Aktenzeichen: 4 Ws 610/03 OLG Hamm
Leitsatz: Zur bedingten Entlassung nach Verbüßung von 2/3 der erkannten Strafe
Senat: 4
Gegenstand: Beschwerde
Stichworte: Ablehnung der bedingten Entlassung, versuchter Mord, Fehlen einer umfassenden Gesamtwürdigung, keine selbstkritische Auseinandersetzung mit der Tat, Bagatellisierung der Taten, Berücksichtigung der Vorbelastungen
Normen: StGB 57
Beschluss: Strafsache gegen St. P., zurzeit in dieser Sache in Strafhaft in der Justizvollzugsanstalt Werl,
wegen versuchten Mordes,
(hier: sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Anordnung der bedingten Entlassung).
Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Münster vom 13. Oktober 2003 gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Arnsberg vom 1. Oktober 2003 hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 11. November 2003 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht und die Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und des Verurteilten beschlossen:
Der angefochtene Beschluss wird auf Kosten des Verurteilten aufgehoben.
Die bedingte Entlassung des Verurteilten wird abgelehnt.
Gründe:
I. Das Landgericht Münster hat gegen den Verurteilten mit Urteil vom 29. Juli 1992 wegen versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung von Einzelstrafen aus einem anderen Verfahren (dort fahrlässige Tötung u.a.) eine Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und zehn Monaten und wegen eines weiteren versuchten Mordes eine Freiheitsstrafe von sieben Jahren verhängt.
Nach den von der Strafkammer seinerzeit getroffenen Feststellungen hatte sich der Verurteilte im September 1990 entschlossen, einen Mitbewohner seiner Wohngemeinschaft, zu dem er ein homosexuelles Verhältnis unterhielt, zu töten, um in den Genuss einer Lebensversicherungssumme zu kommen. Für die eigentliche Ausführung der drei Taten im Oktober 1990, Januar 1991 und Frühjahr 1991, die letztlich scheiterten, hatte der Verurteilte den damaligen Mitbewohner und Mitangeklagten Fr. rekrutiert, der den Verurteilten, der auch mit Fr. homosexuell verbunden war, als "Autorität" anerkannte. Die Planung und Überwachung der Taten oblag dem Verurteilten, der deswegen auch als Täter bestraft worden ist.
Durch den angefochtenen Beschluss hat die Strafvollstreckungskammer die bedingte Entlassung des Verurteilten zum 30. Oktober 2003 angeordnet. 2/3 der Strafen waren am 4. Oktober 2001 verbüßt. Das Strafzeitende ist auf den 14. September 2006 notiert.
Die Strafvollstreckungskammer hat ihre Entscheidung wie folgt begründet:
"Die bedingte Entlassung war anzuordnen, denn es kann auch im Hinblick auf die Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit verantwortet werden, zu erproben, ob er außerhalb des Strafvollzuges keine Straftaten mehr begehen wird (§ 57 StGB).
Zwar ist nach dem Gutachten des Sachverständigen eine selbstkritische Auseinandersetzung mit den Taten nicht hinreichend erkennbar. Eine günstige Legalprognose lässt sich zwar nicht positiv begründen. Allerdings kommt der Sachverständige zu dem Ergebnis, dass die damaligen Tatbedingungen nicht mehr fortbestehen und auch eine Wiederholung des früheren sozialen Beziehungsgefüges kaum denkbar ist.
Der Verurteilte wird nach seiner Entlassung in einer Einrichtung der Ordensgemeinschaft der Armen Brüder des Heiligen Franziskus in Düsseldorf wohnen. Dort erfährt er die erforderliche Hilfe aber auch Kontrolle, so dass mit einem Rückfall nicht zu rechnen ist. Das Gericht hat bei der persönlichen Anhörung den Eindruck gewonnen, dass der Vollzug den Gefangenen nachhaltig beeindruckt hat."
Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Münster, der die Generalstaatsanwaltschaft mit ergänzender Begründung beigetreten ist.
II.
Die sofortige Beschwerde ist zulässig und hat Erfolg.
Die Strafvollstreckungskammer hat zu Unrecht das Vorliegen der Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 StGB bejaht.
Eine umfassende Gesamtwürdigung aller entscheidungserheblichen Umstände, die im angefochtenen Beschluss nur in Ansätzen erfolgt ist, kann die Annahme einer günstigen Legalprognose i.S.d. § 57 Abs. 1 StGB nicht rechtfertigen, Zwar ist dem bei der mündlichen Anhörung gewonnenen persönlichen Eindruck, auf den sich die Strafvollstreckungskammer maßgeblich stützt, regelmäßig ein großes Gewicht beizumessen. Andere gewichtige Gesichtspunkte, die der angefochtene Beschluss nicht oder nur unzureichend würdigt, schließen im vorliegenden Falle jedoch eine bedingte Entlassung aus.
Nach den Ausführungen des Psychologischen Sachverständigen Dr. S. in seinem Gutachten vom 22. Juli 2003 ist die selbstkritische Auseinandersetzung des Verurteilten mit dem Tatgeschehen nicht ausreichend erkennbar. Die Richtigkeit dieser Auffassung belegt der Verurteilte eindrucksvoll mit seiner im Rahmen der mündlichen Anhörung am 1. Oktober 2003 getätigten Äußerung, seine Tatbeteiligung habe darin bestanden, seinen Mittäter nicht daran gehindert zu haben, zu versuchen, das Opfer umzubringen. Zwei dieser Tötungsversuche seien ihm gar nicht so richtig bewusst gewesen, er habe es, ohne auf seinen Mittäter hinreichend einzuwirken, einfach so laufen lassen. Das bereue er heute sehr. Dieses offensichtliche Bemühen, seine damalige Tatbeteiligung, die von der seinerzeit erkennenden Strafkammer u.a. als von "besonderer krimineller Energie" gekennzeichnet und "hartnäckig weiter am Tötungsvorsatz" festhaltend gewürdigt worden ist, im krassen Gegensatz zu den landgerichtlichen Feststellungen zu bagatellisieren, lässt das für eine günstige Prognose unerlässliche Maß an Einsicht und Bereitschaft, sich mit den früheren Taten kritisch und verantwortlich auseinanderzusetzen, vermissen.
Von daher hat sich der Senat dem Psychologischen Dienst der Anstalt, der in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 10. September 2003, mithin vor der mündlichen Anhörung, dem Verurteilten eine "Veränderung der Persönlichkeit" sowie "inhaltliche Verarbeitung und Verantwortungsübernahme hinsichtlich des Tatgeschehens" attestiert, nicht anschließen können.
Letztlich musste auch, worauf die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend hinweist, die strafrechtliche Laufbahn des Verurteilten in der ehemaligen DDR Berücksichtigung finden. Nach den eigenen Angaben des Verurteilten gegenüber dem Sachverständigen Dr. Simons hat er zwischen 1964 und 1986 etwa 20 Jahre Haft wegen Betruges verbüßt. Zwar habe er das ertrogene Geld vor allem zur Finanzierung seiner Flucht aus der DDR, daneben aber auch für homosexuelle Kontakte, Schmuck und Kleidung verwendet. Die Auffassung des Sachverständigen, die von dem Verurteilten selbst vorgenommene "Selbstschilderung als vertrauenswürdiger Biedermann ohne jegliche kriminelle Neigung" lasse Zweifel offen, im Übrigen lasse die Persönlichkeitsartung des Verurteilten im Alter keine grundlegende Änderung erwarten, ist daher mehr als nachvollziehbar. Die früher in der ehemaligen DDR zur Aburteilung gelangten Taten weisen, wie die Taten im vorliegenden Verfahren, ein hohes Maß an persönlicher Bereicherungsabsicht und Hartnäckigkeit auf.
Nach alledem vermag der Senat dem Verurteilten die für eine bedingte Entlassung günstige Legalprognose nicht zu stellen. Das Schreiben des Verurteilten vom 6. November 2003 vermag eine andere Entscheidung nicht zu rechtfertigen. Es zeigt nach wie vor das Bemühen des Verurteilten, seine damaligen Taten bzw. seine Beteiligung in ein günstiges, von den tatrichterlichen Feststellungen nicht getragenes Licht zu stellen. Daher kann unter gehöriger Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit das Wagnis, dem Verurteilten die Gelegenheit zu geben, sich in Freiheit, wenn auch zunächst im schützenden Rahmen eines Betreuten Wohnens, nicht verantwortet werden.
Der angefochtene Beschluss war daher aufzuheben und die Aussetzung der Vollstreckung der Strafreste zur Bewährung abzulehnen.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 465, 473 StPO.
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