56 Abs. 1 u. 2 StGB, sondern an § 183 Abs. 3, § 56 Abs. 2 StGB ausgerichtet hätte, die verhängte Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt hätte. Gemäß § 183 Abs. 4 Nr. 2 StGB gilt die gegenüber § 56 Abs. 1 StGB vorrangige Sonderregelung des § 183 Abs. 3 StGB auch dann, wenn ein Mann (oder eine Frau) wegen einer exhibitionistischen Handlung nach § 176 Abs. 3 Nr. 1 StGB bestraft wird. Ein solcher Fall liegt hier vor. Das Amtsgericht hätte daher - vor Prüfung der zusätzlichen Voraussetzungen des § 56 Abs. 2 StGB für eine Aussetzung einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr - gemäß § 183 Abs. 3 StGB prüfen müssen, ob zu erwarten ist, dass der Angeklagte nach einer unter Umständen längeren Heilbehandlung keine exhibitionistischen Handlungen - die möglicherweise gleichzeitig den Straftatbestand des § 176 Abs. 3 Nr. 1 StGB erfüllen - mehr vornehmen wird. Mit der Sondervorschrift des § 183 Abs. 3 StGB nimmt der Gesetzgeber die Gefahr, dass ein solcher Täter auch nach der Aussetzung wieder rückfällig wird, bewusst in Kauf (vgl. BGH StV 34, 150, 151 m.w.N.). Entscheidend ist allein, ob davon ausgegangen werden kann, dass eine solche (unter Umständen längere) Heilbehandlung bzw. Therapie erfolgreich sein und zum späteren straffreien Lebenswandel des Täters führen wird. Das Amtsgericht hat die Erfolgsaussicht einer solchen Therapie zur Behandlung der exhibitionistischen und möglicherweise auch pädophilen Neigungen des Angeklagten als zweifelhaft angesehen, ohne sie aber letztlich zu verneinen. Die Sachkunde des Tatrichters allein dürfte auch nicht ausreichen, die im Rahmen des § 183 Abs. 3 StGB bedeutsame Frage nach der Erfolgsaussicht einer Heilbehandlung hinreichend zuverlässig zu beantworten. Der Tatrichter wird sich auch insoweit der Hilfe eines Sachverständigen bedienen müssen.

Aus den genannten Gründen war das angefochtene Urteil im Rechtsfolgenausspruch aufzuheben und in die Sache diesem Umfang an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Olpe zurückzuverweisen. Das Amtsgericht wird dann unter Hinzuziehung eines Sachverständigen die Frage einer verminderten Schuldfähigkeit des Angeklagten zum Tatzeitpunkt (§ 21 StGB) und die Erfolgsaussicht einer Heilbehandlung i.S.d.
§ 183 Abs. 3 StGB zu prüfen und in den Urteilsgründen abzuhandeln haben.


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